-Kapitel 1-

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Angewidert wischte Lando sich mit dem Handrücken über den Mund, versuchte, den widerlichen Geschmack im Mund zu ignorieren. Aber je mehr er es versuchte, desto heftiger wurde die Übelkeit und Lando musste sich ein weiteres Mal übergeben.

Erst nachdem er sich sicher war, dass nichts mehr hervorkommen wollte, raffte sich Lando auf, spülte die Toilette und taumelte zum Waschbecken, vor dem er sich fahrig über das Gesicht fuhr. Er sah scheiße aus. Wie schon seit Wochen. Rasch putze er sich die Zähne, spülte den Mund kräftig aus und wankte zurück ins Schlafzimmer, wo er sich unter seiner Bettdecke verkroch.

Wo hatte er sich nur diese blöde Magenverstimmung eingefangen? Er hatte doch nichts Außergewöhnliches gegessen und alles was er gegessen hatte, war auf jeden Fall noch haltbar und schmackhaft gewesen. Aber würde eine Magenverstimmung über drei Wochen anhalten? Bis jetzt hatte er es erfolgreich geschafft, dass Jon nichts mitbekommen hatte. Aber auch seine Eltern und selbst Carlos wussten nichts von der Übelkeit, die er nunmehr seit drei Wochen hatte. Seltsam war es, dass diese meistens in den frühen Morgenstunden einsetzte.

Die blöde Magen-Darm-Grippe hatte er sich Ende letzten Jahres zugezogen und das so kurz nachdem er mit Carlos sein letztes Rennen für McLaren bestritten hatte. Aber diese hatte er mit Hilfe seines Freundes und den Tipps ihrer Mütter ziemlich gut weggesteckt.

Seufzend griff er nach dem Kissen, welches vor einigen Wochen noch herrlich nach Carlos gerochen hatte. Aber mittlerweile war nichts mehr von dem beruhigenden Geruch übrig, der ihm sonst immer half. Carlos war sicher schon sechs Wochen nicht mehr hier in seinem Haus gewesen. Sechs Wochen. Direkt nach Neujahr war der große Umzug losgegangen. Carlos hatte mit dem Wissen, dass er 2021 für Ferrari Fahren würde, seine Wohnung in England gekündigt, um nach Spanien zurückzuziehen.

Hinter seinen Augenlidern fing es an zu brennen, aber Lando wollte nicht weinen, hatte er dies doch schon zu oft. Carlos und er hatten gemeinsamen entschieden, dass der Spanier zurück in seine Heimat gehen würde, sie eine Fernbeziehung führen würden. Und so sehr er Carlos auch liebte und so sehr sein Freund immer betonte, dass er seinen kleinen Briten kannte, so hatte der Ältere absolut keine Ahnung von seinen Verlustängsten. Die räumliche Trennung zu Carlos schmerzte und es machte Lando sehr zu schaffen, was er wiederum mit Arbeit, streamen und golfen versuchte auszublenden.

Stumm liefen Tränen über sein Gesicht. Er war nicht mehr der kleine, scheue 19-jährige Junge, den Carlos einst kennengelernt hatte. Er hatte seinem Freund versichert, dass er zurechtkam. Außerdem war er ja schon dreimal in Spanien gewesen. Und wenn die Saison im März starten würde, hatten sie hoffentlich Gelegenheiten sich zu sehen, da Lando ansonsten wirklich keine Ahnung hatte, wie er es mit der Fernbeziehung sonst weiter aushalten sollte. Es war so schwer und kräftezehrend, jedem in seinem Umfeld klarzumachen, wie verdammt stolz er doch auf Carlos sei und dass niemand anderes den Platz bei Ferrari verdient hätte. Und wenn man wie der Spanier und er schon gute anderthalb Jahre zusammen war, dann würde man das mit einer Fernbeziehung locker meistern.

Es machte Lando schon traurig, dass ihm das jeder abnahm. Seine Eltern, Jon, seine besten Freunde, selbst Zak und Andreas und natürlich Carlos. Sollte ihm das sagen, dass all die Menschen, die so wichtig für ihn waren, ihn eigentlich gar nicht richtig kannten? Ja, natürlich, sie wussten von seinen Angststörungen und seine Eltern wussten auch ein bisschen, dass er mit Verlust nicht so gut zurechtkam, da es ihm selbst jetzt schwer fiel, allein zu wohnen. Die Zeit mit Carlos zusammen war so schön, eine der besten Zeiten seines Lebens. Aber nun war der Spanier nicht mehr Teil seines Alltags. Jetzt telefonierten sie, schickten sich Nachrichten und sahen sich trotz Winterpause eigentlich gar nicht, weil Carlos voller Begeisterung in die Vorbereitungen mit Ferrari gestartet war.

„Genug!"

Es gab keinen Grund, in Selbstmitleid und Zweifel zu verfallen. Immerhin hatte er sich über Fernbeziehungen schlau gemacht. So viele Paare auf der Welt führten eine und das oft sehr glücklich. Und die Freude, wenn man seinen Partner nach langer Zeit endlich wiedersah, war umso schöner.

„Bullshit! Fuck!" Aufgebracht presste sich Lando das Kissen auf den Kopf. Wie er seine Gedankengänge doch manchmal hasste. Es war einfach, wie es war. Er vermisste Carlos schrecklich. Er vermisste den warmen Körper, die starken Arme. Er vermisste die raue, niedliche Stimme mit dem Akzent. Er vermisste verdammt noch mal seinen Partner, der anderthalb Jahre an seiner Seite gelebt hatte. Scheißegal, was andere sagten, was andere dachten. Egal, dass andere Paare das auch schafften. Er war verdammt noch mal nicht die anderen. Er war Lando Norris, verdammte 21 Jahre alt und todunglücklich, weil der Mann, den er liebte, Kilometer weit entfernt von ihm seinen Traum lebte. Einen Traum, den er Carlos unter keinen Umständen der Welt ausgeredet hätte.

Wieso kam alles auf einmal? Carlos war weit weg. Seine Eltern lebten in Bristol. Jon war bei sich zu Hause und George und Alex waren gemeinsam im Urlaub. Wieso merkte niemand, dass es ihm nicht nur körperlich schlecht ging?

Das Klingeln seines Smartphones erschreckte Lando so dermaßen, dass er leise aufschrie und das Kissen reflexartig aus dem Bett schmiss. Für einen kurzen Moment musste er tief durchatmen, bevor er nach dem kleinen Gerät tastete, was irgendwo auf seinem Bett verschollen gegangen war.

„Nicht jetzt." Eine Woche hatten sie nicht telefoniert. Nur ein paar Nachrichten hin- und hergeschickt - und jetzt rief Carlos an? Aber hatte er sich das nicht gerade noch gewünscht?

„Ja."

„Hola, mi amor."

„Hey."

„Lando, alles in Ordnung?"

„Sicher. Wieso sollte es nicht?"

„Du hörst dich seltsam an. Und ich wundere mich, weil du Facetime abgelehnt hast."

Lando spürte richtig, wie es mit einem Mal in ihm brodelte. Und er hatte absolut keine Ahnung, woher dieses Gefühl mit einem Mal kam. Aber es machte ihm Angst, weil er Carlos gegenüber nicht unfair sein wollte.

„Und wie war die letzte Woche?"

„Lando? Was ist los?"

„Wie fährt sich der Ferrari?"

Lando könnte hören, wie Carlos die Luft einzog. Dieser schien zu spüren, dass er abblockte und bewusst nicht auf seine Fragen einging. Hoffentlich würde sein Freund nicht weiter nachbohren. Lando hatte nämlich selbst absolut keine Ahnung, was mit ihm war und er wollte nichts an Carlos auslassen, was er später bereuen würde.

„Das erzähle dir, wenn wir uns sehen."

„Du kommst mich besuchen?" Strahlend setzte er sich auf, hatte mit einem Mal ein glückliches Lächeln auf dem Gesicht und konnte die Freude über die Worte kaum verbergen.

„Lando?"

„Sorry. Ja. Wann kommst du?"

„Ähm. Du hast das falsch verstanden. Ich erzähle es dir, wenn wir uns das nächste Mal sehen."

„Was? Du hast geschrieben, dass du diese Woche vorbeikommen wirst."

„Ich weiß. Deswegen rufe ich an. Ich wollte es dir nicht schreiben, aber Charles und ich haben zusätzliche Term- ..."

Fest presste er die Lippen aufeinander, nachdem er das Gespräch abgebrochen hatte. Natürlich, wie hatte er auch nur denken können, dass sie sich nach vier Wochen endlich wiedersehen würden? Gegen Ferrari und Charles Leclerc kam man eben nicht an. Da musste man eben geduldig warten und hoffen, dass der eigene Freund irgendwann mal Zeit hatte, um nach England zu fliegen.

Lando hatte deutlich klar gemacht, dass er es nicht einsah, wieder nach Spanien zu fliegen, während Carlos neuerdings eine Allergie gegen England entwickelt zu haben schien. Die Auseinandersetzung, die darauf gefolgt war, dröhnte noch immer in seinem Kopf. Aber wenn er auf stur stellte, dann blieb er auch stur. Und Carlos war mit seinem hitzigen Temperament schließlich auch nicht besser gewesen.

„Okay. Also eine weitere Woche ohne Freund. Yeah."

Jetzt, wo er wach und aufgewühlt war, konnte er auch joggen gehen. Jon würde sich bestimmt freuen, wenn er sein Sportprogramm gewissenhaft durchzog. Hinzu kam, dass es ihm gerade recht gut ging und er keine Übelkeit verspürte. Also würde Lando diesen Zustand schnell ausnutzen, sich fertig fürs Joggen machen und hoffen, dass die tiefe Enttäuschung über Carlos an der frischen Luft verschwinden würde.

TBC ...

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