53
Jaemin steht hinter Jenos Vater in der Tür, den Blick auf seine Füße gerichtet, an seine Tasche geklammert. Nicht hochsehen, bloß nicht hochsehen, er will nicht wissen, was die Zwillinge denken.
Dabei freuen sie sich.
"Hallo, Jaemin!" Jieun strahlt, winkt, er sieht kaum auf, hebt nur leicht die Hand.
Erst als er das Haus betreten hat und vor Jeno steht, hebt dieser sein Kinn an, schenkt ihm ein sanftes Lächeln.
"Hallo bunny."
Jaemin lässt seine Tasche los und umarmt ihn stattdessen, so schnell, so plötzlich, dass Jeno davon überrascht ist.
"Möchtest du einen Tee, Engel?", fragt Jeno leise. Jaemin nickt hastig, klammert sich aber noch fester an ihn, sodass es letztendlich dauert, bis sie tatsächlich in der Küche stehen und Jeno Tee macht. Während das Wasser aber kocht, umarmen sie sich wieder.
Jaemin sagt nicht ein Wort, bis sie in Jenos Zimmer sind und auf seinem Bett sitzen, gibt ihm sein Handy und schweigt einfach nur.
"Deins ist deutlich besser als meins", sagt er irgendwann leise.
"Ist ja auch ein ganzes Stück neuer."
"Jetzt ist es noch komplizierter", fängt Jaemin an, "ich hab vielleicht mit meinen Eltern geredet, und meine Mutter sagt, dass sie ihre Meinung geändert hat, und dass es ihr leidtut, aber ich weiß nicht, ob ich ihr das glauben kann, und mein Vater ist immer noch so unverständlich wie vorher."
"Was sagt dein Gefühl zu deiner Mutter?"
"Ich weiß nicht. Sie hat mir mein Handy zurückgegeben. Vielleicht glaub ich ihr, wenn sie mich wieder zur Schule lässt. Und nicht zur neuen."
"Und dein Vater? Glaubst du, er versteht es noch?"
Jaemin schüttelt den Kopf. "Selbst wenn. Mit ihm will ich mich nicht verstehen. Er ist mir egal."
"Deine Mutter nicht?"
Eine Weile ist der Jüngere still.
"Ich weiß nicht", flüstert er. "Ich glaub, sie weiß, wie das ist. Keine Ahnung, wieso sie dann so sehr versucht, mich zu etwas zu zwingen, was ich nicht kann, aber... Sie war ja genauso beeinflusst wie ich. Sie kennt das, und... irgendwie hoffe ich, dass sie... mich deshalb versteht und... nicht mehr so weitermacht. U-Und... vielleicht... tut es ihr ja wirklich leid..."
"Abwarten, bunny. Noch musst du das ja noch gar nicht wissen. Du hast die Zeit, die du brauchst. Aber es ist immerhin gut, dass sie sich entschuldigt hat, und ich kann mir vorstellen, dass sie es ernst meint und ihre Regelungen auch zurückzieht. Haben sie dich freiwillig gehen lassen?"
Ein kleines Lächeln taucht auf Jaemins Gesicht auf. "Mein Vater war sowieso schon total gereizt und... meine Mutter hat mich verteidigt und, und sich dafür eingesetzt, dass er mich lässt."
Jeno ist fast sprachlos. "Was ist in sie gefahren?", platzt es aus ihm heraus, er schiebt ein "Tut mir leid" hinterher.
"Es stimmt schon", murmelt Jaemin, "das ist total plötzlich. Und gerade das ist so seltsam daran. Ich... Vielleicht hat sie das nur gemacht, weil dein Vater dabei war und es wird jetzt nur noch schlimmer..."
"Vielleicht, ja. Aber ich denke, sie sollte sich bewusst darüber sein, dass du alles, was sie tun, an ihn weiterleiten kannst und darauf Konsequenzen folgen können." Auf einmal hat Jeno eine Idee. "Oh mein Gott, wieso ist mir das nicht früher eingefallen?" Er steht auf und geht an seinen Schreibtisch, unter Jaemins verwirrtem Blick, wühlt in einigen Schubladen herum, bis er endlich gefunden hat, was er braucht, und damit zu Jaemin zurückkehrt.
Es ist ein Handy, das er in der Hand hält.
"Das ist mein altes. Ich hab noch zwei andere, wenn sie das auch finden. Aber so kannst du dich bei mir melden, wenn sie dir deines wieder wegnehmen. Du kannst es so einrichten, wie du es brauchst."
Jaemin starrt es eine Weile an, bevor er es Jeno abnimmt und hochfährt, der Ältere steckt sein Ladekabel ins Handy und beobachtet über Jaemins Schulter, wie er sich zögerlich darin umsieht.
"Das ist auch so neu", sagt er leise.
"Wie alt ist deins denn?"
"Hab's vor zwei Jahren gekriegt. Vorher hatte mein Vater das als Arbeitstelefon. Also bestimmt sieben Jahre."
"Oh."
"Wie alt ist das?" Jaemin tippt gegen das Handy in seinen Händen.
"Drei Jahre."
"Oh."
Jeno streicht über seine Seite. "Du kannst es behalten, okay? Auch wenn du deins dauerhaft zurück hast."
Jaemin schüttelt den Kopf. "Es ist doch deins."
"Bunny, das da ist meins." Jeno deutet zu seinem Handy. "Das hier ist mein altes, das ich niemals wieder brauchen werde."
"Sicher? Wenn das kaputtgeht?"
"Dann lass ich es reparieren oder bekomm halt ein neues."
Jaemin schweigt.
"Manchmal vergess ich, dass Anwälte so viel Geld verdienen."
"Was machen deine Eltern?", fragt Jeno nun doch.
"Bei meinem Vater wechselt das irgendwie ständig, keine Ahnung. Meine Mutter ist Putzfrau, so weit ich weiß."
"Habt ihr das Haus gemietet?"
Jaemin schüttelt den Kopf. "Meine Großeltern haben uns das vererbt. Also, die Eltern meines Vaters. Sein Bruder hat das andere Haus gekriegt."
"Zwei Häuser?"
Jaemin nickt. "Eins haben sie vermietet, in dem anderen haben sie gewohnt."
"Ah, okay. Zu ihnen hattest du auch keinen Kontakt, oder?"
"Ganz früher mal. Aber, naja, erklärt sich wohl von selbst, oder?"
Jeno nickt, schließt Jaemin in seine Arme und drückt ihn an sich. "Wie lange bleibst du?"
"Morgen. Meine Eltern wollen irgendwas miteinander klären und ich soll das dann zu hören kriegen."
"Soll ich dich bringen?"
"Bitte..."
Jeno drückt einen Kuss auf seinen Hals. "Brauchst du Verbände?"
Jaemin schweigt. "Ich weiß nicht."
Jeno nimmt seine linke Hand und dreht seinen Arm herum, zieht den Ärmel hoch und nach einem kurzen Inspizieren wieder herunter. "Na komm, bunny. Eincremen kann ich's ja."
Nur zögerlich steht Jaemin auf und verlässt das Zimmer erst, als Jeno an seiner Seite ist und in Richtung der Tür schiebt. Im Bad setzt er sich diesmal nicht hin, wackelt stattdessen von einer Seite auf die andere, während Jeno die Salbe aus dem Schrank wühlt.
Sie schweigen, während er sie auf Jaemins Arm verteilt, sie zurückräumt, sich wieder vor ihn stellt. Und auch dann sehen sie sich nur an, Jaemin irgendwann zu Boden, er spielt mit seinen Fingern.
Jenos Flüstern ist so leise, dass Jaemin ihn kaum versteht. "Du bist so hübsch, Baby."
Er schlägt sich die Hände vors Gesicht und kauert sich auf den Boden, sein Gesicht brennt, sein Herzschlag pulsiert durch seinen ganzen Körper, schickt Glücksgefühle bis in seine Fingerspitzen.
"Nicht gut?", fragt Jeno leise nach, Jaemin will antworten, aber kriegt kein Wort heraus, also schiebt er seine Finger weit genug auseinander, dass Jeno seine Augen sehen kann.
"Ist es so schlimm, dass du weinen musst?" Er schüttelt heftig den Kopf. "...So gut?" Ein Nicken. Jeno hockt sich vor ihn und nimmt seine Hände vorsichtig herunter.
Eine Weile sehen sie sich nur an, dann nimmt Jeno Jaemins Kopf in seine Hände und streicht eine einzelne Träne von seiner Wange, lächelt.
"Ich liebe dich, Baby."
"Ich dich auch", wispert Jaemin, legt seine Hände auf Jenos und dieser schiebt ihre Finger ineinander, lässt sie nach unten sinken.
Und dann, endlich, küssen sie sich.
"Und was machen wir jetzt?", fragt Jeno, als sie auf dem Rückweg in sein Zimmer sind.
"Spielen?"
Jeno lächelt leicht. "Na klar. Suchst du dir was aus?"
"Irgendwas Neues. Deshalb musst du das entscheiden."
"Hmm... Lässt du mich los, bunny?" Denn Jaemin hat sich an seinen Arm geklammert, sie an sich gedrückt.
"Kommst du wieder?"
"Na klar. Ich kann dich auch gleich ganz fest umarmen."
Zögerlich lässt Jaemin von ihm ab und Jeno beschäftigt sich mit den Spielen, während Jaemin zum Fußende des Bettes rückt und ihm über die Schulter sieht, darauf wartend, dass er zu ihm zurückkehrt.
Das tut er auch nicht viel später, drückt ihm seinen Controller in die Hand, setzt sich mit seinem eigenen hinter ihn und rückt dicht an ihn heran, sodass Jaemin sich gegen ihn lehnen kann.
"Eigentlich müssen wir alle deine Spiele durchspielen", sagt er leise.
"Wir haben noch ganz viel Zeit", schmunzelt Jeno.
"Hoffentlich", flüstert Jaemin. Er hört es nicht.
16.08.2020
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top