25, Telegramm und Salzwasser
Vor ein paar Stunden ist ein Telegramm von Abby angekommen, Carol soll sie anrufen. Mir fuhr ein Stich durch den Bauch, denn sofort erinnerte ich mich an Telegramme, die wir bei unserer Voyage Anfang des Jahres erhalten hatten. Sie bedeuteten immer schlechte Nachrichten. Doch Carol sah im Gegensatz ganz unberührt aus, fast als hätte man ihr nur gesagt das die Zimmermiete billiger würde. Ich hingegen, habe auch jetzt noch ein unwohles Gefühl und sah schon ein Ende meiner Pläne und Träume. Carol ist vor wenigen Minuten aus dem Zimmer, herunter in die Lobby gegangen um eine Telefonverbindung nach New York aufzubauen. Ich laufe aufgebracht im Zimmer auf und ab. Setzte mich auf das Bett und stehe anschließend doch wieder auf. Ich stelle mich an das Fenster und sehe hinaus, öffne es und stehe in dem kalten Luftzug. Der eisige Winterwind weht meine Haare zurück, ich friere. Meine Arme beginnen zu zittern, doch ich bleibe stehen und rühre mich nicht. Für einen kurzen Moment, überlege ich das Fenster zu schließen und auch in die Lobby zu gehen. Nicht etwa um Carol aufzusuchen, sondern um mich abzulenken. Das Hotel hat an der Lobby eine Information und eine winzige Einkaufspassage. Dort würde ich genug Ablenkung finden und ich könnte endlich erfragen, wo ich meine Bilder entwickeln lassen kann. Denn mit den Bildern, die wir gestern am Eiffelturm gemacht haben, ist eine neue Filmrolle voll geworden. Nach nur knapp 2 Monaten, habe ich bereits 4 Filme, die ich entwickeln muss. Ich habe viele Bilder von der Stadt gemacht, ich verliere mich immer und immer wieder in der Natur und den Details der Architektur. Viel mehr Bilder sind aber von Carol. Carol am Fenster, Carol im Sessel, Carol im Park und seit gestern auch Carol vor dem Eiffelturm. Ein paar wenige zeigen auch Carol beim schlafen, denn sie sieht so friedlich und unglaublich schön aus. Und manchmal, da ist es noch ganz früh, scheint die Sonne in das Zimmer und ich komme nicht drumherum, ein paar wenige Bilder von ihr zu machen. Wenn das orange gelbe Licht auf die weiße Bettwäsche trifft und Carols Haare golden strahlen lassen. Und wie der Goldbesatz der Borden an den Wänden funkelt wenn sich dort das Licht reflektiert. Wie das sanft orange gelbe Licht, jedes einzelne Härchen auf ihrem Handrücken schimmern lässt und ihre helle, fast kühle Haut immer wieder rosa aufwärmt. Das kann ich mir einfach nicht entgehen lassen.
Ich sehe hinab zu meinen Händen die schon ganz blau vor Kälte sind. Dann sehe ich wieder gerade aus auf die schneebedeckten Dächer und sehe den kleinen, weißgrauen Punkt zu, wie sie vom Himmel fallen. Ich spüre auch einige Schneeflocken, erst kalt, dann wärmer, auf meiner Haut schmelzen. Das Wasser läuft mir wie Tränen über die Wangen, ich habe schon so lange nicht mehr geweint. Seitdem ich wieder bei Carol bin, haben meine Augen keine Tränen verlassen. Ich bemerke erst garnicht, dass sich unter die Wassertropfen des Schnees auch wahre Tränen mischen. Es sind Tränen der Angst. Ich kann nicht aufhören an dieses gelblich weiße Papier zu denken, welches meinen Traum, meine Wünsche, innerhalb von Sekunden wie eine Seifenblase zerplatzen lassen hat. Telegramme bedeutet nichts gutes. Schon gar nicht, wenn sie von Abby kommen. Abby hat für mich tatsächlich zwei Seiten. Sie ist nicht nur frisch und sommerlich laut sonder auch düster, schmerzhaft und in meinen Gedanken von Verlust geprägt. Und jetzt dominierte die dunklere Seite meine Gedanken. Außerdem herrschte zwischen uns schon immer eine gewisse Spannung, welche vielleicht durch Carol entstand. Was wenn Carol wieder nach Amerika muss? Was wenn der Prozess doch nicht beendet ist und Harge nach Carols Verscchwinden, wieder den Anwalt eingeschaltet hat? Was wenn wir uns wieder trennen müssen? Meine Lippen nehmen das salzig, warme Wasser auf, welches sich über meine Wangen verbreitet. Es sind Tränen der Angst vor Verlust und vor einer bereits bekannten, erlebten Zukunft. Mein ganzer Körper beginnt zu zittern, ich spüre meine Finger nicht mehr. Aber ich weiß, ich kralle mich mit meinen Händen krampfhaft an meinen Oberarmen fest. Doch ich spüre anstatt des stechenden Schmerzes, nur einen betäubten Druck. Ich zucke zusammen, als Carol laut und schnell, die Tür zum Hotelzimmer öffnet. Ich weiß, sie steht für wenige Sekunden reglos da, es ist kurz, ganz still im Raum. Dann schmeiß sie die Tür ins Schloss; "Therese, was machst du? Es ist eisig hier." Sie läuft die wenigen Schritte gerade auf das Fenster zu und streckt ihre Arme aus. "Du bist ja eiskalt. Was machst du nur?" Fragt sie wiederholt und schließt schnell das Fenster. Dann wendet sie sich zu mir und nimmt mich in die Arme, streicht ein paar mal an meinem Oberarm entlang und sieht mir dann erstmals ins Gesicht. Ich wage keinen Blick, ich kann sie nicht ansehen, es sollte kein weitern Moment geben der für immer in meinen Erinnerungen bleibt, kein einziges neues Bild von Carol sollte ich haben. Denn es würde den Abschied und das Vergessen nur noch schwerer machen. "Oh Therese..." Stößt sie leise über ihre Lippen und drückt meine Oberarme etwas zusammen. Wie eine Mutter bei ihrer Tochter. Immer noch sind meine Fingerspitze tief in meinen Oberarm vergraben. So langsam lässt die Kälte nach, welche meine Glieder so eben noch betäubt hatte. Ich sehe immer noch steif aus dem Fenster und wage keine Block zu Carol die rechts von wir steht, mit ihrer hellblauen Strickjacke über den Schultern. Erst als sie mich richtig in den Arm nimmt und mich fest umarmt, entspannen sich meine Muskeln und mein Körper erschlafft. Ich sinke weich in ihre Umarmung und spüre die Wärme, die ihr Körper ausstrahlt und auf meinen überträgt. Ich rieche ihr Parfüm und wünschte mir für eine Sekunde, die Welt anzuhalten um den Moment so länger festzuhalten. Doch mein erschöpfter Körper lässt mich nicht pausieren. Ich rede ganz unbewusst, ohne es wirklich zu wollen, fließen mir die Worte einfach über die Lippen. Immer noch fest mit Carols Armen umschlungen, fühlt es sich plötzlich so sicher an, dass ich gar die Angst vergessen. Doch sie kehrt bald wieder mit den Wortentsprechung die meine Lippen verlassen. „Wirst du zurück gehen? Wirst du mich verlassen?" Ich spüre mein Herz, während ich spreche stark und laut gegen Carols Brust schlagen, so stark das sie es spüren muss. „Oh Therese, nein." Das erleichtere ‚nein' was mit Gänsehaut bereitete, ließ mich schon kurz darauf auch hörbar aufatmen. „Nein, Abby wird schon bald einen Flug nach Paris nehmen, sie wollte, dass wir ihr ein Zimmer vorreservieren und unsere genaue Adresse." Die Abby des Sommers flammt erneut in meinem Kopf auf und bringt mich gar zum Lächeln. „Das ist gut." Sage ich und musste tatsächlich etwas über mich selbst lachen. Was für Gefühlslagen ich soeben durchlaufen hatte, nur wegen eines einzigen Telegramms. Ich hebe meine Arme und drücke Carol ein wenig näher an mich:
„Ich freue mich auf sie."
(1137 Wörter)
Ich habe eines meiner momentaner Lieblingslieder; Hearing von Sleeping At Last, oben als Video hinzugefügt. (Swipe links)
Ich verbinde es sehr mit diesem Kapitel und den Gefühlen die Therese erlebt. Die Angst vor Verlust und einer möglichen Zukunft ohne Carol, die der Mittelpunkt ihres Lebens, ihr Ankers, ihr Halt und letztendlich ihr Salz ist. Auch wenn es schlussendlich, Sorgen und Angst genährt durch Erfahrungen und eben vorallem Unwissenheit waren, zeigt diese Reaktion wiederum wie schmal der Grad des Glückes sein kann.
Es kommt in Wellen und tief bohrt sich das schrille Gefühl der Angst und der Leere, genau das beschreibt dieses Lied für mich; Angst und leiden dadurch. Bis dieses letztendlich durch Carols Anwesenheit leiser wird, während die Aufgewühltheit sich zu Erlösung und Wissen lautbleibend umformt.
Woran denkst/Wie fühlst du bei dem Lied?
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