✘Kapitel 19

Jeden Dienstag und Freitag ist Wäschetag.
▪︎

Sam
-

Wieso zum Teufel musste ich die ganzen Taschen packen, während Mariola und Jan gemütlich die Karte studieren konnten?
Ich war nicht deren blöder Butler - ausserdem war ich verletzt. Mein Handgelenk schien trotz der Schiene immer wie mehr weh zu tun. Eigentlich war geplant gewesen, dass wir zu einer Nachkontrolle zum Arzt gingen, sobald wir wieder unten waren.

Würden wir überhaupt wieder unten ankommen? Dieser Gedanke liess mich zittern. Ich bekam es mit kompletter Panik zu tun. Als hätte ich meine Angst bis jetzt verdrängt gehabt und nun überflutete sie mich komplett.

Mein Atem begann stockender zu werden. Meine Augen brannten. Mein Bruder war weg - was war, wenn ihm etwas passieren würde? Weshalb musste er immer so verdammt mutig sein, und den Helden spielen wollen?
Wieso hatte er mit Tim zusammen losgehen müssen und mich hier lassen?

"Du bleibst hier in Sicherheit.",hatte er mir gesagt, als ich ebenso mitgehen wollte.
Doch war ich in Sicherheit? Wie gerne hätte ich in sein Gesicht geschrien, dass meine Sicherheit nicht an einen Ort gebunden war - sondern an ihn.

Ich verstand nicht, was mit meinem grossen Bruder los war.
Als wäre er die ganze Zeit auf Strom, sodass es fast unmöglich war, wirklich an ihn ranzukommen.
Irgendetwas war los mit ihm - aber er wollte mir nie sagen, was es ist.

Langsam aber sicher wurde mir auch bewusst, dass dieses Sommercamp nicht nur für mich war - sondern auch für ihn. Zuerst dachte ich durch meine Eltern, dass ich "rauskommen" musste und mein Bruder einfach mitkommen solle.
Aber was war, wenn auch er von irgendwas rauskommen musste?
Ich wollte ihn noch sehen können - es erfahren können.

Meine Augen begannen zu brennen, als ich den Reissverschluss von meiner Tasche schloss.
Etwas wahllos hatte ich alle Sachen in Taschen gepackt, welche noch nicht gepackt worden waren - denn eigentlich hatten wir das meiste schon parat und gepackt in einer Ecke stehen gehabt.

Doch teilweise schienen einige Dinge aus Taschen rausgerissen zu sein - und niemand wusste, ob jemand von uns dies betrunken bewerkstelligt hatte, oder doch diese Person, welche uns hierbehielt.
Ich schluckte leer beim Gedanken daran, dass wir eigentlich schon seit Stunden unten sein sollten und unseren Eltern und Abe hätten anrufen sollen.

Ob sie uns suchen kamen? Ob vielleicht die Polzei schon Bescheid wusste?
Aber wie sollten sie hier hochkommen - vor allem beim Sturm, welcher immer wie näher kam?
Heute war Samstag - und ab Mittwoch soll der Sturm am stärksten sein, so sagte uns Abe. Vorher solle es auch schon stürmen und gewittern - aber dies war nichts gegen das, was uns ab Mittwoch erwartete.
Was war, wenn wir nicht rechtzeitig runterkamen? Was war, wenn nicht alle runterkamen?

Mit zittrigen Händen packte ich die Taschen weiter und wollte einfach nur noch zu den anderen rennen - mich vielleicht wie ein kleiner Junge hinter ihnen verstecken, aber ich konnte nicht mehr anders.

Ich hörte ein Geräusch genau hinter mir - und hielt inne, als ich die letzte Tasche zumachte.
Mein Körper stand unter Strom, als ich mich langsam umdrehte und sogleich einen erstickten Schrei ausstiess.

Einige Meter hinter mir in der Hütte der Füchse - stand Lu.
Sie starrte mich mit emotionslosem Gesichtsausdruck an und stand dort wie ein Geist. Die Hände hatte sie hinter sich verschränkt und stand mit geradem Rücken vor mir.

"Lu?",krächzte ich verwirrt und stand zittrig aus der Hocke auf. Stand ihr gegenüber in dem matten Licht der Hütte - doch ich bekam keine Antwort.
Natürlich bekam ich keine Antwort, wieso sollte ich von Lu auch eine Antwort bekommen? Nach all der Zeit, in welcher wir zusammen durch die Wälder mit den Kids spaziert waren - und sie immer geschwiegen hatte.

"Lu, bist du verletzt? Wir dachten, du seist..." Ich hielt unsicher inne, als sie sich keinen Zentimeter zu bewegen schien. Ich schluckte leer und schaute mich kurz um - aber ich hatte wirklich Angst davor, den Blick von ihr abzuwenden.
Sie machte mir wirklich eine scheiss Angst.

"Matt und Tim sind losgegangen um Liam zu finden - wir dachten, du seist auch bei ihm." Meine Stimme zitterte und ich wusste nicht wieso. Mein Atem stockte etwas.

"Ich weiss."
Einen Moment hielt ich inne und starrte Lu geschockt an - kam mir vor wie ein Computer, welchen man überfordert hatte und der Bildschirm sich weiss färbte.
Lu redete.

"Du... du kannst..." Die Worte blieben mir weg - verdammte Scheisse nochmal, träumte ich?
War ich auf diesen ungemütlichen Taschenhaufen eingepennt und träumte nun von einer redenden Lu? Nachdem sie den ganzen Sommer lang kein einziges Wort geredet hatte - und auch nie irgendetwas wirklich von ihrem Leben preisgegeben hatte.

Was Lu dann tat - liess meine Gänsehaut sich nur noch mehr auf meinem Körper ausbreiten.
Sie lächelte.
Dieses Lächeln, welche mir schon den ganzen Sommer durch irgendwie ein unangenehmes Gefühl bereitet hatte - uns allen.

"Was zur Hölle...",hauchte ich verzweifelt und trat einen Schritt zurück - stolperte fast über einen Rucksack-Gurt.
"Was ist hier los!"

"Vielleicht könnt ihr euch in einen Stuhlkreis setzen und euch darüber unterhalten, wer was von letzter Nacht noch weiss, nicht wahr?"
Während Lu dies in überfröhlicher Stimme sagte, trat sie einige Schritte auf mich zu.
Ich glaubte zu wissen, dass ich mich gleich übergeben würde.

"Vielleicht aber auch unser Jüngster; Sam. Hat der Arme sich schon von seinem ersten Kater erholt?" Ihre Stimme wurde leiser - bedrohlicher und fast zischend wie die einer Schlange.

Ich fühlte mich im ersten Moment wie gelähmt - und als Lu immer wie näher auf mich zutrat, sah ich, dass sie mit brauner Farbe irgendein Symbol auf der Stirn gezeichnet hatte.
Es sah aus wie ein Adler - oder jedenfalls irgendetwas mit Flügeln.

Doch mein Gehirn wollte nicht verstehen, was hier gerade geschah - Lu redete verdammt nochmal! Und sie war die, die uns hier festhielt? Weshalb?

"Lu... Lu, wieso tust du das?!" Ich konnte nicht verhindern, dass sich Tränen in meinen Augen sammelte - meine Stimme erstickt  klang.

Wieder zauberte sich ein Lächeln auf Lu's Lippen - ehe sie wie ein Tier auf mich zusprang, irgendetwas hinter ihrem Rücken hervorholte und mir auf Nase und Mund presste.
Es war ein Tuch - so viel bekam ich noch mit.
Es roch widerlich - doch liess auf einmal meinen ganzen Körper und Kopf entspannen, sodass sich meine Augen schlossen.

"Gute Nacht, Sonnenschein."

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top