67
Es dauert fast eine halbe Stunde, bis Jeno nicht mehr gratuliert wird. Da ihre Beine langsam vom dauerhaften Stehen wehtun, suchen sie im Wohnzimmer nach einer Sitzmöglichkeit, allerdings vergebens. Aber bevor sie nach draußen gehen können, um weiterzusuchen, bleibt Jaemin plötzlich stehen, als das Lied wechselt. Seine Wangen werden rot, als er es erkennt, und in eines seiner Bücher zurückversetzt wird.
"Bunny?"
"Mir geht's gut", beeilt er sich zu sagen, sucht verzweifelt nach einer Ablenkung.
"Baby." Jaemin will Jeno ansehen, aber davon glüht sein ganzes Gesicht, also lässt er den Kopf wieder sinken. "Was ist, hm? Woran hast du gedacht?"
"Ich... Es gibt ein Buch, es gibt bestimmt noch mehr Bücher, aber ich hab eins gelesen, da... Ein Young-Adult-Liebesroman. Und, die beiden Hauptcharaktere waren auch feiern. Und ha-haben sich geküsst. Also... so richtig geküsst. A-Am Rande einer Tanzfläche, und genau das Lied hat die Autorin im Hintergrund laufen lassen."
"Und das lässt dich so rot werden, weil...?", hakt Jeno nach, obwohl er die Antwort schon kennt.
"Weil ich das auch will", flüstert Jaemin. "N-Nicht jetzt sofort, aber..."
Aber Jeno legt seine Hände schon an Jaemins Seiten und drängt ihn sanft und doch bestimmend an die Wand zurück.
"So?", wispert er, viel zu dicht vor dem Jüngeren, ihn mit seinen Armen an Ort und Stelle haltend. Jaemin verliert seinen ganzen Wortschatz in dem Moment, in dem Jeno schmunzelt, als wüsste er ganz genau, was das mit ihm anstellt. Er schluckt trocken, öffnet den Mund, schließt ihn wieder. Jeno ist ihm so nah – und dann haucht er einen Kuss auf Jaemins Stirn, lässt von ihm ab.
"Wir machen das in Ruhe, bunny."
Mit wackeligen Knien stößt Jaemin sich von der Wand ab und nimmt Jenos ausgestreckte Hand, findet erst langsam seine Worte wieder.
Eigentlich will er das. Genau hier und genau jetzt. Aber Jeno zieht ihn schon mit sich aus der Terrassentür.
"Sieht auch hier schlecht aus", seufzt er, während Jaemin schon wieder vergessen hat, was sie eigentlich vorhatten.
"Können wir trotzdem noch ein bisschen draußen bleiben?", fragt der Jüngere leise. Nach der Überforderung braucht er jetzt frische Luft.
"Klar." Jeno zieht ihn mit sich um die Ecke, und dort ist es ruhiger, dunkler. Ein paar Meter von einer kleinen Gruppe bleiben sie stehen, und da Jeno sich auf die Steinkante vor dem Haus setzt, setzt Jaemin sich dazu. Ein Windstoß treibt ihnen Rauchgeruch in die Nase, sie werfen sich einen Blick zu.
"Hast du schonmal?", fragt Jaemin leise.
Jeno schüttelt den Kopf. "Ich will es schon irgendwie ausprobieren, aber bevor ich abhängig werde, lass ich's lieber. Außerdem bleibt Rauchgeruch ewig an dir haften. Und du?"
"Mein Vater raucht. Ich hab ihm mal eine Schachtel geklaut, weil ich gehofft hab, dass es mir helfen würde. Eine Zeitlang war das so. Aber er hat es gemerkt und außerdem hatte ich kein Geld dafür. Und, naja, in der Schachtel waren auch schon nicht mehr alle drin. Mehr als ein paar Tage hatte ich nicht davon."
"Deine Gesundheit war dir egal?" Jeno streicht durch seine Haare.
Jaemin wirft ihm einen Blick zu. "Ich will seit ich, ich weiß nicht, sieben bin, sterben. Ich hab Tagträume davon geführt, mich auf unterschiedliche Weisen umzubringen. Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich irgendetwas für meine Gesundheit gemacht oder gelassen hab."
"Nein. Aber es ist gut, dass du aufgehört hast."
"Ich weiß."
Eine Weile sitzen sie in Stille, bis Jeno seufzend aufsteht. "Mir wird langsam kalt." Er hält Jaemin seine Hand hin. "Wir gucken drin nochmal, ja?" Der Jüngere nickt und lässt sich von ihm auf seine Füße ziehen, aber statt zurückzugehen, steht Jaemin schon wieder mit dem Rücken an der Wand.
"Jeno...?"
"Jetzt haben wir Ruhe", lächelt der, streicht über Jaemins Wange. Dieser sieht über seine Schulter – die Raucher haben ihre Pause beendet und auch die, die dabei waren, müssen sich wieder nach drinnen verzogen haben. Verständlich, sonderlich angenehm ist es nicht. Aber so wie sie jetzt hier stehen, dass sie fast im Hausschatten verschwinden, könnte Jaemin noch ewig draußen bleiben.
"Du... Du..."
"Ich?"
"Keine Ahnung, bitte küss mich."
"Du bist süß, bunny." Lächelnd folgt Jeno seiner Aufforderung und wären da nicht Jenos Lippen auf seinen, hätte Jaemin aufgeseufzt. Es ist so schön mittlerweile, und auch die Erinnerungen sind keine Sturmflut mehr, sondern ein liebevolles Meeresrauschen, das ihn beruhigt. Und auch wenn es stürmischer wird, je länger und je intensiver sie sich küssen, er geht nicht mehr unter.
"Jeno?"
"Hm?"
"Würdest du mich auch drinnen so küssen?"
"Wenn es dir nicht unangenehm ist, ja."
"Vor allen anderen...?"
"Ja." Jeno legt den Kopf schief. "Wieso?"
"Du... Du warst vorhin noch so anhänglich und jetzt hältst du gerade noch so meine Hand, damit ich dir nicht verloren geh, ich... Tut mir leid..."
"Bunny. Das mach ich, weil ich nicht weiß, ab wann es dir zu viel wird. Ich will nicht, dass du dich unwohl fühlst, weil ich bei dir bin. Wenn du möchtest, dass ich dich küsse oder umarme, wenn es für dich okay ist, obwohl da so viele Menschen sind, dann musst du mir das sagen. Ich mach das nicht, weil du mir peinlich bist, um Gottes willen. Ich könnte dich den ganzen Abend durchgehend küssen. Mach ich auch, wenn du das willst. Aber ich will nichts machen, das du eigentlich überhaupt nicht willst."
Jaemin weiß nicht, was er sagen soll. Also küsst er ihn.
Nicht all zu lange dauert es aber, bis sie sich wieder lösen.
"Können wir in dein Zimmer gehen?", murmelt er. "Es ist kalt hier und... Menschen..."
Jeno platziert einen Kuss auf seiner Stirn. "Natürlich."
Sie gehen also nach oben, und Jeno schließt hinter ihnen ab, um die Ruhe garantieren zu können. Jaemin steht von einer Seite auf die andere wankend direkt hinter ihm, schließt die Augen, als Jenos Lippen wieder auf seinen landen. Langsam machen sie sich auf den Weg zum Bett, Jaemin rückwärts, und atmen erleichtert auf, als sie endlich wieder sitzen können – auf etwas, das nicht eine zwei Zentimeter schmale Steinkante ist. Kaum begegnen ihre Blicke sich, zieht Jeno seinen Freund mit sich auf die Matratze, so schwungvoll, dass er aufquietscht.
"Himmel, womit hab ich dich nur verdient?", murmelt Jeno in seine Schulter, stemmt sich hoch und lächelt zu ihm hinunter. "Ich liebe dich."
"Ich dich auch." Und schon hat Jaemin seinen Kopf heruntergezogen und ihn geküsst.
Und endlich, endlich schiebt Jeno seine Lippen auseinander, lässt ihn sich in dem Gefühl verlieren, das Zeitgefühl verlieren. Seine Hand streift Jaemins Halsbeuge unabsichtlich, aber da er darauf reagiert, lässt Jeno als Nächstes seine Lippen an die gleiche Stelle wandern. Sie hinterlassen zarte Küsse auf Jaemins Haut, verpassen ihm eine Gänsehaut.
"Jeno..." Seine Lippen öffnen sich, seine Augenlider flattern.
Jeno streicht sanft über seine Seite. "Das heben wir uns für die nächste Nacht auf, okay?"
18.10.2020
why is this still low-key soft?🥺
I can't sleep 👌
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top