Kapitel 34 (She)

Ich saß zuhause im Wohnzimmer auf unserer Couch und sah mir irgendeine Serie an, während ich über den heutigen Tag nachdachte. Schon nach kurzer Zeit wanderten meine Gedanken zu Adam. Ich erinnerte mich an das Gespräch mit ihm und was sonst noch alles passiert war.

Ich sah Adam schon von weitem, er stand wie immer an seinen üblichen Baum gelehnt und wartete auf mich. Als er mich entdeckte, stoß er sich ab und breitete seine Arme aus. Ich lief etwas schneller und umarmte ihn dann stürmisch. Ich gab ihn nicht einmal die Chance etwas zu sagen, da fing ich bereits an zu weinen. Meine Tränen durchnässten sein T-Shirt."Shh.. Ganz ruhig. Was ist denn los Melody?", fragte er, während er beruhigend auf mich einredete. Dazu strich er mir sanft über den Rücken. Ich vergrub mein Gesicht in seinem Oberteil und drückte mich näher an ihn. Dann begann ich stockend alles von meinem Treffen mit Luke zu erzählen. Allerdings wurde ich immer wieder von einem Schluchzer unterbrochen. Als ich endlich fertig war, hörte ich Adam seufzen. "Luke ist echt ein Arsch, wenn er sich so verhält." Mit verquollenen Augen sah ich zu ihm hoch und nahm Luke mit zittriger Stimme in Schutz: "Nein, nein ist er nicht. Ich bin ja diejenige, die so scheiße reagiert hat." Er zuckte mit den Schultern und blickte sich um. Schon wenige Momente später schien er gefunden zu haben, was er gesucht hatte. Ich wollte mich umdrehen und sehen, wen er da so beobachtete, da spürte ich plötzlich Adams Lippen auf meinen. Ich war so überrumpelt gewesen, dass ich nicht wusste wie ich reagieren sollte und ließ es einfach geschehen. Ich erwiderte den Kuss nicht, verhinderte ihn aber auch nicht. Ich war in dem Moment wie festgefroren und konnte mich nicht mehr bewegen. Mein Körper wollte nicht auf mich gehorchen. Erst als Adam von mir abließ, spürte ich wie Leben zurück in meine Gliedmaßen floss. Endlich hatte ich die Gelegenheit mich umzudrehen und sah die Person, auf die Adam vor dem Kuss geschaut hatte. Er war zwar gerade dabei wegzugehen, aber diesen Jungen würde ich unter Tausenden erkennen. "Luke..", hauchte ich und wandte mich dann wieder Adam zu. Mit einem vernichtenden Blick funkelte ich ihn an. "Was zur Hölle sollte das?!", fuhr ich ihn an. Er hob abwehrend die Arme und stotterte: "Ich...Keine Ahnung... Ich dachte man könnte ihn damit vielleicht eifersüchtig machen und-" "Sag mal spinnst du?!", unterbrach ich ihn und hätte ihm am liebsten eine geknallt. Was bildete er sich eigentlich ein? Ich wollte Luke doch nicht eifersüchtig machen! Es hatte schon genug Chaos zwischen uns geherrscht, aber jetzt-?! Ich seufzte erschöpft auf und hörte mir dann widerwillig an, was Adam noch zu sagen hatte. "Melody, ich will nichts von dir okay? Das war nur eine dumme, spontane Idee. Ich habe es doch nur gut gemeint.." "Ach ja?", fragte ich sauer, "Und woher soll ich bitteschön wissen, dass du nicht lügst? Die Art wie du mich immer begrüßt, woher soll ich wissen, dass du nicht vielleicht doch auf mich stehst und dir mein Beziehungsstress mit Luke gerade recht kommt, hm?" Jetzt wirkte auch Adam beleidigt. Er griff mit einer Hand in seine Hosentasche und zog sein Handy hervor. Er wischte darauf herum und hielt es mir dann unter die Nase. Es zeigte ein Bild von Adam und einem anderen, ziemlich gutaussehenden Typen. "Und was will ich jetzt damit?", fragte ich missmutig. Er stöhnte genervt auf und fragte überflüssig: "Du verstehst es nicht oder?" "Verdammt Adam! Worauf willst du hinaus?!" Langsam verlor ich die Geduld. Am liebsten hätte ich ihn einfach stehen gelassen und wäre Luke hinterhergegangen. Er dachte jetzt wahrscheinlich sonst was! Ich machte mir Sorgen um ihn und wollte meine Zeit nicht mit Adam verschwinden. Es war eine Weile ruhig, bis Adam die Stille plötzlich durchbrach. "Ich bin schwul." "Was?", fragte ich verwirrt. Ich hatte ihn zwar akustisch verstanden, aber so richtig in meinem Gehirn war die Sache noch nicht angekommen. Adam war schwul? Nicht, dass ich was dagegen hatte, aber ich konnte mir das irgendwie nicht so ganz vorstellen. "Du hast mich schon richtig verstanden. Ich bin schwul. Das auf dem Bild ist mein Freund. Somit geht keinerlei Gefahr von mir aus."

Einerseits fiel mir damit ein Stein vom Herzen, denn jetzt musste ich mir keine Gedanken mehr darum machen, dass Adam vielleicht in mich verliebt war. Allerdings wusste Luke davon nichts.

Ehe ich jedoch mit Adam weiter darüber sprechen konnte, klingelte es bereits zur Stunde und wir mussten beide zurück zum Unterricht. Ich nahm mir fest vor Luke direkt in der nächsten Pause zu suchen und alles mit ihm zu klären. Allerdings erfuhr ich von Ryan, als ich ihn nach Luke fragte, dass er abgeholt wurde. Angeblich ging es ihm überhaupt nicht gut und der Lehrer hatte ihn heimgeschickt. Als ich das hörte, rutschte mir das Herz in die Hose und die Schuldgefühle wurden mehr. Ich wollte so gern zu ihm, aber ich konnte nicht von der Schule weg.

Nach der letzten Stunde wählte ich sofort seine Nummer und rief ihn an, aber es nahm keiner ab. Stattdessen ging die Mailbox ran. Ich legte wieder auf, nachdem ich ihm eine Nachricht draufgesprochen hatte, und wählte dann Lucys Nummer. Sie hatte sie mir mal gegeben, falls etwas wichtiges war und ich Luke nicht erreichen konnte. Und genau jetzt war so ein Moment. Schon nach einem Tuten ging sie ran. "Hallo?", ertönte ihre Stimme. "Hi, hier ist Melody. Ich wollte mich nur nach Luke erkundigen. Ich habe durch Ryan erfahren, dass er abgeholt werden musste und ja.. jetzt mache ich mir halt Sorgen um ihn. Geht es ihm gut?", fragte ich besorgt. Lucy versicherte mir, dass sie ihn nach Hause gebracht hatte und dass bestimmt alles in Ordnung mit ihm war. Das beruhigte mich etwas und ich konnte mit reinerem Gewissen auflegen. Ihre Worte gaben mir Hoffnung und ich redete mir ein, dass es auch stimmte, was sie sagte.

Ich wollte gerade aufstehen und mir etwas zu trinken aus der Küche holen, da fing mein Handy an zu vibrieren. Verwirrt stand ich auf und nahm es vom Couchtisch. Warum zur Hölle rief Lucy mich an? Ich wischte über den Bildschirm und ging ran. "Hallo?", meldete ich mich fragend. "Melody? Setz dich lieber", warnte mich Lucy mit tränenerstickter Stimme. Ich tat was mir geheißen und nahm wieder auf der Couch Platz. "Es geht um Luke....", versuchte sie so ruhig wie möglich zu sagen. Sofort sprang ich hektisch wieder auf und fragte mit zittriger Stimme: "W-was ist mit ihm?"  Ich hörte wie Lucy am anderen Ende zu weinen begann und sie stammelte: "Er...Ich-ich habe ihn angerufen und er klang so...Ich hab mir Sorgen gemacht und bin sofort nach Hause und... da habe ich ihn bewusstlos in seinem Zimmer gefunden....Er war umgeben von unzähligen leeren Flaschen-" Sie brach weinend ab. Erst Minuten später fuhr sie fort; "Kann dich jemand zum Krankenhaus bringen?" Ich presste ein leises "Ja" hervor, bevor ich mir das Handy endgültig aus der Hand rutschte. Über meine Wangen liefen Sturzbäche von Tränen und ich versuchte mich zu beruhigen, damit ich meine Mum fragen konnte, ob sie mich zu Luke fuhr, doch es wollte mir nicht gelingen. So stolperte ich weinend zu ihr ins Arbeitszimmer. Sie drehte sich erschrocken um, als sie mich schluchzen hörte. Ihre Augen weiteten sich bei meinem Anblick und sie kam auf mich zugestürmt. "Omg Melody, Schatz! Was ist passiert? Warum bist du so aufgelöst?" Sie drückte mich an sich und strich mir beruhigend über den Rücken. "Luke-", hauchte ich kraftlos. "Was ist mit ihm?" Sie klang besorgt, dabei mochte sie ihn doch gar nicht. "Ich muss sofort zum Krankenhaus. Kannst du mich hinbringen?", wimmerte ich an ihre Brust. "Aber natürlich mein Schatz. Zieh dich schon mal an, ich komme gleich." Damit schob sie mich sanft aus ihrem Arbeitszimmer heraus.

Später im Auto, ich hatte mich zumindest so sehr beruhigt, dass ich wieder halbwegs normal reden konnte, erklärte ich ihr von dem Telefonat mit Lucy. "Luke ist Alkoholiker?", fragte sie ungläubig, als sie in die Straße, die zum Krankenhaus führte, einbog. "Als er hier war hat er eher so gewirkt, als würde er Alkohol überhaupt nicht abkönnen." Ich flüsterte: "Das hat er für mich getan." Danach ließ mich sie mich in Ruhe, wofür ich ihr auch dankbar war. Mir war im Moment wirklich nicht zum Reden zumute.

Am Empfang erkundigte Mum sich nach Luke und erfuhr die Zimmernummer. Auf dem Weg dorthin klopfte mein Herz schneller und schneller. Ich konnte nicht mehr ruhig atmen und mein ganzer Körper zitterte. Im Gang vor dem Zimmer sah ich Lucy sitzen. Sie hatte den Kopf in ihren Händen vergraben und weinte leise. Meine Mum legte mir eine Hand auf die Schulter und verabschiedete sich. Sie meinte, sie hätte noch viel zu erledigen und müsste dringend wieder weg. Normalerweise hätte ich mich darüber aufgeregt, dass sie sich aus dem Staub machte, doch im Moment war es mir ganz recht. Ich ging vorsichtig auf Lucy zu und setzte mich dann auf den Stuhl neben sie. Erschrocken fuhr sie hoch. "Melody! Du bist es nur", stellte sie erleichtert fest, als sie mich sah. Mit wackeliger Stimme fragte ich: "Wie geht es ihm?" Sie erzählte, dass der Arzt gerade drin war und sie selber noch nicht viel wusste.

Nachdem der Arzt fertig war, durfte zunächst nur Lucy hinein. Sie unterhielt sich mit dem Spezialisten und erzählte mir nachher alles.

Luke hatte unendliches Glück gehabt, sagte der Arzt. Nur ein wenig Alkohol mehr und er hätte bereits vor Gottes Tür stehen können. Diese Nachricht trieb mir einerseits erneut Tränen in die Augen und ließ mir andererseits einen Stein vom Herzen fallen.

Nach gefühlten Stunden wurde ich dann auch zu ihm gelassen. Meine Knie zitterten, mein Herz klopfte wie verrückt und meine Augen waren gerötet vom ganzen Weinen. Zögerlich drückte ich die Türklinke nach unten und betrat den Raum. Ich drehte mich zur Tür und schloss diese. Dann drehte ich mich um und mein Blick fiel auf das Krankenbett, in dem Luke lag. Er drehte seinen Kopf in meine Richtung, was mir zeigte, dass er wach war. Zaghaft ging ich Schritt für Schritt auf ihn zu. Bei Luke angekommen setzte ich mich auf einen Plastikstuhl, der direkt neben dem Bett stand. "Hallo Luke", sagte ich im Flüsterton. Statt zu antworten, sah er mich einfach nur an. "Es tut mir so leid", fuhr ich fort und griff vorsichtig nach seiner Hand. Sie war vollkommen kalt und wie auch der Rest seines Körpers, ziemlich blass. Ich spürte, wie ich wieder anfing zu weinen. "Das alles ist nur meine Schuld", wimmerte ich in der gleichen Lautstärke wie vorhin. Ich konnte im Moment einfach nicht lauter als ein Flüstern sprechen. Ich war froh, dass ich überhaupt ein Wort herausbekam.

"Wieso?", fragte Luke noch leiser als ich, sodass ich es kaum verstand. Wieder überkam mich ein Schluchzen und ich musste mich zutiefst zusammenreißen, damit aufzuhören. Dann erklärte ich ihm genau das, was Adam mir heute Mittag erklärt hatte. Als ich fertig war, wartete ich darauf, dass Luke etwas sagte. Doch stattdessen umschlossen seine Finger meine Hand und er zog mich etwas näher, um mich, wenn auch etwas unbeholfen, zu umarmen. Ich drückte mich an seinen unterkühlten Körper und flüsterte an seine Schulter: "Kannst du mir verzeihen? Ich wollte das wirklich nicht..." Es war eine Weile ruhig und ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, da antwortete er ruhig: "Nur unter einer Bedingung." Ich löste mich von ihm und sah tief in seine blauen Augen. "Welche Bedingung?", fragte ich ohne den Blick abzuwenden. Er lächelte etwas und hauchte dann: "Küss mich."  Das ließ ich mir nicht zwei Mal sagen und beugte mich vor, um danach den wahrscheinlich schönsten und atemberaubendsten Kuss zu erleben, der je stattgefunden hatte. In dem Moment als unsere Lippen aufeinandertrafen, fing alles in mir an zu kribbeln. Tausende Schmetterlinge flogen in meinem Bauch auf und ab und meine Arme waren überzogen von einer Gänsehaut. In diesen Minuten war ich das glücklichste Mädchen auf der Welt und das konnte mir keiner kaputt machen.

Nach gefühlten Jahren lösten wir uns wieder von einander und sahen uns  lächelnd in die Augen und es war das schönste und ehrlichste Lächeln, dass ich bei Luke je gesehen hatte. Wir saßen lange einfach so da, keiner sagte etwas, um den Moment nicht zu zerstören.

Später gesellte sich Lucy zu uns ins Zimmer. Sie verharrte in ihrer Position und musterte uns schmunzelnd. "Wie ich sehe ist alles wieder in Ordnung", stellte sie fest und lachte auf. Dann kam sie näher. Ich stand vom Stuhl auf und machte ihr Platz. Da ich nicht stehen wollte, setzte ich mich einfach auf die Bettkante. Das war mir sogar noch lieber als der Stuhl, denn so war ich Luke noch näher. Er griff nach meiner Hand und hielt sie fest, während er sich zu mir vorbeugte und sanft in mein Ohr flüsterte: "Danke, dass du hier bist." Ich lächelte und drehte mich zu ihm um, sodass ich ihm einen Kuss auf die Wange geben konnte.

"Ihr zwei seid echt süß", sagte Lucy noch immer schmunzelnd. Ich lachte verlegen auf und auch Luke grinste etwas unbeholfen. Dann wurde Lucy wieder etwas ernster und sagte während sie wieder aufstand: "Ich lass euch dann mal wieder in Ruhe. Ihr wollt bestimmt nicht etwas Zeit für euch haben, aber Luke-" Sie wandte sich an ihn. "Mit dir habe ich später noch was zu bereden." Ihr Lächeln verschwand und sie verließ ohne ein weiteres Wort den Raum. Verwirrt sah ich Luke an. "Was war denn das eben?" Er zuckte mit den Schultern, schien aber zu wissen, was sie meinte. "Keine Ahnung. Aber lass uns das jetzt vergessen." Er umfasste meinen Arm und zog mich zu sich. Lächelnd kuschelte ich mich etwas an ihn und schloss meine Augen, während Luke mir sanft durch die Haare strich.

"Ich bin so froh, dass du noch nicht tot bist", murmelte ich nach einer Weile Stille an seine Brust. Seufzend antwortete er mit gedämpfter Stimme: "Ich auch... Es tut mir Leid, dass das passiert ist."  Ich schüttelte sachte mit dem Kopf. "Das muss es nicht, du bist ja noch hier. Und ich verspreche dir, ich lasse dich nie wieder gehen." Luke schaute zu mir und lächelte.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top