3. Ein annähernd langweilig normaler Tag
Mein Tag verläuft wie immer. Fast bin ich ein bisschen gelangweilt, so vorhersagbar kommt mir meine Routine momentan vor.
Meine Brüder sind bis mittags in der Schule -- was auch immer das ist, aber es scheint wenig erstrebenswert, dort hinzugehen. Anscheinend darf man dort weder reden noch sich bewegen, geschweige denn fliegen. Dafür kriegt man ständig gesagt, was man noch nicht gut genug kann. Und wenn man etwas endlich verstanden hat, kommt auch schon das nächste Thema.
Ich werde nie in die Schule gehen, so viel ist sicher.
"So, und was machen wir zwei Hübschen jetzt, wo die drei endlich weg sind?", erkundigt sich meine Mutter bei mir, kaum das die Jungs mit viel Gepolter und Gefluche aus der Tür sind.
Na wenn sie so fragt, ich hätte da schon ein paar Ideen.
~Wir könnten einen Beauty-Tag einlegen. Ich wollte schon immer mal ein Schlammbad ausprobieren, und dir würde eine Gesichtskur gut tun, wenn du mir den Kommentar gestattest~, antworte ich ihr in der leisen Hoffnung, ein sinnvolles Gespräch beginnen zu können.
"Ja, find ich auch, das ist eine fabelhafte Idee!"
Hat sie mich etwa wirklich verstanden? Mein Gesicht leuchtet wahrscheinlich wie das sprichwörtliche Honigkuchenpferd, so sehr freue ich mich. ~Spa, wir kommen!~
"Natürlich kannst du noch ein bisschen Brei haben! Schau mal, hier habe ich noch eine Portion, extra für dich und extra groß!"
~Was? Nein! Spa, Schlammbad, regenerierende Gesichtskur!~
"Du hast also besonders viel Hunger? Überhaupt kein Problem, ich kann zur Not noch neuen Brei kochen, du kannst also unbesorgt alles aufessen. Wie wäre es mit Karotte-Brokkoli?"
Ich weiß nicht, warum ich mir überhaupt noch Hoffnungen mache. Wir werden uns nie verstehen. Wahrscheinlich reden wir immer noch aneinander vorbei, wenn ich ein Teenager bin.
Immerhin darf ich nach dem Brei ein Nickerchen machen, mit Mama zusammen, weil sie beim Versuch mich ins Bett zu bringen einschläft. Nickerchen mit Mama zusammen sind sowieso das Allerallerbeste.
Und auch dringend notwendig, nachdem ich ihr regelmäßig die Nächte um die Ohren schlage.
Nach dem Nickerchen mache ich noch einige physikalische Experimente, natürlich mit Mama als Assistentin. Zunächst einmal teste ich, ob die Schwerkraft heute noch genauso funktioniert wie gestern. Das Experiment habe ich schon einige Male durchgeführt, aber wer weiß, vielleicht fallen ja heute die Spielsachen alle nach oben statt nach unten. Tun sie nicht.
Nebenbei erkunde ich auch noch ein sozialpsychologisches Setting: Wie oft hebt Mama meinen Schnuller auf, bevor sie die Geduld verliert? Der Rekord liegt derzeit bei 57 Mal, der Negativrekord bei 3. Da hatte Mama einen wirklich schlechten Tag. Gleich mehrere Tage, nach ihrer eigenen Aussage. Was auch immer das heißen mag.
Danach teste ich, ob nicht vielleicht heute der Tag ist, an dem das eckige Klötzchen durch das runde Loch passt -- ist er nicht --, und ob das Buch nicht vielleicht doch noch mehr Seiten hat, wenn ich es nur kräftig genug schüttele -- hat es nicht.
Damit haben meine Experimente zwar alle mal wieder das erwartete Ergebnis erbracht, aber laut dem Professor in der Doku, die Mama neulich geschaut hat, muss man Experimente mindestens dreißig Mal unabhängig voneinander wiederholen, um eine Theorie zu verifizieren.
Außerdem ist es lustig, Mama dabei zuzuschauen, wie sie auf der Suche nach meinem Schnuller unter den Tisch krabbelt. Dort hockt sie auch gerade, als die Jungs mit viel Getöse nach Hause kommen. Ich glaube, die drei können sich einfach nicht leise fortbewegen.
"Was gibts zu essen?", ruft Bruce schon, bevor er das Haus richtig betreten hat, "Ich hab einen Mordskohldampf!" Er pfeffert seinen Schulranzen in die Ecke, dicht gefolgt von seinen Schuhen, dem Turnbeutel, einem Handschuh und der Jacke.
~Wo ist dein zweiter Handschuh?~ Keine Reaktion, natürlich nicht.
"Spaghetti Napoli", antwortet meine Mutter mit leichter Verzögerung. "Los, Ranzen und Schuhe dorthin wo sie hingehören, Hände waschen, und dann ab an den Tisch!" Das letzte Kommando kommt in ihrem besten strengen-aber-gerade-noch-geduldigen Tonfall. Wenn sie den anschlägt, sollte man besser auf sie hören.
Das wissen wohl auch meine Brüder, denn kurze Zeit später sitzen alle drei am Tisch und schlagen sich die Bäuche voll. Und sehen dabei aus wie die Schweine.
~Mensch, arbeitet doch mal an euren Tischmanieren, das kann ja keiner mitansehen!~
Niemand achtet auf meinen Protest, aber das bin ich ja schon gewohnt. Beinahe frage ich mich, ob meine Meinung wohl jemals gehört werden wird, oder ob ich mich irgendwann gezwungen sehen werde, unter die Protestwähler zu gehen.
~Eww, Bruce, schling doch deine Nudeln nicht so runter, ist ja ekelhaft. Und Peter, mach den Mund zu beim Kauen! Das will doch keiner sehen!~
"Manchmal frag ich mich ja echt, was sie da immer vor sich hin brabbelt." Clark betrachtet mich aufmerksam.
"Beschdimmt nischd schinnvollsch, schie ischt ja nochn Baby!", antwortet Bruce für mich. Leider hat er sich vorher so viele Nudeln in den Rachen gestopft, dass man ihn kaum verstehen kann. Kurz habe ich Angst, dass ihm der Speisebrei aus dem Mund fällt, als er zu allem Überfluss auch noch gähnen muss.
~Igitt, Bruce! Ab fünfzig Gramm wirds undeutlich! Und überhaupt, wer ist hier ein Baby? Immerhin bin ich schon ganze sechs ... Monate alt!~ Und wieder einmal versteht mich niemand. Wenn ich schon Haare hätte, würde ich sie mir jetzt raufen.
(836 Wörter)
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top