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"Guten Morgen, bunny."

Grummelnd vergräbt Jaemin sein Gesicht im Kissen. Jeno streicht lächelnd über seine Haare, spielt etwas mit ihnen.

"Kommst du wenigstens kuscheln?" Schon hat Jaemin sich zu ihm umgedreht und den Kopf auf Jenos Schulter abgelegt, sich an ihn geklammert. Auch jetzt lässt Jeno die Finger durch seine Haare fahren, und es schläfert ihn fast noch mehr ein.

"Ich hab von dir geträumt", murmelt er, "von unserer Zukunft."

"Was war es diesmal?"

"Weiß nicht genau. Sind zusammen im Urlaub."

"Und was machen wir?"

"Ich glaub, wir sind in einem Hotel. Auf dem Balkon. Ich lese. Was du machst, weiß ich nicht. Aber wir haben gefärbte Haare."

"Gefärbt?"

Jaemin nickt. "Du so dunkelrot, ich blond."

"Rot ist cool. Und blond steht dir bestimmt total gut."

"Ich hab deinen Hoodie an", sagt Jaemin leise. "Obwohl es warm ist. Und er ist mir zu groß."

"Süß." Jeno platziert einen Kuss auf seiner Stirn. Der Jüngere holt tief Luft und malt auf seiner Brust herum.

Und so bleiben sie eine Weile, lauschen dem Atem des jeweils anderen.

"Möchtest du jetzt auch einen anziehen?", fragt Jeno irgendwann. Jaemin gibt ein müdes, aber zustimmendes Geräusch von sich, jammert allerdings, als er aufsteht.

"Ich bin doch gleich wieder da." Jeno küsst ihn kurz, bevor er einen Hoodie aus dem Schrank nimmt und mit ihm zu Jaemin zurückkehrt, der sich angestrengt aufsetzt und anzieht. Währenddessen hat Jeno sich schon wieder zu ihm gesellt, weshalb sie sich hinlegen können, sobald Jaemin im wohlig weichen Stoff verschwindet.

"Du hast gestern gar nichts gesagt."

Jaemin zuckt mit den Schultern. "War zu abgelenkt. Ich weiß auch nicht, ob da überhaupt was war."

"Kommt dein Traum davon?"

"Hm. Vielleicht. Wenn's echt ist."

"Mal sehen, wann wir uns die Haare färben", schmunzelt Jeno.

"Hmm." Jaemin gähnt.

"Bunny, möchtest du immer noch mit uns in den Urlaub fahren?"

"Wenn das okay ist...?"

"Garantiert." Jeno platziert einen Kuss auf seiner Stirn und streicht über seinen Rücken. "Musst du nur mit deiner Mutter besprechen."

"Mhm."

Stille.

"War es doof?"

"Was meinst du?"

"Dass... das gestern nicht ...richtig war?"

Jeno drückt ihn etwas fester an sich. "Nein. Es ging nur so. Das ist vollkommen okay. Wir haben noch so viel Zeit, bunny, irgendwann machen wir es sicher 'richtig'. Wenn du bereit bist und es willst."

"Ich liebe dich", flüstert Jaemin in seine Schulter.

"Ich dich auch, Engel."

Es ist gegen Abend, als Jaemin so weiß wird wie die Wand.

"Jeno", sagt er leise, erhält sofort dessen Aufmerksamkeit. "Komm her. Bitte."

Schon hat Jeno sich zu ihm umgedreht, mustert ihn besorgt. "Was ist los?"

"Ich, ich..." Zitternd legt Jaemin seine Hände an Jenos Wangen, seine zuvor verzweifelten Gesichtszüge entgleisen ihm.

"Engel, rede mit mir." Jenos Stimme ist voller Sorge.

"Es ist weg, ich..." Jaemins Sicht verschwimmt.

"Bunny. Hey." Jeno hebt seine Hände, will sie auf Jaemins legen, aber der Jüngere zuckt zurück.

"Warum ist es weg?" Er schluchzt. "Es kann nicht weg sein."

"Es ist bestimmt nicht weg, bunny. Komm her, versuch's nochmal." Jeno streckt seine Hände aus und Jaemin klammert sich sofort an sie, schluchzt auf.

"Es ist weg."

"Konzentrier dich, Engel. Such danach. Ich helf dir, ja? Ganz ruhig."

"Es ist weg."

"Jaemin. Baby. Such danach. Es kann mit Sicherheit nicht einfach so weg sein."

Die Augen geschlossen, die Hände miteinander verschränkt sitzen sie voreinander, Stirn an Stirn, Jeno spürt Jaemins Tränen auf seine Handrücken tropfen.

"Fünfte Klasse", wispert Jaemin. "Donghyuck und Renjun reden das erste Mal mit dir, als niemand anders es tut."

"Siehst du, Engel. Es ist noch da."

Davon muss Jaemin erst recht weinen. Jeno zieht ihn auf seinen Schoß, und da er sich nicht wehrt, drückt er ihn fest an sich.

"Bunny, du hast das schon dein ganzes Leben lang. Das wird nicht einfach so verschwinden."

"Woher willst du das wissen?"

"Tu ich nicht. Aber erstens kann ich mir das nicht vorstellen und zweitens wüsstest du wohl, wenn das in deiner Familie schon einmal passiert wäre."

"Ich bin aber auch der erste Junge."

"Weil du das einzige Kind deiner Eltern bist."

"Aber warum bin ich kein Mädchen?"

"Das weiß ich nicht, Baby. Und ich glaube, die Antwort wirst du auch nicht finden. Aber deine Fähigkeit ist noch da. Und ich bin mir sicher, dass sie bleiben wird. Mindestens, bis du bereit bist, loszulassen."

Jaemin kann nicht mehr antworten.

"Es ist alles gut, Engel", flüstert Jeno. "Sie ist immer noch da."

Ein Schluchzen. Jeno wünschte, sie hätten sich auch ohne seine Fähigkeit gefunden.

"Am Anfang warst du doch noch erleichtert, dass es weniger wird", flüstert er.

"Was bin ich denn ohne? Was sind wir ohne? Ich weiß überhaupt nicht, wie sich ein normales Leben anfühlt, ich kann das doch nicht auf einmal leben, ich..."

"Okay. Bunny, du musst dich nicht rechtfertigen. Alles okay."

"Nein." Seine Verzweiflung, in diesem einzigen Wort, lässt Jenos Herz kilometerweit in die Tiefe sausen.

"Dann wird es, Baby. Alles wird okay."

Es ist dieses schwache Kopfschütteln, dieses schmerzerfüllte Schluchzen, das Jeno verstehen lässt, dass es wieder anfängt. Dass Jaemin sich nicht länger allein aufrecht halten kann, wo er gerade begonnen hat, eigenständige Schritte zu gehen. Dass er, wenn er jetzt hinfällt, lange braucht, um wieder aufzustehen. Als wäre der letzte Schutz gebrochen und er mit voller Wucht von den Wellen getroffen.

"Jaemin, mein Engel. Alles Schlechte hat ein Ende, okay? Glaub mir wenigstens das."

Er will etwas sagen. Will gemein sein, schreien, irgendwas anderes tun als hier zu sitzen und zu weinen und sich an Jeno festzuhalten, als fiele er sonst ins Nichts. Wäre es etwas anderes als er selbst, könnte er das vielleicht.

"Ich kann das nicht verlieren." Jaemin schluchzt. "Ich kann nicht."

Jeno schließt die Augen, wiegt ihn sanft hin und her. "Das wirst du nicht. Nicht bevor du nicht bereit bist. Es war so lange ein so großer Teil von dir, es wird nicht einfach so verschwinden. Ganz bestimmt nicht."

"Das weißt du nicht."

"Nein. Aber ich bin mir sicher, Jaemin. Ich hoffe. Ich glaube daran. Noch mehr, wenn du das nicht kannst."

"Kann ich nicht."

"Dann hoffe ich doppelt."

28.10.2020
ich bin so planlos an diese Story gegangen, gefühlt merkt man das voll :|

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