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tw: mentioning of sexual abuse

Weihnachten, Silvester und das chinesische Neujahr vergehen wie im Flug, und schon steht Jenos Geburtstag vor der Tür.

Nach dem Controller zu Weihnachten, weiß Jaemin jetzt nicht mehr, was Jeno gebrauchen könnte, und er braucht eine Weile, um sich überwinden zu können, nachzufragen.

"Was ich mir wünsche? Gute Frage." Jeno lässt sich nach hinten fallen und sieht mit einem Lächeln, das Jaemins Herz schmelzen lässt, zu ihm hoch. "Ich freue mich über alles, was von dir kommt, du könntest mir Socken schenken und ich hätte ein neues Lieblingspaar."

"Ich will aber etwas holen, das du auch willst."

"Lass mich darüber nachdenken, okay?" Jaemin nickt, streicht durch Jenos Haare, der daraufhin seine Augen schließt.

Eine Weile herrscht Stille.

"Baby, wie machen wir das an meinem und Jieuns Geburtstag?" Schließlich wird er seit Renjuns schon dazu aufgefordert, selbst groß zu feiern – denn der Kleinere hätte beinahe gar nicht gefeiert –, und sie ist ein Fan von Parties.

"Ich weiß nicht."

"Das Ding ist halt, es werden viele kommen und ich weiß nicht, ob du dich da so wohlfühlst. Aber es ist genauso blöd, wenn du alleine hier oben bist. Wenn du das möchtest, ist das okay. Wir sehen uns ja den ganzen Tag vorher. Und ich würde auch definitiv nach dir gucken kommen. Mehr als nur einmal. Trotzdem weiß ich nicht, ob du das so toll findest. Du musst entscheiden, was sich für dich besser anfühlt."

"Wird es denn eine richtige Party? Wie in den Filmen?"

Jeno lacht leise. "Minus die exzessive Sauferei, Drogen und dumme Ideen. Ehrlich gesagt, weiß ich das noch nicht. Gerade Donghyuck und Renjun wollen das, aber ich will Jisung und Chenle auch dabeihaben. Ji und ich müssen uns aber auch einig sein, wenn wir zusammen feiern wollen. Aber du kannst dir mit deiner Entscheidung Zeit lassen, in letzter Sekunde entscheiden. Oder dich sogar umentscheiden. Okay?"

Jaemin spielt mit Jenos Ohrring. "Okay." Seit Januar tragen sie den gleichen, Jenos Mutter hat ihnen einen Gutschein für das Stechen geschenkt. Er hat mit den Lees gefeiert, zum einen, da seine Mutter in der vorherigen Woche wieder ins Krankenhaus musste, zum anderen, da er sich hier mittlerweile eigentlich viel mehr zuhause fühlt. Jenos Vater hat für ihn sogar einige Sachen aus dem Haus seiner Eltern beschafft, und er hat zu Weihnachten eine Ladung Kleidung bekommen – die sich er und Jeno aber wie den Rest auch teilen.

Mittlerweile ist seine Mutter auf Wohnungssuche, und obwohl Jaemin das weiß und darüber nachdenkt, zu ihr zu ziehen, hat er es noch nicht übers Herz gebracht, Jeno davon zu erzählen. Er hofft, es bis zum Geburtstag der Zwillinge schaffen zu können, doch es ist immerhin schon der erste April. Aber es reicht schon, wenn er nur an Jenos traurige Welpenaugen denkt, dass er nicht ausziehen will. Aber eigentlich will er ja doch...

"Lädst du Shuhua ein?"

"Kann ich machen. Hab darüber noch nicht so nachgedacht. Ich schreib das mal auf, ja? Und alle, die du nicht hierhaben willst, streichen wir wieder raus. Können wir mit Jis Liste auch machen. Das ist auch nicht schlimm, es kommen auch ohne genug. Und Eomma und Appa setzen uns garantiert auch ein Limit."

"Wirst du was trinken? Also, Alkohol?"

"Wenn, dann nicht viel. So ein Geburtstagsshot vielleicht, weißt du. Aber ich hab nicht das Bedürfnis, später kotzend im Hintergarten zu stehen."

"Ver... Versprichst du mir das? Dass... du dich nicht betrinkst...?"

Jeno setzt sich auf. "Baby, was ist da? Wer hat zu viel getrunken?"

Jaemin weiß nicht, was er tut. Aber er nimmt Jenos Hände in seine, schließt seine Augen und denkt an den dreißigsten Geburtstag seiner Mutter.

Der letzte Tag, an dem sie mit ihrem Vater gesprochen hat. Eine der lebhaftesten Erinnerungen in seinem Leben, obwohl er gerade so ein Schulkind war. Der Brief, den sie erst nach dem Familientreffen gelesen hat. Der Brief, der sie minutenlang in die Leere hat starren lassen, obwohl Jaemin neben ihr stand und nach einem Glas gefragt hat. Der Brief, in dem ihre Mutter ihr von dem sexuellen Missbrauchs ihres Vaters erzählt hat. Davon, dass der Alkohol ihn zu einem anderen Menschen gemacht hat. Davon, dass sie deshalb keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie hat. Jaemin weiß, auf welcher Seite in welchem Heft sich der Inhalt befindet, Satz für Satz, denn er hat am Arm seiner Mutter gezogen und sie berührt. Hat erfahren, was passiert ist, obwohl es viel zu früh für ihn war.

"Das", Jeno räuspert sich, "das ist deine Erinnerung."

Jaemin reißt seine Augen auf, und als er den Terror in Jenos Augen erblickt, wird ihm ganz kalt.

"Ich wollte das nicht", stammelt er, "ich, ich–"

"Jaemin." Jeno schluckt schwer. "Ich verspreche dir, egal was kommt, ich trinke nicht mehr als einen Shot. Ich werde mich nicht betrinken. Und ich werde niemanden in deine Nähe lassen, bei dem du das Gefühl hast, dass dir etwas passieren könnte. Wenn du hier unten bist, passe ich auf dich auf. Die ganze Zeit, egal was ist. Ich lasse dich nicht allein."

"Danke", haucht Jaemin. Jeno zieht ihn in eine Umarmung, drückt ihn fest an sich.

"Gott, du warst noch so jung", flüstert er. "Viel zu klein dafür."

Jaemin vergräbt sein Gesicht in Jenos Halsbeuge. So vieles, für das er, damals wie heute, zu klein war. So vieles, das er niemals hätte wissen sollen. Wie er es bis hierhin überhaupt ausgehalten hat, ist ihm unerklärlich.

"Ich bin stolz auf dich", durchdringt Jenos Stimme leise seine Gedanken. "So stolz, dass du das durchgestanden hast. Und noch hier bist. Lebst. Und noch lachen kannst, auch wenn dir das manchmal schwer fällt. Ich bin so unfassbar stolz auf dich."

Mit Jaemins Tränen an seinem Hals beschließt Jeno, ihn öfter daran zu erinnern.

18.10.2020
fuck

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