Kapitel 8 (He)
Ich ging einfach. Die ganze Situation war mir unangenehm. Außerdem wollte ich meine Ruhe haben. Eigentlich hatte ich nicht vorgehabt, Melody so anzufahren, doch ich war eh schon genervt gewesen. Dadurch da sie gerade da war, hatte sie es halt abbekommen, dabei konnte sie eigentlich gar nichts dafür. Ich war das Problem.
Hastig verließ ich den Park und machte mich auf zum nächsten Supermarkt. Mit einem Sixpack Bier und Zigaretten verließ ich ihn schließlich wieder und ging nach Hause. Lucy war zum Glück mal wieder bei Cassandra, sodass ich allein in der Wohnung war. Ich betrat den kleinen Balkon und stützte mich auf dem Geländer ab. Ich war umgeben von Pflanzentöpfen und neben mir in der Ecke stand ein kleiner Gartentisch mit zwei Stühlen. Ich zündete mir eine Zigarette an und zog daran. Rauchen war eine gute Nebenbeschäftigung, wenn ich Nachdenken wollte.
Melody wollte mir nicht aus dem Kopf gehen. Sie war anders als alle anderen in der Gruppe. Sie wirkte nach außen hin nicht so... depressiv, eher lebendig. Genau das machte sie interessant, dennoch wollte ich mich weiterhin von ihr fernhalten. Nie wieder jemandem vertrauen, das hatte ich mir geschworen. Niemals.
Ein paar Tage später...
war es wieder soweit, ich musste zu dieser bescheuerten Selbsthilfegruppe. Lucy persönlich fuhr mich zu dem großen alten Gebäude, um sicher zu gehen, dass ich auch wirklich hinging. Ist ja nicht so, dass ich beim ersten Mal auch da war. Während der Fahrt versuchte sie immer wieder ein Gespräch aufzubauen, doch ich blockte jedes Mal ab. Irgendwann gab sie seufzend auf und drehte einfach das Radio lauter, um eine peinliche Stille zu vermeiden.
Wie nicht anders erwartet, redeten wir nur über alles mögliche. Die Frau, ich hatte ihren Namen schon wieder vergessen, redete von sich selbst und was sie alles durchgemacht hatte und dass wir, wenn wir es wollten, alles schaffen konnten.
Ich hörte nicht wirklich zu, sondern beobachtete die anderen. Die meisten hörten zu oder starrten mit einem leeren Blick auf einen unbestimmten Punkt im Raum. Es war ziemlich deprimierend, hier sitzen zu müssen.
Melody hingegen schien auf das Ganze genauso wenig Lust zu haben wie ich. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und schien in Gedanken zu sein. Mir viel besonders ihr schwarzer Cardigan auf, den sie trug. Zuerst wunderte ich mich, dass ihr nicht unheimlich warm war in dem Ding, bis ich dann eine Vorahnung hatte. Ich wollte sie nachher unbedingt darauf ansprechen.
Als die Sitzung endlich vorbei war, bemerkte sie es erst gar nicht. Erst als ich sie anstupste, schreckte sie aus ihren Gedanken auf. "Guten Morgen", sagte ich und sie sah mich mit einem verwirrten Blick an. Dann nickte sie und stand auf. Melody verließ hinter mir den Raum und als wir draußen auf dem Parkplatz angekommen waren, blieb ich stehen und drehte mich zu ihr um. Ich hatte beschlossen sie dirkt darauf anzusprechen. "Ist dir nicht warm?" Verwiert sah sie mich an. Was meinst du?"
Mit einem Nicken wies ich auf ihren Cardigan.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah mich misstrauisch an. "Du hast doch selber eine Jacke an." Sie war clever, aber ich würde sie schon zum Reden bringen.
"Vielleicht ist mir ja kalt"
"Es ist Sommer", erwiderte sie und legte den Kopf schief, sodass ihr einige Strähnen ins Gesicht fielen.
"Also müsste dir ja auch warm sein?"
Melody ließ die Arme sinken. Jetzt hatte ich sie. Sie wusste keine passende Ausrede mehr. "Also sag's mir: Warum hast du eine Jacke an?" Dieses Mal verschränkte ich die Arme und sah sie scharf an.
"Warum willst du das wissen?", entgegnete sie.
"Darf man sich nicht für seine Mitmenschen interessieren?"
Sie hielt kurz inne und schien zu überlegen. Dann sagte sie: "Okay. Ich sage es dir. Aber nur, wenn du mir sagst, warum du eine Jacke anhast. Deal?", auffordernd sah sie mich an. Ich seufzte und nickte schließlich.
"Okay", sagte Melody, sah sich um und begann dann langsam ihren rechten Ärmel nach oben zu schieben. Dünne, dicke, lange, kurze, verblasste und noch ganz frische Narben zeichneten sich auf ihrer Haut ab. Erwartungsvoll darüber, wie ich reagieren würde, sah sie mir direkt in die Augen. Doch anstatt etwas zu sagen, tat ich es ihr einfach nach und zog ebenfalls meinen Ärmel weg. Ihr Blick glitt über die farbigen Bilder in meiner Haut, die meine Vergangenheit widerspiegelten und sie gleichzeitig verdeckten.
Melody nahm mit der rechten Hand meinen Arm und drehte ihn so, dass man die Unterseite betrachten konnte. Behutsam hob sie ihre andere Hand und fuhr mit den Fingerspitzen vorsichtig die verblassten Striche, welche sich zwischen den Tattoos befanden, entlang. "Warum?", fragte sie kaum hörbar und sah mir direkt in die Augen. In ihrem Blick lag ein Hauch von Traurigkeit. "Das könnte ich genauso fragen", behauptete ich und erwiderte ihren Blick. "Ich hab zuerst gefragt", meinte sie und ich seufzte. "Nicht hier", sagte ich und ergriff ihre Hand, um sie mit mir zu ziehen.
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