8, Kreise die sich schließen

Wir sind wieder zuhause und betreten gerade den Flur. Ich bin in einen Nebenzimmer, hänge unsere Mäntel auf einen Bügel und diesen auf die Kleiderstange. Ich höre das Telefon klingeln, Carol geht ran. Ich richte meine Haare und sehe mich im Zimmer um.
Im Hintergrund höre ich Carol laut aber verschwommen reden. Ich betrachte das Bild an der Wand über der Kommode. Blumen, Lilien. Wahrscheinlich Ölkreide. Auch wenn die Farben hell sind und mich an Frühling erinnern, hat es etwas bedrückendes an sich. Ich wende mich wieder ab und laufe zur Tür, bleibe jedoch kurz im Türrahmen stehen und betrachte Carol. Sie steht erschöpft über der Küchenzeile und beendet das Telefonat. Ich komme näher und sehe sie von der Seite an. Eine Träne bahnt sich ihren Weg über ihre Wange. Mit wem hat sie gesprochen? Ich streiche ihre Haare hinter ihr Ohr. Meine Augen wandern zu ihren, sie dreht ihren Kopf zu mir. „Carol..." Sage ich so leise, dass es kaum zu hören ist. Es klingt mehr wie eine Frage, als ich es eigentlich will. Ich nehme meine Hand und lege sie sanft auf ihr Gesicht, um die Träne wegzuwischen. Meine kühlen Finger, verschmelzen mit ihrer warmen Haut. Eine weitere Träne rinnt aus ihren Augen, „Oh Carol,... wer war das?" Sage ich wiederholt leise und komme ihr näher. Unsere Gesichter sind nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt. Ich streichele ihre Wange, langsam greift sie mit ihrer Hand nach meiner. „Es tut mir so leid, es tut mir ja alles so unfassbar leid." Ihre Augen füllen sich erneut mit Tränen. Sie schaut mich an, kann mir jedoch nicht in die Augen sehen. Sie streicht sich mit einer Hand eine neue Träne weg und hält ihren Kopf gestürzt. „Carol, sprich, ... sprich mit mir!" Vordere ich sie auf, ich will das sie mit mir redet und sagt, was sie bedrückt. Sie hebt ihren Kopf und atmet tief ein, streicht sich erneut eine Träne von der Wange, ich greife nach ihrer Hand. Warm, weich. „Jeder Kreis, der sich schließt, ist ein Kreislauf. Und wir befinden uns nun wieder an der gleichen, verdammten Stelle wie damals. Noch viel schlimmer ist, dass ich dich schon wieder mit reingezogen habe, ich wieder dein Leben ruiniert habe. Obwohl ich mir geschworen habe, dies nie wieder zu tun. Wieder wollte ich dich beschützen, doch habe ich versagt. Wieder, immer wiederholt sich alles, alles ist ein Kreislauf" Sie atmet laut auf, als sie ihren Satz beendet und geht in die Knie. Ich nehme sie fest in meine Arme, sie liegt in ihnen wie ein regloses Säugling, so unsicher und verletzlich. Ihre Hände drückt sie sich stark ins Gesicht, ihr Körper verkrampft völlig, als sie weiter spricht. „Hages' Mutter will mich aus ihrem Leben, sie hasst mich. Harge und ich hatten uns mit den Anwälten geeinigt, ich sehe Rindy, ... regelmäßig. Ich darf sogar Nachmittage mit ihr auf dem Spielplatz verbringen. Doch diese schreckliche Person spioniert mir wieder hinterher, drückt mir einen Agent in den Nacken und beansprucht Zeit mit Rindy, an meinen Tagen, dabei bin ICH doch ihre Mutter. An Tagen, an welchen ICH doch Zeit mit ihr verbringen darf. ... Allein das hat sie alles angerichtet, dass ich Zeit mit ihr verbringen DARF!"  Ihre Stimme hebt sich bei dem letzten Wort, was ihre Lippen verlässt. „Ich kann nicht mehr Therese, ich kann nicht mehr. Wie kann sie mich so hassen?" Meine Gedanken überschlagen sich, jedes Wort was über ihre Lippen fließt, setzt solch einen Schmerz in mir frei. Carol ist völlig aufgelöst. Ich wünschte, wir leben in einer Zeit, in der unsere Liebe keine Sünde wäre. Ob es diese irgendwann einmal gibt? In einer Zeit, in der Carol ihre Tochter sehen kann, wann sie auch immer möchte.
Ich habe es gewusst, die Person im grauen Mantel im Kino und der schwarze Ford, der unten am Ende der Straße parkt. Ich habe es alles gewusst.
Ich sehe zu ihr herunter: „Carol, du.., wirst mich, du musst mich nicht wieder verlassen. Wir können das zusammen durchstehen. WIR, hörst du?"
Ich sehe sie an und wische erneut Tränen von ihrer zarten Haut. „Du hast mein Leben nie ruiniert, du hast es bereichert, so wie kein anderer. Du hast mich zu einem besseren Menschen gemacht, weil DU ein toller Mensch bist. Du hast mich geformt in einem guten Sinn, du hast mir gezeigt was das Leben wirklich ist.  Deswegen liebe ich dich so. Vergiss das bitte nie." Sage ich und drücke sie immer fester an mich. Und da, während ich so rede, breitet sich in mir wieder dieses Gefühl aus. Dieses bekannte Gefühl der letzten Monate, dass ein Teil von mir fehlt. Dieses Gefühl von Übelkeit und Stechen in meinem Bauch. Dieses Gefühl von Schmerz in meinem ganzen Körper. Dieses Gefühl von Leere und die Angst vor Einsamkeit, in mir, überall. Ich habe unvorstellbar große Angst, sie wieder zu verlieren. Der Gedanke daran, ohne sie zu leben, lässt mich nicht atmen. Ich kann ohne sie nicht leben. Nur ein Gedanke füllt meinen Kopf:

Lieber würde ich sterben.

(834 Wörter)

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