Kapitel 54 (He)
Da es vor laanger Zeit zwei Mal hintereinander ein Melody-Kapitel gab, gibt es nun zwei Luke-Kapitel.
(Vielleicht werden es sogar drei)
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"Ich will ja nichts sagen, aber du siehst schrecklich aus."
Schon früh saß ich bei Lucy im Wagen und war mit ihr auf dem Weg ins Krankenhaus. Ich war heilfroh, dass sie mich in der Schule krank gemeldet hatte. Ich wusste nicht, ob ich es dort ausgehalten hätte.
"Danke." Ich seufzte kurz und strich mir durch die Haare. Leicht schmunzelnd blieb sie an einer roten Ampel stehen.
"Ich bin deine Schwester, ich bin dazu verpflichtet, ehrlich zu dir zu sein. Sag mal, soll ich dann vielleicht mit reinkommen? Nur falls.."
"Nein."
"Aber-"
"Ich habe 'nein' gesagt."
Lucy seufzte und fuhr wieder los. "Gut dann nicht. Wie du willst."
"Sorry, aber ich muss da alleine durch. Du kannst ja im Nachhinein mit ins Zimmer kommen." Sie warf mir einen kurzen Blick zu und parkte dann in einer freien Lücke auf dem Parkplatz des Krankenhauses. "Das wird schon."
Gemeinsam stiegen wir aus. Lucy griff schnell nach dem bunten Strauß Blumen, der auf der Rückbank lag, und wir bewegten uns auf das große, weiße Gebäude zu.
Am Empfang fragten wir nach Melody und suchten dann das richtige Zimmer. Als wir es gefunden hatten, blieben wir davor stehen und ich starrte zu Boden. "Jetzt geh' schon rein", sagte Lucy ermutigend. "Ich warte hier und komme dann nach." Sie lächelte mir zu und ich drückte langsam die Klinke nach unten, um anschließend die Tür zu öffnen.
Drinnen saßen Melodys Eltern auf zwei Plastikstühlen, die direkt neben ihrem Bett standen. Ihre Mum hielt ihre zarte, blasse Hand und redete leise mit ihr.
Als ich die Tür hinter mir ins Schloss drückte, sahen beide überrascht auf.
"Luke!", sagte Mr. Johnson erfreut und musterte mich dann mit einem mitleidigen Blick.
Andrea sagte gar nichts, sondern wandte sich einfach wieder ihrer Tochter zu. Ich ging ein paar Schritte auf das Krankenbett zu, blieb dann aber mit einem gewissen Abstand stehen. Unsicher schaute ich durch die Gegend und traute mich nicht, näher zu kommen.
Ihr Dad bemerkte dies schließlich und sagte lächelnd an mich gewandt: "Ich glaube, wir gehen dann mal. Dann hast du mit Melody deine Ruhe." Mit einem leicht scharfen Ton fügte er noch hinzu: "Nicht wahr Andrea?" Diese nickte stumm und erhob sich von ihrem Platz. Kurze Zeit später schlossen sie die schwere Tür und ließen mich mit Melody allein.
Ich bewegte mich auf sie zu und setzte mich auf die Bettkante. Ich schaute auf ihre geschlossenen Augen. Sie sah so friedlich aus, als würde sie jeden Moment wieder aufstehen und mich anlachen.
"Hey", flüsterte ich und berührte ihre Hand. Sie war noch immer kalt. "Ich weiß nicht so recht, was ich sagen soll." Für einen kurzen Moment lachte ich. Dann strich ich vorsichtig mit einem Finger über ihre Hand und schließlich ihren Arm hinauf. Entlang über all die rosa Narben.
"Du fehlst mir, Melody." Eine kleine Träne bildete sich.
"Du hast das alles hier gar nicht verdient."
Ich warf einen Blick auf die vielen Geräte, an die sie angeschlossen war. Für ein paar Minuten lauschte ich dem Piepen, bevor ich fortfuhr.
"Komm' bitte ganz schnell wieder, okay? Wir brauchen dich." Ich seufzte. "Beziehungsweise ich brauche dich. Und Adam...und deine Eltern." Ich starrte aus dem Fenster und sah dabei zu, wie langsam die bunten Blätter in sanften Bewegungen zu Boden segelten.
"Ich war schon Mal in so einer Situation, weißt du?"
Eine weitere Träne lief. "Damals...damals war ich noch ganz klein." Ich lachte leicht. "Das kann man jetzt nicht mehr von mir behaupten." Dann wurde ich wieder ernst.
"Ich erinnere mich noch ganz genau, wie Lucy es mir mitgeteilt hatte. Sie holte mich früher aus der Schule, mit der Begründung, dass etwas mit 'Mummy' wäre. Klar habe ich mir Gedanken gemacht, aber ich war noch zu jung, um zu realisieren, was das heißen könnte.
Lucy war damals natürlich selbst noch in der Schule, die aber direkt in der Nähe von meiner war, sodass sie schnell bei mir war. Wir sind dann zusammen nach Hause gelaufen und dort habe ich dann erst erfahren, was eigentlich los war. Ich-"
Ich stoppte, als die ganzen schrecklichen Erinnerungen wieder hoch kamen.
"Sorry." Ich suchte in meiner Jackentasche nach einem Taschentuch und wischte mir über die Augen.
"Weißt du wie es ist, als Zehnjähriger nach Hause zu kommen und zu erfahren, dass du deine Mutter nie wieder lebend sehen wirst?"
"Ich weiß noch, wie Lucy geweint hat. So traurig habe ich sie noch nie zuvor gesehen...
Erst im Krankenhaus, als ich Mum an all den Maschinen hängen gesehen habe, kam es in meinem Kopf an. Sie hätte das nie überleben können. Sie wurde lediglich nochmal ins Krankenhaus gebracht, damit wir uns von ihr verabschieden konnten. Und um uns zu beruhigen." Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen. "Es sah ganz genauso aus wie hier. Stell dir vor, selbst Dad hatte sich von ihr verabschiedet. Damals habe ich es für Heuchelei gehalten aber heute...
Vielleicht meinte er es ja doch ernst. Immerhin waren sie eine Ewigkeit verheiratet gewesen."
Ich machte eine Pause.
"Jeder noch so harte Mensch hat irgendwo einen weichen Kern...
Wir haben derweil draußen vor dem Zimmer gewartet, während Lucy mich weinend fest an sich gedrückt hielt. Ich habe schon damals versucht, mir das Weinen zu unterdrücken. Ich wollte stark sein. Für sie."
Ich wandte mich wieder Melody zu. "Dann wurde ich hineingelassen. Ich stand unbeholfen in der Ecke herum, bis ich schließlich auf sie zugerannt bin und mich auf ihr Bett geschmissen habe. Ich habe mich ganz fest an ihren Körper gedrückt und immer wieder geflüstert, sie solle wieder aufwachen. Doch das ist sie nicht. Nie."
Ich musste schluchzen und brauchte eine Weile, bis ich mich wieder eingekriegt habe.
"Das Ganze ist jetzt bald sieben Jahre her. Und um ehrlich zu sein, habe ich bis heute nicht damit abgeschlossen. In den vielen Jahren war ich nicht einmal an ihrem Grab.
Ich... habe mich nicht getraut, schätze ich. Eine Zeit lang habe ich auch gar nicht mehr an sie gedacht aber..."
Ich richtete meinen Kopf zur Decke und schloss die Augen. Mit zusammengepressten Lippen flüsterte ich mit tränenerstickter Stimme: "Sie fehlt mir, weißt du? Sie fehlt mir so sehr... Ich- Ich möchte sie nur noch einmal in meinen Armen halten können und ihr sagen, wie sehr ich sie vermisse."
Nach einer langen Pause öffnete ich meine Augen wieder und sah erneut zu Melody. "Wach bitte ganz schnell wieder auf, okay? Ich ertrage das Ganze nicht noch ein zweites Mal."
Dann saß ich einfach nur noch auf der Bettkante, hielt Melodys Hand und betete, dass sie die Augen öffnete.
Irgendwann kam Adam an. Er klopfte und kam nach einem kurzen Zögern ins Zimmer. Als er mich bei Melody sah, lächelte er kurz und zog sich dann einen Stuhl heran.
"Wie geht es ihr?"
Ich zuckte mit den Schultern. "Besser als gestern schätze ich. Ich wünschte, wir könnten sie selbst fragen." Adam legte eine Hand auf meine Schulter.
"Hör auf so negativ zu denken, das tut dir nicht gut. Melody schafft das, ich bin mir ganz sicher." Er lächelte.
"Ich wünschte, ich könnte dir glauben", murmelte ich kaum hörbar und schüttelte dann den Kopf, um anschließend etwas lauter zu sagen: "Du hast Recht. Wir sollten positiv bleiben."
Nur leider, war positives Denken noch nie so meine Stärke gewesen. Das wurde mir schon früh genommen.
Wir saßen noch eine ganze Weile bei ihr, doch irgendwann kam der Arzt und bat uns, vorerst zu gehen. Melody müsste untersucht werden und bräuchte weiterhin viel Ruhe.
"Er ist der Profi. Er weiß, was er tut", sagte Adam und wir gingen in die Kantine des Krankenhauses, da Adam meinte, Essen hebt die Laune.
Ich bewunderte ihn dafür, wie er selbst in solch einer Situation stets positiv blieb.
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