15
Mit einer Packung Süßigkeiten in der einen, Nono in der anderen Hand setzt Jaemin sich auf die Arbeitsplatte, Jenos Blick meidend. Er will nicht riskieren, Enttäuschung oder sonst etwas in seinem Blick zu sehen und es selbst zu spüren.
"Bleiben wir unten oder gehen wir in dein Zimmer?", hört er Jeno sagen.
"Unten", erwidert er leise. Jeno hält ihm mit einem "Vorsicht, heiß", seine Tasse Tee hin, Jaemin nimmt sie ihm ab und stellt sie neben sich.
Stille.
"Du willst, dass ich gehe, oder?" Jaemins ablehnende Haltung ist nicht zu übersehen.
"Ich weiß es nicht", flüstert er. Seine Augen füllen sich wieder mit Tränen. Er will es nicht wollen, doch nur allein hat er Ruhe und die braucht er.
"Wenn du mir gesagt hast, was passiert ist, kann ich gehen." Unsicher sieht Jaemin auf, doch Jeno schenkt ihm ein sanftes Lächeln. Er will das nicht, will Jaemin nicht allein lassen, will ihn auf andere Gedanken bringen, aber das hat er nicht zu entscheiden.
Also fängt Jaemin an zu erzählen, leise, den Blick immer auf seinen dampfenden Tee gerichtet. Er hört sich selbst nicht so richtig zu, vergisst, was er gesagt hat, und so bleibt er diesmal mehr oder weniger ruhig – doch er zittert immer noch.
Nach seinem letzten Satz herrscht Stille, Jeno mustert ihn, gegenüber gegen die Anrichte gelehnt.
"Heißt, wir trennen uns."
Jaemins Tasse zerschellt auf dem Boden, die heiße Flüssigkeit verteilt sich in der Küche, spritzt gegen Schubladen und Türen, verbrennt schon im Fallen Jaemins Knöchel, eine Scherbe fliegt gegen Jenos Schienbein.
"Was, weil meine Mutter das sagt? Weil sie mir nicht glauben will? Du weißt doch genauso, dass ich recht habe."
"Ich will keinen Keil zwischen euch treiben."
"Der ist schon lange da. Ich bin ihr egal. Es geht ihr nur um diese verdammte Fähigkeit! Sie interessiert sich nicht für mich, sie will nur nicht, dass ihre ach-so-tolle Gabe von ihrem seltsamen Außenseiter-Sohn ausgelöscht wird! Du glaubst doch nicht wirklich, dass ihr etwas an mir liegt!" Wut, Enttäuschung, Hilflosigkeit und die schmerzende Verbrennung treiben ihm Tränen in die Augen.
Jeno weiß nicht, was er sagen soll. Also sammelt er die Scherben auf, legt sie ans Waschbecken, angelt den mittlerweile weinenden Jaemin von der Arbeitsfläche und setzt ihn abseits der Lache ab, streicht über seine Wange.
"Ich wisch das auf", sagt er sanft, "du nimmst eine Schmerztablette, damit die Verbrennung nicht wehtut. Und dann legst du dich hin, ich komm zu dir, bevor ich gehe."
"Du sollst nicht gehen", schluchzt Jaemin, "bitte lass mich nicht allein."
Jeno platziert einen Kuss auf seiner Stirn. "Okay."
Jaemin quält sich also nach oben, während Jeno den Tee von den Fliesen wischt, die Scherben wegwirft, und das alles fühlt sich für Jaemin ewig an, auch wenn es nur ein paar Minuten sind. Mit der Schmerztablette in der Hand sitzt er auf seinem Bett, als Jeno nach oben kommt, das Fell des Stoffhasen ist an einigen Stellen schon durchgeweicht.
"Hier." Jeno setzt sich neben ihn, mit einem Wasserglas, seine Tasse hat er unten vergessen, er hilft Jaemin, es zu halten, da seine Hände noch immer zittern. Eigentlich sollte es helfen, doch Jaemin kann nicht aufhören, zu weinen. Es ist nicht nur, was seine Mutter gesagt hat, es ist alles, was ihm jemals widerfahren ist, alles, was ihn jemals verletzt hat. Er wird immer kleiner und kleiner, wird von den Tränen gefoltert, klammert sich an den Hasen, schluchzt herzzerreißend. Jeno fühlt sich machtlos.
"Ich wollte das nicht. Ich wollte das nie. Warum ist es meine Schuld? Es ist nicht meine Schuld. Es ist deine Schuld. Ich bin nicht seltsam, ich bin nicht gestört, ich bin nicht stumm, ich bin nicht taub, ich bin nicht eingebildet, ich bin kein Abschaum, ich bin nicht dumm, ich will keine Aufmerksamkeit, ich will kein Mitleid, ich will allein sein, einfach nur allein sein, ich will in Ruhe gelassen werden. Ich habe mir dieses Leben nicht ausgesucht, ich habe mich nicht entschieden, jeden einzelnen Menschen besser zu kennen als er sich selbst, ich habe mich nicht gefreut, als ich meinen einzigen Freund verloren habe, als ich aufgehört habe zu reden, als meine Eltern aufgehört haben, mit mir zu reden, ich habe mir diese Scheiße nicht ausgesucht! Ich will normal sein, aber ich werde niemals normal sein, ich werde diese Jahre niemals nachholen können, es wird niemals vollständig aufhören, es wird immer da sein, ich werde für immer unnormal bleiben. Ich will, dass es aufhört, wehzutun! Ich will, dass es aufhört, mir Dinge zu nehmen! Ich will, dass es aufhört!"
"Komm her, bunny", flüstert Jeno, "komm her."
Jaemin schluchzt auf, es klingt fast schon wie ein Hilferuf, er ist kaum in der Lage, sich aufzurichten und sinkt gerade so gegen Jeno, als dieser ihn schon in seine Arme zieht, sich zur Seite dreht, sodass Jaemin zwischen seinen Beinen sitzt.
"Ich will, dass es aufhört", wimmert Jaemin, "mach, dass es aufhört."
"Das werde ich, Jaemin. Das hast du selbst gesagt."
"Warum muss es so lange dauern? Warum?"
"Ich weiß es nicht. Aber es wird besser, okay? Es wird besser."
Jaemin antwortet nicht, klammert sich nur an Jeno, als hinge sein Leben davon ab. Und etwas in Jeno weiß, dass daran auch etwas wahr ist.
15.07.2020
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