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Lange dauert es nicht, bis er wieder aufwacht, und er blickt direkt in Jenos Augen.

"Da bist du ja wieder", lächelt dieser sanft, streicht über seine Wange. Jaemins Kopf ist auf seinem Schoß gebettet, seine Füße an der Feuertreppe hochgelegt.

"Ich will nach Hause."

"Ich bring dich, wenn du wieder laufen kannst. Dein nächster Bus kommt ungefähr in einer Stunde."

Renjuns Kopf taucht über Jenos auf. "Ich geh wieder zurück, die Stunde fängt gleich an."

"Danke für deine Hilfe", sagt Jeno noch, der Kleinere winkt ab und ist schon um die Ecke verschwunden. Jaemin sieht sich um, findet Jieun dabei, seine Sachen aufzusammeln.

"Das muss sie doch nicht machen", sagt er leise.

"Sonst fühlt sie sich nutzlos. Wie hat Renjun dich gefunden?"

"Muss ziemlich laut geweint haben. Oder er hat was mitbekommen. Weiß nicht."

"Wie fühlst du dich?"

"Mir tut alles weh."

"Wird es besser?"

"Ja."

"Das ist gut. Über den Rest reden wir, wenn wir bei dir sind." Jaemin nickt nur schwach, schließt seine Augen, und Jeno drückt ihm einen Kuss auf die Stirn.

Ein paar Minuten später verlässt auch Jieun sie, nur eine kurze Weile, bevor es klingelt.

"Das ist meine Schuld, oder?", wispert Jeno in die Stille hinein, "das ist meinetwegen passiert."

Jaemin schweigt, und das ist Antwort genug.

Am Busbahnhof fällt Jaemin auf einmal ein, dass seine Mutter zu Hause sein muss, und er zieht Jeno sofort weg von seiner Haltestelle.

"Bunny?", fragt der verwirrt, stemmt sich dagegen, sodass Jaemin stehen bleiben muss.

"Meine Mutter hat heute frei", sagt er leise. "Ich will sie nicht sehen."

Jeno seufzt. "Okay. Also fahren wir zu mir?"

"Ist... das... denn okay?"

"Natürlich, bunny. So lange ich dich versorgen kann."

Also wechseln sie ein paar Steige weiter, und die Busfahrt dauert nicht lange, was gut ist, Jaemin kann sich kaum vernünftig aufrecht halten, auch wenn Jeno ihn stützt.

"Ich werde sie eigenhändig umbringen", er knurrt schon fast, "aber erst genau so leiden lassen wie sie dich."

"Jeno..."

Er atmet tief durch, entschuldigt sich leise. "Es macht mich bloß so wütend. Was gibt ihnen das Recht dazu? Nur weil du bei mir bist? Nur weil du wehrlos bist? Ich..." Er seufzt schwer, verstummt aber, und Jaemin sagt auch nichts, will es nicht riskieren, ihn vielleicht noch wütender zu machen. Er fühlt sich ja so schon schuldig genug.

Bei Jeno angekommen verfrachtet der ihn sofort in gemütlicher Kleidung ins Bett, bringt ihm Tee und etwas zum Kühlen, Essen, und treibt sogar ein Ersatzplushie und ein Buch für ihn auf.

"Brauchst du noch etwas?" Den Jüngeren, eingekuschelt in die Decke, besorgt musternd, steht Jeno am Bett, leicht hin- und herwippend.

"Dich."

Ein kleines Lächeln erscheint auf Jenos Lippen, nur kurz, und er setzt sich neben Jaemin, ihm zugewandt, reicht ihm seine dampfende Tasse, für die er sich erst einmal unter der Decke hervorkämpfen muss. Dann nimmt er sie Jeno sich leise bedankend ab, genießt heimlich die Wärme in seinen Händen, auf seinen Beinen.

"Haben sie auch etwas zu dir gesagt?", fragt Jeno ihn leise, stützt sich auf seinen aufgestellten Beinen ab, sein Blick strahlt Sorge aus, die Jaemin zu spüren bekommt.

"Das Übliche eben. Geisteskrank. Abstoßend.  Abtreibungsgrund. Ekelerregend. Missgeburt. Aufmerksamkeitsgeil. Schwuchtel. So ein Zeug. Ich bin daran gewöhnt", versucht er Jenos Wut zu besänftigen, doch das macht es nicht ansatzweise besser.

"Das ist ja noch schöner! Wer hätte hier abgetrieben werden sollen? Oder wenigstens besser erzogen, Himmel noch eins!" Jeno schließt seine Augen, ist fest entschlossen, als er Jaemin wieder in die Augen sieht. "Du kannst entscheiden, was jetzt passiert. Ob ich jede Pause zu dir komme, oder gar nicht mehr, ob wir es melden, das alles."

Jaemin senkt seinen Blick. "Ich weiß nicht."

"Du kannst auch darüber nachdenken. Aber es bleibt dir überlassen. Vollständig. Ich werde nichts entscheiden."

Jaemin schweigt, spielt mit dem Band des Teebeutels. Er hat doch selbst keine Idee, wie soll er da etwas entscheiden?

"Selbst wenn du jede Pause zu mir kommst, wir haben immer noch unterschiedlich Unterricht."

"Dann kommst du eben in meine Klasse." Jaemin erstarrt, sieht auf, aber Jeno meint es ernst. "Ich lass nicht zu, dass das noch einmal passiert. Wenn du willst, dass ich bei dir bin, dass ich dich beschütze, dann tue ich alles, was in meiner Macht steht, um es zu schaffen."

Langsam richtet Jaemin sich auf, stellt die Tasse auf den Beistelltisch und schlingt dann seine Arme so fest er kann um Jeno, der ihn so vorsichtig umarmt, als wäre er aus Glas, um ihm nicht wehzutun.

"Gut, dass morgen Wochenende ist", flüstert Jeno. "Lass deinem Körper ein bisschen Zeit, um sich zu erholen, okay?"

"Kommst du mich besuchen?"

"Wenn du das möchtest, natürlich." Jaemin nickt und rückt wieder von Jeno ab, zögert, bevor er ihn küsst.

Während er seinen Tee trinkt, reden sie ein wenig, hauptsächlich aber konzentrieren sie sich nur auf die Hand des anderen.

"Ich bring dich nach Hause, ja?" Jeno nimmt Jaemin seine Tasse ab, stellt sie weg.

"Jetzt...?"

"Erst wenn du willst. Jetzt täte dir wohl ein bisschen Schlaf ganz gut." Jeno stupst gegen seine Nase, lächelt sanft.

"Aber du bleibst hier."

"Natürlich bleib ich hier."

"Dann ist gut..." Jaemin legt sich wieder hin, lässt Jenos Hand aber nicht los, und sieht auch weiter zu ihm hoch, anstatt die Augen zu schließen.

"Na, was ist, bunny?"

"Jetzt hab ich deine Freunde gar nicht kennengelernt..."

"Dafür haben wir noch genug Zeit. Mach dir darum keine Gedanken. Ich denke, sie wissen jetzt auch schon, was passiert ist. Sie nehmen dir das garantiert nicht übel."

"Na gut."

Jeno küsst ihn, kann nicht anders, seine Augen sind wieder so groß.

"Das andere", flüstert Jaemin.

"Willst du nicht schlafen?"

"Danach."

Also küsst Jeno ihn erneut, schiebt seine Lippen sanft auseinander, und Jaemin entspannt sich unter der Zärtlichkeit, blinzelt sich zurück in die Realität, als sie sich wieder lösen.

"Meinst du, ich träum von dir?", murmelt er, den Kopf voller Jeno.

"Du kannst es herausfinden."

Jaemin schließt die Augen, Jeno platziert einen Kuss auf seiner Stirn, und gleich darauf ist er weg.

22.07.2020

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