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tw: selfharm (scars)

Den Rest des Nachmittags verbringen sie in Jenos Zimmer, eigentlich nur kuschelnd, schweigend. Nach dem Essen schauen sie dann den zweiten Teil der Herr der Ringe-Trilogie, auch wenn Jeno sich weniger darauf konzentrieren kann.

Nein, überraschend ist es wirklich nicht. Aber dadurch nicht weniger erschütternd. Dadurch, dass er wusste, dass Jaemin lange Kleidung trägt, um Kontakt zu vermeiden, hatte er nicht daran gedacht, dass es vielleicht noch einen weiteren Grund geben könnte, dabei ist es fast logisch, bei dem Horror, dem Jaemins Leben gleicht. Vermutlich war es einfach der gutgläubige, naive Teil in Jeno, der es verdrängt hielt, nicht zuließ, es auch nur zu bemerken. Letztendlich ist er aber nur dankbar, dass Jaemin ihm das anvertraut hat, er scheint so viel ruhiger zu sein, auch wenn er selbst sich wohl nicht darüber bewusst ist. Er liegt einfach nur da, in Jenos Armen, hat sich seit mehreren Minuten nicht bewegt, atmet so ruhig und die Anspannung seines Körpers ist fast weg.

Auf einmal hebt Jaemin den Kopf, legt ihn auf Jenos Schulter ab, diesen ansehend. "Bringst du mich morgen nach Hause?"

"Und ob." Er drückt ihm einen Kuss auf die Stirn. "Fahren wir mit dem Bus?" Jaemin nickt, sieht wieder nach vorn. Aber das ist nicht alles. Und bis sie ins Bett gehen, erfährt Jeno es auch nicht.

"Ich will nicht zurück", flüstert Jaemin in die Dunkelheit, als Jeno gerade auf dem Rückweg vom Lichtschalter ist. Er seufzt leise, setzt sich hinter ihn, berührt seinen Arm sanft.

"Das weiß ich. Du kannst dem nur nicht für immer aus dem Weg gehen. Und irgendwann wirst du bestimmt wieder hier sein."

"Das ist es gar nicht, also auch, ich bin gerne hier, aber ich will nicht zu meinen Eltern zurück. Ich fühl mich da weder wohl noch sicher." Wo er vor wenigen Tagen doch noch als einzigen Rückzugsort sein Zimmer hatte.

"Warte ab, wie das Gespräch mit deinen Eltern wird. Und du kannst jederzeit wieder hierherkommen, du weißt, wo der Schlüssel ist, es ist egal warum, auch wenn du nur Langeweile hast."

Jaemin schweigt, nickt nur, und Jeno legt sich zu ihm, und sofort hat Jaemin sich an ihn gekuschelt, bevor er überhaupt auf der Seite liegt. Doch so tut er das nun, legt seinen Arm um Jaemin, betrachtet seine Hände. Langsam gewöhnen sich ihre Augen an die Dunkelheit, und Jaemins Narben fallen Jeno ins Auge, natürlich fallen sie ihm ins Auge, doch schon im nächsten Moment hat Jaemin seine Arme so gedreht, dass seine Unterarme auf der Matratze liegen.

Jenos Finger sind angenehm weich, bewegen sich über seine Haut, drehen seinen Arm sanft wieder zurück, streichen über die Narben, einmal nur, halten Jaemins Arm dann lediglich vorsichtig fest.

"Weißt du, was ich noch gar nicht gesagt hab, bunny?", sagt er leise.

"Hm?"

"Du bist hübsch. Nein, du bist wunderschön. Und ich liebe es, wenn du so fröhlich bist, wie du es im Gewitter warst. Ich wünsche mir, dass das noch häufiger passiert, denn es tut dir gut, dich so frei zu fühlen."

Jaemin, ein Junge voller Worte, ist sprachlos. Darüber hinaus, kann nicht einmal eine Antwort erdenken. Versiegelt Jenos Worte nur fest in seinem Herzen, nimmt Jenos Hand und drückt sie an seine Brust.

"Schlaf gut, mein Gewitterjunge", flüstert Jeno, lächelnd, "hoffentlich kommen noch ganz viele solcher regnerischer Tage."

Den ganzen nächsten Tag verlässt Jaemin nicht eine Sekunde Jenos Seite. Er will nicht gehen, hat Angst, hauptsächlich wegen seines Traums, dass es das letzte Mal ist, dass sie sich sehen, dass er nicht zurückkommen wird.

"Was ist es, bunny?", fragt Jeno, als sie in seinem Zimmer stehen und Jaemin ihn schon mit einer Umarmung beansprucht hat, "was ist es, das dir so eine Angst macht?"

"Was ist, wenn wir uns nicht wiedersehen?"

"Das werden wir. Wenn es dir hilft, kann ich gleich morgen wieder vorbeikommen. Ich lasse dich mir nicht nehmen, ich lasse dich nicht allein, egal, was den Weg versperrt."

Jaemin holt tief Luft, atmet sie langsam wieder aus. "Danke." Zögerlich lässt er Jeno los, und sie setzen sich auf sein Bett, Jaemin greift sofort nach seinem Buch, schon das erste seiner neuen, hält sich daran fest.

"Wann möchtest du los?", fragt Jeno ihn, beobachtet, wie er sich wieder etwas zurückzieht.

"Irgendwann später", murmelt er.

"Du wolltest noch nach den Buszeiten gucken", fällt Jeno ein, "dann kannst du das auch davon abhängig machen."

Jaemin nickt, und Jeno betrachtet ihn währenddessen, verliert sich etwas in den Gesichtszügen des hübschen Jungen vor ihm.

"Gegen sechs?", fragt Jaemin leise, sieht auf.

"Ist okay für mich. Dann haben wir noch etwas über drei Stunden. Was machen wir bis dahin?"

"Kann ich lesen...?"

"Natürlich."

Schon hat Jaemin sein Buch aufgeschlagen, lehnt sich gegen Jeno, als dieser etwas näher an ihn heranrückt.

So sitzen sie eine ganze Weile einfach da, bis Jeno aufsteht und sein Buch holt, sich ans Kopfende setzt und noch nicht einmal fragt, als Jaemin sich schon zwischen seine Beine setzt.

Mit mehr verbringen sie ihren Nachmittag auch kaum, Jaemin braucht die Ruhe, die Ablenkung, nur ein paar Worte und Küsse wechseln noch zwischen ihnen.

"Hast du alles?", hört Jaemin Jeno fragen, während er sein Buch einräumt, und er nickt, wieder gänzlich zurückgezogen in sein Schneckenhäuschen.

"Bunny?" Jaemin sieht hoch und auf weißen Stoff. "Möchtest du es mitnehmen?"

Das T-Shirt.

"Brauchst du es nicht?"

"Nein. Ich hab noch ein paar mehr davon."

Also steckt Jaemin es ein, und steht auf, Jeno hält ihm schon seine Hand hin und Jaemin ergreift sie sofort, lässt sich widerstandslos aus seinem Zimmer und nach unten ziehen, obwohl sich alles in ihm dagegen sträubt.

Dementsprechend still ist er die ganze Zeit, hält den Kopf gesenkt, verhält sich mehr wie Jenos Schatten als wie eine eigene Person.

Als sie im Bus sitzen, hat Jaemin das Bedürfnis, zum Kind zu werden und sich auf Jenos Schoß setzen zu können, ohne dass sich jemand darum schert, aber so legt er nur seinen Kopf auf Jenos Schulter, klammert sich an seinen Arm. Jeno streicht über sein Bein, es beruhigt ihn etwas, aber er ist zu nervös, als dass es viel brächte.

Die Fahrt geht viel zu schnell vorbei, und Jaemins Angst wird immer größer, sodass er einige Meter von seinem Haus entfernt wie zu Stein erstarrt stehen bleibt.

"Kannst du mitkommen?", flüstert er, "bitte komm mit rein."

"Deine Eltern werden mich nicht dabei sein lassen."

"Dann geh hoch in mein Zimmer, ich, ich– Sonst halte ich das nicht aus."

"Okay." Jeno streicht über Jaemins Handrücken, drückt seine Hand sanft, und er kann sich von der Stelle lösen und weitergehen.

19.07.2020

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