✘Kapitel 2
✘ Ein Sommercamp voller Freude und Zusammenhalt ✘
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Fünf Wochen vorher
Timothée
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Immer wie nervöser trommelte ich mit meinen Fingern auf dem Lenkrad herum - als ich die Nebenstrasse befuhr, welche mich laut meinem Navi bald zur Gondelstation führen würde.
Jedoch hatte mich dieses Ding auch durchaus schon mal mitten auf der Autobahn nach rechts schicken wollen - geradewegs in eine Mauer.
Bitte rechts abbiegen - nein danke, ich bin nicht mehr suizidgefährdet.
Heute wäre es aber nicht einmal so überaus schlimm gewesen, wenn ich mich verfahren hätte.
Ich hatte mich heute morgen regelrecht zwingen müssen, aufzustehen. Hasste meine blöden Stimmungsschwankungen - welche damals dafür gesorgt hatten, dass ich es eine wunderbare Idee gefunden hatte, mich hier als Helfer einzutragen.
Das sei gutes Training.
Das war es vielleicht schon, ja - da hatte mein Therapeut durchaus recht. Expositions-Training und all das.
Aber trotzdem war es beschissen.
Ich wusste nicht, wie ich mich den Leuten dort geben sollte - meine glückliche, aufgedrehte und hilfsbereite Seite? Oder doch meine verschlossene, schüchterne und komische Seite?
Entscheidungen über Entscheidungen.
Ich kam durch meine auffällig farbigen Klamotten, meinen Piercings und meinen violetten Haaren sowieso schon immer zur Geltung - entweder war ich für die Leute ein komischer, depressiver Punk oder ein cooler Typ, der manchmal nicht wusste, wo seine Grenzen waren.
Und stets waren die Menschen dann überrascht, wenn ich ihnen erzählte - dass ich unter zu geringem Selbstbewusstsein litt.
Denn ich schien nicht so - und wenn ich ehrlich war, wusste ich gar nicht mehr, wann ich angefangen hatte dies zu überspielen.
Vielleicht kleidete ich mich auch genau deswegen so auffällig - weil ich das Gefühl habe, sonst würde ich niemals irgendwie mal etwas besonderes sein. So armseelig es sich auch anhören mochte.
Autofahrten machten mich immer so sentimental - verdammt melancholisch.
Liessen mich über mein Leben, meine Entscheidungen und Mindsets nachdenken. Was ich hätte anders machen sollen - und was ich jetzt anders machen sollte.
Ich war ein überaus typischer Überdenker.
Besonders auf nicht stark befahrenen Strassen wie dieser hier - welche mich irgendwo in die wirklich ganz hinterste Ecke von Eldritch führte.
Hier standen nicht viele Häuser, ausser hie und da ein paar Bauernhöfe. Kühe waren darum herum auf ihren Weiden und Schafe rannten mit klingenden Glöckchen um ihren Hals umher, während ich mit meinem Auto vorbeifuhr.
Ich liebte die Natur ja - gar keine Frage. Ich würde sogar freiwillig regelmässig campen gehen. Mal irgendwohin, wo man mal keinen Handyempfang hatte.
Irgendwie würde mir dies echt gefallen.
Das Problem waren nicht die Mücken, mangelnde Körperhygiene, Rückenschmerzen oder der Dreck.
Das Problem waren die mindestens dreissig anderen Leute - mit welchem ich mir die nächsten fünf Wochen das Revier teilen musste.
Wusste zwar, dass ich gut mit Kindern umgehen konnte - wusste aber nicht wie es war, wenn ich keine Nerven mehr hatte.
Leise seufzend fuhr ich auf den schon ziemlich dicht bestellten Parkplatz.
Man hatte mir erzählt, dass es zwar einen Naturweg geben würde, welcher hoch ins Camp führte - dass dieser aber sehr überwachsen und gefährlich war.
Deshalb fuhren sie dort immer bloss mit einem Auto hoch - und bloss jemand, welcher sich in der Region auskannte.
Der Rest wurde dann mit diesen doch recht alt aussehenden Gondeln hinaufgeschippert.
Als ich mein Auto parkte und aus dem Kofferraum meine Taschen hinausnahm - sah ich schon die Mengen an Familien, welche ihre Kinder verabschiedeten.
Hörte Geschluchze - hörte allgemeines Gerede und natürlich auch einiges an Geschimpfe und Ermahnungen von den besorgten - oder beschissenen - Eltern.
Da ich mir ziemlich sicher war, dass meine Arbeitszeit erst offiziell oben im Camp anfing - ging ich mit gerade aus gerichtetem Blick in Richtung des Gondelhauses.
Musste einigen herumrennenden Kindern und verlorenen Rollkoffern ausweichen, während ich über den grossen Parkplatz schritt.
Der Platz war durch und durch mit Natur ummantelt - viele verschiedene Bäume und Sträucher. Der Berg - oder grosse Hügel - auf welchen uns die Gondeln brachten.
Der Asphalt des Parkplatzes hatte einige Risse, wodurch sich schon viel Unkraut seinen Weg hinauf gebannt hatte.
Ich mochte es hier - ich mochte das alte Holzgebäude, welches etwas angehoben die Einstiegstation der Gondeln darstellte.
Die teilweise mit kaputten Kanten gezierte Steintreppe, auf welcher ich den Weg nach oben schritt.
Zum Glück war ich scheinbar genau im richtigen Moment gekommen - denn ich wurde sogleich von einem gelangweilten, dunkelhäutigen Teenager aufgefordert - mich gleich in die eine Gondel zu einem Jungen zu setzen.
Er trug eine dunkelblaue Mütze über seinen rabenschwarzen Haaren - und er schien vielleicht um die 16 Jahre alt zu sein.
"Es geht gleich los.",hatte er gemurmelt, während er in seine Nintendo Switch-Konsole starrte und nur wenig aufgesehen hatte.
Ich hatte einen Blick auf sein Spiel erhaschen können - aber kannte es leider nicht.
Ein Junge, welchen ich so um die zwölf Jahre alt einschätzte - starrte mich an, als ich mich mit einem freundlichen "Hallo!", auf die Bank gegenüber von ihm in die sogleich wackelnde Gondel setzte.
"Du hast coole Haare!",sagte er grinsend und sah meine Frisur staunend an.
Ich grinste ihn ebenso an - entspannte mich dadurch schon wieder etwas.
"Danke dir!",sagte ich schmunzelnd und legte meine Taschen neben mir auf der Bank ab.
Er besass blondes, kurzes Haar - hatte seine vielen Taschen ebenso neben sich auf die Bank gelegt. Neben ziemlich teuer aussehenden Wanderschuhen und Hosen - trug er doch tatsächlich ein Shirt mit dem Hogwarts-Logo drauf.
"Und du hast ein cooles Shirt an! Welches Haus bist du?"
Der Junge lachte leise und nickte.
"Gryffindor!"
Wieso hatte ich mir das nicht schon denken können?
"Ich bin Slytherin.",antwortete ich ihm mit einem Grinsen auf den Lippen - sah, wie er die Augenbrauen anhob.
"Dann bist du auch so fies wie Draco Malfoy?"
"Neeein, Draco Malfoy war doch einfach nur missverstanden!"
Der Junge kicherte kurz, nachdem er wohl wirklich einen Moment darüber nachgedacht hatte.
"Naja... meine Mama sagt immer, ich solle mich nicht so auf all das konzentrieren - ich würde sonst nichts in der Realität kennenlernen, sagt sie...",murmelte er niedergeschlagen. "Deshalb hat sie mich hier her geschickt!"
Automatisch bildete sich ein sanftes Lächeln auf meinen Lippen.
"Manchmal ist es okay sich in eine andere Welt zu flüchten, weisst du. Manche Leute brauchen das mehr - und manche weniger."
Er lächelte mich mit leuchtenden Augen an und ich wusste jetzt schon - dass der Kleine mir wohl ab jetzt wie ein Satellit die nächsten fünf Wochen nachlaufen würde.
"Wie heisst du?",fragte ich ihn also schliesslich freundlich.
"Silas! Und du?"
"Timothée." Ich musste etwas grinsen, als der Junge die Augenbrauen hob. Ein Name, den nicht viele hörten - und noch weniger wirklich aussprechen wollten.
"Aber du kannst mich einfach Tim nennen."
Ein Grinsen bildete sich auf Silas' Gesicht - bevor wir beide abrupt zusammenzuckten.
Ein rothaariger, junger Mann sprang noch im letzten Moment in unsere Gondel ein - noch gerade bevor sie scheppernd losfuhr.
"Hola mi amigos!",grinste er atemlos und schmiss seine zwei abgenutzten Sporttaschen etwas wahlos auf den Boden zwischen den Bänken.
Silas schaute ihn entgeistert an - fast schon hilfesuchend schaute er zu mir.
Wie ich schon vermutet hatte - Satellit.
Die Gondeln waren zwar für vier Personen berechnet - doch wenn man wie alle hier noch tonnenweise Gepäck mitschleppte, wurde es überaus eng.
Der Rotschopf grinste uns Beide an.
"Darf ich?" Ohne dass er das Gestottere von Silas' wahrnahm, setzte er sich zwischen seine Taschen unbequem auf die Bank ab.
Sein belebter Blick blieb an mir hängen - ehe sich ein verschmitztes Lächeln auf seinen Lippen bildete.
Das Gesicht mit Sommersprossen übersät - gräuliche Augen. Wirklich schöner Körperbau und eine Narbe - an seinem Hals.
Verdammt - er sieht echt heiss aus.
"Ich nehme jetzt einfach mal an, dass du ebenso ein Betreuer bist, wie ich - denn du siehst keinesfalls so unschuldig aus, wie etwa die Armee der Knirpse hier!"
Verdammt - und er flirtet mit mir!
"Gut geraten.",antwortete ich so ruhig wie ich nur konnte - wünschte, ich hätte mir nicht noch ein Karohemd über mein Shirt angezogen.
Und ich wünschte mir, die Gondel hätte eine Klimaanlage.
"Und wie heisst mein Mitarbeiter für die nächsten fünf Wochen?"
"Timothée, aber nenn' mich...-"
"Timothée - wow. Wie dieser eine Schauspieler, oder? Der schwarzhaarige Schönling, du weisst schon!"
Ich lachte kurz auf und nickte.
"Jaa, Timothée Chalamet, genau."
Er schnipste grinsend in meine Richtung.
"Genau! Aber du siehst noch besser aus, als er!"
Überfordert sah ich umher - erwischte mich doch fast dabei, ebenso hilfesuchend zu Silas zu schauen. Aber einen gewissen Stolz hatte ich nun doch noch in mir drinn.
Spürte, wie mein Herz in meiner Brust begann schneller zu pochen.
"D-Danke.",antwortete ich etwas dümmlich und verfluchte mich zur Hölle und zurück - dass ich spürte, wie meine Wangen erröteten.
"Und du bist?",fragte ich also schnell. Musste mich räuspern, damit meine Stimme nicht heiser klang.
"Liam. Liam, wie..." Er überlegte kurz mit gerunzelter Stirn. "Liam Hemsworth! Oder Liam aus One Direction! Verdammt, mein Teenager-Ich ist immer noch nicht drüber hinweg, dass sich die Band getrennt hat!"
Ich lachte abermals - sah, wie der Rotschopf mich ebenso fröhlich angrinste.
"Du siehst ebenso besser aus, als beide zusammen.", antwortete ich mit etwas heiserer Stimme.
Bei mir hörte es sich aber verdammt nochmal nicht so cool an, wie bei ihm vorhin!
Liam hob grinsend die Augenbrauen und schaute mich lange an. Er öffnete den Mund, als wolle er etwas sagen - doch er schien einen Moment sprachlos zu sein.
Mein Herz pochte wie verrückt in meiner Brust. Noch mehr. Auch wenn ich gedacht hatte, dass dies nicht möglich sein würde.
Vielleicht würde dieses Sommercamp ja wirklich nicht so schlimm werden, wie ich mir bisher gedacht hatte.
Ich hatte mir bei allnächtlichen im Bett liegen und unrealistischen Tagträumen nachhangenden Nächten vorgestellt, jemanden hier zu treffen.
Ja, sich vielleicht zu verlieben - eine wunderbare Zeit zu haben.
Niemals hätte ich gedacht, dass dies auch wirklich passieren würde. Vielleicht meinte es das Glück endlich auch mal gut mit mir.
Die Gondel war wie eine Sauna, je länger wir hier drinn eingepfercht zwischen unserem Gepäck sassen.
Silas protestierte ängstlich, als Liam seinen schweissbenetzten Kopf etwas aus dem kleinen Gondelfenster streckte.
Als dann sogleich die Gondel etwas ins Stolpern kam - schrie der Blonde erstickt auf. Umschlang mit seinen Armen seinen Rucksack.
"Keine Sorge, Kleiner! Wenn die Gondel hinabfallen würde, sind wir schneller tot, als dass wir noch irgendwie irgendwelche Schmerzen fühlen könnten!"
Ich musste mich wirklich zusammenreissen, nicht über Liam's Worte loszulachen - denn Silas riss dadurch panisch die Augen auf.
"Das meint er nicht so, Silas.",sagte ich beruhigend und grinste aber noch etwas. "Uns wird nichts passieren - die Gondel fällt nicht runter."
Silas glaubte mir dies jedoch erst, als wir sicher oben angekommen waren.
Immer noch Liam ängstlich anschauend, verabschiedete er sich von mir und lief dann bepackt mit seinen Taschen - aus der Gondelstation hinaus.
"Wow, du kannst echt gut mit Kindern umgehen.",scherzte ich schmunzelnd, als ich meine Taschen packte und an Liam's Seite entspannt aus dem Gondelhaus ging.
"Es ist nunmal eine Gabe.",hauchte der Rotschopf sarkastisch und grinste mich dann an - worüber ich einfach gar nicht anders konnte, als zu lachen.
"Wieso bist du denn hier?",fragte ich ihn interessiert - mochte seine Präsenz jetzt schon.
"Naaaja. Long story short - ich kann gerade nirgens anders hin. Und Mr. Turner hat mich durch unbändiges Flehen meiner Mum hier aufgenommen. Auch wenn dieser Job nicht unbedingt meinen Träumen entspricht."
"Glaub mir, meinen auch nicht.",antwortete ich ihm mit einem wissenden Grinsen auf den Lippen und nickte leicht.
"Und weshalb bist du dann hier?"
"Expositions-Training."
"Ahhh, das gute alte Expositions-Training..."
Im ersten Moment etwas überrascht darüber, dass der so aufgeweckte Liam über Therapie-Zeugs Bescheid wusste - schaute ich ihn mit gerunzelter Stirn an. Lächelte dann sogleich.
"Name?" Eine ernst klingende Frauenstimme riss uns aus unserem Gespräch.
Vor uns stand eine junge Frau, welche schon ein Shirt mit dem Logo des Camps trug - welches wiederum meiner Meinung nach viel zu unkreativ war.
Es zeigte einen Kreis, in welchem drei Wellen - zwei Tannen hinten diesen und oben rechts eine Sonne gezeichnet waren.
Um den Kreis herum stand dann in Blockschrift; Camp Eldritch - Ein Sommercamp voller Freude & Zusammenhalt!
Ich hob etwas wie Augenbrauen und erbrach innerlich über diese schon jetzt allgegenwertige Scheinheiligkeit.
Das würde ja witzig werden.
"Liam Goldberg is in the house!",antwortete ihr Liam als erster grinsend - worüber die Frau bloss eine Augenbraue hob und auf ihr Klemmbrett schaute.
Mit dem Kugelschreiber tippend ging sie langsam die Liste durch - flüsterte leise einige Namen.
"Ah - ja, stimmt! Du bist für heute erstmal in der Hütte der Wölfe eingeteilt."
"Alles klar - Aouuuuhh!"
Als Liam jedoch gequält grinsend bemerkte, dass die Blondhaarige vor ihm überhaupt nicht auf seinen Humor einging - räusperte er sich nun etwas und sah mit hochgezogenen Augenbrauen umher.
"Und du bist?",fragte sie seufzend und wendete ihren Blick auf mich. Ihre dunkelblonden Haare hatte sie zu einem Fischgeräte-Zopf geflochten - und ihre Haut war jetzt schon braungebrannt. Sie war also nicht so ein Nachtschattengewächs, wie ich es war.
Ebenso trug sie neben dem dunkelgrünen Shirt noch eine hellbraune, kurze Cargohose.
"Timothée Riders.",antwortete ich ihr mit einem Mundwinkel hochgezogen und sah zu, wie sie sogleich wieder ihre Liste durchging.
"Du bist heute Abend bei der Bären-Hütte. Aber allgemein ist heute sowieso das meiste im Haupthaus zu machen - Ankunft vorbereiten, die Kids in ihre Hütten begleiten, ihnen vielleicht helfen beim Einrichten und alles."
Liam und ich nickten verstehend, aber ich bemerkte, wie die junge Frau schon jetzt nicht überzeugt von uns beiden war.
Warscheinlich wegen Liam's Art - und wegen meines Aussehens.
Ich konnte regelrecht das Geräusch der Schublade hören, in welche sie uns steckte.
"Dürfen wir deinen Namen auch erfahren - oder müssen wir ihn ebenso auf dem Klemmbrett suchen gehen?",versuchte es Liam noch einmal verschmitzt grinsend - dieses mal aber so freundlich wie nur möglich.
Sie seufzte abermals auf und strich sich eine rebellische Haarsträhne hinter ihr Ohr.
"Mariola."
Gerade wollte Liam wohl noch irgendeinen kreativen Spruch raushauen - als Mariola sich jedoch einfach von uns abwendete, um die Passagiere der nächsten Gondel zu befragen.
"Eine schwierige Person ist das - das sag ich dir schon jetzt.",murmelte mir Liam kopfschüttelnd zu.
Ich grinste schwach und nickte zustimmend. War irgendwie froh, dass Liam keine Mariola war.
Schon von weitem sah man einige Holzhäuser - welche alle mit irgendeinem Namen angeschrieben schienen. Konnte sie von hier aus noch nicht lesen.
Dann der Bergsee, welcher in der Nachmittagssonne glitzerte - ein schon prasselndes Lagerfeuer, welches mit kleinen Sitzbänken mit Kissen und Decken umrandet war.
Eigentlich wirklich wunderschön - wenn man nur den Ort an sich betrachtete.
Ein grosses Holzschild war beim Eingang zwischen zwei Bäumen angemacht - welches den Campnamen noch einmal mit eingraviertem Schriftzug zeigte.
-Willkommen im Sommercamp Eldritch-
"Willkommen in der Sommerhölle Eldritch.",murmelte Liam neben mir theatralisch seufztend.
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