✘Kapitel 3

Wir hören einander stets zu und zeigen Toleranz

Mariola

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Die Sommersonne brannte auf mich hinab - doch dies war ich mir durchaus gewohnt. Auch die Mücken, welche um mich herumschwirrten und ich schon an beiden Armen spürte, wie dessen Stiche mich juckten.
Ich war mir so einiges gewohnt.

Und ich war ja schon in einigen Sommercamps als Helferin gewesen - aber so unfassbar unstrukturiert wie hier, war es bisher nun wirklich noch nirgens gewesen.

Keine Betteneinteilung, keine langfristige Essensplanung - nicht einmal Namensschilder für die Betreuer!
Und noch dazu stellte Mr. Turner solche Nichtsnutze wie diesen violetten Emo und den aufgedrehten Pumuckl ein!
Das würde noch lustig werden - aber nicht etwa in einem positiven Aspekt.

Ich war ja keineswegs religiös und würde mich eher als eine Atheistin bezeichnen - aber ich betete zu irgendeinem Gott, welcher mir vielleicht mal etwas unter die Arme greifen würde.

Scheinbar hatte Mr. Turner seine Patensöhne auch gleich eingestellt.
Ich hasste Vetternwirtschaft - und besonders der Jüngere schien noch nie nur mal draussen übernachtet zu haben.

Er hängte nur an seiner blöden, Kinder-dumm-machenden Konsole und als er noch Handyempfang gehabt hatte - lief er wie ein Zombie mit Kopfhörern in den Ohren, auf das Display starrend umher.
Ausserdem war er noch gar nicht 18 - und eigentlich musste man mindestens dieses Alter besitzen, um hier als Betreuer zu arbeiten.

Ich hasste es, wenn man sich nicht an die Regeln hielt - wofür waren sie denn sonst da? Wofür setzte man sich hin und schreibt diese Sachen auf - wenn man sie dann sowieso umändert, wie es einem gerade passte?
Es gab überhaupt gar keinen Sinn. Ich hasste sowas.

Der Ort hier war nämlich perfekt für ein Sommercamp - ruhig und mitten in der Natur.
Man konnte Sachen mit den Kids entdeckten gehen - störte niemanden und hatte ebenso alles unter Kontrolle.
Verschwendet. Durch und durch verschwendet.

"Name?",sagte ich heute sicherlich schon zum tausendsten Mal - sodass sich dieses Wort gar nicht mehr wie ein Wort anhörte.

Ich bekam keine Antwort, weshalb ich mit gerunzelter Stirn von meinem Klemmbrett aufsah.
Ein braunhaariges, doch etwas kleingewachsenes Mädchen stand vor mir.
Ich konnte wirklich nicht sagen, ob sie nun eine Campbewohnerin oder eine Betreuerin darstellte. Aber wohl eher eine Betreuerin - ebenso wie ich.

"Name?",fragte ich abermals, dieses Mal langsamer - vielleicht sprach sie unsere Sprache ja noch nicht gut.

Sie lächelte etwas und strich ein Kreuz über ihre Lippen.
Das durfte doch nicht wahr sein - eine Stumme hat er auch noch eingestellt!

"Oh, ehm...",machte ich, als das Mädchen mit gekonnten Handbewegungen ihren Namen buchstabierte.
Meine Gebärdensprache war sehr eingerostet - weshalb ich nur Lu-sa und De-cour wirklich verstehen konnte.

Als sie merkte, wie sehr ich haderte - seufzte sie etwas auf und zeigte auf mein Klemmbrett.
Ich runzelte mit der Stirn - merkte, wie dies meinen Stolz etwas verletzte. Jedoch nickte ich etwas und hielt ihr die Liste hin.

Mit ihrem Zeigefinger darüberstreichend ging sie die Liste durch.
Sie hatte ihre Fingernägel weiss lackiert - was mir schon wieder ein Dorn im Auge war.
Wehe, sie würde diesen unfassbar ekligen Gestank von Nagellackentferner in die Hütte der Betreuer bringen!

Zufrieden tippte sie auf den einen Namen - und ich zog sogleich etwas abrupt das Klemmbrett wieder zu mir zurück.
Luisa Delacour.

"Ahh, ja, genau. Du bist in der Bären-Hütte eingeteilt für heute..." Ich sah kurz umher. "Folg am besten dem mit den violetten Haaren - der ist heute auch dort eingeteilt."

Luisa lächelte mich an und legte kurz - wohl als dankende Geste - ihre Hand auf die Meine, welche den Kugelschreiber hielt.
Dann wendete sie sich mit fröhlichen Schritten ab, nachdem sie ihr Gepäck wieder vom Boden aufgehoben hatte.
Ich rümpfte die Nase und schaute ihr nach - ich mochte es nicht, wenn mich Leute einfach so berührten.

Ich fragte weiterhin die ankommenden Kids nach ihren Namen - sagte ihnen, in welche Hütte sie gehen mussten. Und wiederholte all dies noch einmal viele, viele Male weiterhin.

Leise seufzend strich ich zum hundersten Mal meine rebellischen Haarsträhnen hinter die Ohren.
Hatte mir schon einige Male überlegt, meine Haare nicht wieder einmal kurz schneiden zu lassen.
Ich war nicht unbedingt als jemand aufgewachsen, welcher sich um sein Aussehen Sorgen machte - daran war wohl mein Vater Schuld.

Nachdem meine Mutter früh verstorben war, als ich um die acht Jahre alt gewesen war - fiel mein Vater total in den Abgrund der Verschwörungstheorien hinab.
Lange Zeit hatte ich nicht verstanden, dass all dies, was mein Vater täglich abgezogen hatte - alles andere als im gesunden Rahmen passierte.

Aber als er eines Tages dann mit der Schrotflinte in unseren Garten rannte, um eine umherfliegende Spielzeugdrohne abzuschiessen - war dann seine Zeit zu Hause zu Ende.
Meine übriggebliebenden Jugendjahre verbrachte ich dann bei meiner Grossmutter - welche aber nie wirklich zu mir durchdringen konnte.
Niemand konnte das.

Irgendwie hatte ich schon immer das Gefühl gehabt, für mich selbst schauen zu müssen. Dass ich meine eigenen Prinzipien wissen musste - und dass ich mich keineswegs auf irgendwelche scheinheiligen Albernheiten von anderen Menschen einlassen konnte.

"Das sind jetzt alle."
Die Stimme von Sam riss mich aus meinen Gedanken.
Unüberzeugt sah ich den Jungen an, welcher gerade seine dunkelblaue Spielekonsole in seiner Tasche verstaute.

Und natürlich trug er Markenklamotten - weisse Nike-Socken, irgendwelche dunkelblauen Fila-Schuhe und neben Hosen, bei welchen ich die Marke nicht erkennen konnte - ein rotes Adidas-Shirt.
Er war also ein chaotischer Mix der Markenklamotten. Wie wunderbar.

Aber eigentlich schien er nett - das musste ich zugeben. Für sein doch recht junges Alter schien er schon zu wissen, wo die Grenzen waren.
Während sein grosser Bruder schon fast zwanghaft versuchte, mit mir Kontakt zu knüpfen - probierte Sam es überhaupt gar nicht erst.
Vielleicht hatte er auch erlebt, wie beschissen die Welt sein konnte - und man nicht fröhlich umherhüpfen und jedem sein Glück schenken gehen konnte.

"Bist du dir sicher?",fragte ich ihn und schaute an ihm vorbei zum Gondelhaus.
"Ja, ausser mir sind irgendwelche Geister von ehemaligen Campbewohnern gefolgt."
Der Junge spielte auf jeden Fall zu viele dieser Spiele!

Ich stiess ein Seufzen aus - das weiss ich wie vielte heute - und nickte schliesslich.
"Gut, dann wollen wir mal zum Haupthaus gehen." Ich schaute auf meine robuste, braune Armbanduhr. Neben einer Datumsanzeige besass sie einen Kompass, eine Temperatur-Anzeige und eine Stoppuhr-Funktion. Das Uhrenband war aus Ahornholz gefertigt.
"Die erste Besprechung der Betreuer fängt in 10 Minuten an - und die Ankunftsansprache von Mr. Turner dann in 20 Minuten!"

Sam neben mir machte ein gelangweiltes Mhm-Geräusch und ging erst einmal los. Hatte ich da sogar einen belustigten Unterton gehört?

Mit gerunzelter Stirn ging ich ebenso los und schaute noch einmal zurück zum Gondelhaus - fragte mich, ob man dieses irgendwann auch abschliessen konnte. Denn es stellte durchaus einen potentiell gefährlichen Spielplatz für die Kids dar.

Das Camp war nun voller Leben - ganz anders als vor etwa zwei Stunden, in welchen ich mit Mr. Turner, Sam und Matt den letzten Schliff bereit gemacht hatte.

Ich hatte mich sofort gemeldet, sodass ich früher als die anderen Betreuer hier sein konnte.
Zwar hatten dies wohl die Patensöhne von Mr. Turner als streberhaft angesehen - aber er selbst schien äusserst dankbar darüber gewesen zu sein.

Das Hauptgebäude war gen Norden gerichtet - die Hütte, welche am nächsten vom See war.
Das Holz der Hütten allgemein war schon dunkel und recht alt - wusste nicht, wie viele Jahre man all dies noch so lassen konnte, bevor man es renovieren musste.

In einer Art Halbkreis waren dann die fünf Hütten um das Ufer des Sees platziert.
Nicht gerade sehr kreativ, hatten sie die vier Hütten für die Kids nach Tieren benannt; Wölfe, Bären, Füchse und Adler. Ganz rechts war dann noch die Hütte für die Betreuer - für welche man wohl keinen Tiernamen mehr gefunden hatte.

Neben den Häusern, die Duschen und Toiletten beinhalteten - gab es einen Holzsteg am Ufer des Sees, bei welchen einige abgenutzt aussehende Boote angelegt waren. Mit verschiedenen Farben angemalt, welche aber das Wasser mit der Zeit schon wieder abgewaschen hatte.

Ausserdem standen überall verteilt Holzbänke und Tische herum - Lichter- & farbenfrohe Wimpelketten wippten im Wind und eine Art Pergola war vor dem Haupthaus aufgestellt, unter welcher die offiziellen Ansprachen gehalten wurden.

In Mitten des Halbkreises der Hütten prasselte unser Lagerfeuer schon fröhlich umher, als Sam und ich an diesem vorbeigingen.
Mr. Turner hatte dies arrangiert - konnte mir denken, dass seine beiden Patensöhne keinen Schimmer hatten, wie man die Holzscheite richtig hinlegte.
Hatten wohl bisher noch nie ein Feuer gemacht.

Lächelnd wich ich einigen umherrennenden Kindern aus, welche teilweise schon ihre Bandanas der zugeteilten Hütten trugen.
Dies war wohl eine der einzigen Sachen, welche ich hier mochte - denn jede Hütte hatte neben den Tiersymbolen ebenso eine Farbe zugeteilt.

Die Wölfe bekamen ein hellblaues Bandana, die Bären ein dunkelrotes, die Füchse ein knalloranges - und die Adler ein dunkelgrünes Tuch.
Eigentlich sollte man dies um den Hals tragen - doch einige der Kids schlugen einenander damit zum Spass ab.

Unsere Schritte knarzten auf der Veranda des Haupthauses, bevor wir schliesslich durch die grosse Holztür - welche schon offen stand - eintraten.

Trotzdessen dass ich mir auf jeden Fall sicher war, dass wir nicht zu spät waren - schienen alle Betreuer schon in einem Halbkreis aufgestellt im Gemeinschafts- & Essensraum zu stehen.

Ebenso waren hier einige Holztische aufgestellt - die Bänke hatten wir vor einigen Stunden abgestaubt und von den Tischen hinabgenommen.
Ein Billiardtisch, zwei Fussballtische und viele gemütliche Sessel und Sofas waren in der anderen Ecke platziert.
Falls das Wetter einige Zeit nicht mitspielen würde - müsste man nicht die ganze Zeit im Schlamm rumplantschen gehen.

"Ahh, ich glaube somit sind nun alle da, oder?",fragte uns Mr. Turner lächelnd und vernahm ein Nicken von Sam.

Unser Chef kam mir ziemlich freundlich vor - wusste, wie man mit Menschen umging.
Er besass nur noch wenige Haare auf dem Kopf, aber dafür einen Bart, welcher ein Misch-Masch aus dunkelbraun und grau war.

Er trug kein Camp-Shirt wie ich - sondern ein hellbraunes Karohemd und dunkelbraune Cargohosen.
Er sah nicht unbedingt wie ein Sommercamp-Leiter aus. Allgemein schien er eher entspannt zu sein und war nicht so strikt auf Regeln aus, wie etwa andere Leiter dies waren.
Ich wusste nicht, wie ich mit dieser Charaktereigenschaft die nächsten fünf Wochen umgehen konnte. Wir würden es herausfinden.
Ausserdem hatte er mir von Anfang an angeboten, ihn bei seinem Vornamen Abraham anzureden - was mir nur noch mehr ein Dorn im Auge war.

"Perfekt!",sagte Mr. Turner nickend, als wir uns ebenso in den Kreis stellten.

Während er uns einige wichtigen Sachen erzählte über die Regeln und allgemeinen Infos - schaute ich mir meine Mitarbeiter erst einmal genauer an.

Ich kannte die Sachen dies schon im Schlaf - denn diese Dinge waren alle schon in den Formularen geschrieben gewesen, welche wir alle per Post zugestellt bekommen hatten.
Aber die meisten schienen die Sachen das erste Mal zu hören - wie wunderbar.

Da wären also die zwei komischen Käuze von vorhin - der mit den violetten Haaren und der hyperaktive Clown mit den roten Haaren.
Dann die Stumme - welche immer so ein seeliges Lächeln auf den Lippen trug.

Matt und Sam - von welchen Sam immer noch gelangweilt neben mir umherschaute.
Matt hingegen hörte seinem Patenonkel aufmerksam zu - auch wenn er all dies wohl auch schon tausendmal gehört hatte.

Er hatte am Morgen über sein dunkelgrünes Campshirt eine rote Baseballjacke getragen - nun aber hatte er sie im Arm haltend und lehnte sich lässig etwas an die Theke der Essensausgabe.
Dass er Typ hübsch aussah, war nicht zu bestreiten - aber über seinen Charakter war ich mir noch nicht allzu sicher.

Mein Blick blieb an dem letzten Typ hängen - denn ihn hatte ich nur ganz kurz bei seiner Ankunft gesehen. Er war eher wortkarg gewesen.
Jan, hiess er - so weit ich mich erinnerte. Besass noch irgendeinen anderen, komischen Zweitnamen.

Er war mir bisher am normalsten vorgekommen - wenn man mal sein Aussehen wegliess.
Jan besass braune, schulterlange Haare und trug schon die ganze Zeit eine schwarze Mütze mit einem schwarz-gelben Fledermaus-Logo darauf.
Es war mindestens 30°c draussen - und ich wollte gar nicht wissen, was sich unter dieser Mütze für Leben ankultivierte.

Ich verschränkte etwas die Arme und spürte schon wieder den Blick von Matt auf mir - verdammte Scheisse nochmal.
Für irgendeine Romanze war ich nicht hier! Nein, hier ging es um harte Arbeit und darum, dass man den Kids hier die Natur näherbrachte - etwas Disziplin und Verantwortungsbewusstsein lehrte.

Doch wenn ich mir meine Mitarbeiter so anschaute - war ich mir ziemlich sicher, dass sie nicht unbedingt die perfekten Kanditaten dafür darstellten.

Es war also nun offiziell; Ich würde für die nächsten fünf Wochen von Idioten umgeben sein.

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