XI - Vermutungen
Sehr früh am Morgen kommt Hermine aus ihrem kleinen Kämmerchen. Ihr Rücken schmerzt. Die dünne Matratze, auf der sie jeden Abend schläft, ist nicht gerade gemütlich. Da könnte sie auch einfach auf dem Boden schlafen, denkt sie und geht in die Küche, um ihrer Gebieterin etwas zu essen zu machen. Doch soweit kommt es nicht.
Als sie gerade das Esszimmer betreten möchte, hört sie Stimmen. Die Herrin ist bereits wach und redet mit jemandem. Schnell wird Hermine, aufgrund seiner tiefen Stimme klar, um wen es sich handelt. Severus Snape ist zu Gast.
Hermine lauscht dem Gespräch.
"Stellst du etwa den dunklen Lord in Frage, Bella?"
"Untersteh dich! Ich würde niemals den dunklen Lord in Frage stellen. Vielmehr stelle ich das Urteilsvermögen der anderen Todesser in Frage. Die Unruhen in Azkaban waren nicht dem Zufall
verschuldet. Es geht etwas vor sich und das weißt du. Das wissen wir alle."
Hermine hält den Atem an. Wissen die Todesser von der Rebellion? Das wäre ihr Untergang.
"Dafür hast du mich nicht her geholt. Das hast du bei unserem letzten Treffen schon erwähnt."
Hermine vernimmt Bellatrix' Schritte. Sie scheint unruhig auf und ab zu gehen.
"Das stimmt. Ich fürchte, und das hat sich am Weihnachtsabend bestätigt, dass meine Schwester nicht ganz unschuldig ist."
"Was willst du damit sagen?"
"Vielleicht ist Narzissa dem dunklen Lord nicht so ergeben, wie wir denken. Sie wollte unbedingt Informationen über den Plan des dunklen Lords haben. Sie wollte, dass ich ihr alles verrate."
"Hast du?"
"Natürlich nicht. Ich bin mitten in unserem Gespräch gegangen."
"Sie war mit Sicherheit nur neugierig. Das scheint in der Familie zu liegen."
Bellatrix bleibt stehen.
"Severus, das ist ernst. Wir können ihr nicht trauen."
Ein Hauself tritt von hinten an Hermine heran. Sie quietscht vor Schreck auf und das Gespräch im Esszimmer verstummt. Bellatrix' hallende Schritte kommen näher. Sie betritt den kleinen Flur, in dem Hermine steht. Diese hat hier keinerlei Fluchtmöglichkeiten, außer einen der anderen Räume, aber die hätte Bella vermutlich alle abgesucht.
Die dunkle Hexe ist wütend. "Was machst du hier?", fragt sie in einem verhältnismäßig ruhigen Ton. Gerade das ist es, was Hermine am meisten beängstigt. Sie hat bereits gelernt, dass man sich von dieser ruhigen Fassade nicht täuschen lassen sollte.
"Ich wollte in die Küche-"
"Hast du uns belauscht?"
"Was? Nein ich-"
Snape tritt aus dem Zimmer und betrachtet die junge Hexe leicht verwirrt. "Sie lebt noch? In deiner Obhut sollte sie jetzt schon keine Haut mehr haben oder eines anderen qualvollen Todes gestorben sein."
Bellatrix dreht sich um und blickt zu Snape. "Sie ist zäh. Außerdem hatte ich in den letzten Wochen Wichtigeres zu tun."
Sie dreht sich wieder zu Hermine. "Wo bleibt mein Frühstück?" Hermine nickt stumm, geht an ihr vorbei durch das Esszimmer und betritt, zusammen mit dem Hauself die Küche. Sie schließt die Tür hinter sich und sackt auf dem Boden zusammen.
Ich muss Narzissa davon berichten. Sie muss vorsichtig sein. Bellatrix darf nicht... Hermine muss weinen. Was ist, wenn Ron jetzt etwas passiert? Ihre Gedanken erdrücken sie. Die Sorgen durchfahren ihren ganzen Körper und sie fühlt sich wie gelähmt. Wie soll es denn jetzt weitergehen? Sie möchte aufgeben, doch sie weiß, dass das nicht geht. Dracos Worte hallen in ihrem Kopf wider. Bleib stark. Vorerst muss sie weitermachen. Noch ist nichts verloren. Noch hat Bellatrix keinerlei Beweise und der Fakt, dass sie zuerst mit Snape spricht, zeugt von Unsicherheit. Warum sonst, ist sie nicht sofort zum dunklen Lord gegangen?
Hermine rappelt sich auf und beginnt mit dem Frühstück ihrer Herrin. Dabei wird sie von dem kleinen Hauself beobachtet.
"Es tut mir leid. Ich wusste nicht, dass Sie-"
"Ist in Ordnung. Es ist meine Schuld", antwortet Hermine stumpf. Ja, sie ist wütend auf die Kleine, aber diese ist schon viel länger bei Bellatrix und musste bestimmt schon mehr mitmachen, als Hermine. Deshalb entschließt sie sich dazu, sie nicht zu beschimpfen oder Ähnliches. Aber wenn sie ehrlich zu sich selbst ist, könnte sie das auch gar nicht.
Hermine ist gerade fertig, als eine Stimme hinter ihr ertönt.
"Das ist viel zu viel", sagt Bellatrix und betrachte das Essen. Hermine schreckt zur Seite. Damit hat sie nicht gerechnet.
"Verzeihung." Bellatrix verdreht die Augen, nimmt sich eine Portion und geht wieder zurück ins Esszimmer. Kurz vorher dreht sie sich noch einmal um.
"Iss du den Rest. Du bist viel zu dünn geworden." Danach verlässt sie endgültig den Raum.
Irgendetwas hat sich geändert. Hermine hungert viel weniger. Sie wird seit einer Ewigkeit nicht mehr ausgepeitscht. Bellatrix scheint einfach das Interesse an ihr verloren zu haben. Das ist natürlich nichts Schlechtes, dennoch macht es Hermine misstrauisch. Ob es wohl mit dem Gespräch in der Bibliothek zu tun hat?
Das ist ihr jetzt auch egal. Sie nimmt sich den Rest des Essens, bevor ihre Herrin es sich anders überlegt und isst genüsslich auf. Danach räumt sie das Esszimmer auf und geht in die Bibliothek.
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Am Abend sitzt Hermine in ihrer Kammer. Das Abendessen ihrer Herrin ist vorbei. Jetzt darf sie die Kammer bis zum nächsten Morgen nicht mehr verlassen. Doch dann kommt unerwartet ein Hauself vorbei und öffnet die Kammer.
"Miss? Unsere Gebieterin wünscht, dass ihr etwas Wasser nach oben gebracht wird. Wir Hauselfen sind gerade mit dem Putzen der Küche beschäftigt. Könnten Sie...?"
Hermine ist sich nicht sicher, ob Bella das erlauben würde. Eigentlich darf sie nicht mehr raus. Aber sie ist trotzdem ihre Sklavin und wenn die Herrin etwas befiehlt, sollte das auch gemacht werden, oder etwa nicht?
Hermine nickt, verlässt die Kammer und holt eine Flasche Wasser und ein Glas aus der Küche. Die Hauselfen sind hart am arbeiten. Die Küche muss in einer Stunde fertig sein, andernfalls wird Bellatrix sehr wütend. Die Regeln unter diesem Dach sind wirklich hart, denkt Hermine.
Sie geht die große Treppe im Esszimmer hoch. Hermine ist sich nicht einmal wirklich sicher, wo sich das Schlafgemach ihrer Gebieterin befindet. Doch dann, als sie so durch die Flure läuft, bemerkt sie einen gedämpften Lichtstrahl, der unter einer der Türen durchkommt. Sie klopft, bekommt jedoch keine Antwort. Sie macht die Tür nur einen kleinen Spalt breit auf. "Herrin?" Sie bekommt keine Antwort, nimmt allerdings ein Geräusch aus dem Nebenzimmer wahr und erkennt schnell, dass es sich um eine Dusche handelt.
Nun öffnet Hermine die Tür komplett. Sie steht in einem gemütlichen Zimmer. Es ist, wie vieles andere in diesem Haus, eher dunkel gehalten. In der Mitte steht ein großes Bett aus schwarzem Holz. Es ist sogar größer, als das aus dem Gästezimmer, welches Hermine zuvor schon als sehr groß empfand. Links und rechts daneben befinden sich zwei dunkle Nachtschränke und auf dem einen steht eine Lampe, die das Zimmer etwas erleuchtet. Rechts an der Wand steht ein Schrank und vor dem Bett liegt ein flauschiger, schwarzer Teppich. Links von Hermine befindet sich die Tür zu (vermutlich) einem Badezimmer.
Hermine geht zum leeren Nachtschrank und nimmt die Flasche und das Glas vom Tablett, um es auf das Schränkchen zu stellen. Sie stellt das Tablett kurz an die Seite, öffnet die Flasche und kippt etwas Wasser ins Glas. Dabei betrachtet sie das scheinbar sehr gemütliche Bett. Was würde sie nur dafür geben, um nicht mehr auf dieser harten Matratze in ihrer Kammer schlafen zu müssen, denkt sie.
Sie möchte das Zimmer gerade verlassen, als Bellatrix aus dem Badezimmer kommt. Sie erschrickt kurz, als sie Hermine erblickt und sieht sie misstrauisch an. Erst jetzt fällt Hermine auf, dass das Geräusch der Dusche aufgehört hatte.
"Was machst du hier?", fragt Bella und betritt das Schlafzimmer. Sie trägt schwarze, elegante Unterwäsche und darüber lediglich eine schwarze, offene Bluse.
Hermine spürt, wie die Hitze in ihren Kopf steigt. Sie hofft inständig, dass sie jetzt nicht rot wird.
"Ich ähm- Das Wasser. Die Hauselfen sind beschäftigt... mit der Küche." Die junge Hexe wendet ihren Blick von der schlanken Figur ihrer Herrin ab und starrt angestrengt den Boden an. Sie hätte niemals damit gerechnet, ihre Gebieterin jemals so zu sehen und ihr ist die Situation etwas unangenehm.
Bellatrix hingegen verdreht die Augen. "Warum bist du so verklemmt?", fragt sie und muss schmunzeln. Hermine wird nervös. Was soll sie denn jetzt darauf antworten? Doch soweit kommt es gar nicht.
"Was ist, wenn ich näher komme? Läufst du dann weg? Fängst du an, zu weinen?" Mit einem hämischen Grinsen geht sie langsam auf Hermine zu. Diese macht ein paar Schritte zurück. Dann lässt sie vor Schreck das Tablett fallen. Bellatrix muss daraufhin lachen.
"Wie kann man nur so unschuldig sein?"
Sie dreht sich um und lässt sich auf das Bett fallen. "Verschwinde", sagt sie woraufhin Hermine das Tablett nimmt und so schnell wie möglich den Raum verlässt. Sie geht in die Küche, legt das Tablett weg und verschwindet schließlich in ihrer Kammer.
Dort liegt sie die ganze Nacht wach. Ihr Herz klopft ihr immer noch bis zum Hals. Sie kann an nichts anderes mehr denken. Sie fragt sich, was sie getan hätte, wenn Bellatrix das ernst gemeint hätte. Anders als erwartet, ist ihr erster Gedanken nicht ich hätte mich natürlich gewehrt oder ich wäre natürlich weggelaufen.
Ihr erster Gedanke... ist genau das Gegenteil.
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