Kralle um Kralle, Zahn um Zahn

Warnung: Das Kapitel enthält Erwähnungen von Blut und Gewalt.

„Jurikin, du Feigling!", rief der junge Wolf von der anderen Seite des Platzes. Der angesprochene Wolf schüttelte den Kopf und schnaubte missbilligend.

„Na warte! Das bekommst du zurück, Xin", knurrte Jurikin seinem Gegenüber entgegen. Man konnte die Aufregung und den Blutrausch in beiden Wölfen nahezu in der Luft spüren.

Es war ein nebliger und nasser Tag, wie so oft im Norden von Daromi. Darum war der Platz, auf dem die beiden Wölfe gegeneinander kämpften, matschig und schlammig.

Die Abenddämmerung setzte langsam ein und die Sterne tauchten am Horizont auf.

Der Kampf wurde auf einer großen Lichtung ausgetragen, der von vielen Wölfen, hauptsächlich von Wölfen ohne Elementkräfte, aber auch von Finsterniswölfen, umringt wurde. Die Wölfe kamen in Scharen, um bei diesem Spektakel dabei zu sein. Beide Jungwölfe fochten um den Platz des Alphawolfes im Finsterniswolfsrudel, das sich im Norden des Landes Daromi befand. Eins der größten und stärksten Rudel auf der Welt. Diese Kämpfe waren in diesem Rudel berühmt, da sie nur in diesem und in keinem anderen Rudel stattfanden. Bei den anderen Rudeln war es normal, dass der Älteste, oder ein anderer stärkerer Wolf, später den Platz des Rudelführers einnehmen wird.

Im Nordfinsternisrudel herrschen andere Sitten. Dort war immer ein Finsterniswolf das Alphatier. Diese sind stets die Söhne der vorherigen Alphatiere. Normalerweise hat der Finsterniswolf aus dem ersten Wurf die Ehre, seinen Vater herauszufordern. Doch werden in einem Jahrgang gleich zwei Rüden geboren, so findet ein Kampf statt, um herauszufinden, wer der Stärkere von beiden war. Meistens treten die Jungwölfe im Alter von drei Jahren gegeneinander an. Die Entscheidung des Gewinners wird anschließend von den Alphatieren und ihren engsten Beratern gefällt.

Bei diesen Kämpfen dürfen keine Elemente eingesetzt werden. Somit müssen sich die jungen Finsterniswölfe mit ihrer körperlichen Stärke und ihrem eigenen Können duellieren, da bei jedem Wolf die Elementstärke anders ausgeprägt ist.

Sehr viele solcher Kämpfe endeten mit vielen Verletzungen. So mancher Kampf endete in der Vergangenheit mit dem Tod, wenn dieser nicht rechtzeitig beendet wurde. Doch genau diese Todeskämpfe punkten bei den Alphatieren sehr, da sie zeigten, dass der Gewinner ein starker und rücksichtsloser Wolf sei und später das Rudel erfolgreich anführen würde.

Heute war der große Tag für die Brüder Jurikin und Xin, die sich im Alter von drei Jahren befanden und das Element der Finsternis in sich trugen. Jurikin war zwar der Erstgeborene und größer als sein Bruder, doch noch lange nicht stärker als dieser. Jurikins Bruder punktete mit seiner Flinkheit und einem starken Biss. Xin war ein kleiner dicklicher Wolf mit schwarzem Fell und strahlend roten Augen. Sein schwarzes Fell wurde nur durch seine braune Brust unterbrochen.

Jurikin hatte schwarzes Fell, gelbe Augen und blaues Haar. Doch sein Fell war nicht gänzlich Schwarz. Bei der Hälfte seines Körpers war dunkelblaues Fell und an seinem Bauch hatte sein Fell die Farbe von einem dunklen Braun. Seine Beine waren mit schwarzen Streifen durchzogen. Doch, was für einen Finsterniswolf sehr untypisch war, besaß Jurikin an seiner rechten Schulter einen weißen Kreis. Zudem wies seine linke Hinterpfote ebenfalls die weiße Färbung auf.

Xin und Jurikin waren nicht wie typische Wolfsbrüder. Beide hassten einander, da sie schon sehr früh mit dem Gedanken aufgezogen wurden, später einmal gegeneinander um den Platz des Alphawolfs kämpfen zu müssen. Dieser Gedanke erschuf eine finstere Mauer zwischen den beiden Wölfen, die sich mit jedem Tag weiter ausdehnte.

Die Mauer schien an diesem Tag besonders hoch zu sein.

Es war totenstill auf dem Platz und kein Wolf bewegte sich. Kurz ließ Jurikin seinen Blick über die Menge schweifen. Überall waren Wölfe verschiedenster Herkunft zusammengekommen. Sein Blick streifte sowohl ernste als auch ängstliche Gesichter. Jedem blickte er finster entgegen und jeder, der in seine Augen sah, musste seinen Kopf senken, da sie diesen strengen Blick nicht ertrugen.

Er ließ seinen Blick weiterschweifen, bis er bei dem seines Vaters Taroxon hängen blieb. Taroxon war ein großer schwarzer Finsterniswolf mit einem bösen Blick und finsterem Charakter. Dieser blickte Jurikin gleichgültig an. Dem jungen Wolf lief sofort ein Schauer über den Rücken. Um sich wieder zu konzentrierten, blickte Jurikin weg. Sein Blick blieb an der rechten Seite seines Vaters hängen.

Seine Mutter Serina lag dort ängstlich im Schatten der Bäume. Serina war auch eine Finsterniswölfin, doch sie hatte gräuliches Fell mit lila Streifen und lila Haar. Jurikin musste daran denken, dass es für sie kein leichter Anblick war, ihre beiden Söhne kämpfen zu sehen. Sie litt mit jeder Minute mehr, doch als Wolfsmutter war es ihre Pflicht an so einem großen Tag bei ihren Söhnen zu sein.

Plötzlich wurde Jurikin aus seinen Gedanken gerissen. Sein Bruder war erneut auf ihn zugesprungen und er war zu langsam, dem Angriff auszuweichen. Xin hatte den Moment der Leichtsinnigkeit von Jurikin genutzt und seine Chance ergriffen. Jurikin warf es durch den Aufprall nach hinten, wo er mit dem Rücken auf dem Boden aufschlug. Ihm wurde leicht schwarz vor Augen und er kämpfte dagegen an sein Bewusstsein zu verlieren.

Er hörte weder die Vögel in den Bäumen zwitschern, noch das Wasser des nahegelegenen Bachs plätschern. Seine gesamte Aufmerksamkeit galt wieder seinem Bruder. Insgeheim verfluchte er sich, dass er nicht aufgepasst hatte und Xin nun über ihm stand. Auf Xins Lefzen zeigte sich ein siegessicheres Lächeln.

„Da hätte ich besser aufgepasst, Brüderchen!", knurrte Xin in seine Ohren und sank seinen Kopf, um somit einen Todesbiss anzutäuschen.

Aufgrund der kritischen Lage klärte sich Jurikins Benommenheit auf und es gelang ihm, sich elegant aus dieser Zwickmühle zu befreien. Er nahm seine Hinterläufe und stütze sie auf dem Bauch seines Bruders ab. Mit Schwung katapultierte er diesen durch die Luft. Jaulend kam Xin auf dem Boden auf und rutschte im Schlamm noch einen halben Meter weiter.

Sofort sprang Jurikin auf. „Ich glaube, du müsstest besser aufpassen!", schnaubte nun Jurikin, durch den kleinen Kraftakt etwas erschöpft, und blickte seinen Bruder an, der sich langsam erhob.

Dieser wies nun mehrere Schrammen auf der linken Seite auf.

Nach diesem kurzen Gefecht begannen beide Wölfe sich langsam zu umkreisen, machten mehrere Ausfallschritte in die gegnerische Richtung und knurrten sich weiterhin an. Doch niemand wollte sich einen weiteren Fehler eingestehen. Die Brüder wichen geschickt ihren Angriffen aus, sobald das Maul des anderen zu nahekam. Mit der Zeit sah es so aus, als würden beide Wölfe tanzen. Ein stetiges auf und ab. Die Muskeln der beiden Wölfe waren bis zum Zerreißen angespannt.

Jurikin wurde sich dieser kräftezerrenden Situation bewusst. Er musste etwas Anderes versuchen, um zu gewinnen. Etwas, was seinen Bruder ausschalten und ihn nicht zu viel Kraft kosten würde.

An so einem kleinen Klumpen Dreck, wie seinem Bruder, wollte er nicht zu viel Zeit verlieren.

Jurikin entschied sich für einen Frontalangriff. Er stieß sich kräftig vom Boden ab und flog mit offenem Maule direkt auf Xin zu. Doch dieser hatte die Reaktion von seinem Bruder nur erwartet und wich erneut geschickt aus. Dieses Mal aber wartete er nicht ab, sondern sprang nun ebenfalls auf Jurikin zu.

Jurikin, sich seiner kritischen Lage noch nicht bewusst, wurde erneut auf den Boden gedrückt. Doch dieses Mal stand sein Bruder auf seinem Rücken. Xin jaulte siegessicher auf, wobei Jurikin nur ein Knurren erwiderte. Er hatte genug. Bei diesem Kampf wollte er alles richtig machen und auf keinen Fall verlieren. Er wollte seinem jüngeren und kleineren Bruder endlich zeigen, wer der bessere Nachfolger war.

„Es zeigt sich erneut, wer der Bessere von uns beiden ist", erklang Xin's Stimme über ihn. „Du weißer Tölpel hast wohl gedacht, mich in einem Zweikampf besiegen zu können. Deine Fähigkeiten als Elementwolf sind erbärmlich und reichen bei Weitem nicht an meine heran."

Jurikin verflucht sich selbst dafür, dass er in der Elementkraft seine Schwächen hatte. Seine Fähigkeiten waren gegenüber denen seines kleineren Bruders ein Witz. Xin konnte ganze Meter Land in Dunkelheit hüllen. Doch Jurikin hatte schon große Mühen seinen Körper mit der dunklen Masse einzudecken. Viele Wölfe, unter anderem auch seine Eltern, haben sich gefragt, ob er überhaupt ein Finsterniswolf war. Doch körperlich konnte Jurikin es mit seinem Bruder ohne Probleme aufnehmen und er war froh, dass bei diesem wichtigen Kampf keine Elemente eingesetzt werden durften.

Noch immer knurrend unterlag Jurikin seinem Bruder. Dieser versuchte ihn nicht wie beim ersten Mal in den Hals zu beißen, sondern er schnappte sich dessen rechte Vorderpfote. Nun war es an Jurikin, jaulend aufzuheulen. Sein Bruder zerrte mit seinem starken Biss an seiner Pfote. Der Schmerz rann Jurikin das ganze Bein hinauf und vernebelte kurz seine Sinne. Blut tropfte von der Wunde und bedeckte den Boden. Er versuchte, sich auf den Rücken zu drehen, doch Xin ließ ihm keine Chance.

Erneut knurrte Jurikin und versuchte, einen klaren Kopf zu bewahren. Dabei entschloss er sich, eine andere Taktik anzuwenden. Anstatt sich auf die Seite zu rollen, stütze er seine Hinterbeine auf den Boden, um einen kleinen Sprung vorzubereiten. Mit aller Kraft drückte er sich vom Boden ab.

Xin, der sich noch immer hasserfüllt in seiner Pfote verbissen hatte, flog mit Jurikin durch die Luft. Während des kurzen Fluges gelang es Jurikin, sich umzudrehen und somit in die aufgerissenen Augen seines Bruders zu blicken. Er spannte seinen Körper an und kratzte mit seiner weißen linken Hinterpfote über den Bauch seines Bruders.

Kurz vorm Aufprall auf den Boden, ließ Xin die Pfote seines Bruders los und jaulte schmerzerfüllt auf. Durch die zuschauenden Wölfe ging ein Raunen.

Beide landeten unsanft wenige Meter voneinander entfernt, auf dem Boden. Ein Keuchen kam aus beiden Wolfkehlen.

Nach einiger Zeit, konnte Jurikin seine Kraftreserven wieder sammeln, um anschließend aufzustehen. Als er unbewusst sein Gewicht auf seine verletze Pfote verlagerte, durchfuhr ihn ein stechender Schmerz. Mist! Sie wird gebrochen sein, dachte sich Jurikin und entlastete die schmerzende Pfote. Er musste sich später um die Behandlung kümmern.

Als er das Japsen seines Bruders vernahm, hob Jurikin den Kopf und blickte zu ihm.

„Noch nicht tot?", fragte Jurikin, als sein Bruder versuchte aufzustehen. Xin gab daraufhin nur eine knurrende Antwort. Jurikin konnte erkennen, dass der Bauch seines Bruders stark blutete.

Da habe ich wohl gute Arbeit geleistet, bemerkte Jurikin und lachte in sich hinein.

Doch da hatte sich der junge Wolf zu früh gefreut. Mit der Wunde am Bauch kämpfte sich sein Widersacher nach oben.

Jurikin blickte in dessen hasserfüllte Augen. Er sah, dass sein Bruder vor Schmerz die Zähne zusammenbiss. Danach ging ein Beben durch den Körper von Xin und dessen Augen leuchteten wild und entschlossen auf.

Xin stand daraufhin entschlossen auf seinen vier Pfoten, so als hätte er keine Verletzung am Körper. In der nächsten Sekunde sprang er erneut auf seinen Bruder zu. Jurikin bemerkte den Angriff sofort und wich dem offenen Maul seines kleinen Bruders nur knapp aus.

Erst jetzt wurde Jurikin bewusst, dass mit Xin etwas nicht stimmte. Er war einer Art Tollheit verfallen, in der er beschlossen hatte, Jurikin um jeden Preis zu vernichten. Die Wunde am Bauch hatte ihm den Rest seines Verstandes geraubt.

Sobald Jurikin sich der verzwickten Lage bewusst wurde, vergaß er die Schmerzen in seiner pochenden Pfote. Doch beim nächsten Ausweichschritt, kamen die Schmerzen umso stärker zurück. Xin bemerkte diesen Moment der Schwäche und sprang erneut auf Jurikin zu. Der kleinere Wolf war schneller und verbiss sich in den Hinterlauf von Jurikin. Aufgrund der Schmerzen bekam Jurikin nur ein kleines Jaulen zustande.

Jurikin hatte nun genug und nahm seinerseits die Kraftreserven zusammen. Er riss sich aus dem Biss seines Widersachers, drehte sich blitzschnell um und verkeilte seine Zähne in dessen Kopf. Jurikin drückte seine Kiefer zusammen. Xin heulte erneut auf und sank kraftlos zu Boden. Dieses Mal wehrte sich Xin nicht, da er nun endgültig das Bewusstsein verloren hatte. Jurikin öffnete langsam seinen Kiefer.

Sein Biss hatte das linke Auge seines Bruders getroffen. Aus der Augenhöhle floss langsam Blut. Bei dieser Verletzung würde Xin nie wieder durch dieses Auge sehen können. Dies kümmerte Jurikin im Augenblick nicht. Für ihn hatte Xin seine gerechte Strafe bekommen, für das, was er ihm angetan hatte. Seine eigenen Wunden bluteten und schmerzten stark.

Plötzlich jaulten die Wölfe um ihn vor Freude laut auf.

Jurikin hob daraufhin seinen Kopf und heulte siegreich in den Himmel. Der Kampf war vorbei und Jurikin hatte gegen seinen kleinen, flinken Bruder Xin gewonnen. Nun würde der Alphawolf und seine Berater entscheiden, ob Jurikin tatsächlich gewonnen hatte.

~~Kralle um Kralle, Zahn um Zahn Ende~~

Hat Jurikin den Kampf wirklich gewonnen?

Wie schwer wurde Xin bei dem Kampf verletzt?

Ein erster Kampf und noch lange nicht der Letzte...

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