Flucht
Louis
Seit zwei Wochen waren meine einzigen Gesprächspartner Mom und sein Dad gewesen, was dazu führte, dass ich viel mehr nachdachte, als zu reden und Noah ziemlich vermisste.
Gerne hätte ich meine Gedanken mit jemandem teilen wollen, doch da gab es keinen in meinem Leben. Ich war alleine. Immerhin hatte ich keine Freunde, wurde aber auch seit dem Vorfall nicht mehr gemobbt oder zusammen geschlagen. Das war der einzige Vorteil an allem.
Dennoch ließ ich mich nicht aus der Bahn bringen und begann täglich, wie ein verrückter vorweg zu lernen, weshalb sich meine Noten besserten.
Zeit für sowas hatte ich ja wohl mehr als genug, da sich ja sowieso kein Schwein, außer meine Mom und sein Dad um mich kümmerten. Mittlerweile machte ich mit Mom auch Kinoabende, wie wir sie früher immer zu zweit gemacht hatten und ging seit neustem, regelmäßig joggen, wobei ich mehr oder weniger 2 Kilo verlor, auch wenn man das nicht unbedingt an mir sah.
Öfter stellte ich mich einfach vor das Fenster und fing an zu weinen. Ich hasste mich dafür, dass ich diesen Streit solange hinausgezogen hatte und nichts mehr mit ihm tun konnte, ihn nicht lachen hörte und nicht mehr glücklich mit ihm sein konnte.
Das Gefühl allein zu sein, zerstörte mich innerlich einfach nur. Ich konnte nicht mehr.
Als es langsam zu Dämmern schien, zog ich mich um, verließ das Haus und joggte eine glatte Stunde durch die Gegend, bis es mir wirklich zu dunkel wurde und ich nach Hause kehrte. Auch beim Joggen vertiefte ich mich immer wieder mal in meine Gedanken meine Träume mit meinem verstorbenen Vater oder ab und an, dachte ich auch über die tollen Tage mit Noah.
Hassen war vielleicht ein viel zu böses Wort gewesen, doch vor zwei Wochen empfand ich nur Wut, seitdem er mir von dem Sex erzählt hatte, wo ich bis jetzt nicht verstand, wie es überhaupt dazu gekommen war.
Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, was ich selber in der Zeit getan hatte,wo das passiert war. Ob es mir denn selber gefallen hatte?!
Am liebsten hätte ich das mit klaren Gedanken, wenn schon, getan.
Zu Hause angekommen, duschte ich wie üblich, zog mich an und putzte mir die Zähne, nachdem ich meine Haare geföhnt hatte. Meine Haare zu stylen ließ ich aber sein. Ich hatte kein Bock mehr darauf.
Wie üblich schnappte ich mir im Wohnzimmer ein Toast mit Marmelade, warf mich auf die Couch und schaltete den Fernsehr an.
Unsere Eltern waren bereits am Schlafen, weshalb ich mir nun heimlich das Nutella-Glas mobbste und etwas von der Creme vom Löffel abschleckte. Irgendwann später legte ich mich - wie im Bett - auf die Couch und schlief ein.
Noah
Wenn ich nicht zu sehr an meinen Gedanken klammerte, lauschte ich den Geräuschen im Haus und hörte, wie Louis irgendwann für eine gewisse Zeit verschwand, dann wieder kam und duschen ging. Vermutlich war er joggen gewesen.
Ich hörte, wie er nach unten ging und unsere Eltern irgendwann wieder herumliefen, wie sie im Bad verschwanden und anschließend wieder zurück liefen und es leise wurde. Komplett leise. Es war nicht besonders spät, vielleicht gegen zehn, als man absolut nichts mehr hörte.
Das erste Mal, nachdem ich aus der Schule gekommen war, bewegte ich mich wirklich und stand langsam auf. Mein erster Weg führte mich ins Bad, wo ich mich duschte und mir die Zähne putzte. Den Blick in den Spiegel mied ich, wie schon in der gesammten letzten Woche.
Vermutlich konnte ich mir selbst nicht mehr in die Augen sehen. Meine Haare hingen mir nass ins Gesicht, als ich das Bad verließ und langsam nach unten lief. Mit jeder Stufe, wurden Stimme lauter, die ich zunächst nicht wirklich zuordnen konnte. Ich blieb eine Weile lang auf der Treppe stehen.
Was wenn Louis noch wach war? Der Grund, warum ich erst jetzt aufgestanden war, war der, dass das Risiko ihm zu begegnen wirklich, wirklich klein war. Ich ertrug das einfach nicht mehr. Für einige Minuten lauschte ich den Stimmen aus dem Fernseher, konnte aber keinerlei Geräusche ausmachen, die von Louis ausgingen. Vielleicht schlief er.
Leise schlich ich in die Küche, in welcher ich mir ein Glas Wasser eingoss und dieses in einem Zug wegtrank. Nachdem ich es in die Spühlmaschine gestellt hatte, lief ich langsam zum Wohnzimmer, wo ich Louis schlafend auf der Couch entdeckte.
Nachdenklich begann ich auf meiner Lippe herum zu kauen. So sehr ich es auch wollte, ich konnte ihn nicht einfach so liegen lassen. Dafür war es hier viel zu kalt. Leise schlich ich zum Sessel und schnappte mir die Decke, welche auf diesem lag. Schon jetzt pochte mein Herz deutlich schneller, da ich Angst hatte ihn zu wecken und verachtend angeblickt oder angeschrien zu werden.
Ich breitete die Decke aus und legte diese so vorsichtig wie möglich auf Louis ab, darauf bedacht ihn nicht zu berühren oder zu laut zu sein. Das letzte Ende, ließ ich mehr oder weniger auf ihn Fallen, nur um seinem Gesicht nicht zu nahe zu kommen. Ein kleiner, erleichterter Seufzer verließ meine Lippen, als er sich vorerst nicht bewegte.
Als nächstes schnappte ich mir das Glas Nutella, sowie den Löffel und die Fernbedienung und verschwand damit in der Küche. Den Löffel platzierte ich in der Spühle und das Nutellaglas an seiner Stelle. Auf dem Weg zurück ins Wohnzimmer, stieß ich mit dem Fuß gegen den Schrank und begann mit gedämpfter Stimme zu fluchen. ''Verdammte Scheiße!''
Warum wollte ich auch unbedingt diesen bescheuerten Fernseher aus machen?!
Louis
Von dem einen Moment auf den anderen, wurde es plötzlich sehr warm auf mir, weshalb ich mich lächelnd an die Decke schmuste und in Ruhe weiterschlummerte, bis ich irgendeinen Laut hörte und leicht blinzelte. Vor mir stand keiner.. und hinter mir?
"Mom?", fragte ich mit leiser Stimme nach, neigte meinen Kopf müde zur Seite und blickte direkt in Noahs Augen, welchem ich nur einen kurzen emotionslosen Blick schenkte und mich umdrehte. Ich wusste nicht, was ich sonst hätte tun sollen, da ich kurz davor war, anzufangen zu weinen.
Da ich es nicht mehr aushielt, setzte ich mich nun hastig auf, legte die Decke auf den Sessel zurück und ging dann, ohne ihm etwas zu sagen, nach oben auf mein Zimmer zurück, wo ich mich laut seufzend auf das Bett warf und nachdenklich an die helle Decke über mir sah.
Nicht weinen, nur nicht weinen.
Wieso war Noah immer noch so süß, obwohl ich ihm gesagt hatte, dass ich ihn hasse, auch wenn ich es nicht so gemeint hatte?!
Einige Minuten drehte ich mich nun hin und her und schlug auf mein Kissen ein. Hätte ich doch bloß nichts getrunken, als es passiert ist.
Ich hätte lieber so Sex mit ihm gehabt, als wenn ich betrunken wäre. Ehrlich jetzt. Und vergeben hatte ich ihm auch schon längst, nur war ich noch zu unsicher, wie ich ihm entgegen treten sollte. Die ganze Zeit dachte ich nur noch, wie ich den perfekten Moment erwische, um mit ihm zu reden. Das war mein sehnlichster Wunsch, ich wollte einfach alles geklärt haben und mich selber für meinen Ausraster entschudigen. Das hatte ich ja selber eingesehen.
Noah
Als ich dann Louis leise Stimme hörte, verstummte ich sofort und hoffte, er würde einfach weiterschlafen. Dank meines Fußes, der sich so anfühlte als würde er jeden Moment abfallen, konnte ich auch nicht schnell genug reagieren, um entweder in die Küche oder einfach hoch zu rennen, sodass ih seinen Blick direkt abfing.
Nachdem ich ihm für einen Moment in die Augen gesehen hatte, wendete ich meinen Blick zum Boden und starrte auf meinen Fuß, welcher wohl morgen blau werden würde. In den zwei Wochen hatte sich also absolut gar nichts geändert. Lag ich damit richtig?
Bis er an mir vorbei nach oben gerauscht war, bewegte ich mich keinen Millimeter mehr, fast so, wie ein eingeschüchtertes Tier, das darauf hoffte, nicht gesehen zu werden. Das ironische war, dass ich eigentlich der größere und auch stärkere war, der trotzdem derjenige war, der vor den Handlungen des anderen Angst hatte.
Louis war Klasse darin üble Spielchen mit der Psyche zu treiben, die weitaus schlimmer war, als körperliche Gewalt.
Nachdem oben die Zimmertür ins Schloss gefallen war, schaltete ich den Fernseher aus und begab mich selbst, so leise wie möglich in mein Zimmer. Langsam verkroch ich mich unter der Decke und begann die Wand über mir anzustarren.
Am liebsten würde ich dieses Zimmer einfach nie wieder verlassen, sodass ich Louis nicht begegnen musste, mein Dad mir nichts mehr vonwegen Schulnoten erzählte und Ella mich nicht immer so besorgt ansah. Die mussten doch glauben ich würde total übertreiben, weil es ja 'nur' um das Football-Team ging. Wäre es nur das, würde ich vermutlich noch vergnügt umherspringen, halbwegs schlafen können und auch noch etwas essen.
In den letzten zwei Wochen, hatte ich so gut wie nichts gegessen, da ich 1) kein Hunger hatte und mir 2) schlecht wurde, wenn ich das Essen nur ansah. So hatte ich zwischendurch vielleicht mal einen Apfel gegessen oder ganz selten tatsächlich auch mal ein paar Bissen vom Abendbrot oder Frühstück. Auf die Wage im Bad, traute ich mich um ehrlich zu sein erst gar nicht, da ich wusste, dass ich es weder nötig hatte abzunehmen, noch abnehmen wollte. Doch genau das würde der Fall sein.
Seufzend drehte ich mich immer wieder hin und her. Louis Blick von eben, schwirrte vor meinem inneren Auge herum und ließ mich mich noch schlechter fühlen, als ich es sowieso schon tat. Langsam wischte ich ein paar Tränen von meinen Wangen und setzte mich auf.
Ich muss hier raus! Ich konnte das nicht mehr. Wenigstens für ein paar Tage wollte ich einfach nur raus. Weg, um Louis nicht zu sehen, weg um nicht in die Schule zu müssen, weg um Ellas besorgte Blicke nicht mehr ertragen zu können, weg, um endlich mal wieder durchatmen zu können.
Leise kletterte ich aus meinem Bett und schnappte mir meine Reisetasche, welche ich mit Klamotten für fünf Tage befüllte. Dazu packte ich noch mein Portemonnaie, mit Personalausweis und Kreditkarte und zwei Flaschen Wasser. Anschließend zog ich mir etwas an, putzte mir erneut die Zähne und packte die Zahnbürste, sowie die Zahnpasta und mein Duschzeug ebenfalls in die Tasche. Danach zog ich mir noch etwas wärmere Sachen an und rief mir ein Taxi, welches mich zum Flughafen bringen sollte. Ja, Flughafen.
Ich wollte nicht hier in Deutschland blieben. Ich wollte irgendwo hin, wo ich abschalten und für einige Momente mal alles vergessen konnte. Am Flughafen angekommen, stand ich eine Weile vor den Anzeigetafeln, ehe ich mich für Prag entschied. Der Flug war recht günstig und ich wusste, dass man dort gut feiern konnte, wenn man wollte und vielleicht war es das, was ich gerade brauchte.
Es dauerte keine Stunde, seit meinem Aufbruch von zu Hause, bis ich im Flugzeug saß und wir starteten. Mein einziges Handgepäck war mein Portemonnaie, denn mein Handy hatte ich zu Hause gelassen. Ich wollte keine Anrufe, keine SMS.
Dass es meinem Dad gegenüber nicht fair war, war mir klar, doch er hätte mich davon abgehalten Montag Nacht einfach in ein anderes Land zu fliegen. Vielleicht war es also ganz gut so.
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