Kapitel 9

Krampfhaft versuchte Anda sich Levis Griff zu entziehen.

Obwohl seine Haltung locker war, gelang es ihr nicht, ihr Handgelenk zu befreien.

Wie viel Kraft hatte dieser Mann eigentlich?!

Verzweifelt zappelte sie umher und strampelte mit den Beinen.

Abrupt ließ er ihr Handgelenk los und fuhr mit seiner Hand durch ihr Haar.

„Ich sagte doch, du sollst dich richtig abtrocknen", sprach er tonlos und Anda richtete schnell wieder das Tuch um ihren Körper.

Levi zog seine Hand zurück, hob das Handtuch neben ihr auf und umwickelte damit ihre Haarsträhnen. Völlig perplex und überfordert saß Anda einfach nur da und ihre Tränen beugten sich der Schwerkraft, während Levi ohne Regung ihre Haare abtrocknete.

„Hast du mich hier her gebracht?", durchbrach sie die Atmosphäre und wischte sich die Tränen ab.

Doch Levi reagierte nicht und beschäftigte sich weiter mit ihren Haaren.

Anda presste die Lippen zusammen.

Langsam stieg Wut in ihr auf.

Was war nur los mit ihm?

Warum ging er nicht einfach raus? Und warum reagierte er überhaupt nicht auf ihre Fragen?

Ihr Verdacht wurde dadurch immer mehr verstärkt, dass er sie hierher gebracht hatte. Sie schloss kurz die Augen und spannte ihren Körper an.

Sollte sie sonst einfach jetzt versuchen zu fliehen?

Vielleicht konnte sie ihn auch überraschen und weglaufen.

Entschlossen öffnete Anda wieder die Augen und blickte zu Levi. Dieser hatte ihre Haare zu ende abgetrocknet und faltete ausdruckslos das Handtuch zusammen.

Jetzt oder nie, schoss es ihr durch den Kopf und ihr Puls beschleunigte sich.

Vom Adrenalin angetrieben stand Anda ruckartig auf, stieß Levi zur Seite, riss die Badezimmertür auf und lief.

Wie bei einen Marathon lief sie den Flur entlang und sah sich beiläufig um.

Bis sie die Haustür sah.

Als wäre der Teufel hinter ihr her zog sie die schwere Holztür auf und frische Nachtluft kam ihr entgegen.

Ohne sich nochmals, um zu drehen, trugen ihre Beine sie in die Dunkelheit.

Jegliches Zeitgefühl hatte Anda verloren.

Wie lange lief sie schon? Wie weit war sie schon entfernt?

Das Adrenalin wich aus ihrem Körper und sie blieb atemlos stehen. Die Wolken schoben sich beiseite und gaben das Licht des Vollmondes frei.

Anda blinzelte, als sie sich umsah.

Am Horizont konnte sie schwach ein Haus erkennen. Das Haus, aus dem sie gerade geflohen war! Doch rundherum erkannte sie nichts. Keine weiteren Häuser, keine Straßenlichter in der Ferne, nicht einmal Autos konnte sie vernehmen.

Wo zum Henker war sie?

Ihr wurde bewusst, dass sie am Arsch der Welt war. Ein unbekannter, abgelegener Ort.

„Nein",murmelte sie und schüttelte den Kopf. „Das kann nicht wahr sein"

Sie ging ein paar Schritte rückwärts und eine Wolke schob sich wieder vor dem Mond.

Als hätte ihr jemand den Boden unter den Füssen entrissen, wankte Anda nach hinten und stürzte rücklings auf harte Erde.

Ihr kam der Fall wie eine Ewigkeit vor. Unter Schmerzen versuchte sie sich, aufzurichten und der Mond gab wieder sein Licht preis.

Sie war in einen Graben gestürzt. Stöhnend richtete sie sich auf allen vieren und sah sich um.

Durch das matte Mondlicht konnte sie nicht richtig abschätzen, wie tief der Graben war. Und jegliche Kraft war mit einem Schlag aus ihrem Körper gewichen.

Nur die Stille der Nacht war zu hören, in der sich immer dichter zukommende Schritte zogen.

Panisch sah Anda auf und versuchte aufzustehen, doch jegliches Gefühl versagte ihr in den Gliedern und sie landete wieder auf ihre Beine. Angsterfüllt sah sie nur zum Rand des Grabens, an dem die Schritte stoppten und Levi auf sie herab sah.

Die Kälte seiner Augen schimmerte im Mondlicht und sein schwarzes Haar wurde vom Wind bewegt.

„Was soll das werden?", fragte er kühl und verschränkte die Arme. Völlig kalt sah er auf sie herab, als wäre sie nur ein Stück Vieh.

Anda brachte kein Wort heraus. Seine Ausstrahlung hatte sich nun völlig gewandelt und sie verspürte einfach nur noch Angst.

„Wenn du dich entschuldigst, hol ich dich vielleicht da raus", sprach er beängstigend ruhig und ging in die Hocke.

Anda presste die Lippen zusammen. Sie war völlig hilflos und kam sich einfach nur gedemütigt vor.

„Gut, dann bleib da drin", murmelte er bissig und erhob sich.

„Nein!", keuchte Anda. „Bitte!"

Wieder sah Levi auf sie herab. „Wie?"

Sie kniff die Augen zusammen. Ihre jetzige Lage war einfach nur beschissen, noch ehe sie wieder Gefühl in den Gliedern haben würde, war sie erfroren.

„Ich ... will hier raus", nuschelte sie.

Levi verengte die Augen. „Ich verstehe dich nicht", merkte er tonlos an und sprang hinunter zu ihr. „Du musst lauter sprechen!"

Anda sah zu ihm auf und er stand einfach nur ausdruckslos vor ihr.

„B-bitte hol mich hier raus", murmelte sie.

Levi atmete gereizt aus, packte ihren Oberarm und zog sie auf die Beine.

„Wo ist dein Benehmen Mädchen?! Sag es richtig verdammt!", wurde er lauter.

Anda zuckte zusammen und blinzelte. „E-es tut mir leid"

Sein Griff verstärkte sich. „Und weiter?!"

„B-bitte hilf mir", presste sie weiter hervor und schluckte schwer. Als wäre sie ein Kleinkind, das gerade etwas richtig gemacht hat, tätschelte er kurz ihren Kopf.

Ungläubig blinzelte Anda ihn an und er hob sie auf seine Arme hoch. Noch ehe sie reagieren konnte, war er auch schon mit einem Sprung wieder oben.

„Halt dich verdammt nochmal fest!", knurrte Levi, als er weiter ging. Zögerlich schlang Anda ihre Arme um seine Schultern.

Wieder war es total absurd für die Situation, dass sie rot wurde. Der leichte Wind trug ihr seinen Duft entgegen. In ihrem Kopf drehte sich alles.

Die Anspannung der letzten Stunden zeigte ihre Wirkung, nicht zu vergessen, dass sie mit der jetzigen Situation überfordert war.

Ohne es selbst kontrollieren zu können, sank ihr Kopf auf seine Brust und sie schloss die Augen. Mit dem Geräusch seines regelmäßig schlagenden Herzens holte sie die Erschöpfung ein und sie schlief.

Der Geruch von Seife, mit einer leicht blumigen Note, stieg Anda in die Nase, doch ganz schwach war da auch der Duft von Moschus.

Blinzelnd öffnete sie zögerlich die Augen und spürte wie ihr Körper von etwas weichem und warmen umgeben war.

Als sie langsam realisierte wo sie war, beugte sie sich ruckartig nach vorne, und atmete hektisch ein und aus.

Reflexartig zog Anda die Beine an, doch stoppte zugleich.

An ihrem rechten Fuß befand sich eine Kette, die zum Gestell des Bettes führte.

Sie war fest gekettet.

Wie von Sinnen zog sie an der Fessel, doch die Metallglieder gaben nur ein Rascheln von sich.

Anda schloss die Augen und atmete durch, bis sie sich im Raum umsah. Sie befand sich in einem Schlafzimmer, die schwachen Sonnenstrahlen färbten die weißen Wände in ein warmes Orange. Wie lange hatte sie geschlafen? Augenscheinlich war sie wieder im Haus.

Doch die Frage blieb immer noch, wem es gehörte.

Levi?

Dem alten Mann aus ihrer letzten Erinnerung?

Anda schüttelte den Kopf. Eigentlich war es auch egal.

Fakt war, dass man sie gefangen hielt. Und dies aus ihr unbekannten Gründen.

Ihr kam wieder der Fluchtversuch in den Sinn und das Levi sie getragen hatte. In ihrem Inneren zog sich etwas zusammen und ihre Gefühle fuhren Achterbahn.

Dieser Mann wurde ihr immer mehr ein Rätsel. Und gleichzeitig kam ihr der Gedanke, ob sie vielleicht nicht normal war.

Nach all diesen Ereignissen hätte jede andere Person ihn vermutlich gehasst oder verachtet, doch Anda konnte ihre Gefühle für ihn nicht unterdrücken. Sie waren dennoch allgegenwärtig.

Sie winkelte ihre Beine an und schlang ihre Arme um diese.

Was sollte sie nun tun? Wie sollte es weiter gehen?

Die Erinnerungen an Levis Berührungen ließ ihren Körper kurz aufbeben.

Anda wurde aus ihren Gedanken gerissen, als die Tür auf ging. Erwartend das Levi den Raum betreten würde, drehte sie sich zur Tür. Im selben Augenblick weiteten sich ihre Augen.

Da stand der alte Mann aus ihrer Erinnerung am Türrahmen. Was hatte das zu bedeuten? Hatte der Alte sie doch entführt?! Und sie hatte das mit Levi nur geträumt?! Waren es die Sachen des Alten, die sie trug?!

Ihre Gedanken rasten.

„Na Dörnröschen", grinste der Alte sie an und kam dem Bett näher. Anda zog reflexartig an ihrer Fußfessel.

Amüsiert sah Kenny diese an.

„Ah verstehe", murmelte er und rieb sich nachdenklich das Kinn. „Du warst wohl ein ungezogenes Mädchen, was?"

„W-was haben Sie mit mir gemacht?! Wo bin ich?!", forderte Anda.

Kenny ging hinüber zum Fenster und schaute hinaus.

Nach einer Weile seufzte er. „Man eh Kleiner, du wohnst echt am Arsch der Welt", murmelte er und Anda schob nachdenklich die Brauen zusammen.

Sie verstand nicht, was Kenny da von sich gab.

Er sollte endlich ihre Fragen beantworten! Als hätte er ihre Gedanken gelesen wandte er sich wieder zu ihr.

„Ach so, na ja Dornröschen du bist am Arsch der Welt", lachte Kenny spöttisch. „Und was man mit dir gemacht hat, siehst du selber, oder" Er trat näher zu ihr und umfasste ihr Kinn. „Oder bist du blind? Nein warte, vielleicht bist du auch einfach nur blöd", fuhr er gehässig fort und betrachtete ihren Körper.

„Aber zum ficken solltest du trotzdem gut sein", fügte er hinzu und ließ Anda los.

Als würde Kenny ein Museum besuchen schlenderte er im Raum umher.

„Wie es aussieht, ist der Kleine echt nicht da. Nun ja" Dann trat er wieder zum Bett und ließ sich auf die weiche Matratze nieder. „Dann warte ich. Bei so einer hübschen Gesellschaft kommt einem das Warten gar nicht mehr so lange vor, nicht wahr Dornröschen?!"

Anda lief ein Schauer über den Rücken. Dieser Mann war das komplette Gegenteil von dem aus ihrer Erinnerung.

Er erzeugte in ihr Abscheu und sie wollte nur, dass er verschwindet.

Mit einer beiläufigen Bewegung fasste Kenny das Hemd an ihren Körper an.

„Wieso trägst du denn seine Klamotten?", grinste er vielsagend. „Hat der Kleine etwa endlich Druck abgelassen, ja?!"

Anda verzog das Gesicht. „Was wollen Sie zum Teufel?! Wollen Sie Geld?! Ich habe keine Angehörigen die Ihnen etwas geben könnten! Eine Erpressung wird Ihnen also nichts bringen!", sprudelten es aus ihr heraus.

Kenny hob eine Braue. „Bitte?! Was fragst du mich denn. Es interessiert mich nicht, was der Kleine mit dir vor hat. Vielleicht will er sich nur austoben und entledigt sich deiner danach. Ist mir völlig egal."

„Ist das für Sie alles nur ein perverses Spiel?!", erhob Anda ihre Stimme und Kennys Blick verfinsterte sich. „Sie sind doch total krank!"

Ruckartig beugte Kenny sich zu ihr herüber und hielt ihr ein Messer an die Kehle.

„So nicht Dornröschen!", zischte er und drückte die Klinge an ihre Haut. Panisch sah Anda ihn an und ihr stockte der Atem. „Du bist nur ein Spielzeug. Und ich habe kein Problem, damit dich kaputt zu machen!"

Anda kniff angsterfüllt die Augen zusammen. Dieser Mann war doch total verrückt.

„Kannst du mir mal verraten, was das werden soll?!" Durchdrang eine tiefe Stimme den Raum.

Kenny und Anda sahen auf.

Levi stand an der Tür und schmiss mit finsterer Miene eine Tüte auf den Boden.

Mit tödlichen Blick sah er zu Kenny. „Weg von ihr! Sofort!!", knurrte er und kam dem Bett näher.

Kenny grinste nur, hob unschuldig beide Hände und erhob sich vom Bett.

„Wir haben uns nur unterhalten", kommentierte er beiläufig, trat vor Levi und steckte das Messer wieder weg.

Mit einen prüfenden Blick sah Levi zu Anda, ehe er sich wieder Kenny zu wandte.

„Verschwinde! Sofort!", befahl er grimmig und ließ ihn nicht aus den Augen.

„Ja ja schon gut", tat Kenny immer noch unschuldig. „Ich nehm dir dein Püppchen ja schon nicht weg. Hier" Er drückte Levi einen Umschlag in die Hand und ging dann an ihm vorbei.

„Willkommen zurück Kleiner. Der Boss erwartet viel von dir!", sprach er weiter. „Ich finde alleine raus."

Levi ging hinüber zum Fenster und vergewisserte sich, dass Kenny wirklich ging. Dieser ging gerade über den Rasen zu seinem Wagen.

Ein letztes Mal grinste er noch Levi zu, ehe er einstieg und wegfuhr.

„Tcch!" Levi ließ den Umschlag auf dem Fensterbrett liegen und trat näher zu Anda. Diese zuckte panisch zusammen. Ohne eine Regung im Gesicht streckte er die Hand aus und fuhr mit seinen Fingerspitzen ihren Hals entlang.

Der Abdruck der Klinge war noch klar zu erkennen.

„Dieser Bastard!", murmelte Levi.

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