String 2

Das kleine Lädchen lag genau um die Ecke, und ich mochte den Besitzer von Anfang an. Er war immer nett zu mir, und ich hatte nie den geringsten Zweifel an seiner Freundlichkeit. Wieso hätte ich die auch haben sollen? Er kannte meinen Vater, und es gab kaum ein Kind, das nicht schon bei ihm im Laden war. Er hatte einfach alles! Candies in allen Formen und Farben, und besonders liebte ich das Gummizeug, die Schnuller und Erdbeeren und Frösche und Blumen und Giraffen und Seesterne und...
Und oft schenkte er mir und meinen Freundinnen was, ohne dass wir bezahlen mussten. Andrea wurde als Erste misstrauisch, aber ich weiß nicht mehr genau, wann es gewesen war. Wir waren noch Kinder, aber keine ganz kleinen Kinder mehr.

"Er guckt immer so komisch." Und dabei machte sie diesen wirklich komischen Mund, den nur sie so machen konnte, und obwohl es eigentlich gar nicht lustig gemeint war, mussten wir lachen. Aber das war der Anfang, und von da an veränderten sich die Dinge, und ich ertappte mich dabei, dass ich ihn heimlich von der Seite beobachtete, wenn wir im Laden waren, um Nachschub an Sternchen und Fröschen zu holen. Erst sah ich es nicht, aber als sie es mir wieder mal sagte und ich genauer hinsah, da sah ich es auch. So fing es an, dass wir uns Gedanken machten, warum er so komisch guckte.

"Vielleicht kaufen wir zu viel? Vielleicht hat er Angst, dass wir ihm den Laden leer kaufen?" Wir kicherten albern.
"Vielleicht fragt er sich ja auch, ob wir uns die Zähne putzen nach dem Naschen?" Arabellas Bemerkung war blöde, aber trotzdem lustig, und wir kicherten noch mehr.
"Vielleicht ist er ja auch verliebt?" Das war Sabine, aber ich verstand ihre Bemerkung nicht.
"In wen denn?"
"Na, in uns! Vielleicht hat er sich in uns verliebt?" Und da konnten wir uns vor Lachen kaum noch halten. Es war zu albern, aber vielleicht war ja was dran, obwohl...es war zu unwahrscheinlich. Und außerdem! Nein. Oder etwa doch? Und wenn ja, dann war das irgendwie pervers. Ich fand es plötzlich gar nicht mehr komisch, und ich nahm mir vor, erst mal nicht mehr in das kleine Lädchen zu gehen. Und ich wollte mit jemandem reden, aber ich wusste, dass Papa mir nicht glauben würde. Aber wenn doch? Was, wenn er mir doch glauben würde? Würde er dann mit ihm reden? Mama meinte schon mal, dass er seltsam sei, weil er keine Frau und keine Kinder hat. Vielleicht war es besser, mit ihr darüber zu reden. Und dann würde ich nie wieder in seinen Laden gehen können. Ich würde jedes Mal vor Scham sterben, wenn er mich ansehen würde, denn er würde wissen, dass ich mit Mama über ihn geredet habe.

"Hört auf mit dem Quatsch!", hörte ich mich plötzlich genervt sagen. "Ich glaube, er mag gar keine Mädchen. Ma sagt, er ist seltsam, er hat gar keine Frau und auch keine Kinder."
Nun waren wir alle ganz still, und dann mussten wir wieder lachen.
"Ja, genau das ist es!", meinte Arabella. "Er tut nur so, als ob er Mädchen mögen würde, und in Wirklichkeit macht er aus kleinen Jungen seine Fruchtgummis!"
Und obwohl ich lachen musste, fühlte ich mich auf einmal gar nicht mehr gut.

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