-Kapitel 5-
„Du hast dir wirklich viel Mühe gegeben. Wieso?"
Nachdem er Carlos beim Date zugestimmt hatte, war Lando losgezogen und hatte die vielen kleinen Zettel eingesammelt. Erst als er alle hatte, setzte er sich in der Küche an den Tisch, las immer wieder einige Zettel und beobachtete Carlos dabei, wie dieser das Essen fertig zubereitete.
„Ich weiß, dass du solch romantischen Dinge magst und ich diese viel zu selten mache. Aber in erster Linie wollte ich mich für mein Verhalten der letzten Wochen entschuldigen. Ich habe gehofft, wenn ich unser erstes Date ein wenig nachstelle, dass du ein wenig milder gestimmt sein wirst, wenn ich alles erzähle."
Nachdenklich faltete Lando die Zettel zusammen, welche er gelesen hatte und legte diese behutsam in eine Glasschüssel vor sich. Es waren schöne Worte und sie gingen ihm wirklich ins Herz. Carlos war nicht unromantisch, das überhaupt nicht. Aber hin und wieder mochte Lando es einfach gerne, wenn der Spanier etwas dicker auftrug. Nicht, dass er dies mit den Zetteln oder dem Essen tat, aber es war schon eine richtige Richtung.
„Dein Verhalten hat mich sehr verletzt. Du hast mir das Gefühl gegeben, ich bin nicht mehr wichtig in deinem Leben. Dass sich alles nur noch um Ferrari und deinen großartigen großen Traum dreht."
„Ich weiß, Lando. Und das tut mir wirklich leid. Ich verspreche dir, wenn wir gegessen haben, werde ich dir alles erklären."
Die Reue war deutlich in den braunen Augen zu sehen, weswegen Lando nickte. Er hatte eh schon beschlossen, Carlos eine Chance zur Erklärung zu geben.
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Gerne hätte er sich an Carlos gekuschelt. Gerade nachdem sie lecker gegessen hatte, mochte es Lando unheimlich gerne, sich mit dem Spanier auf die gemütliche Couch zu legen und sich vollgefressen an diesen zu schmiegen. Es gab in diesem Moment nichts Schöneres. Aber es war schon lange her, dass sie so gekuschelt hatten. Außerdem wollte Carlos ihm noch erklären, wieso er sich wie ein Idiot verhalten hatte. Deswegen saßen sie sich nur gegenüber. Jeder saß in einer Ecker der Couch und schaute den anderen an.
„Sag mir, Carlos. Bin ich dir im Weg gewesen? War ich lästig? Habe ich dich von deinem Traum und deiner Karriere abgehalten?"
„Nein, Lando! Nichts von dem!"
„Dann verstehe ich nicht, wieso du diesen Mist abgezogen hast. Du hast mir damals versprochen, dass sich zwar unweigerlich etwas ändern würde, aber du immer Zeit für mich haben würdest. Du würdest da sein, insofern dir das möglich wäre. Aber alles, was du warst, war verletzend und abweisend. Wenn ich dich sehen wollte, musste ich ständig zu dir fliegen. Wenn ich eine Plage für dich bin, wieso hast du nicht Schluss gemacht? Ich mag vielleicht nicht immer alles sofort verstehen, aber ich bin nicht dumm. Mir ist bewusst, dass es zwei Menschen in einer Beziehung gibt und dass beide an dieser arbeiten müssen, wenn es funktionieren soll. Also habe ich nicht genug daran gearbeitet, oder? Ich hätte weniger ängstlich sein müssen. Ich hätte erwachsene handeln und reagieren müssen. Es war nie meine Stärke, allein zu leben- Bevor es dich gab, hatte ich einen Mitbewohner. Ich brauche Menschen in meiner Umgebung. Aber ich wusste, dass ich es allein schaffen muss, wenn ich ein erfolgreicher Fahrer werden will. Ich wohnte schon länger allein, bis du überhaupt in mein Leben getreten bist. Und kaum warst du in meinem Leben, bin ich rückfällig geworden. Ich habe mich an dich und deine Nähe geklammert - wohlwissend, dass es nicht gut gehen kann."
Aus Angst, später keinen Mut mehr zu haben, hatte Lando einfach losgelegt. Alles, was ihn belastete, redete er sich von der Seele und dabei war dies noch nicht mal alles. Aber alles, was im jetzigen Moment durch seine Gedanken geisterte.
Seufzend zog Lando die Beine an sich und schlang die Arme um diese, während er Carlos unsicher anblickte. Hatte er ihre Beziehung vielleicht dahin gebracht, wo sie nun stand? Die Wahrscheinlichkeit, dass er sich einfach zu sehr an Carlos geklammert hatte, war groß. Der Spanier kannte es, allein zu leben, war es gewohnt. Lando fühlte sich in vielerlei Hinsicht oft wie ein kleiner Junge neben dem Älteren und dabei trennten sie nur knappe fünf Jahre Altersunterschied.
„Es gab niemanden, der mich so supportet hat wie du Lando. Dabei habe ich dir genau angesehen, wie sehr du gelitten hast. Als ich sagte, ich würde Ferrari für dich absagen, war es in diesem Moment auch wirklich ernst gemeint."
„Weil du mich nicht traurig sehen magst. Ich verstehe. Aber du hättest es nicht gemacht, oder?"
„Wohl nicht", murmelte Carlos leise.
„Okay. Wenigstens bist du ehrlich. Macht es nicht unbedingt besser, aber egal. Damals hat es mir alles bedeutet, diese Worte aus deinem Mund zu hören. Aber schnell ist meine Blase geplatzt und mir wurde bewusst, dass ich mich nur in einer Illusion befinden würde. Wer würde einen Platz bei einem der mal besten Teams ausschlagen? Für einen Freund? Für jemanden, mit dem man gerade ein Jahr zusammen war und es nie die Garantie geben würde, dass es lange halten würde? Selbst ich wusste damals, dass es Schwachsinn war, daran festzuhalten. Also wieso sollte ich mich querstellen? Du hast oft genug gesagt, dass Ferrari dein Traum ist und es nichts Besseres gäbe, als für die fahren zu dürfen. Bäm. Direkt ins Herz. McLaren war also nie gut genug. Ich war nie gut genug. Nur so eine kleine blöde Zwischenstation, bis du wirklich zu einem richtig guten angesagten Team kommen konntest. Je öfter ich mir selbst eingeredet habe, dass ich dich unterstützen muss, weil ich dich liebe, du mein Freund bist und es irgendwie erwartet wird, desto eher habe ich meinen eigenen Lügen auch irgendwann geglaubt. Und ein bisschen hatte ich ja noch geglaubt, dass du dein Wort halten würdest und ich wenigstens halbwegs so wichtig wie Ferrari war."
Carlos wusste nicht, wie er den Schmerz beschreiben sollte, welcher sich in seinem Körper ausbreitete. So hart und direkt war Lando noch nie gewesen und es machte ihm Angst. Hatte Lando all die Zeit alles heruntergeschluckt und nur so getan, als wäre alles in Ordnung? Mit Besorgnis erinnerte er sich daran, wie er einfach nicht mehr aufhören konnte, über den Wechsel zu reden, als sicher war, dass es passieren würde. Wie konnte er nur so unsensibel dem Mann gegenüber sein, dem er sein Herz geschenkt hatte, den er über alles liebte? Wie sehr die Liebe zu jemandem in den Hintergrund rutschen konnte, wenn es um einen langgehegten Traum ging, hatte er scheinbar am eigenen Leib erfahren, ohne sich dessen bewusst gewesen zu sein.
„Versteh mich nicht falsch, Carlos. Ich liebe dich. Aber ich war auch oft sehr naiv, dumm und ängstlich. So Erfahrungen mit Beziehungen konnte ich nicht vorbringen. Also habe ich alles getan, damit ich keine Fehler mache, damit du siehst, wie ich reifer werde. Ich wollte nicht als der weinerliche Klammeraffe betitelt werden, der nicht damit zurechtkommt, dass der Freund nicht mehr neben ihm einschläft und aufwacht. Seit wir zusammen sind, hast du mir vieles gezeigt und beigebracht. Du hast mich auf Händen getragen, mich beschützt. Aber du hast mich auch besser gemacht. Besser in meinem Wesen, besser in meinem Job. Wir wohnten zusammen und es gab nichts Schöneres für mich. Ich mag nicht allein sein. Als ich damals ausgezogen bin, habe ich stundenlang geweint, als ich allein in meinen ersten eigenen vier Wänden war. Ich liebe meine Familie, meine Freunde. Und ich brauche einfach Menschen um mich herum, die mir wichtig sind. Aber wie hätte das ausgesehen, wenn ich dir das gesagt hätte, nachdem feststand, dass du England verlassen würdest? Es lief eh nicht mehr großartig in unserer Beziehung und mein Gefühl wurde immer mehr bestärkt, dass du England am liebsten so schnell wie möglich verlassen möchtest."
Eine unangenehme Stille legte sich über den Raum.
Es war Carlos, der es nach einigen Minuten nicht mehr aushielt und aufstand. Unruhig lief er durch das Wohnzimmer. Unzählige Gedanken rasten durch seinen Kopf und er wollte so vieles sagen, aber keines seiner Worte würde auch nur ansatzweise das ausdrücken können, was in ihm vorging.
„Carlos, setz dich wieder. Du machst sonst noch dein schönes vorbereitetes Picknick kaputt."
„Ich habe unsere Beziehung kaputt gemacht, da kommt es auf ein Picknick auch nicht mehr an."
„Das stimmt doch gar nicht. Wir haben eben eine schwere Phase."
„Nein, das haben wir nicht. Ich habe alles aufs Spiel gesetzt, weil ich ein egoistischer Arsch bin. Gott, Lando, ich habe wirklich geglaubt, dass ich die Rettung für Ferrari sein würde. Dass ich sie wieder groß rausbringen würde. Nach meinen ersten erfolgreichen Fahrten hat Mattia mich so sehr gelobt, dass ich fühlen konnte, wie mein Ego anschwoll. Ab da war mir alles andere egal. Ich wollte nur, dass Mattia mich weiterhin lobt. Ich wollte ihnen allen zeigen, dass ich es verdient hatte, zu Ferrari zu wechseln, dass ich Charles die Stirn bieten konnte. Weder meine eigene Familie noch du waren wichtig genug. Ich bin zu einem Menschen geworden, der ich nie sein wollte. Jemand, der seine Karriere über das Wohl der Menschen stellt, die er liebt."
Vor der Schiebetür nach draußen zum Garten blieb Carlos stehen, spannte seinen Körper dabei so sehr an, dass es schmerzte. Aber für ihn waren diese lächerlichen Schmerzen nicht genug. Das, was er Lando, seiner Familie und Freunden angetan hatte, war viel schlimmer. Dabei haben sie alle versucht, auf ihn einzureden. Aber erst Charles und Alex konnten ihm endgültig die Augen öffnen.
„Hey."
Behutsam schloss Lando die Arme um Carlos, schmiegte sich an dessen Rücken und drückte feine kleine Küsse in dessen Nacken.
„Es tut uns beiden gerade wirklich weh, was gesagt wurde. Und vielleicht hätte ich früher ehrlicher zu dir sein sollen. Aber ich wollte dir wirklich nicht im Wege stehen. Außerdem bin ich immer noch sehr stolz auf dich. Du hast diesen Platz verdient. Zwar nicht dieses Arschloch als Boss, aber den Sitz. Du hast so lange darauf hingearbeitet, Carlos. Okay, es ist nicht schön gewesen zu sehen und zu bemerken, dass ich dich an Ferrari verliere, aber es hätte mir einfach nicht zugestanden, dich von der Erfüllung deines Traumes abzuhalten. Es wäre eben schön gewesen, wenn du unsere Beziehung und mich auf diesem Weg nicht einfach hättest liegen lassen."
Jemanden wie Lando an seiner Seite hatte er nicht verdient. Carlos versuchte gar nicht erst, die aufkommenden Tränen und Gefühle zu verbergen. In einer flinken Bewegung drehte er sich in den Armen des Jüngeren und legte nun seinerseits die Arme um den Briten und drückte sich fest an diesen.
„Es wird alles gut, Carlos. Wir bekommen das hin. Hm? Wir sind doch Carlando."
Schniefend nickte Carlos am Hals seines Freundes. Egal, was noch kommen würde, er würde Lando nicht noch einmal einfach so ignorieren und abschieben. Wenn Mattia damit nicht zurechtkommen würde, war es dessen Problem. Aber Carlos würde sich nicht mehr um den Finger wickeln lassen. Zur Not würde er Charles mit einspannen, damit dieser ihm einen Arschtritt geben würde, sollte er sich erneut einwickeln lassen.
„Wollen wir ein bisschen auf der Couch kuscheln? Oder möchtest du picknicken?"
„Sollte ich dich nicht fragen?"
„Könntest du. Musst du aber nicht. Wie gesagt, es ist gerade für uns beide schmerzlich. Aber ich glaube, dass es richtig war, darüber zu reden. Weißt du, ich lebe gerne in meiner Welt, aber deswegen vergesse ich die Realität ja nicht. Mir ist bewusst, dass nicht immer alles großartig sein kann. Zu einer Beziehung gehören eben auch mal Probleme und Krisen. Aber wenn wir beide darüber reden und versuchen, eine Lösung zu finden, werden wir das wieder hinbekommen. Ich habe keineswegs vor, diese Beziehung oder dich aufzugeben."
Während er in seiner eigenen Blase gelebt hatte, war Lando nebenbei so viel erwachsener geworden, als er in Erinnerung hatte. Sein kleiner unsicherer Freund musste ihn daran erinnern was in einer Beziehung passieren konnte. Noch etwas unsicher tastete er nach der Hand von Lando, verschränkte ihre Finger miteinander und atmete erleichtert aus, als er den Druck verspürte, der von Lando ausging.
Gemeinsam gingen sie zur Couch, wo sich Lando selbstverständlich auf ihn kuschelte, ohne den direkten Kontakt mit ihren verschränkten Fingern zu lösen.
So ganz war sein Plan mit dem Date nicht aufgegangen, aber Carlos fühlte, dass sie auf einem guten Weg waren, alles wieder in die richtige Richtung zu bringen.
TBC ...
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