Cancer.
Ich schlage meine Augen ruckartig auf. Ein Alptraum. Schon wieder.
„Was ist los?“
Ich zucke zusammen und drehe mich in die Richtung, aus der die Stimme kommt. Es ist nur Phil. Allein bei seinem Anblick muss ich schwach lächeln. Wie er so ruhig neben meinem weißen Krankenhausbett auf einem Hocker sitzt und meine kalte Hand hält.
„Nichts… Nur wieder dieser eine Alptraum“, winke ich ab, als wäre es nichts Schlimmes. Aber das ist es und das weiß er; das sehe ich an seinem etwas mitleidigen Gesichtsausdruck. „Wie… Wie lange bist du schon hier?“, frage ich ihn. „Nicht lange… Eine Stunde ungefähr? Ich wollte dich nicht wecken, Liebling“, antwortet er mir. Er ist so süß. „Doch… Bitte weck mich immer auf. Ich will noch so viel Zeit wie möglich mit dir verbringen“, ich schlucke kurz. Dann reibe ich mir die Schläfen, weil ich Kopfschmerzen habe. Ich bekomme zwar Schmerztabletten, aber der Fakt, dass ich mit Gebärmutterkrebs hier liege und höchstens noch einen Monat habe, bereitet mir trotzdem Kopfschmerzen.
„Holst du mir ein Glas Wasser, Schatz? Meine Lippen sind so rissig und trocken…“ – „Klar.“
Er nickt, steht auf und geht schnell aus dem Zimmer. Ich wische mir über die Augen. Mein Mund und meine Lippen sind wirklich trocken, aber das ist mir ziemlich egal geworden, in letzter Zeit. Sie sind immer eklig trocken. Eigentlich will ich nur nicht, dass er mich weinen sieht. Er hat mich schon oft weinen gesehen, in den ganzen Jahren, in denen wir zusammen waren, aber nicht während meinem letztem Stadium Krebs. Seit ich hier liege. Seitdem mir gesagt wurde, dass ich sterben werde. Und eigentlich soll das auch so bleiben. Ich wette, er weiß trotzdem, wie oft ich alleine weine. Er kennt mich zu gut. Aber er spricht mich nie darauf an.
Er soll die glückliche Caro in Erinnerung halten… Nicht die innerlich schon längst gestorbene. Das ist doch kein Leben mehr?
Ich höre nicht auf zu weinen, es werden nur immer mehr heiße Tränen, die mir über die Wange rollen und ich habe es schon aufgegeben, sie wegzuwischen. Was würde es bringen? Er würde eh sehen, dass ich geweint habe.
Ich höre, wie die Tür aufgeht. Ich habe meinen Kopf in meinen Händen vergraben und sehe nicht auf.
„Caro, Schatz…“, ich höre wie er etwas, vermutlich das Wasser, irgendwo ablegt, und fühle, wie er sich zu mir setzt und einen Arm um mich legt. Dann zieht er mich nah zu sich und ich kuschle mich schon fast automatisch an ihn und weine mich an seiner Brust aus. Er ist einfach da, sagt nichts, streichelt mir nur beruhigend mit seinem Daumen über meinen Rücken. Ich liebe ihn. So sehr. Ich glaube, loszulassen, von ihm ist das schwerste, an der ganzen Sache.
„Ich will nicht gehen…“, ich schluchze.
Er wischt mir vorsichtig einige Tränen weg.
„Ich… lasse euch alle alleine.“
Es brachte nichts, dass er mir diese zwei, drei Tränen weggewischt hat, ich weine weiter.
„Du lässt uns nicht alleine. Du warst immer für alle da und warst so stark, Schatz“, ich merke, dass er nicht ganz weiß, was er sagen soll.
„Trotzdem lasse ich euch alle alleine. Dich, Jayda, Max… Lilly. Und ich war nie stark“, ich schluchze wieder. Es herrscht eine kurze Stille. „Wir werden nie mehr heiraten können… Nie eine Familie haben…“
Ich schaue auf den Ring an meiner linken Hand, den mir Phil angesteckt hat, als wir uns verlobt haben. Es war ein so schöner Moment… Ein so schöner Tag.
Ich habe mir schon so oft vorgestellt, wie das wohl sein wird, wenn ich ihn heirate… Wie das wohl sein wird, wenn ich unser erstes Kind irgendwann mal in den Händen halten werde… und es wird einfach nie passieren, wegen einer dummen Krankheit. Eine dumme Krankheit, die mir früher oder später mein Leben nehmen wird.
Ich hasse es. Ich hasse mich.
Phil setzt zum Reden an, bringt aber trotzdem kein Wort raus. Er hat wahrscheinlich gemerkt, dass es sinnlos ist etwas zu sagen, obwohl es nichts an der Situation ändern wird.
Stille.
Er setzt sich gerade auf, greift nach dem vollen Glas Wasser und reicht es mir: „Hier, Liebling… Dein Wasser.“
Ich nehme es entgegen, lächle schwach und murmle ein „Danke“, bevor ich anfange es zu trinken. Ich merke erst jetzt, wie durstig ich bin, wie sehr mein Mund ausgetrocknet ist.
Das Wasser ist in einem Zug leer und ich wische mir nochmal die Augen trocken, habe inzwischen wieder aufgehört zu weinen.
Wieder herrscht diese Stille. Aber diesmal weiß ich, was ich sagen will. Ich weiß nur nicht, wie ich es sagen soll. Vielleicht weiß ich auch, wie ich es sagen soll und nehme das als Ausrede, weil ich Angst vor seiner Antwort habe. Letzten Endes räuspere ich mich und setze zum Reden an, weil mir dann wieder bewusst wird, dass es die letzten Worte hätten sein können, die ich zu ihm sagen könnte.
„Phil… Wenn… ich weg bin…“, ich schlucke, „Wie lebst du dann weiter? A-also, behältst du unsere Wohnung? Gibst du Lilly weg? Willst du… ähm… a-andere Frauen kennenlernen…?“
Ich wische mir erneut über die Augen, in der Hoffnung, dass meine Tränen sich nicht duplizieren. Die Vorstellung, dass er nach mir, wen anderen lieben würde, auf die Weise, wie er mich liebt, tut verdammt weh. Es macht mich auch etwas eifersüchtig, weil diese Person, dann womöglich ihr restliches Leben mit ihm verbringen wird. Und er mit ihr. Und mein Leben wird in ein paar Wochen höchstens zu Ende sein und ich bin dann nur noch eine Erinnerung. Autsch.
Phil nimmt mich wieder in den Arm.
„Caro, lass uns… die Zeit zusammen einfach noch genießen, okay Schatz? Was danach ist… ist eben danach.“
Er weicht der Frage aus. Wow, das tut weh.
Ich probiere zwanghaft alle meine Tränen, die aus meinen Augen fließen wollten, wieder zurückzuhalten, weil ich mir lächerlich vorkomme, wenn ich mir die Seele aus dem Leib weine, während er nur so dasitzt und alles, was nach meinem Tod passieren wird, verdrängt.
„Ich kenne dich eine gefühlte Ewigkeit…“, sagt er und streicht mir kurz über meinen Arm. Dann nimmt er mich fest, aber irgendwie trotzdem auch sanft in den Arm. „Ich weiß, wie du denkst. Ich wollte dich nicht verletzen… I-ich weiß einfach nicht, was nach deinem Tod sein wird, ich weiß nicht, wie dann alles für mich aussehen wird, okay?!“
Jetzt weint er auch. Und ich trage die Schuld daran. Wenn ich ihn so weinen sehe, fällt mir auf, dass ich nicht die einzige war, die in meinem letzten Stadium Krebs vor dem anderen nicht geweint hat.
Ich beginne mich immer schwächer zu fühlen…
„Ich… verdränge es einfach. U-und ich weiß selbst, dass das nicht gut ist, aber weißt du eigentlich wie schwer das auch für mich ist, dir tagtäglich beim verdammt nochmal Sterben zuzusehen?“, Phil schluchzt. „Ich… vermisse dich doch einfach nur…“
Ich weiß nicht ganz was ich darauf antworten soll. Ich wische ihm stumm seine Tränen von der Wange und es fällt mir unfassbar schwer. Alles fällt mir gerade so schwer. Vom Atmen bis zum Heben meines Arms. Sogar das Denken.
Soll das gerade wirklich mein Ende sein?
Ich weiß, dass ich schon viel Scheiße durchgemacht habe und es meistens nicht so kommt, wie ich es gerne hätte, aber das ist verdammt nochmal der falsche Moment, um zu sterben.
Plötzlich wird alles so langsam und ich bekomme das meiste gar nicht mehr mit. Dass Phil meine Hand hält und „Caro… bitte, geh nicht jetzt, ich liebe dich“ sagt, realisiere ich erst ein paar Sekunden später und das, was dazwischen passiert, kriege ich einfach gar nicht mit, weil mein Gehirn gerade nicht so arbeitet wie es sollte. Ich denke, mein Gehirn gibt gerade einfach auf. So, wie mein Herzschlag nachgibt. Das ist alles so falsch.
Ist das sterben? Fühlt es sich so an? Die Ärzte haben mir nie gesagt, dass es dann auf einmal so schnell geht…
Ich halte meine Augen mit meiner aller letzten Kraft offen und sehe ihm in die seine. Sie weinen und sind verschwommen. Aber gerade ist alles verschwommen. Alles ist so surreal.
„Phil… b-bitte vergiss nicht, dass ich dich liebe…“
Ich beuge mich zu ihm vor und will ihn noch ein letztes Mal küssen, aber meine Kraft reicht nicht mehr aus. Meine Augen fallen zu und alles wird schwarz.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top