61 Tief im Fels

So da bin ich!' Carag tapste die paar Schritte auf Samiya zu, die am Boden saß und ihren Knöchel massierte. Er stupste sie zuerst an der Schulter an, konnte sich dann aber nicht zurückhalten und schleckte ihr nicht gerade so zurückhaltend über die Seite ihres Gesichts.

Argh Carag, muss das sein?!' Samiya zog eine Grimasse.

Ich bin einfach nur so froh, dass dir nichts passiert ist!' Der Puma wandte sich jetzt ihrem Knöchel zu und schnupperte kurz.

Sieht schon leicht geschwollen aus. Kannst du überhaupt laufen?'

Es wird schon irgendwie gehen... humpel ich eben ein bisschen.'

Gemeinsam drangen sie Schritt für Schritt immer weiter ins Innere der Felsen vor. Von irgendwoher kam zwar fast immer ein schwacher Lichtschimmer, so dass sie nicht völlig im Dunkeln herumtappen mussten, doch trotzdem war der Gang sehr eng und das Vorankommen sehr mühsam. An manchen Stellen kam Samiya in Menschengestalt besser durch, an anderen wiederum Carag als Puma – je nachdem ob die Spalte eher in der Höhe mehr Raum bot oder am Boden.

Als sie eine ganze Weile mehr gekrochen als gegangen waren, blieb Samiya auf einmal stehen.

Spürst du das auch? Es wird immer kühler und irgendwie nass – die Wände sind schon ganz feucht...'

Vielleicht sind wir schon in der Nähe des Wasserfalls?' Carag hielt seine Schnauze in die Höhe und spitzte die Ohren. Aber hören konnte er nichts.

Was denkst du, wie lange führt dieser Gang noch ins Felsinnere?'

Ich weiß nicht, aber ich glaube wir sind jetzt fast da.' Samiya war wieder ein paar Schritte weiter gegangen.

Was meinst du mit wir sind fast da?' Carag hatte keine Ahnung was Samiya da redete. Sie wussten doch überhaupt nicht, was sie überhaupt suchten!

Ich weiß es einfach! Da war etwas in meinem Traum und ich spür' es jetzt ganz genau... schau mal, da vorne kommt etwas mehr Licht!' Samiya eilte nun deutlich schneller voran, so gut es mit ihrem verstauchten Knöchel eben ging. Aber sie war jetzt so aufgeregt, sie spürte den Schmerz kaum noch.

Carag folgte ihr dicht auf den Fersen. Der Gang machte noch eine kleine Biegung und auf einmal standen sie in einer Art geräumigen Höhle. Weit weit oben waren Risse in der Felsendecke, so drang etwas mehr Licht ins Innere und ließ die ganze Höhle dämmrig schimmern.

„Wow!" Ehrfurchtsvoll blieben sie beide wie angewurzelt stehen. Samiya holte tief Luft, schüttelte dann den Kopf und flüsterte nur: „Das ist einfach unglaublich! Jetzt weiß ich wieder, genau hier war ich schon mal, in diesem Traum mit dem Uhu..."

Du bist ganz schön unheimlich, weißt du das? Warum träumst du solche Sachen?!' Aber Samiya hörte ihm gar nicht richtig zu. Völlig gebannt ließ sie ihren Rucksack auf den Boden fallen und schaute sich mit großen Augen in der Höhle um. Carag nutzte die Gelegenheit und verschwand mit dem Rucksack im Maul hinter einem großen Felsen. Kurz darauf tauchte er als Junge wieder auf.

Samiya war schon auf der gegenüberliegenden Seite der großen Höhle. Carag starrte fasziniert auf die große Höhlenwand. Von links nach rechts war alles mit Symbolen und Bildern bemalt. Wie eine Geschichte. Da waren Tiere und Feuer, Wasser, Bäume, der Himmel und Wolken, Fische... die Zeichnungen flossen ineinander, immer wieder waren da auch Bilder von Menschen...

„Was ist das alles?! Ich hab so was noch nie gesehen!" Carag wurde beinahe schwindelig von der Flut an Bildern, an manchen Stellen reichten sie bis zur Höhlendecke.

Samiya antwortete ihm nicht. Sie lief stattdessen ganz nach links, dort wo die Bilder begannen.

„Wahnsinn..." murmelte sie leise vor sich hin. In ihrem Kopf war nur ein einziger Satz. Die Geschichte der Woodwalker... Sie spürte eine leichte Gänsehaut auf ihren Armen, ihren Rücken entlang. Irgendetwas passierte hier...

Auch Carag bemerkte die seltsame Stimmung, allerdings war er weniger neugierig als Samiya und das Ganze wurde ihm so langsam aber sicher unheimlich.

„Lass uns gehen, Samiya! Jetzt wissen wir ja, wo der Gang hinführt, komm schon, Jeffrey wartet auf uns!"

„Was? Nein, schau doch, hier ist ALLES zu sehen! Alles was ich wissen wollte! Außerdem ist eine Stunde bestimmt noch lange nicht um. Wir haben noch Zeit..."

Samiya schaute mit weit aufgerissenen Augen die Bilder an der Wand an. Die erste Zeichnung sah aus wie eine Quelle, oder ein Wasserstrudel, dann kamen gleich Bäume und allerlei Pflanzen, Erde und viele verschiedene Tiere. Dann wieder die Quelle und schließlich ein Mensch, der aus einem Teich oder Fluss heraussteigt. War das der erste Woodwalker? Dann zwei riesige Raubvögel, könnten Eulen sein... Völlig gebannt ging Samiya die Höhlenwand entlang. Es folgten allerlei seltsame Gestalten, halb Tier, halb Mensch, manchmal verwoben in die Äste und Blätter der Bäume. Dann ganze Tierfamilien.

„Schau mal Carag! Da sind Pumas! Wie schön das alles aussieht!" Fasziniert betrachtete Carag die Pumafamilie. Könnte seine eigene sein. Oder Samiyas. Jetzt entwich auch ihm ein ehrfürchtiges ‚Wow'. Sie gingen weiter entlang der Höhlenwand, jetzt waren mehr Landschaften zu sehen, ganze Wälder, Berge, Flüsse, eine Delfinfamilie unter Wasser...

Während Samiya noch die Unterwasserwelt bewunderte, ging Carag ein paar Schritte weiter. Aus dem Augenwinkel hatte er etwas rötlich-golden schimmern sehen. Als er erkannte, was das Bild zeigte, setzte sein Herzschlag einen Moment aus.

„Samiya! Komm schnell her!" Als sie kurz hinter ihm ankam, packte er sie ungeduldig am Arm und zog sie direkt neben sich.

„Schau dir das an! Das kann doch nicht sein, oder?" Irgendetwas ging hier nicht mit rechten Dingen zu.

Direkt vor ihnen auf der Höhlenwand waren zwei Pumas zu sehen. Junge Pumas, keine ausgewachsenen. Ein Puma hatte rötlich-braunes Fell, der andere war ganz hell, am Bauch fast weiß... Carag bemerkte, dass Samiya überall eine Gänsehaut hatte. Was war hier nur los? Wer hatte überhaupt all diese Bilder gemalt?!

„Schau die Augen an, Samiya... das ist echt gruselig..." Carag hatte nun selbst eine leichte Gänsehaut im Nacken. Der helle Puma hatte grün-grau-blaue Augen. Wie konnte Samiyas Augenfarbe eins zu eins hier an der Höhlenwand sein?! Der andere Puma hatte grün-goldene Augen, aber das kam ja öfter vor... Trotzdem, gerade diese Kombination...

„Das sind wir, Carag..." Samiyas Stimme war kaum zu hören.

„Aber warum? Wie kommen wir hier an diese Höhlenwand?"

„Die Geschichte der Woodwalker... wir sind ein Teil davon..." Samiya sah ihn jetzt zum ersten Mal lange an. Carags Gänsehaut breitete sich direkt auch auf seinen Armen aus.

Die Geschichte der Woodwalker...

„Aber wie... also woher weißt du..." Carag wurde durch ein plötzliches, allzu bekanntes Geräusch unterbrochen.

Huuhuuu...

Erschrocken schaute Carag sich um. Wie kam ein Uhu hier in diese Höhle? Oder kam das von draußen?

Huuhuuu...

Jetzt schien er schon viel näher zu sein. Da hörten sie etwas entfernt ein paar Flügelschläge.

Carag starrte in die Dunkelheit am Ende der Höhle, gegenüber dem Gang, aus dem sie vorhin gekommen waren. Vorsichtig griff er nach Samiyas Hand und hielt sie fest.

Sie wandte ihm den Kopf zu und schaute ihn mit unergründlichem Blick an. Aber sie ließ ihn auch nicht los.

„Ich glaub der kommt direkt hierher..." Carag erinnerte sich wieder, dass er Eulen oder Uhus einfach überhaupt nicht mochte. Nach dieser Erfahrung hier hatte er noch einen Grund mehr...

„Keine Sorge, ich glaub das ist der Uhu aus meinem Traum..." So ganz sorglos hörte sich Samiya allerdings nicht an.

Und jedes Mal, wenn sie von ‚keine Sorge' sprach, hatte Carag hinterher umso mehr Sorgen...



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Guten Morgen - wie gehts euch so? Hat euch das Kapitel überrascht? Ich wünsche euch einen wunderbaren Tag mit viel Sonne!! Ich werde mich bemühen vor den Ferien noch ein Kapitel zu schreiben, ich hoffe das klappt... ;)

Liebe Grüße,

 purzelstern

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