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"Nicht weinen", flüstert Jaemin, streicht durch Jenos Haare.
"Es geht nicht anders."
"Dann darfst du ganz viel weinen. Aber danach musst du was trinken."
Jeno lacht erstickt auf. "Ich liebe dich, bunny."
Jaemins Wangen werden warm. "Ich dich auch, kkot."
"Erklär mir das nachher", bittet Jeno ihn leise. Jaemin nickt nur, streicht weiter durch seine Haare, bis sein Arm müde wird.
"Tut mir leid, dass ich dich jetzt so vollgeheult hab", murmelt Jeno, als er sich gefasst hat, er wischt sich heimlich über die Augen.
"Ich hab dich schon so oft vollgerotzt, da ist es nur gerecht, wenn du das mal zurückgibst. Und selbst wenn nicht, ich bin doch dafür da, dass du mir Dinge erzählen kannst, die dich beschäftigen... Auch wenn ich damit zu tun hab. Auch wenn ich nicht damit zu tun und keine Ahnung hab. Aber du kannst mit mir über alles reden und musst dich nicht schlecht dafür fühlen."
Jeno zieht seine Nase hoch, lächelt. "Okay."
"Wie... wie lange hat sie das gemacht?", fragt Jaemin zögerlich.
"An die zwei Jahre, glaub ich. Ich weiß es nicht mehr so genau. Sie hat unseren sechzehnten Geburtstag in ihrem Bett verbracht und ich konnte nicht einmal bei ihr sein, weil ich erst abends von meiner Klassenfahrt zurückgekommen bin."
"Sie hat es rausgeschafft, oder?"
"Hat sie. Und weißt du was, bunny? Du schaffst das auch."
"Du traust mir zu viel zu", flüstert Jaemin, "ich will dich nicht enttäuschen."
"Das wirst du nicht. Auch nicht, wenn du scheiterst. Du wirst mich niemals enttäuschen."
"Hoffentlich..."
Stille.
"Ganz kurz", wispert Jeno, "nur für den Bruchteil einer Sekunde, als ich in unser Zimmer gekommen bin, dachte ich, dass sie tot ist."
Jaemin drückt sich von ihm weg, legt seine Finger an Jenos Wangen. "Sie lebt, Jeno. Und ich kann dir garantieren, dass du mit ein Grund dafür bist."
"Bring mich nicht nochmal zum Heulen", flüstert Jeno, ein Lächeln im Mundwinkel, Tränen in den Augen, "das reicht für die nächsten Monate."
"Wenn du weinen musst, musst du weinen. Und das kannst du auch. Nur weil ich emotional instabil bin, heißt das nicht, dass ich nicht auch für dich da bin. Vielleicht mit weniger Unterstützung, aber wenigstens zuhören kann ich dir doch. Wenn mich irgendwas zu sehr belastet, dann kriegst du das garantiert mit. Denk nicht, dass du mir eine perfekte Welt vorgaukeln musst, nur weil meine eigene in Trümmern liegt. Jeder hat doch seine Ruinen, du musst deine nicht vor mir verstecken. Ich kann sie mir vielleicht nur ansehen und nicht neu aufbauen, aber... wenn das schon etwas bringt, dann lass mich das tun." Jaemin lehnt seine Stirn gegen Jenos, sie schließen gleichzeitig die Augen.
"Okay. Danke, bunny, von Herzen. Verzeih mir, dass ich eben einfach so von dir abgelenkt hab. Irgendwie hat sich ein Schalter in mir umgelegt."
"Ist schon gut. Hab ich etwas Ablenkung gekriegt. Mach dir keinen Kopf. Ich hoffe, Jieun findet es nicht schlimm, dass ich das jetzt weiß..."
"Das glaub ich nicht. Sie hat es beinahe überwunden. Und außerdem glaub ich, dass sie weiß, dass ihr euch in dem Punkt gleich seid. Ich kann ihr das aber sagen, wenn du willst."
"Mhm."
Jeno lächelt leicht.
Dann küsst er den Jüngeren sanft und voller Dankbarkeit, die Jaemin spüren kann.
"Kannst du weiterarbeiten?", fragt Jeno leise.
"Noch nicht."
Jaemin kann sein Lächeln spüren, als er ihn erneut küsst.
❈
Den Rest seiner Arbeitszeit ist Jeno bei ihm, behält ihn im Blick, lässt diesmal sogar das Buch liegen, nur um auf Jaemin aufzupassen. Denn auch wenn es keiner von ihnen ausspricht, haben sie doch beide den gleichen Gedanken – es ist ungewiss, wann sie sich das nächste Mal sehen.
Dementsprechend sind sie still, als sie den Buchladen verlassen, und nach ein paar Metern bleiben sie stehen.
"Soll ich dich nach Hause bringen, bunny?" Jaemin nickt, auch wenn er Angst hat, was seine Mutter dann tut. Sie hat es ihm nicht verboten, aber sie weiß auch nicht, dass Jeno auf ihn aufpasst, dann hätte sie das garantiert getan.
Schweigend setzen sie ihren Weg fort.
"Meinst du, sie befreit dich von der Schule, bis sie dich zu einer neuen schicken kann?" Jaemin wird kalt.
"Ich weiß nicht", flüstert er. "Würde zu ihr passen."
Jeno seufzt resigniert und drückt seine Hand sanft. "Hoffen wir auf das Beste, hm?"
Dabei wissen sie beide, dass das niemals der Fall sein wird.
"Blume", sagt Jaemin leise, als sie das Grundstück erreicht haben. "Du hast gesagt, ich bin ein Hase, als du gesehen hast, dass ich sie immer zeichne... Und meine Hasen haben alle eine Blume bei sich, damit sie nicht einsam sind..."
"Du bist süß, bunny", lächelt Jeno, küsst ihn kurz und dennoch sanft.
"Soll ich morgen herkommen?", fragt er leise, und Jaemin nickt zögerlich. "Wenn sie dich wirklich nicht mehr zur Schule lassen, und dir dein Handy wegnehmen und alles, dann schreib mir Briefe, okay? Oder einfach irgendwie. Und wenn wir beide das Morsealphabet lernen und ich vor deinem Fenster sitz. Wir finden einen Weg, ja?"
"Okay." Jaemin legt seine Arme um Jeno, versteckt sein Gesicht an dessen Schulter.
"Und so bald wie möglich sprechen wir mit Appa."
"Okay."
"Kannst du meine Handynummer auswendig? Dann kannst du, falls du die Möglichkeit hast, mich vom Festnetz anrufen." Jaemin schüttelt den Kopf, also schiebt Jeno ihn sanft von sich und wühlt eine Weile in seiner Tasche, bevor er einen Stift hervorholt und diesen Jaemin hinhält, der ihn fragend ansieht. "Aufschreiben."
Jaemin streckt seinen Arm aus, zieht den Ärmel ein kleines Stück in die Höhe, sodass Jeno seine Handynummer auf seine Haut schreiben kann.
"Kannst du das lesen?" Jaemin überfliegt die Zahlen, nickt, zieht den Ärmel wieder nach unten. "Komm her, bunny." Sofort hat Jaemin erneut seine Arme um Jenos Schultern geschlungen, und dieser zieht ihn an sich.
"Ich liebe dich", murmelt Jaemin in seine Schulter.
"Ich dich auch. Egal, wie lange wir uns nicht wiedersehen." Er schluckt trocken, löst sich von Jeno, der über seine Wange streicht und sanft lächelt. "Du schaffst das."
Ein kurzer, zarter Kuss, und sie trennen sich voneinander, Jaemin verschwindet ihm Haus. Jeno hofft, dass es bis zu ihrem Wiedersehen nicht so lange dauert, wie sein Gefühl es ihm sagt.
02.08.2020
mOrk<3
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