Kapitel 25 (He)
Die Tür ging leise auf und Lucys Kopf tauchte im Türrahmen auf. "Was machen die Kopfschmerzen?" Mit besorgtem Blick musterte sie mich von oben bis unten. "Geht schon. Ist besser geworden, schätze ich." Sie schenkte mir ein leichtes Lächeln. "Das freut mich. Denkst du, du kannst heute Nachmittag zur Selbsthilfegruppe gehen?" Ich überlegte kurz und zuckte dann mit den Schultern. "Es ist ja noch bisschen Zeit bis dahin. Ruh dich gut aus. Ich muss jetzt nochmal weg, bin aber gegen Mittag wieder da." Mit den Worten verließ sie den Raum wieder und ich hörte, wie kurze Zeit später die Wohnungstür ins Schloss fiel. Nun war ich also allein.
Die Sache mit den Kopfschmerzen war nichtmal gelogen. Ich hatte die ganze Nacht kaum geschlafen, war durchgängig wach und ich war wieder dem Trinken verfallen, obwohl ich Melody mein Versprechen gegeben hatte. Doch ich hatte mir nicht anders zu helfen gewusst. Dafür würde ich heute Nachmittag zur Selbsthilfegruppe gehen und mit ihr sprechen.
Sie hatte mir vormittags eine SMS geschrieben, wo ich bliebe und ob es mir gut ginge. Sie meinte, sie mache sich Sorgen um mich.
"Und du bist dir sicher, dass es dir gut genug geht?", skeptisch sah Lucy mich an, doch ich nickte bestimmt. "Mir geht's prima. Mach dir um mich keine Sorgen." Ein leichtes Lächeln meinerseits überzeugte sie dann endgültig. "Okay, steig ein."
Während der Fahrt redeten wir kaum. Im Radio erzählte der Sprecher gerade etwas über die Politiker, aber das interessierte mich nicht wirklich. Ich war in Gedanken bei Melody.
"So, wir sind da. Bis später", sagte Lucy, während sie den Wagen anhielt und ich ausstieg. "Bis dann." Und schon war sie umgedreht und brauste davon.
Ich betrat das Gebäude und schlenderte die Treppen hinauf in das richtige Stockwerk.
Heute war jemand Neues dabei, was hieß, dass wir uns alle wieder vorstellten. Es war ein Mädchen, Samantha hieß sie. Sie war groß, hatte kurze, rote Haare und war gekleidet wie ein typischer Punk. Sie hatte Probleme mit ihrer Familie und ihre Mutter war der Meinung, "sie habe Depressionen und müsse deswegen in eine Selbsthilfegruppe gehen, wo sie sich mit Anderen austauschen kann". Sie machte nicht unbedingt den Anschein, als hätte sie Gefallen an der Sache. Sie verhielt sich abweisend und sagte kaum etwas, nur wenn sie dazu aufgefordert wurde.
Nach der Sitzung wollte ich sofort zu Melody, doch ich wurde von Samantha aufgehalten. Sie stellte sich vor die Tür und mir somit in den Weg. "Luke, oder?" Ich nickte schnell und deutete ihr dann, dass ich gern vorbei wollte. "Du scheinst interessant zu sein. Ich bin Sam." Sie streckte ihre rechte Hand aus und machte zudem keine Anstalten beiseite zu gehen, also klärte ich sie auf. "Hör mal, du bist sicher ganz nett und so und ich würde mich liebend gern mit dir austauschen, aber ich muss wirklich los." Damit schob ich sie beiseite und lief eilig die vielen Treppenstufen nach unten. Ich hatte Glück. Melody stand etwas verloren vor dem Gebäude, den Rücken zu mir gekehrt. Ich lief eilig auf sie zu und tippte ihr dann auf die Schulter. Sie zuckte leicht zusammen und drehte sich dann erschrocken um. "Hey", sagte ich und hob kurz meine rechte Hand. Ihre neutraler Gesichtsausdruck verwandelte sich in ein Lächeln und sie umarmte mich freudig mit einem "Luke!" auf den Lippen.
Nachdem sie sich wieder von mir gelöst hatte, fragte sie mich, wie es mir denn ginge. Ich zuckte mit den Schultern und antwortete nur mit einem kurzen "Ganz okay, schätze ich." Sofort verschwand ihr Lächeln und sie sah mich besorgt an. "Komm." Sie griff nach meiner Hand und zog mich davon.
Kurze Zeit später waren wir auch schon im Park, genau wie ich es vermutet hatte. Ich zog schnell mein Handy raus und schickte Lucy eine Nachricht, in der ich ihr erklärte, dass sie mich nicht abholen brauchte. Sie antwortete nur mit "Okay" und ich wand mich wieder Melody zu. Wir saßen auf der gleichen Bank wie immer.
"Magst du drüber reden?", fragte sie mich mit zusammengezogenen Augenbrauen. Ich seufzte und zuckte dann mit den Schultern. "Was soll ich groß erzählen? Mir ging es heute morgen nicht gut. Ich war total müde, da ich kaum geschlafen habe und-" Dann brach ich ab. Melody aber akzeptierte dies nicht. "Und?", wiederholte sie und forderte mich damit indirekt auf fortzufahren. Als ich jedoch statt zu antworten meinen Blick abwendete, ahnte sie was los war. Sie seufzte und legte dann ihre Hände auf meine. "Sieh mich an Luke", sagte sie mit ruhiger Stimme. Nur zögernd hob ich meinen Kopf und schaute ihr direkt in ihre wunderschönen grün-blauen Augen.
"Hast du wieder getrunken?", fragte sie klar heraus, ohne eine Miene zu verziehen. Ich zögerte eine ganze Weile mit dem Antworten, da ich Angst vor ihrer Reaktion hatte. Dann nickte ich.
Doch anstatt wütend zu werden, nach dem Warum zu fragen oder überhaupt etwas zu sagen, zog sie mich einfach nur in eine innige Umarmung. Ich erwiderte diese sofort und drückte sie vorsichtig an mich. "Danke", murmelte ich in ihre blonden Haarpracht hinein. Sie nickte leicht und antwortete dann: "Nicht dafür."
Nachdem wir uns wieder voneinander gelöst hatten, begann sie zu sprechen. "Hör mal Luke, du kannst immer mit mir reden,wann dir auch danach ist. Ich bin für dich da. Gemeinsam schaffen wir das." Sie lächelte mich aufmunternd an und ich lächelte kurz zurück.
Dabei war mir überhaupt nicht danach. Ich fühlte mich schrecklich. Sie musste mich aufbauen, dabei sollte es doch andersrum sein, oder etwa nicht? Ich war ein Schwächling, aber das ist ja nichts Neues.
Wir beliesen es dann dabei und unterhielten uns über komplett banale Themen, wie zum Beispiel das Wetter oder die unfreundliche Verkäuferin an Kasse 4 im nahegelegenen Supermarkt. Doch irgendwann wurde es langsam dunkel und wir mussten uns wieder auf den Weg zurück machen. "Komm, ich bring dich noch nach Hause", sagte ich zu Melody und sie lächelte mich dankbar an.
Wir schlenderten durch die Straßen und beobachteten das Treiben in den Geschäften. Viel war nicht mehr los. Gut, es war ja auch schon früher Abend.
Während wir so die Fußwege nebeneinander entlangliefen, redeten wir kaum, sondern genossen einfach die Anwesenheit des jeweils anderen. Ich richtete meinen Blick auf unsere Hände, welche sich ganz nah waren. Vorsichtig griff ich nach ihrer zarten Hand und als sie sie nicht wegzog, umschloss ich sie mit meinen Fingern. Dann schaute ich wieder nach oben und bemerkte, wie sie mich anstrahlte. Ich lächelte zurück und richtete meinen Blick wieder nach vorn.
"Ich bin froh, damals in dich hineingeranmt zu sein", unterbrach Melody plötzlich die Stille. Ich seufzte rückblickend und stimmte ihr dann nickend zu. "Ich auch."
Als wir nur noch wenige Meter von ihrem Haus entfernt waren, entdeckte ich ein mir fremdes Auto vor dem Gebäude. "Was ist das für ein Fahrzeug?", fragte ich sie verwirrt. Das war definitiv nicht das von Melodys Mutter. "Ich bin mir nicht sicher", antwortete sie nachdenklich. Daraufhin zuckte ich nur ratlos mit den Schultern und gemeinsam gingen wir zu ihrem Haus, damit sie klingeln konnte. Ihren Schlüssel hatte sie nicht mit, da sie ja damit gerechnet hatte, gemeinsam mit ihrer Mutter zurück zu kommen.
Kurze Zeit später wurde die Tür von einem Mann, ungefähr im Alter ihrer Mutter, geöffnet. Melodys Augen weiteten sich und sie ließ meine Hand los, um danach auf den Unbekannten zu zurennen und ihn stürmig zu umarmen. Sie begrüßten sich herzlich und dann wand sie sich an mich. "Luke, das ist mein Vater. Papa, das ist Luke", stellte sie uns gegenseitig vor und ich gab ihm kurz die Hand. Mir war die ganze Situation sichtlich unangenehm, ließ mir aber Melody zu Liebe nichts anmerken.
Ihr Vater stupste sie in die Seite und meinte dann in meine Richtung gewand: "Einen hübschen Freund hast du dir da ausgesucht." Sie wurde sofort rot und erwiderte verlegen: "Er ist nicht mein fester Freund."
Ihr Vater lachte daraufhin nur. "Was nicht, ist kann ja noch werden. Oder?"
Nach kurzer Zeit hatte er sich wieder nach drinnen verzogen, sodass ich mich in Ruhe von ihr verabschieden konnte. "Tut mir Leid wegen meinem Vater. Er ist manchmal etwas.." Sie schien nach den richtigen Worten zu suchen, doch ehe sie dazu kam, hatte ich sie schon unterbrochen. "Sei froh, dass du einen hast, der dich liebt."
Sofort gingen ihre Mundwinkel nach unten und sie sah mich mit vor Erkenntnis weit aufgerissenen Augen an. "Oh mein Gott. D-das tut mir furchtbar Leid, Luke. Ich-" Bevor sie aber weiter sprechen konnte, legte ich ihr vorsichtig einen Finger auf den Mund und sagte lächelnd: "Ist nicht schlimm." Sie griff nach meinem Zeigefinger und nahm ihn wieder herunter. Dann verabschiedeten wir uns und ich umarmte sie nochmal, bevor ich mich auf den Weg zurück nach Hause machte.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top