Entscheidungen und ein Bienenstich

~~Entscheidungen und ein Bienenstich~~

Die fünf Jungwölfe machten sich auf den Weg zur Leitwölfin Marika. Ihr Heulen, dass durch die Nacht drang, klang dringlich und fordernd. Die Wölfe sollten umgehend zum Rudel zurückkehren.

Trotz der Eile blieben die Wölfe gelassen und sprangen freudig umher. Soeben hatten sie ihre Freundschaft besiegelt. Eine Freundschaft, dass wussten sie, die ein starkes Band besahs. Jeder der fünf Wölfen würde diesen Abend nie vergessen, insbesondere Yen nicht.

Nyrona führte die kleine Gruppe an und leitete sie durch den dunklen Wald. Bald kamen sie bei der Felsnische an, wo die anderen Wölfe bereits auf sie warteten.

Die Wölfe hatten sich vor der Höhle der Leitwölfin versammelt und keiner sprach ein Wort oder bewegte sich. Alle blieben gespannt auf ihren Plätzen und blickten erwartungsvoll die Jungwölfe an.

Die fünf Jungwölfe gingen durch die Wolfsreihe, bis sie vor dem Höhleneingang stehen blieben. Daraufhin trat Yen vor und wollte in die Höhle gehen, doch der schwarze Wolf zögerte.

Er konnte die Lage schlecht einschätzen. Würde ihn Marika ihm endlich die Informationen geben, die er für seinen Weg, den Wölfen zu Helfen bräuchte, oder hat sie sich entschieden, ihn aus ihrem Rudel zu vertreiben?

Diese und noch viele weitere Fragen schossen Yen durch den Kopf, während er in die dunkle Höhle blickte. Dort konnte er leise das Schnaufen einer älteren Wölfin hören. Das Schnaufen von Marika. Ein Schauer lief durch seinen Körper.

Die letzten Tage hatte er kaum an sein eigentliches Vorhaben gedacht. In wenigen Augenblicken würde sich entscheiden, wohin sein Weg ihn als nächstes führte.

Yen hoffte, seinen Weg endlich fortsetzen zu können und blickte ein letztes Mal zurück zu seinen neuen Freunden.

Sikona, Esaila, Nyrona und Nurik gaben ihm mit einem Nicken zu verstehen, dass sie direkt hinter ihm standen.

Dies gab Yen den Mut, endlich in die Höhle zu treten.

Das Schnaufen wurde immer lauter, je weiter Yen in die Höhle schritt, bis schließlich Marika vor ihm auftauchte und ihn ruhig anblickte.

Yen starrte ehrfurchtvoll zurück. Nach diesem kurzen Zögern drehte sich Marika um und führte Yen in einen Teil der Höhle, wo die Wände weit auseinander gingen, sodass sie in einen großen Raum traten.

Yen hatte nicht geahnt, dass sich ein so großer Raum hinter all den Felsen befand. Er konnte kaum die Decke erkennen.

Trotz der Größe war es in der Höhle nicht dunkel, da an einer Wand durch einen kleinen Riss Licht hereinfiel. Dennoch wirkten diese Dunkelheit und diese Größe der Höhle bedrückend auf Yen. Er fühlte sich verloren und sogar ein klein wenig einsam.

Doch als er die Gegendwart seiner Freunde hinter sich spürte, waren diese Gedanken wie weggeblasen. Was zählte, war das Hier und Jetzt und somit das Wohl seiner Freunde.

Vorsichtig trat Yen noch ein paar Schritte nach vorne, sodass auch die vier Wölfe hinter ihm Platz hatten.

Als nun endlich alle in dem Raum angekommen waren, setzten sie sich hin und warteten.

Die Leitwölfin tat es ihnen gleich und blickte Yen und ihre Kinder an.

„Nun, ich glaube, ihr wisst, wieso ich euch zu mir gerufen habe?", begann Marika zu sprechen. Alle fünf Jungwölfe nickten.

„Yen, ich habe eine Entscheidung getroffen. Die Entscheidung, auf die du so lange gewartet hast. Ich weiß, dass dir die Zeit wie eine Ewigkeit vorgekommen ist, da du ein Wolf bist, den es in die Weiten der Welt hinauszieht."

Die Leitwölfin machte eine Pause und blickte tief in Yens Augen. In seinen Augen konnte sie die Zustimmung auf ihre Feststellung sehen.

Yen war schon seit Tagen bei dem westlichen Gemischtrudel und jeden Tag hatte er gehofft, weiter ziehen zu können. Nicht, weil er sich bei dem Rudel nicht wohl gefühlt hatte, sondern weil es, wie Marika schon angesprochen hatte, ihn in die Welt hinauszog.

Yen wollte den Wölfen helfen, die jetzt in Not geraten waren. Er wusste, dass dieser Weg steinig und schwer war, doch in seinem Inneren gab es etwas, das ihm sagte, dass er es dennoch schaffen konnte.

„Ich konnte dir nicht schon früher meine Informationen preisgeben", brach Marika die Stille. „Es hätte sein können, dass du ein Spitzel von diesen finsteren Wölfen bist, die unser Land in Aufruhr versetzen. Ich wollte zuerst sicher gehen, dass du nichts Böses im Sinne hast."

Hinter sich konnte Yen ein leises Fiepen hören. Er vermutete, dass es von Sikona kam, die Mitleid mit Yen hatte. Mitleid, weil er verdächtigt wurde ein Spitzel zu sein. Doch Yen brauchte kein Mitleid. Er hatte geahnt, dass Marika ihn prüfen wollte, um auf Nummer Sicher zu gehen. Sein Aussehen ließ wohl jeden Wolf zweifeln, dass er aus keinem anderen Rudel als aus einem Finsternisrudel stammte. Dies hatte Yen schon vor Langem begriffen, dass seine nahen Verwandten wohl Finsterniswölfe waren.

„Jetzt bin ich mir sicher, dass du kein Spitzel bist, sondern wirklich ein Wolf, der versuchen will, uns zu helfen. Das Spektakel von vorhin hat mich letztendlich überzeugt. Ob du uns retten kannst, weiß ich nicht. Ich hoffe nur, dass meine Informationen, die ich für dich habe, dir von Nutzen sein können. Aber eins weiß ich gewiss: Dass man dir vertrauen kann!"

Yens Herz schlug bei diesen Worten schneller.

„Meine Entscheidung steht fest. Ich vertraue dir mein Wissen an. Aber ich möchte dich nicht enttäuschen. Mein Wissen ist beschränkt und ich weiß kaum mehr als du selbst."

„Das ist in Ordnung. Ich bin für jede Information dankbar", sagte Yen erwartungsvoll.

Marika war sichtlich zufrieden. So eine Reaktion hatte sie von Yen erwartet.

„Sehr gut. Dann lass uns anfangen und hört gut zu, weil ich werde das, was ich sage, nicht wiederholen."

Die Jungwölfe nickten.

„Dir ist sicherlich aufgefallen, dass dieses Rudel keinen Leitwolf besitzt. Es mag für dich eigenartig vorkommen, dass nur eine Leitwölfin das Rudel führt. Doch der Schein trügt. Dieses Rudel hat sehr wohl einen Leitwolf."

Yens Blick wanderte bei diesen Worten unauffällig zu Nurik. Dieser musste seinen Blick auf sich gespürt haben und blickte nun seinerseits Yen an. Da begriff Nurik und schüttelte energisch den Kopf.

Yen wurde bewusst, dass Nurik nicht der Rudelführer sein konnte. Die Jungwölfe hatten bei ihrem ersten Treffen den Namen „Kito" erwähnt und nicht den von Nurik. Zudem wäre ihm dies sofort im Verhalten der anderen Rudelmitglieder aufgefallen.

„Nein, Nurik ist nicht unser Rudelführer", fuhr Marika unbekümmert fort. „Unser Leitwolf ist Kito. Sicher hast du bereits von ihm gehört. Kito sieht völlig anders aus als du, aber im Inneren gleicht ihr euch sehr. Ich wünschte, ihr hättet einander in dieser Zeit, wo du bei uns warst, kennen gelernt. Kito ist ein Lichtwolf. Seine Fähigkeiten, das Licht zu beherrschen, sind sehr gut ausgeprägt. Er ist ein wunderbarer Führer mit einem guten Herz. Auch er hatte, wie du, den Drang verspürt, der Welt und seine Bewohner zu helfen. Kito ist vor ein paar Monaten in die Weiten von Daromi marschiert, um nicht untätig zu blieben. Dies war ungefähr zum Beginn, als die Finsterniswölfe angefangen haben die umliegenden Rudel anzugreifen."

Yen stutzte. „Finsterniswölfe?" Marika nickte.

Seine Vermutungen hatten sich bestätigt. Damals als er die beiden finsteren Wölfe von der Klippe aus belauscht und Sanja ihm von den Elementwölfen erzählt hatte, hatte er vermutet, dass Finsterniswölfe hinter den Angriffen steckten.

„Es besteht kein Zweifel, dass die Angriffe vom nördlichen Finsterniswolfsrudel kommen. Sie streunen durch das Land und, wie es scheint, haben sie nur ein Ziel: Die Zerstörung aller Rudel und Vereinigung unter einem einzigen Rudelführer. Der Rudelführer des nördlichen Finsterniswolfsrudels namens Taroxon."

Das letzte Wort sprach sie mit Hass und Abscheu aus. Doch dies verwunderte Yen kaum und er konnte sie verstehen. Der Name selbst jagte ihm einen Schauer über den Rücken.

„Kito erahnte die Gefahren, die uns bevorstehen. Er nahm sich seine besten Wölfe und zog in die Welt hinaus, um einen bestimmten Wolf zu suchen. Du hast bestimmt von diesem Wolf in den Prophezeiungen gehört. Meine Kinder haben dir die Geschichte erzählt. Mein Gefährte glaubte fest an die Prophezeiung. Nicht viele Wölfe tun dies mit so einer Innbrust wie er. Ich glaube, Sikona hat diese Überzeugung von ihm geerbt", entgegnete Marika und ein kurzes Lächeln huschte über ihr Gesicht.

„Zudem sucht Kito noch nach andere Wölfen. Vagabunden, Verbliebene, Verbündete, die bereit sind, mit ihm in den Kampf zu ziehen, um Taroxons Pläne zu durchkreuzen und, um der Welt wieder eine sichere Zukunft zu geben."

Wieder entstand eine Pause, in der keiner ein Wort sprach. Yens Gedanken kreisten wie wild durch seinen Kopf. Doch er hatte nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, was für Folgen diese brutale Unterwerfung für alle Rudel bedeutete.

„Kito und mir wurde sehr schnell bewusst, dass die Zukunft dieser Welt gefährdet ist. Allmählich begannen in unserem Rudel die Elementwölfe immer schwächer zu werden. Je nach ihrer Ausprägung verloren sie ihre Elementkraft, oder konnten sie nur noch in geringen Maßen nutzen."

Yen blickte nach hinten und sah jeden Wolf einzeln an. Die Geschwister blickten traurig auf den Boden und nickten zustimmend.

„Wir wissen nicht, wieso diese Schwäche so plötzlich kam. Aber eines wissen wir genau. Taroxon steht in Verbindung mit dem Verschwinden der Elementkräfte. Uns bleibt es ein Rätsel, was er vorhat und welches Ziel er genau verfolgt. Aus diesem Grund zog Kito los, um die Ursache und sowohl auch den Retterwolf aus der Prophezeiung zu finden."

Marika wurde still und stand gemächlich auf. Die anderen Wölfe taten es ihr gleich.

„Tut mir leid Yen, aber mehr kann ich dir nicht sagen. Kito ist bis jetzt nicht zurückgekehrt. Zum Glück bleiben die Finsterniswölfe von uns fern. Keiner weiß wie lange es noch dauern wird, bis sie auch über dieses Gebiet hereinfallen. Mir ist sehr wohl bewusst, dass ich dir sehr wenige Informationen weitergeben kann, für die lange Zeit, die ich dich hier festhielt. Ich würde dir gern noch einen Hinweis als Entschädigung mit auf den Weg geben."

Alle Wölfe im Raum spitzten die Ohren.

„Verlasse das Revier in nördlicher Richtung. Sobald du das Gebiet verlassen hast, wende dich nach Osten, bis du zu einem dichten Wald kommst. Wir nennen ihn auch den „Wald der Unendlichkeit". Geh in diesen Wald so weit wie du kannst, bis du auf eine Felswand stößt. Dort wirst du eine alte Wölfin finden, die sicherlich mehr Informationen für dich hat. Die Wölfin nennen wir die Seherin. Warum wir sie so nennen, wirst du selbst erfahren. Kito ging ebenfalls zu ihr, bevor er seine weite Reise antrat, doch ohne Erfolg. Sie hörte ihn nicht an. Geh zu ihr, aber du wirst diesen Weg nicht allein beschreiten. Nimm meine drei wunderbaren Töchter und meinen stattlichen Sohn mit auf deinen Weg."

Erstaunt blickte Yen sie an. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Marika ihm Wölfe auf seinen Weg mitschickte. Schon gar nicht, dass sie ihre eigenen Kinder in Yens Obhut gab.

„Ich weiß, dass sie bei dir und auf deinem Weg sicherer sind, als in diesem Rudel. Das Rudel könnte jeden Tag angegriffen werden. Zudem bin ich mir sicher, dass sie dir sowieso folgen werden. Ich halte meine Kinder schon zu lange hier fest."

Yen trat vor und senkte unterwürfig seinen Kopf.

„Danke Marika. Danke für alles."

„Nun geh und lass mich kurz mit meinen Kindern allein. Sie werden gleich zu dir kommen", sagte Marika und nickte ihm zu.

Yen hob seinen Kopf und drehte sich um. Er vermied es, in die Augen der Geschwister zu blicken, da er Angst hatte dort Unsicherheit gegenüber der Entscheidung ihrer Mutter lesen zu können.

Yen trat aus der Höhle, ohne noch einmal zurückzublicken.

Draußen angekommen, sah Yen in die Morgendämmerung. Auf dem Platz vor dem Rudel waren nur noch wenige Wölfe. Yen vermutete, dass die anderen Wölfe auf der Jagd waren. Der schwarze Wolf marschierte auf den Ausgang der Felsnische zu. Er wusste, dass ihm die Geschwister früher oder später folgen würden.

In der Mitte des Platzes blieb er unschlüssig stehen. Die anderen Wölfe würdigten ihn nur eines kurzen Blickes. Sie wussten, wie sich ihre Leitwölfin entschieden hatte und auch, welchen Weg Yen als nächstes einschlagen würde.

Yen blickte mit gemischten Gefühlen in Richtung Himmel und ließ sich die Geschehnisse in der Höhle noch einmal durch den Kopf gehen.

Er war überrascht gewesen, dass Marika doch noch bereit gewesen war, ihm ihre Geheimnisse anzuvertrauen. Am meisten überraschte ihn die Tatsache, dass ihn die vier Geschwister begleiten wollen.

Hier war ihre Heimat. Hier sind sie groß geworden. Hier waren ihre Freunde. All das wollten sie für sie zurücklassen. Für ihn. Einem Wolf, den sie gerade mal ein paar Wochen kannten.

Yen war gerührt und ihnen unendlich dankbar. Er war froh, nicht allein diese schwere Reise antreten zu müssen.

Wenn er an die Zeit zurückdachte, in der er durch die Gegend gewandert war und das Ausmaß der Zerstörung gesehen hatte, wünschte er sich, nicht alleine gewesen zu sein.

Yen bemerkte, dass am Himmel ein kleiner Adler damit begonnen hatte, wie seine Gedanken, im Himmel zu kreisen. Er verfolgte den Adler mit verträumtem Blick.

Je weiter er ihn anblickte, desto mehr kam ihm der Verdacht, dass er diesen Raubvogel kannte. Yen blieb keine Zeit zum Nachdenken, da genau in diesem Moment die Geschwister zu ihm kamen und ihn aus seinen Gedanken rissen. Er sah nicht, wie der Adler am Himmel kreischend verschwand.

Yen drehte sich zu den Geschwistern um. Keiner der Wölfe sprach ein Wort. Jeder Blick verriet Yen, dass sie sich von ihrer Mutter schmerzlich verabschiedet hatten.

Ohne ein Wort zu sprechen, trabte Yen los. Es war nicht der richtige Moment für Worte. Seine Dankbarkeit über ihre Entscheidung, konnte er ihnen auch später sagen. Yen hörte, dass die Geschwister ihm bereitwillig nach Norden folgten.

So trabten die fünf Wölfe gemütlich aus der Felsnische und in den Wald. Hinter ihnen konnten sie das Abschiedsgeheul von Marika an sie alle hören. Doch kein Wolf blieb stehen, um das Geheul zu erwidern.

Sie alle kamen gut voran und nach ein paar Stunden konnten sie das Gebiet der Gemischtwölfe hinter sich lassen.

Kurz nachdem sie die Grenze überschritten hatten, legten sie eine kleine Rast an einem Fluss ein.

Auf ihrer Seite des Flusses ragte nach wenigen Metern ein steiler Berg nach oben. Die andere Seite des Gewässers endete nach dem Ufer in einem dichten Wald.

Alle Wölfe, außer Yen, begaben sich zum Fluss, um etwas zu trinken. Kurz bevor sie ihre Köpfe zum kühlen Nass hinunterbeugten, brach Yen das Schweigen.

„Ich danke euch aus tiefstem Herzen, dass ihr mir folgt. Ohne euch wüsste ich nicht, was ich machen sollte."

„Dafür musst du dich nicht bedanken. Ich glaube, wir hätten es sowieso nicht mehr lange im Rudel ausgehalten. Uns treibt es schon seit längerem nach draußen. Zudem können wir einem Freund in Not keine Hilfe abschlagen!", erklärte Nyrona für die anderen. Nurik, Sikona und Esaila nickten zustimmend.

Yen lächelte ihnen dankbar zu und ging zum Fluss, um sich ebenfalls zu erfrischen. Da vernahm er plötzlich einen Schrei direkt hinter sich.

Ruckartig drehte Yen sich um und blickte zum Berg hinauf.

Das Einzige, was er sah, war ein grau-weißes Geschöpf, dass mit großer Geschwindigkeit direkt auf ihn zuflog.

Yen wusste, dass er zum Ausweichen keine Zeit hatte. Sein Körper war vor Schreck erstarrt und so flog das Geschöpf immer näher auf ihn zu.

Der junge, verletzte Wolf kämpfte weiterhin um sein Überleben. Die Wunden an seinem Köper hatten aufgehört zu bluten, doch schmerzten diese unerträglich.

Die Schmerzen zehrten an seinen Kräften und somit musste er immer öfter eine Pause einlegen. Zu seinen Schmerzen gesellte sich ein unerträglicher Hunger.

Seit er von der Gefahr geflohen war, hatte er nichts Festes mehr zwischen die Zähne bekommen. Er war zu schwach, um zu jagen und so hielt der Wolf nach Beeren Ausschau. Insbesondere nach ungiftigen Waldbeeren.

Bis jetzt hatte der junge Wolf keinen Erfolg auf seiner Suche gehabt. Dennoch gab er nicht auf und suchte die ganze Nacht hindurch.

Als die ersten Sonnenstrahlen durch das Blätterdach schienen, beschloss der Rüde eine kurze Pause einzulegen.

Er legte sich an einen schattigen Platz unter einem kleinen Baum.

Seine Schmerzen zogen sich etwas zurück und er lag ruhig im Schatten, um seine Umgebung zu betrachten. Nur das morgendliche Gezwitscher von Vögeln und das Surren von Insekten waren zu hören. Der Rüde genoss die Stille und die Ruhe des Ortes.

In den Tagen, die er allein verbracht hatte, war er sehr oft einsam gewesen. Schon bald hatte er sich mit dem Tod seiner Eltern abgefunden. Dennoch trauerte er innerlich noch um sie.

„Denk nicht an die Vergangenheit, sondern an die Zukunft!", sagte er sich immer wieder und schüttelte somit jeden trüben Gedanken aus seinem Kopf.

Der Wolf bettete seinen Kopf auf seine Vorderpfoten und versuchte etwas Schlaf zu finden. Leider hinderte ihn sein Hunger in einen ruhigen Schlaf zu fallen.

Nach kurzer Zeit beschlich ihm das Gefühl beobachtet zu werden. Er spürte, wie ihm aus einem der Bäume ein Tier eindringlich musterte. Der Wolf schüttelte seinen Kopf und ihm überkam erneut die Angst, dass er seine Verfolger nicht abgeschüttelte hatte. Nach kurzem Überlegen kam ihm der Gedanke, dass ein fremder Wolf einen verletzten Wolf, wie ihn bereits angegriffen hätte. Daraus schloss er, dass das Geschöpf, dass ihn beobachtete, kein Feind sein konnte.

Sein Magen meldete sich mit einem lauten Bauchknurren. Genervt knurrte der Wolf zurück und schloss erneut die Augen. Um ihn herum wurde es wieder still.

Dieser friedliche Moment währte nicht lange, als ein schriller Vogelschrei die Luft zerschnitt und der junge Wolf in die Bäume blickte. Er suchte einen Grund für das Gekreische des Vogels, konnte aber auf Anhieb keinen entdecken.

Der Wolf musste nicht lange nach dem Ursacher des Schreis suchen. Am Himmel, direkt über ihm kreiste ein kleiner Adler über den Himmel.

Dieser flog gemütlich seine Runden, ohne ein Anzeichen von Gefahr.

Der Wolf wollte sich gerade wieder hinlegen, als der Adler erneut schrie. Dieses Mal zog der Adler nicht weiter seine Kreise, sondern ließ sich zum Sturzflug sinken und zwar genau auf den Wolf zu.

Der Wolf sprang sofort auf, woraufhin er mit dem wiederkehrenden Schmerz bestraft wurde. Er unterdrückte den Schmerz und richtete seine Augen wieder auf den Adler, der weiterhin zielgerichtet vom Himmel stürzte. Unfähig sich zu bewegen, starrte er in die klugen Augen des anderen Tieres.

Immer näher kam er ihm, bis nur noch wenige Meter sie trennten. Zur Verwunderung des Wolfes, spreizte der Adler im letzten Moment seine Flügel und drehte ab. Der Vogel flog in den Wald und schrie erneut.

Dem Wolf dämmerte, was diese verrückte Geste zu bedeuten hatte.

Weiterhin ignorierte er den Schmerz und versuchte, so gut es ging, dem Adler in den Wald hinein zu folgen. Der Vogel flog nicht zu schnell und achtete darauf, dass er ihm gut folgen konnte.

Der Adler führte ihn immer weiter in den Wald hinein. Der Weg wurde immer steiler und nur noch wenig Licht drang zu ihnen durch die dichte Blätterkrone durch. Der Wolf wusste zwar nicht, wohin der Vogel ihn führte, doch in den klugen Augen des Tieres konnte er lesen, dass er keine bösen Absichten verfolgte.

Der Wolf folgte seinem Wegführer den kleinen Berg hinauf, bis der Boden wieder eben wurde und sich langsam der Wald lichtete. Nach ein paar Schritten trat der Wolf auf eine offene Fläche, die an einem Abgrund endete. Der Wolf sah in den Himmel und erblickte noch kurz den Adler, der mit einem letzten Abschiedsschrei in den Wolken verschwand.

Verwirrt blickte sich der Wolf um und versuchte den Grund für die Führung zu finden. Nach kurzer Zeit vernahm der Wolf einen bekannten Geruch in seiner Nase. Sofort folgte er seinem Sinn am Abgrund entlang.

Freude machte sich in seinen Körper breit und unwillkürlich wurde sein Schritt schneller. Nach wenigen Schritten blieb der Wolf stehen und blickte gierig auf den Urheber des Geruchs. Der Wolf wartete nicht lange und stürzte sich regelrecht auf den Waldbeerbusch. Waldbeeren jeglicher Art aß er am liebsten und so verschlang er diese regelrecht.

Die Himbeeren, die er aß, hinterließen um sein Maul rote Spuren. Nach kurzer Zeit bedeckte der rote Saft auch seinen Bauch und seine Pfoten.

Jede Beere, die er sah, zupfte er gierig von den Ästen. Er drang immer weiter in den Busch hinein. Nachdem er mit dem ganzen Körper im Gestrüpp verschwunden war, vernahm er ein böses Surren direkt vor seiner Schnauze. Eine wütende und sich bedroht fühlende Biene flog auf seinen Kopf zu.

Der Wolf wich erschrocken zurück und versuchte dem gefährlichen Stachel des Insektes zu entkommen. Leider war er zu langsam und kurz nachdem er den Busch verlassen hatte, stach ihn die Biene in die Nase.

Jaulend warf er seinen Kopf auf die Seite und sprang vor Schreck direkt in den Abgrund.

Während dem Absturz schlug er seine Augen auf und sah in das entsetzte Gesicht eines schwarzen Wolfes, dass immer näherkam. Einen Augenblick später, prallte er mit ganzer Wucht mit dem anderen Wolf zusammen.

Die Wölfe rutschten aufgrund des Aufpralls mehrere Meter weiter. Als beide endlich übereinander zum Erliegen kamen, stöhnten sie vor Schmerz auf.

Eine Zeit lang bewegte sich keiner von ihnen. Nach ein paar Augenblicken bewegte sich langsam der grau-weiße Wolf, damit der andere Wolf unter ihm ebenfalls aufstehen konnte.

Die Schmerzen durchfuhren seinen Köper und er begann zu schwanken. Bevor er auf den Boden stürzte, stützte ihn etwas von der linken Seite ab. Verwirrt blickte er auf seinen Helfer. Es war ein Wolf, der nicht größer als er selbst war. Sein Fell war braun und er besahs eine rote Mähne. In seinem Gesicht konnte er ein besorgtes Lächeln erkennen.

Benommen blinzelte der grau-weiße Wolf und richtete seinen Blick auf den schwarzen Wolf. Dieser erhob sich mit Hilfe von einer dunkelblauen und einer grünen Wölfin.

Nun trat auch eine hellblaue Wölfin zu ihm und dem roten Wolf, um ihm von der rechten Seite zu stützen.

Verwundert blickte sich der Wolf um. Die Wölfe zeigten keine Aggressionen oder Feindseligkeiten.

Als der schwarze Wolf endlich sicher stand, trat er, in Begleitung der anderen Wölfe, zu ihm.

Kurz vor ihm blieb er stehen. Längere Zeit sagte keiner der Anwesenden ein Wort.

„Das ist eine eigenartige Art einfach so hereinzuplatzen, wenn du mich fragst", sagte der schwarze Wolf.

Der angesprochene Wolf senkte unterwürfig seinen Kopf. Der größere Wolf hatte Recht. Durch seinen Schock, aufgrund des Bienenstichs, hatte er einen anderen Wolf gefährdet.

„Das ist nicht weiter Schlimm", fuhr der schwarze Wolf fort. „Ich sehe, du bist schwer verletzt. Du siehst fürchterlich aus."

Da wurde dem grau-weißem Wolf bewusst, dass der andere Wolf den Beerensaft auf seinem Fell als Blut identifiziert hatte.

„Ich werde dir dein Missgeschick nicht verübeln. Ich hoffe mal, dass du kein Wolf mit bösen Absichten bist und du mit deinem Sturz uns angreifen wolltest. Wenn dem nicht so ist, so kannst du gern fürs Erste bei uns bleiben, bis deine Wunden geheilt sind. Mein Name ist übrigens Yen. Der rote Wolf neben dir heißt Nurik, die dunkelblaue Wölfin Nyrona, die Grüne neben mir ist Esaila und die hellblaue Wölfin heißt Sikona."

Der Wolf sah jedem Angesprochnen der Reihe nach an. Alle nickten ihm freundlich zu.

Er konnte nicht glauben was er soeben erlebte. Da boten ihm fünf wildfremde Wölfe ihre Hilfe an. Gerührt von dieser Geste machte er einen hilflosen Schritt nach vorne.

Die anderen Wölfe sahen ihn erwartungsvoll an, als er kurz tief Luft holte.

„Tut mir leid für diesen ungeplanten Sturzflug. Ich hoffe, dir geht es gut. Ich wurde überrascht und flog von dem kleinen Berg. Vielen Dank für euer Angebot, dass ich sehr gern annehmen werde. Ich bin kein böser Wolf, sondern nur einer, der die Gesellschaft anderer sucht."

Er machte eine Pause, da ihm das Sprechen schwerfiel.

„Schön euch kennen zu lernen! Mein Name ist Ruki."

~~Entscheidungen und ein Bienenstich Ende~~

Werden Yen und seine neuen Gefährten den Wald der Unendlichkeit erreichen?

Hilft ihnen die Seherin auf ihrem Weg?

Wer genau ist Ruki und von wo stammt er?

Ein Weg voller Überraschungen und Hürden. 

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