Kapitel 39 (He)
Nach dem "Gruppenkuscheln", wie Adam es so schön nannte, redeten wir noch eine ganze Weile. Zu meinem Erstaunen tauchte Flora dieses Mal nicht auf. Generell hatte ich sie heute noch gar nicht gesehen, also entschloss ich mich einfach mal Melody nach ihr zu fragen. Diese zuckte nur mit den Schultern und sagte: "Keine Ahnung, mir ist sie heute auch noch nicht unter die Augen getreten. Zum Glück, sie kann mir ruhig gestohlen bleiben."
Nach der Mittagspause gingen wir alle wieder in unseren Unterricht. Während ich so dasaß und mit einem Ohr dem Gerede des Lehrers zuhörte, dachte ich über die vergangenen Tage nach und schaute aus dem Fenster. Es hatte nicht lange nachdem wir nach drinnen gegangen waren, angefangen zu regnen. Dicke Tropfen fielen nun vom Himmel und platschten gegen die Glasscheibe, um anschließend an ihr langsam herunterzukriechen. Erst als ich vom Lehrer ermahnt wurde, dass ich doch gefälligst in seiner Stunde aufpassen solle und was für eine Frechheit es doch sei, nicht das zu tun, was er von mir wollte, wandte ich meinen Blick von der Außenwelt ab und versuchte mich auf den Unterricht zu konzentrieren, was allerdings nicht so leicht war, wenn man ausgerechnet bei so einem alten Griesgram wie dem da vorn an der Tafel Geschichte hatte.
Nach der Schule ging ich mit dem Strom der vielen Schüler, die es nicht erwarten konnten, endlich aus der Schule zu kommen, mit raus. Unter ihnen fiel mir Melody auf, die sich die Kapuze ihrer dünnen Jacke über den Kopf zog, damit sie nicht nass vom Regen wurde. Eilig lief ich zu ihr hin. "Hey! Ist ja nicht gerade tolles Wetter heute, hm", versuchte ich ein Gespräch anzufangen. Seufzend sagte sie: "Das kannst du laut sagen. So wie es aussieht schaffe ich es wahrscheinlich nicht einmal trocken bis zur Bushaltestelle." "Dagegen habe ich was", sagte ich und setzte meinen Rucksack ab, um danach schnell meine dunkle Jacke auszuziehen, damit ich sie ihr anbieten konnte. Melody allerdings hob sofort abwehrend die Hände und sagte: "Nein, behalte du sie lieber. Sonst wirst du noch nass." "Mir geht's super, ich habe ja noch meinen Pullover. Du allerdings hast nur dieses dünne Teil und ein T-Shirt an; Also nimm sie." Erneut hielt ich ihr meine Jacke unter die Nase und dieses Mal nahm sie sie auch etwas verlegen an. "Danke Luke." Danach umarmte sie mich lächelnd. " 'Retter Luke: Stets zu ihren Diensten', schon vergessen?", fragte ich und Melody fing an zu lachen. "Nie im Leben."
Dann gingen wir gemeinsam nach draußen und ich begleitete Melody noch ein Stück, bis ich zu meiner eigenen Haltestelle abbiegen musste. Wir umarmten uns noch einmal zum Abschied und ich gab ihr einen Kuss auf den Scheitel. Danach huschte sie schnell zu den anderen, gerade noch rechtzeitig, da der Bus nicht mehr weit war.
Natürlich kam ich klitschnass zu Hause an, da hatte auch der Pullover nicht geholfen, aber das war mir egal. Solange es Melody warm und trocken hatte.
Nachdem ich in unserer Wohnung angekommen war, musste ich feststellen, dass Lucy noch auf Arbeit war. Ich machte mir etwas zu Essen und setzte mich anschließend an meine Hausaufgaben.
Es war an sich ein ziemlich langweiliger Tag, an dem nicht wirklich etwas passiert war.
Der Darauffolgende begann hingegen etwas spannender. Ich war gerade am Zähne putzen, da klingelte unser Telefon. Lucy eilte in den Flur und nahm ab. Nachdem sie fertig war und wieder aufgelegt hatte, kam ich noch mit der Zahnbürste im Mund aus dem Bad und erkundigte mich etwas unverständlich nach dem Gespräch. "Das war Dad", sagte sie langsam. Schlagartig nahm ich die Zahnbürste aus meinem Mund und fragte: "Was wollte er?" "Sich mit uns treffen." "Uns?", wiederholte ich. "Ja uns. Mit dir und mir. Was sagst du?" "Wann?", fragte ich. "Heute." "Heute?" Lucy schaute genervt. "Bist du schwerhörig oder warum wiederholst du alles?" Ich entschuldigte mich kurz und sagte: "Aber heute ist die Selbsthilfegruppe." Jetzt verschränkte sie die Arme vor der Brust. "Seit wann interessierst du dich bitte für die Gruppe? Komm schon Luke, warum willst du nicht?" Langsam wurde ich energischer. "Was erwartest du bitte von mir? Dass ich vor Freude in die Luft springe?" "Nein, aber dass du etwas mehr Engagement zeigst. Ich weiß, es ist nicht leicht jemandem zu verzeihen, egal was er getan hat, aber vielleicht ist es langsam an der Zeit, die Vergangenheit hinter sich zu lassen", sagte Lucy ernst. Ich zuckte mit den Schultern und ging ohne ein weiteres Wort zurück ins Bad, um meine morgentliche Routine zu beenden. Als ich schließlich zur Schule aufbrechen wollte, wurde ich an der Tür noch einmal von Lucy zurückgehalten: "Denk bitte nochmal drüber nach und sag mir heute Nachmittag Bescheid."
Später in der Schule hielt ich nach Melody Ausschau und erkundigte mich bei ihr, wie es mit der Sache wegen ihrer Vermutung aussah. "Nichts neues", sagte sie irgendwie erleichtert. "Ist vielleicht auch besser so. Ich kann derzeit noch mehr Drama nicht ertragen." Ich seufzte und sagte: "Also soll ich lieber gar nicht erst anfangen?" Sofort wurde sie hellhörig und schaute mich besorgt an: "Was ist los?"
Ich erzählte ihr von dem Gespräch mit Lucy heute Morgen. "Wärst du denn bereit dafür?", fragte Melody zögerlich. "Bereit dafür, mit meinem Vater zu sprechen? Ich weiß es nicht." Sie nickte stumm und sah mich an. "Vielleicht ist es ja wirklich langsam Zeit." Ich lachte kurz ironisch. "Ja, das hat Lucy auch schon gesagt, aber ich weiß nicht, ob ich das überhaupt will. Vielleicht will ich ihm ja auch gar nicht verzeihen." Nachdenklich runzelte sie die Stirn: "Jeder Mensch verdient eine zweite Chance." Seufzend nickte ich. "Ich weiß. Vielleicht will er ja aber auch aus einem ganz anderen Grund mit uns reden. Wer weiß was ihm wieder eingefallen ist", dachte ich laut nach.
"Egal was es ist, du schaffst das schon. Ich bin mir sicher, dass das Treffen besser ablaufen wird als du es dir vorstellst", sagte sie aufmunternd und nahm mich mit einem Lächeln kurz in den Arm. Ich lächelte zurück. "Danke. Aber lass uns jetzt über was anderes reden, bitte." Melody nickte. "Okay. Schlag was vor."
"Schönes Wetter heute!", sagte ich und sie begann zu lachen. "Dein Ernst? Was besseres ist dir nicht eingefallen?" Gespielt verärgert verschränkte ich die Arme vor der Brust. "Hey, ich musste improvisieren okay?"
Melody schmunzelte. "Somit gehört Improvisieren schon mal nicht zu denen Stärken." "Habe ich auch nie behauptet." "Mr. Brown, gewieft wie Eh und Je", lachte sie und boxte mir leicht an die Schulter. Wir alberten noch eine ganze Weile miteinander herum. Dass wir dabei von vorbeikommenden Schülern gemustert und schief von der Seite angeguckt wurden, blendeten wir total aus. Wir fokussierten uns nur auf unseren Gegenüber, unser Umfeld spielte dabei keine Rolle. Sollten sie doch denken, was sie wollen.
Allerdings konnten wir nicht ewig so weiter machen und so kam es, dass es wenig später zum Unterricht klingelte. "Okay, ich muss dann wohl", sagte sie.
"Okay."
Ich umarmte ich sie zum Abschied und gab ihr anschließend einen kleinen Kuss. Sie wurde rot und sagte grinsend: "Bis später und lass mich wissen, wie es beim Treffen war", bevor sie endgültig ging. Ich sah ihr noch eine Weile hinterher, bis ich mich irgendwann aus meiner Starre löste und ebenfalls in meinen Unterricht ging.
Nach der Schule wollte ich noch einmal kurz mit Melody reden,allerdings musste ich feststellen, dass sie bereits weg war. Also machte ich mich auf zum Bus, wo ich mich wenig später auf einen der hinteren Plätze setzte und nachdachte.
Wie was Gespräch wohl werden würde? Vielleicht redeten wir gar nicht miteinander. Wer weiß, vielleicht wollte er eigentlich etwas von Lucy und ich war jediglich ein Vorwand.
Die Gedanken schwirrten nur so durch meinen Kopf und ich scheiterte bei dem Versuch, sie zu ordnen. Es ware einfach zu viel auf einmal, über das ich nachdenken wollte. Ich richtete meinen Blick aus dem Fenster und versuchte alles auszublenden. An gar nichts mehr zu denken, und siehe da. Es klappte. Fast.
Zu Hause angekommen schloss ich unsere Wohnung auf, um diese anschließend zu betreten. Es dauerte nicht lang, da kam auch Lucy von der Arbeit und fragte mich nach meiner Entscheidung. "Also?", abwartend wippte sie mit dem Fuß. "Ist okay", sagte ich, "Ich komme mit zum Treffen mit.. Dad." Sie nickte aufmunternd und ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln. "Das finde ich gut von dir. Es wird schon alles gut werden." "Hoffe ich", murmelte ich kaum hörbar, sodass sie es nicht mitbekam.
Am späteren Nachmittag kam Lucy zu mir ins Zimmer und sagte mir, dass wir los müssten. Wir verließen gemeinsam die Wohnung und liefen zum Parkplatz. Sie stieg in ihr Auto ein und ich setzte mich auf den Beifahrersitz. Als ich mich anschnallte, steckte sie den Schlüssel ein und startete den Motor.
Jetzt war es also so weit, Dachte ich mir. Nun würden wir also zu unserem Vater fahren und ich würde mich seit so vielen Jahren wieder mit ihm unterhalten. Und zwar mehr als nur ein paar Wortwechsel, die mehr zur Erniedrigung als einer Konversation dienten.
Wir hielten an einer roten Ampel und ich spürte, wie ich langsam nervös wurde. Warum war ich eigentlich so nervös? Es war nur ein stinknormales Treffen von zwei... drei stinknormalen Personen. Nichts, wovor man Angst haben könnte.
Ab heute könnt alles wieder gut werden, meldete sich eine Stimme in mir.
Ja, könnte.
Lucy bog in eine Seitenstraße ein und ich entdeckte unser Ziel. Die Eisdiele, in der ich mit ihr schon einmal auf ihn getroffen bin. Nur dass das Gespräch damals nicht so toll abgelaufen war.
Sie hielt in einer freien Parklücke und stellte den Motor ab, um anschließend auszusteigen. Wie in Trance öffnete ich die Autotür ind verließ ebenfalls den Wagen. Ein letztes Mal atmete ich tief durch. Du schafft das, versuchte ich mich innerlich aufzubauen. Langsam folgte ich Lucy Schritt für Schritt, wir kamen ihm immer näher, ich konnte es spüren.
Und da sah ich ihn. Er saß an einem der Tische, eine weiße Tasse, wahrscheinlich Kaffee, vor ihm. Und er lächelte in unsere Richtung. Der Krampf in mir löste sich ein wenig. Inzwischen waren wir bei ihm angekommen.
"Luke! Lucy! Schön, dass ihr meiner Einladung gefolgt seid!"
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Meh. Ich bin gemein, ich weiß.
Bin zu faul zum Korrigieren, sucht euch doch Fehler und backt 'nen Keks daraus!
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