Kunst - die zweite Hölle

Louis
Ich vertiefte mich richtig in mein Spiel und bemerkte erst gar nicht, dass sich mir jemand näherte. Etwas entspannter lehnte ich mich gegen den Zaun und hörte meinen Magen wieder knurren. Verdammt! Alles, nur wegen diesem undankbarem Arschloch. Hätte ich damals nicht zugestimmt, würde ich jetzt garantiert nicht mit ihm zusammen leben! Doch natürlich konnte ich meine Mutter nicht enttäuschen und sie nicht dazu zu bringen, traurig zu sein, da sie mir alles bedeutete. Sie war alles, was ich hatte. Mehr brauchte ich auch nicht und wollte ich nicht haben.

Seit mein Vater verstorben war, war sowieso nichts mehr beim Alten und den Mann, Matthias, an Mom's Seite, würde ich sowieso niemals akzeptieren können. Wäre mein Vater in den letzten Jahren gestorben, hätte ich das alles sowieso nicht akzeptiert, aber da meine Mutter schon 14 Jahre lang alleine mit mir war, konnte ich es ihr nicht verübeln, sich noch einmal zu verlieben. Ich verstand das. Meine Mom war immerhin noch jung.

Ich erschrak beinahe zu Tode, als eine Tüte direkt auf meinen Schoß flog und ich erst einmal auf den Schatten blickte, dann jedoch mein Blick verzog und diesen Idioten wütend ansah. Woher wusste er bitte, wo ich war? Dabei hatte ich mich doch so bemüht, dass mich keiner entdeckte, wenn ich mich hierhin schlich.

Und ganz ehrlich! Was sollte der Scheiß? Klaut mir wieder mein Essen, was mit viel Liebe von meiner Mutter angerichtet wurde und gibt es mir wieder zurück. Hatte er das auf den Boden geschmissen? Oder ins Klo geschmissen... naja gut.. das wohl nicht. Immerhin war die Tüte trocken.

So gerne wollte ich ihm das Brot ins Gesicht werfen, doch heute musste ich einfach etwas kleines Essen.. sonst würde ich noch umkippen und mir würde dann sowieso keiner helfen. Als er verschwunden war, linste ich in die Tüte und blickte zum belegten Brötchen. Es sah unberührt aus.. noch frisch, doch ich traute ihm einfach nicht. Sollte ich das Essen? 

Hatte er vielleicht eine scharfe Soße unter das Salatblatt geschmiert. Oder vielleicht Zwiebelstücke raufgelegt? Uff.. ich hasse Zwiebeln! Misstrauisch betrachtete ich das Brötchen, hörte dann aber, wie sich mein Magen erneut meldete und nahm mir das Essen in die Hand. Scheiß drauf..! War mir egal, ob dort Gift dran war. Beschissener konnte es doch sowieso nicht mehr werden. Hastig biss ich in das Brot hinein und kaute genüsslich vor mich hin, legte mein Handy auf mein Bein und aß erstmal auf. 

Kurz darauf klingelte es, ich stand auf, packte mein wichtigstes Heiligtum - mein Handy - in meine Tasche und rannte zum Englischunterricht. Wenn meinem Handy etwas passieren würde, war ich wirklich am Ende! Immerhin machte dieses mir mein Leben in der Schule gerade noch so erträglich.
Eine Minute vor dem Unterrichtsbeginn setzte ich mich auf meinen Platz und packte mein Zeug erneut auf. Nur noch 2 Stunden  - dann war dieser Tag vorbei. Kunst und Geografie! Das ging total klar.

Noah
Mir war klar, dass er der Sache nicht über den Weg traute, doch ich meinte es tatsächlich nur gut. Es war nicht so, dass ich ihn nicht leiden konnte, eher im Gegenteil, doch ich tat, was ich tun musste, um meine Position an dieser Schule zu behalten. Ich tat das, was die anderen von mir erwarteten, wie zum Beispiel mit dem Cheerleadercaptain zusammen zu sein. Ich war beliebt und zumindest taten alle so, als würden sie mich mögen. Das beste Beispiel dafür, warum man kein Außenseiter sein wollte war Louis, so Leid es mir auch tat.

Seufzend reihte ich mich wieder in die Gruppe, welche sofort fragte, wo ich denn gewesen war. Doch anstatt ihnen zu sagen, was ich tatsächlich getan hatte, stellte ich einfach einen Gegenfrage über die Party am Freitag, auf welche sie auch direkt eingingen. Kein Wunder. Der Großteil der Leute mit denen ich abhing war sehr oberflächlich. Es interessierte sie nicht welche Probleme man hatte oder wie es einem ging. Das einzige, was ihnen wichtig war, war beliebt zu sein, mit beliebten Leuten abzuhängen, hübsche Mädels an ihrer Seite zu haben und Außenseitern wie Louis das Leben schwer zu machen.

Und ich tat so, als hätte ich die gleichen Wertvorstellungen wie sie, nur um nicht dort zu landen, wo mein Stiefbruder sich befand - allein hinter der Turnhalle, hoffend von niemandem gefunden zu werden. 
Als es klingelte, begaben wir uns in den Englischunterricht, welcher dank der coolen Lehrerin immer recht schnell verging.

Nachdem ich meine Sachen gepackt und den Raum verlassen hatte, trennten sich Kassys und mein Weg. Sie hatte jetzt Musik und Psychologie, wohingegen ich nun Kunst und Geografie hätte. Wie immer tat sie so, als würden wir uns zehn Jahre lang nicht sehen, weswegen ich nur ganz kurz vor dem Klingeln im Kunst - und Georaum auftauchte. 

Mein Blick schwiff über die besetzten Plätze, bis er endlich bei dem letzten freien hängen blieb. Ehrlich? Der einzige noch freie Stuhl, befand sich neben Louis. Nicht, dass ich nicht neben ihm sitzen wollen würde, doch es waren zu viele Augen hier um nett zu ihm zu sein und seine Abneigung gegen mich machte den Platz auch nicht gerade attraktiv. Dennoch schlenderte ich langsam zu dem Stuhl und ließ mich auf diesem nieder, bevor ich meine Federtasche auspackte und auf den Tisch vor mir legte.

Louis
Englisch verging traurigerweise zu schnell und so schlich ich mich schnell auf die verlassene Toilette, spielte ein wenig mit meinem Handy weiter, bis es klingelte, ich dieses mal pünktlich zum Kunstunterricht lief und mich an einem Zweierplatz niederließ, erneut aus dem Fenster zu den Wolken blickte, die gerade die Sonne verdeckten.
Ich breitete mich ein wenig aus, da ich wusste, dass sich jetzt sowieso keiner zu mir setzen würde. Heimlich zog ich mir den Kabel mit den Ohrstöpseln unterm Shirt nach oben bis zum Ausschnitt durch und steckte mir einen in das linke Ohr, da man von dem Winkel aus, ganz bestimmt nicht sehen konnte, dass ich Musik hörte.

Kurz entspannte ich mich, schloss meine Augen, ehe ich merkte, dass sich der Stuhl neben mir rührte und besetzt wurde. Überrascht blickte ich auf und erstarrte, als ich in diese Visage starrte. Nicht sein scheiß Ernst! Konnte er sich nicht woanders hinsetzen? Kurz linste ich durch den Raum und seufzte innerlich. Das war tatsächlich der letzte Platz. Ich glaub es nicht!

"Ich schreibe mir den Sitzplan auf, also setzt euch ab heute immer auf den Platz, auf dem ihr gerade sitzt.", erklärte uns die Kunstlehrerin und ich riss fassungslos meine Augen auf. Das konnte doch nicht sein! Wieso machte sie denn ausgerechnet heute den Sitzplan? Spinnt diese neue Kunstlehrerin denn komplett? Ich wollte nicht neben IHM sitzen. Unter keinen Umständen! Nach der Stunde müsste ich noch einmal mit der Lehrerin sprechen und ihr sagen, dass ich das nicht tun wollte - neben ihm sitzen! Niemals!

Schließlich war das nicht ohne Grund so, dass ich mich stehts relativ weit von ihm wegsetzte! Ich rutschte nun leise knurrend bis zum Ende des Tisches, also so weit es ging, und steckte mir den zweiten Ohrstöpsel ins Ohr, damit ich nur noch mich atmen hören könnte. Furchtbar! Wieso hasste mich Gott bloß so sehr? Was hatte ich ihm nur getan?

Wir bekamen alle ein Blatt ausgeteilt, auf dem unser Auftrag aufgeschrieben stand, ich holte mir direkt Blätter und einen Kohlestift, fing dann an, einen Gegenstand in diesem Raum zu zeichnen und diesen anschließend zu schattieren. Derweil behandelte ich meinen Stiefbruder wie Luft und würdigte Noah kein einziges mal auch nur eines Blickes.

Unerträglich würde der Unterricht für mich werden. Ich wollte jetzt schon nicht mehr und mich einfach in der Stunde auf dem Klo verstecken.
Als es wieder klingelte, wurden mir plötzlich die Ohrstöpsel aus den Ohren gerissen, weshalb ich leicht zusammen zuckte und starr zur Seite blickte, mein Handy schnell von diesen rauszog, welcher dieser bescheuerte, eine Idiot mir aus der Hand zog. "Die sehen ja noch echt neu aus. Danke für das Geschenk, du eklige Schwuchtel."

Das ging sowas von zu weit, doch was sollte ich tun? Weinen? Niemals! Mich mit ihm anlegen? Nope, mein scheiß Bruder und seine Gang würden dem Kerl nur helfen. Ich ballte meine Hand also nur zur Faust, starrte auf meine Zeichnung und spannte meinen Kiefer wieder an.

Ruhig bleiben! Still packte ich mein Zeug zusammen und lief wortlos zu den Toiletten, in die Kabine und schmiss die Tür hinter mir zu. Das war doch echt zum Heulen. Das waren meine Lieblingsohrstöpsel! Ich hatte sie mir erst vor kurzem bestellt, als ich ausreichend Taschengeld bekommen hatte. Denn solche Teile konnten manchmal schon echt teuer sein.

Noah
Mein Blick war auf die Lehrerin gerichtet, doch je mehr ich versuchte Louis Blick zu ignorieren, desto intensiver spürte ich ihn auf mir. Seufzend blickte ich kurz aus dem Augenwinkel zu ihm und bemerkte, wie er so weit wie möglich von mir wegrutschte.

War ich denn wirklich so schlimm? Ich meine, ja es war nicht immer okay was ich tat, aber bis jetzt hatte ich ganz sicher keine Grenzen überschritten. Als die Lehrerin plötzlich etwas von Sitzplan faselte, blickte ich fast schon erschrocken in ihre Richtung. Super. Bis jetzt hatte der Kunstunterricht immer Spaß gemacht, weil es mir leicht fiel und ich immer jemandem zum Quatschen gehabt hatte. Das würde sich nun wohl ändern. Ich hörte schon das tuscheln ein paar Reihen weiter hinten, was mich irgendwie nervös werden ließ. Einfach ignorieren. 

Die Lehrerin verteilte schließlich die Aufgaben und ich begann sie zu erledigen. Es war krass, wie deutlich zu spüren war, dass er mich unter keinen Umständen hier haben wollte. Naja, irgendwie konnte ich es auch verstehen. Aus seiner Sicht, hing ich mit den größten Arschlöchern der Schule rum und gehörte selbst dazu, womit er vielleicht gar nicht so Unrecht hatte. Doch es gab nur zwei Seiten in der Schule und wenn man einmal auf die der Außenseiter gerutscht war, würde man nie wieder zurück kommen.

Sicher wäre Louis nicht weniger beliebt als wir, hätte er sich nicht geoutet. War ihm nicht bewusst gewesen, wie untolerant Jugendliche waren? Oder hatte er einfach drauf geschissen? Wenn ich ehrlich war, beneidete ich ihn sogar für seinen Mut. Ich wusste auch schon lange, dass ich an Mädchen nichts toll fand und dennoch gab es nicht eine Person auf diesem Planeten, die es wusste. Nicht eine. Traurig, nicht?

Hätten die anderen nicht so eine beschissene Einstellung gegenüber anderen Sexualitäten, würde ich da nicht so ein großes Geheimnis drum machen, doch ich wusste, wie sie über Louis redeten und ich wollte nicht, dass mir das auch passierte. Vermutlich wäre ich nicht mal stark genug dafür. Louis allerdings war es. 

Ich brachte meinen Kunstauftrag nur wenig weit, da ich die ganze Stunde über, immer wieder in meinen Gedanken versank und das malen nebenbei vergaß. Als es klingelte, brachte ich das Bild weg, um es ein andermal zu beenden und begab mich zurück zu meinem Platz, wo ich Troy dabei beobachtete, wie er Louis seine neuen Kopfhörer wegnahm. Er wehrte sich nicht, sondern gab stattdessen klein bei und verschwand schnell aus dem Raum. Mein blick lag auf Troy, welcher mich nun auch zu bemerken schien.

''Guck mal Alter!'', meinte er freudig und präsentierte mir seine Beute. Ich setzte ein falsches Grinsen auf und ging zu ihm rüber. ''Cool, kann ich mal dein Handy haben?'', fragte ich nett lächelnd und er reichte es mir, nachdem ich meine Sachen gepackt hatte. ''Das sieht ja noch echt neu aus. Danke für das Geschenk.'', äffte ich ihn nach und ließ sein Handy in meiner Hosentasche verschwinden, bevor ich in Richtung des Ausganges lief.

Er sah mir verwirrt hinterher. ''Alter, gib mir mein Handy zurück!'', gab er aufgebracht von sich und riss mich an der Schulter wieder zu sich herum. ''Was, wieso? Ich dachte es wäre okay Leuten einfach Sachen wegzunehmen?'', antwortete ich kalt und blickte ihm in die Augen. Er schien langsam zu checken was los war. ''Seit wann verteidigst du ihn? Bist du jetzt auch ne Schwuchtel?'' Etwas verwirrt zog ich die Augenbrauen hoch.

''Nein bin ich nicht, ich will nur nicht, dass du irgendwann im Knast landest, weil du irgendwann mehr als nur die Kopfhörer deiner Mitschüler klaust. Also, wenn du dein Handy zurück haben willst, dann gib mir die Dinger zurück.'', antwortete ich.

Natürlich war er nicht der Grund, weswegen ich sie zurück haben wollte, denn das ging einfach zu weit. Jedoch war er dumm genug, mir das abzukaufen, was ich eben gesagt hatte. Er drückte mir schließlich die Kopfhörer in die Hand und umarmte mich. ''Du bist so ein guter Kumpel. Danke, dass dir etwas an mir liegt.'' - ''Ha, ja klar Bruder.'', antwortete ich und drückte ihm sein Handy in die Hand.

Die Kopfhörer meines Stiefbruders steckte ich schließlich ein, da ich sie ihm erst zu Hause wieder geben würde. Hier war die Gefahr zu groß, dass es jemand sehen könnte. 
Ich begab mich schließlich in den Geografieraum und nahm auf meinem üblichen Platz recht weit hinten an der Wand platz. Dass Troy irgendwas erzählen würde glaubte ich nicht, denn dann müsste er ebenso erwähnen, wie ich ihn in seine Schranken gewiesen hatte und das würde er nicht tun. Also konnte ich den Rest des Tages mit beruhigtem Gewissen durchs Leben gehen.

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Bitte empfehlt die Story weiter, wenn sie euch gefällt. ;-;
Ich hoffe, dass ihr das Leseprinzip verstanden habt (und nicht verwirrt o.ä seid). ^-^
Frohe Weihnachtstage. :)

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