[04]
Jisung PoV
Nach einer Weile, die ich noch mit Minho am Grab seiner Großmutter verbracht hatte, machten wir uns gemeinsam auf den Weg nach Hause. Ich schob mein Fahrrad neben mir her lief mit ihm zusammen in eine Richtung.
Für Außenstehende mussten wir ein echt seltsames Bild abgegeben haben. Zumindest hatte ich das Gefühl, dass jeder auf der Straße uns genauestens musterte. Doch vielleicht bildete ich mir das auch nur wieder ein.
"Minho, warum sehen uns so viele Menschen an?", fragte ich ihn, als das Gefühl für einen Moment weniger wurde und ich hoffte, dass wir uns unbemerkt unterhalten konnten.
"Tun sie das?", fragte Minho und kniff seine Augen zusammen, um alles besser erkennen zu können.
Ich Idiot hatte doch tatsächlich vergessen, dass Minho nichts wirklich sah. Es musste schön sein, all diese Blicke auf sich nicht zu bemerken.
"Ich denke schon. Aber vielleicht spielen mir meine Augen auch nur einen Streich."
"Warum sollten sie uns ansehen? Wir sind nur zwei Jungen, die nebeneinander die Straße entlang gehen. Daran ist nichts sehenswert."
"Ich weiß auch nicht. Manchmal habe ich dieses Gefühl einfach..."
"Lass dich davon nicht täuschen, Jisung. Sonst macht es dich irgendwann noch kaputt."
Das hat es schon längst, Minho.
"Vermutlich hast du Recht. Es ist besser, wenn ich versuche es auszublenden.", stimmte ich ihm einfach zu, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wie ich das anstellen sollte. Ich hatte das Gefühl, dass ich schon alles Mögliche versucht hatte.
So liefen wir also wieder schweigend nebeneinander her, bis Minho stehen blieb.
"Wir sind da. Das hier ist mein Haus. Wenn du mich jemals wiedersiehst, sprichst du mich an, oder? Ich weiß ja leider nicht genau, wie du aussiehst.", meinte Minho und ich warf einen Blick auf das unscheinbar wirkende Haus, das trotzdem recht einladend aussah.
"Willst du das denn? Ich meine... Eigentlich bin ich nicht der Typ Mensch, den andere gerne wiedersehen wollen."
"Ich fände es schön, wenn ich dich wiedersehen würde. Du könntest ein wirklich guter Freund für mich werden, denke ich. Irgendwie scheinst du hier der erste zu sein, der mich versteht."
"Dann würde ich mich freuen dich wieder zu sehen.", sagte ich mit einem leichten Lächeln. So etwas hatte noch nie jemand zu mir gesagt und es machte mich ein Stück weit glücklich.
"Bis bald, Jisung.", sagte er und zog mich in eine Umarmung, die ich erstaunlich gerne erwiderte.
"Bis bald, Minho."
Daraufhin verschwand er in seinem Haus, wobei er mir noch ein schwaches Lächeln schenkte, und ich machte mich mit dem Fahrrad auf den Weg nach Hause.
Ich lehnte mein Fahrrad an die hinterste Wand des Carports, wo nicht besonders viel Platz zwischen Wand und Auto war. Da es inzwischen schon langsam abends wurde, war meine Mutter bereits von der Arbeit wieder zurück. Sie hatte heute bis ungefähr 4 Uhr gearbeitet.
Kaum hatte ich die Tür aufgeschlossen und das Haus betreten, kam mir ein unangenehmer Geruch entgegen. Die meisten Menschen würden ihn weder bemerken, noch als 'unangenehm' bezeichnen, doch ich wusste genau zu wem er gehörte und was das für mich heißen könnte.
"Hallo?!", rief ich einmal durchs ganze Haus, doch bekam keine Reaktion. Vermutlich saßen meine Mutter und ihr Besuch draußen auf der Terrasse und genossen den Sonnenschein. Alleine beim Gedanken daran könnte ich kotzen. Es war nicht so, dass ich meiner Mutter keine neue Beziehung gönnte, vor allem da sie bereits zusammen waren, bevor mein Vater gestorben war, aber warum hatte es ausgerechnet diese Person sein müssen? Noch nie hatte ich eine Person so sehr gehasst wie ihn. Der Tag, an dem er bei uns einziehen würde, sofern er kommen würde, wäre einer der schlimmsten Tage in meinem Leben.
Ich packte meine Schuhe unsanft ins Schuhregal und verschwand in mein Zimmer, wobei ich die Tür schwungvoll schloss. Falls bisher noch niemand mitbekommen hatte, dass ich hier war, dann wussten sie es spätestens jetzt. Das zählte wohl zu meinen schlechteren Angewohnheiten.
In einer Bewegung schnappte ich mir meine Kopfhörer vom Bett und warf mich auf dieses, woraufhin es ein sehr ungesundes Geräusch von sich gab. Ich benutzte dieses Bett schon mein ganzes Leben lang und es war nicht besonders bequem, um ehrlich zu sein. An einigen Tagen beneidete ich meinen ältesten Bruder darum, dass er genug gespart hatte, um sich ein neues Bett zu kaufen. Bei mir war es quasi egal, wie viel ich versuchte zu sparen, denn sobald ich um die 30€ hatte, gingen meine Kopfhörer kaputt und ich musste das meiste wieder für neue ausgeben. Ich würde gerne versuchen mir Geld in einem Café oder so dazu zu verdienen und meine Mutter hätte da bestimmt auch nichts gegen, da ich ihrer Meinung nach sowieso zu viel zu Hause saß. Doch habt ihr mal versucht, mit zitternden Händen ein Tablett zu balancieren oder stotternd jemanden zu fragen, was er gerne bestellen würde? Ich war einfach nicht für diese Jobs gemacht. Oder für eine andere Art Job. Vielleicht könnte ich später Zeitung austeilen oder ich werde Müllmann. Da musste ich wenigstens nicht mit Leuten reden.
"Jisung! Jihoon! Bingsuk! Essen!", rief meine Mutter und ich verdrehte automatisch die Augen. Alleine die Tatsache, dass ich gleich mit diesen Menschen an einem Tisch sitzen musste war nervig, doch dann waren da noch diese unfassbar lauten Essgeräusche, die mich verrückt machten. Bei solchen Geräuschen war ich ziemlich empfindlich geworden, auch wenn ich nicht wusste, woran das lag.
Ich packte meine Kopfhörer und mein Handy wieder beiseite und ging in die Küche, wo ich einfach stumm den Tisch deckte. Der Freund meiner Mutter saß einfach nur an seinem Handy und machte nicht mal Anstalten zu helfen, ebenso wenig wie meine Brüder sich die Mühe gaben zu helfen. Hätte ich das gemacht, während er dabei saß, dann hätte er meiner Mutter gesagt, dass ich keine Erziehung hatte und nicht wusste, wie man sich benehmen sollte, damit sie mir einen Einlauf gab. Dafür wusste ich wenigstens wie man es schaffte, nicht so laut zu kauen wie ein Pferd.
Beim Essen sprach niemand wirklich ein Wort. Wieso sollte auch irgendjemand etwas sagen? Was sollte auch gesagt werden? Die Frage danach, wie es uns ging, war schon lange nicht mehr gefallen. Wir lebten hier alle eher nebeneinander her, als tatsächlich miteinander zu leben.
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