Schlechte Zeiten

Louis
Ich schlummerte wie zuvor auch auf dem ganzen Rückweg und schlief etwas besser, als die Nacht zuvor - träumte sogar etwas schönes. Gerade wo ich den spannendsten Teil träumte, hörte ich plötzlich eine mir bekannte Stimme und so verpuffte auch mein Traum, was mich leicht verärgerte. "In 10 Minuten...", nuschelte ich noch gerade so verständlich und schmiegte mich erneut an seine Schulter, bis mich dann jemand wach rüttelte und ich meinen Kopf müde auf den Schoß legte.

Mom erlaubte mir das immer, wenn wir hinten zusammen von jemanden gefahren worden sind.
Zum dritten male, hörte ich diese Stimme und blinzelte hoch, als ich Noahs Gesicht wahrnahm, setzte mich auf und rutschte direkt von ihm weg. Verdammte...! Bin ich etwa schon wieder so doof eingeschlafen? Wie peinlich! Mit roten Backen, stieg ich wortlos aus dem Auto, nahm mein Zeug vom Kofferraum und schlenderte ins Haus, nach oben in mein Zimmer und ließ mich in mein Bett fallen. Es war so spät und ich musste heute schon wieder in die Schule..! 

Ich putzte mir also nur noch kurz die Zähne, ging schlafen, bis mein Wecker 'kurz' darauf wieder klingelte, ich mich fertig machte - im Sinne vom Duschen - und zur Schule eilte. 
Hach ja... ich hasse Schule.

Noah
Er reagierte gar nicht erst, weswegen ich begann an ihm zu rütteln und selbst so dauerte es bis er mir verkündete, dass er noch zehn Minuten schlafen wollte. Ich rollte mit den Augen und zuckte leicht zusammen, als er seinen Kopf schließlich in meinen Schoß legte. So hatten wir aber nicht gewettet.

''Man Louis jetzt steh endlich auf, wir sind da!'', versuchte ich es ein letztes Mal, dieses Mal allerdings erfolgreich. Er blinzelte mich ein paar Sekunden an, bis er realisierte wo wir waren und wie er schon wieder auf mir gelegen hatte. Wie auch schon gestern, rutschte er sofort etwas weiter von mir weg und stieg direkt aus dem Wagen.

Tja, nach dem, was er mir gesagt hatte, sollte ihm das tatsächlich unangenehm sein. Eigentlich hätte ich komplett nichts dagegen, aber wer so arschig zu mir war...
Endlich konnte auch ich aus dem Auto aussteigen, mir meine Sachen schnappen und nach oben laufen, wo ich mich direkt in mein Bett schmiss.

Wie fast immer dauerte es dennoch um die zwei Stunden bis ich endlich mal schlief. Als am Morgen mein Wecker klingelte, schrieb ich meinem Dad, dass ich mich nicht gut fühlte, was dieser mir abkaufte, da ich bis jetzt nie auf krank getan hatte. Nachdem das erledigt war und eine weitere Stunde vergangen, schlief ich wieder ein und dieses Mal sogar ziemlich gut. Anscheinend hatte mein Körper eine menge Schlaf nachzuholen, was ich nur begrüßen konnte.

Oftmals fühlte ich mich ziemlich schlapp und K.O., doch vielleicht würde mir das längere Schlafen ja mal wieder ein wenig Energie verschaffen, sodass ich nicht den ganzen Tag aussah wie ein Schluck Wasser. 

Louis
Die nächsten Tage waren der blanke Horror! Am ersten Tag wurde ich nach der allerersten Stunde ins Klo gezogen. "Was wollt ihr?", schrie ich diese panisch an, da sie mich vorerst gegen die Wand drückten, sodass ich keine Möglichkeit hatte, mich zu befreien, jedoch trotzdem an den großen Armen zerrte, die meine Handgelenke fest im Griff hatten und echt fest zudrückten. "Eine Schwuchtel sagt uns nicht, was wir zu tun und lassen haben, kapiert?", fuhr mich einer der Riesen an und ich verstummte.

Ich war zu müde, um herumzuschreien und noch fix und fertig von der Fahrt. Irgendwer zog mich dann zum Pissoir, steckte meinen Kopf in dieses und spülte, hielt meinen Kopf kurz in das Wasser und zog mich am Haar wieder heraus, wiederholte das, bis ich einen Laut von mir gab und diese endlich von mir ließen. Ich konnte doch nicht mit nassen Haaren nach Hause... ich würde mir doch bloß eine Erkältung einfangen.

Nachdem ich den kompletten Papierspender aufgebraucht hatte, ging es teilweise wieder und so lief ich mit einer Kapuze zum Bus, fuhr nach Hause, zog mich um und wusch mich, damit es nicht so auffällig war, weshalb ich mir meine Haare föhnte. Wortlos setzte ich mich an den Esstisch zu Noah und aß ohne auch nur eine Miene zu verziehen.

Der zweite Tag war... einer der schrecklichsten in meinem kompletten Leben. Nach dem Kunstunterricht war ich gerade dabei meine Tasche zu packen und steckte mein Handy mit den Kopfhörern in die Hosentasche, als mir dieses unerwartet entnommen wurde. Natürlich lief ich dem Typen nach, der schon in der Stunde davor meine Kopfhörer geklaut hatte, aber jetzt war es noch mit diesen mein Handy.

Und mein Pausenbrot! Bloß nicht ausrasten...! "Du kannst mir doch nicht einfach mein Handy wegnehmen... ich zeig dich an!", funkelte ich diesen an, doch der schien mich völlig zu ignorieren und so ließ ich ihn laufen, blickte ihm verzweifelt nach. Mein Handy... wie sollte ich mich jetzt noch beruhigen? Nach der letzten Stunde lief ich den gesamten Weg, inklusive Umweg nach Hause - aß meine erste Mahlzeit, auch mein Abendessen - und verkroch mich in meinem Zimmer, lief im Kreis herum und versuchte stark zu sein, nicht zu weinen.

Das Handy war noch relativ neu, weshalb da nur so um die 5 Bilder vom Urlaub waren, plus dem tollen Bild von Noah und mir... dennoch! Meine komplette Musik war drauf und ich konnte nicht ohne!

Der dritte Tag trat an und ich verspätete mich zum ersten mal in meinem Leben, bekam daraufhin Anschiss und bewegte mich nicht mehr von meinem Platz, bis zur letzten Stunde, in der wir zum Bioraum gingen. Nach dieser wurde ich erneut aufs Klo gezogen und... verprügelt. Die verpassten mir einen blauen Fleck auf den Auge, in mein Bauch traten diese und knallten meinen Kopf gegen die harte Wand, gingen dann wieder. Diesen Aufschlag vertrug ich nicht mehr, biss mir auf die Unterlippe und humpelte aus dem Klo. Wieso haben die auch so hart auf mein Bein raufgetreten?! Mit dem ersten Bus kam ich zu Hause an und schaffte es unauffällig in mein Zimmer, wo ich mich mit dem Bauch auf die Matratze legte und vor Schmerz aufstöhnte. Mein gesamter Körper zitterte und mir tat alles weh...

Tränen drohten runterzukullern, doch ich unterdrückte diese gerade noch irgendwie.

Noah
Ich wachte erst am Nachmittag auf und fühlte mich tatsächlich, seit langer Zeit mal wieder fit. Es war ein gutes Gefühl, welches jedoch auf direktem Weg verschwand, als ich auf mein Handy sah. In die Gruppe meiner Clique war ein Video geschickt worden und noch bevor ich es abspielte, wusste ich wer in diesem Video zusehen sein würde. Wollte ich mir das wirklich angucken? Zögerlich drückte ich den Playbutton auf dem Display und sah mir das Video an, welches knappe fünf Minuten ging.

Louis hatte Angst, das konnte man sehen, ebenso, dass er keine Chance gegen die anderen hatte. Mein Stiefbruder wurde anschließend zu den Pissoirs gezogen und es geschah das, was ich vermutet hatte. Mit einem schlechten Gewissen stoppte ich das Video und begann auf meiner Lippe herum zu kauen. Musste ich mich schlecht fühlen, weil ich das verhindern hätte können? 
Um mich abzulenken war ich schließlich nach unten gegangen, um etwas zu essen, als Louis auftauchte und sich zu mir setzte.

Mitleidig musterte ich ihn und fühlte mich sofort noch schlechter. Sowas hatte nicht einmal er verdient. Es fiel mir recht schwer noch was zu essen, weswegen ich den Großteil dann einfach stehen ließ.
Die Nacht über wurde ich nun nicht nur von Schlafstörungen, sondern auch von Albträumen verfolgt, welche mich in Louis Situation zeigten, nachdem auch ich mich geoutet hatte. Es war ein schreckliches Gefühl und das schon im Traum. Als ich aufwachte, checkte ich als erstes meine Handy und war erleichtert, dass kein Video angekommen war, da dies bedeutete, dass ihnen das, was sie heute getan hatten nicht spektakulär genug gewesen war. Stattdessen folgte irgendwann ein Bild, welches uns auf der Autofahrt zeigte. 

'Was ist das bitte, Noah?'  - 'Er ist halt eingeschlafen...', lautete meine Antwort und das stimmte ja auch. Sie wollten lieber etwas hören wie 'Die Schwuchtel hat versucht mich anzumachen!' oder 'Ich hätte kotzen können, als ich ihn nicht mehr von mir wegbekommen habe!', doch soetwas würde ich nie im Leben schreiben. 

Auch diese Nacht war nicht besonders schön und der darauffolgende Nachmittag noch viel beschissener. Gegen 14.45 Uhr, vibrierte mein Handy, welches ich mir nichts ahnend griff und mir die Nachricht ansah. Wieder ein Video, welches wohl auf dem Klo aufgenommen wurde. Nur zögerlich drückte ich auf Play und war schockiert von dem was ich sah. Mir wurde kotzübel, da ich das nicht hätte zulassen dürfen.

Ich war nicht besser als die, Louis hatte Recht gehabt. Mit allem. Ich hatte ihn bestrafen wollen, doch aber nicht in so einem Ausmaß. Das Video ging viel zu lang und war viel zu grausam, sodass ich am Ende doch aufs Klo rannte und mich übergab. Scheiße. Wie konnte ich nur mit solchen Leuten etwas zu tun haben? Oder die bessere Frage: Warum waren immer die grausamsten am beliebtesten? Ich fragte mich ob einige Leute dieses Video tatsächlich feierten. 

Nachdem ich meinen Mund ausgespühlt und mein Gesicht mit etwas Wasser gewaschen hatte, ging ich zurück in mein Zimmer. Leute, das war völlig übertrieben! Fehlen euch eigentlich jegliche Gehirnzellen?! - Bleib doch mal locker Noah, die Schwuchtel hat doch nichts anderes verdient! 

Mir fehlten die Worte.
Eigentlich müsste ich mit dem Video zum Direktor gehen und die anderen anscheißen, doch außer einer Suspension von ein paar Wochen würde sowieso nichts passieren und wenn sie dann zurückkamen, würde ich ab dem Zeitpunkt an Louis stelle stehen. Wollte ich das? 

Als ich schließlich hörte, wie sich die Tür nebenan öffnete und schloss, schluckte ich schwer und überlegte was ich machen sollte. Nach einigen Minuten, lief ich nach unten und holte aus dem Gefriehrschrank einen Kühlakku, mit welchem ich mich wieder nach oben begab. Zögerlich klopfte ich an Louis Tür wartete aber gar nicht erst auf eine Antwort und öffnete diese. ''Louis...? Es tut mir leid, wirklich.'', brachte ich recht leise hervor, trat an sein Bett heran und legte ihm den Kühlakku hin.

Wenn ich ehrlich war, hätte ich ihn am liebsten in den Arm genommen und ihm gesagt, dass ich irgendwas dagegen tun würde, doch erstens war ich mir sicher, dass er nicht wollte, dass ich ihn anfasse und zweitens wusste ich auch noch nicht was ich tun würde um das Ganze zu unterbinden und am Ende nicht selbst der Angearschte zu sein. 

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