Kapitel Zwei
Als ich am nächsten Morgen aufwache, würde ich meinen Zustand nicht wirklich als lebendig beschreiben.
Meine getrocknete Sabber klebt an meiner Wange, mein Makeup ist in mein Kopfkissen geschmiert und ich bin schweißnass. Eine Welle des Ekels steigt in mir auf und ich muss mich zusammenreißen, mich nicht zu übergeben.
Stöhnend quäle ich mich aus meinem Bett und werfe einen Blick auf meinen Wecker. Mein Herz bleibt stehen und meine Augen werden groß. „Fuck. Fuck. Fuck." Verschlafen.
Das Adrenalin rauscht durch meinen Körper und auf einmal bin ich hellwach. Ich renne zu meinem Kleiderschrank, quetsche mich in die erstbeste Jeans und schmeiße mich in ein weißes Tshirt. Fluchend sprinte ich über den Flur ins Badezimmer und schreie auf dem Weg nach meiner Mutter. „Mamaaa! Ich habe verschlafen. Fährst du mich?" Keine Antwort. Scheiße.
Ich putze mir im Eiltempo meine Zähne und renne in das Schlafzimmer meiner Mutter. Als ich sehe, dass sie seelenruhig im Bett liegt und sich Blaulicht Report reinzieht, reiße ich geschockt meine Augen auf. „Mama, was machst du da?" - „Die Frage ist, was du da machst?" Verwirrt runzle ich die Stirn. „Ich muss in die Schule!", dränge ich weiter und hoffe, dass sie endlich aufsteht, als sie in schallendes Gelächter ausbricht. Was? Verdattert sehe ich ihr entgegen. „Es ist Sonntag, mein Schatz", sagt sie und grinst mich an.
In meinem Kopf macht es klick und genervt stöhne ich auf. Wie konnte ich das nur vergessen? Natürlich ist heute Sonntag, ich würde nämlich nicht auf einen Wochentag feiern gehen. „Schönen Tag noch", murmele ich plötzlich wieder todmüde und schlendere in mein Zimmer zurück. Was ein scheiß. Stöhnend pelle ich mich aus meinen Anziehsachen und lasse mich in mein Bett zurückfallen. Schlafen hilft immer.
-
Als ich das nächste Mal aufwache geht es mir schon viel besser, denn die Kopfschmerzen sind nicht mehr so dolle. Sabber klebt mir allerdings trotzdem noch an der Wange.
Meine Schläfen reibend greife ich nach meinem Handy und fluche leise als ich sehe, dass ich es nicht ans Ladekabel gehangen habe. Doch bevor ich das nachholen kann, zieht die Nachricht von Noemi meine Aufmerksamkeit auf sich.
Bestie <3 13:06
Wo bist du? Wir haben Versprochen beim aufräumen zu helfen? Wehe du drückst dich🤔
Ich 13:40
Sorry
Ich 13:40
Hab verpennt
Ich 13:41
Komme gleich
Ich bin mir fast zu 100% sicher, dass Noemi mich anlügt. Niemals würde ich einem dieser Schnösel versprechen, dass ich nach einer Hausi beim Aufräumen helfe. Niemals. Warum sollte ich das auch tun? Das wäre purer Selbstschaden. Bei Noemi hingegen, kann ich mir das sehr gut vorstellen. Vor allem weil ich sehe, wie sie Emil Schnösel Steinhagen ansieht.
Genervt stehe ich aus dem Bett auf und ziehe mich wieder an. Was man nicht alles macht, um die beste Freundin bei Laune zu halten.
Ich schmeiße mir jedes mögliche Gedöns in meine Handtasche, von dem ich das Gefühl hab, dass ich es heute mal brauchen könnte. In diese kleinen Taschen passt viel mehr als man denkt.
„Mama?", frage ich als ich in den Flur laufe, „Kannst du mich fahren?"
Ja, vielleicht ist es erbärmlich, dass mich Mama mit 18 Jahren manchmal noch rumkutschieren muss, aber was soll man machen? Mein Auto steht seit gestern irgendwo an nem Straßenrand und Motorrad fahre ich mit nem Kater bestimmt nicht. Und laufen? Nein danke, das würde ich im Leben nicht machen.
Schon schlimm genug, das mir der Gedanke überhaupt kurz kommt.
Meine Mutter kommt aus ihrem Schlafzimmer und betrachtet mich schmunzelnd, als ich in ihr Sichtfeld gelange. „Du siehst scheiße aus", sagt sie liebevoll und tätschelt meine Wange. - „Wow, danke Mama. Wie nett von dir!"
„Klar, immer gerne", vor mir geht sie die Treppe runter und redet währenddessen mit mir weiter, „Ich kann dich aber nicht wieder abholen, ich muss später Klara von Papa holen." - „Okey."
Das Verhältnis zwischen meiner Mama und mir ist schon seit ich Denken kann sehr gut. Obwohl wir, während meiner Pubertät, oft schlechte Phasen hatten, kann unser Band bisher nichts zertrennen. Ich weiß nicht ob unser Verhältnis vielleicht so gut ist, weil mein Papa weggezogen ist, als ich noch klein war, oder ob einfach die Chemie zwischen uns stimmt. Keine Ahnung. Aber ich weiß, dass ich sehr dankbar dafür sein kann. Die meisten Mädels können mit ihrer Mutter nicht reden, wie mit ihrer besten Freundin.
Die Fahrt zum Waldhaus der Steinhagens dauert in etwa 15 Minuten und auf dem Weg bin ich ganze vier Mal eingeschlafen. Das stinkt verdächtig nach einem neuen Rekord. Alles in mir sträubt sich, als ich das riesige Haus betrachte, welches bei Tag noch viel beeindruckender aussieht als letzte Nacht. Obwohl ganz milde gesagt der Müll die Ästhetik ein bisschen zerstört.
„Was ist? Willst du doch nicht?", fragt Mama als sie mein langes Zögern bemerkt. Sorgenvoll mustert sie mich. - „Alles gut, Mama. Ich hab nur keine Lust zum Aufräumen", verkünde ich ehrlich und klettere aus dem Auto, „Leider hab ich keine andere Wahl. Danke fürs Fahren."
Ich sehe unserem Auto hinterher, bis es um die Ecke biegt und aus meinem Blickwinkel verschwindet. Gerade als ich mich auf den Weg zur Eingangstür machen will, berührt mich jemand an der Schulter und aus Reflex springe ich ein Stück nach vorne und schreie. „Verdammte scheiße!", fluche ich und fasse mir ans Herz während ich Emil Schnösel Steinhagen mit einem Mörderblick betrachte, „Arschloch! Willst du mich umbringen?"
Ironisch sieht er mich an und verschränkt die Arme vor der Brust. Er zieht eine Augenbraue hoch und sieht mich fast schon genervt an. „Ja klar. Ich hab ja auch nichts besseres zutun als 18 jährige Mädchen umzubringen."
„Du bist ja richtig lustig, Steinhagen", mürrisch betrachte ich meinen Mitschüler und klopfe ihm stolz auf die Schulter. Als ich merke was ich da gerade tue, ziehe ich meine Hand schnell weg und wische sie angeekelt an meinem Hosenbein ab.
„Das sagt gerade du, Martin", erwidert er und grinst spöttisch.
„Wo ist Noemi?", frage ich schnell und hoffe ihm somit entkommen zu können. Irgendwie ist er vielleicht gar nicht nicht so schlimm wie gedacht, aber ich mag ihn trotzdem nicht. Und ich würde das niemals laut äußern. Wahrscheinlich nicht mal unter Folter.
„Sie musste nach Hause. Irgendwas mit ihrem Hund", er zuckt entschuldigend mit den Schultern. Ich bin sogar sicher einen Funken von Enttäuschung in seinem Gesicht zu erkennen, er hat sein Gesicht allerdings so schnell wieder unter Kontrolle, dass ich es mir auch eingebildet haben könnte.
Unsicher kneife ich meine Augen zusammen, „Mit ihrem Hund, ja?", frage ich genauer nach. - „Mh-m."
Genervt puste ich mir eine dunkelblonde Haarsträhne aus dem Gesicht. Neomi hat keinen Hund. Will sie mich eigentlich verarschen? Wütend ziehe ich mein Handy aus meiner Hosentasche und stelle fest, dass es leer ist. Genervt stöhne ich auf und schmeiße es in meine Tasche rein. Scheiße.
„Weißt du was, Steinhagen? Ich glaube meine Fledermaus braucht mich dringend, weißt du sie schickt mir geheime Signale... Piepen und äh so was", schnell drehe ich mich um und gebe ihm ein entschuldigendes Lächeln, „Tschü-hüsss."
Ich komme nichtmal zwei Schritte weit, da hält er mich schon am Arm fest. Genervt drehe ich mich doch nochmal um. „Willst du dich etwa drücken?", fragt er und zieht mich grinsend zurück, während er mich mit hochgezogener Augenbraue betrachtet.
„Neiiiiiiiiin", sage ich viel zu langgezogen und stelle beim Reden schon fest, dass das nicht glaubwürdig rüberkommt. Verdammt, was ist heute los mit mir? Eigentlich bin ich sogar sehr gut im Lügen, zu gut.
Er zieht schon wieder seine Augenbraue hoch und so langsam möchte ich ihm ins Gesicht schlagen dafür. Was soll das? Ist das jetzt im Trend oder sowas? Er sieht wartend auf mich herab und nach ein paar Sekunden gebe ich mich geschlagen und seufze laut. Ich glaube nicht, dass ich mich diesem blöden Aufräumen entziehen kann.
„Okay, aber ich kann nur eine halbe Stunde."
„Warum?"
„Ich muss Georg wiederfinden."
„Georg?", er legt die Stirn in falten.
„Mein Auto", gebe ich knirschend zu und frage mich im nächsten Moment, warum zum Teufel ich ihm das überhaupt erzähle. Kann ich nicht einfach mal den Mund halten, wenn es angebracht ist?
„Warum musst du dein Auto wiederfinden?", fragt er und sieht ehrlich interessiert aus.
„Ich hab vergessen wo ich geparkt habe..", noch während ich es ausspreche merke ich, wie meine Wangen ein kleines bisschen rot werden. Das ist so ein typisches Mädchen-Klischee und ich treffe wirklich voll darauf zu. Insgesamt kann man mich sehr einfach in die Schublade „Mädchen" stecken und ich weiß selber noch nicht so genau, was ich davon halten soll.
„Du bist echt unverbesserlich, Luca Martin", er grinst von oben auf mich herab.
„Ja, danke. Weiß ich schon."
Ich entscheide mich den Pool sauber zu machen, hauptsächlich weil die Anderen drinnen am Aufräumen sind und ich meine Ruhe will. Ich hab weder Lust Seite an Seite mit den Schnöseln aufzuräumen, noch mich mit ihnen zu unterhalten.
Eigentlich mag ich Menschen, eigentlich mag ich sogar fast alle Menschen. Aber seitdem wir nach Heidelberg gezogen sind und ich diese verdammte Privatschule besuche, hab ich die Nase einfach gestrichen voll von reichen Menschen. Vor allem von reichen Teenagern. Sie meinen sie sind die Besten, obwohl sie noch nie einen einzigen Cent selbst erarbeitet haben und sich nur auf Mamis und Papis Geld ausruhen. Sie sind arrogant und unausstehlich. Einfach nicht die Art Menschen, mit denen ich gerne meinen Tag verbringe.
„Luca?", höre ich meinen Namen hinter mir und zucke im ersten Moment zusammen. Die Stimme kommt mir bekannt vor, aber ich habe kein passendes Gesicht vor Augen. Genervt drehe ich mich zu der Geräuschquelle um, genau in dem Moment als der Unbekannte in mein Blickfeld tritt. Es ist ein großer Typ, dessen hellblonden Haare mir sofort ins Auge springen. Und das obwohl sie von einer dunkelblauen Cap halb verdeckt werden. Soweit ich es erkennen kann, sind seine Augen hellblau, aber ich kann mich auch täuschen denn ohne meine Brille bin ich so gut wie halb blind. Er kommt geschmeidig auf mich zugelaufen und während er geht, kann ich beobachten, wie seine Muskeln sich unter seinem Shirt anspannen. In meinem Mund sammelt sich Spucke und genervt registriere ich den Effekt, den dieser Fremde auf mich hat.
„Ich kenn dich nicht", sage ich ernst und verschränke meine Arme. Sein Blick gleitet an meinem Körper hinab, bis zu meinen Füßen, die in dreckigen Converse stecken. Das wiederholt er andersherum genauso und ich merke wie sein Blick kurz an meiner Oberweite hängen bleibt. Als sein Blick wieder meinen streift, hat sich eine leichte Röte über meine Wangen gezogen und ich habe ein unangenehmes Kribbeln im Bauch. Ich hasse den Effekt, den er auf mich hat.
„Doch, doch, du kennst mich", sagt er und seine Stimme ist tiefer, als ich es vermutete habe. Eine Gänsehaut zieht sich über meine Arme, über meinen Rücken. Was zum Teufel ist los mit mir?
Er zieht schmunzelnd eine Augenbraue hoch und wendet seinen Blick keine Sekunde von mir ab. „Allerdings wolltest du meinen Namen nicht wissen."
Was schwafelt der Adonis da? Keine Ahnung wer das ist. Ich schüttle den Kopf und betrachte den Typen genervt. „Nein, ich kenn dich absolut nicht. Noch nie gesehe...-". Genau in dem Moment als ich es aussprechen will, macht es klick in meinem Kopf. Hey, das ist der Typ vom Bierpong! Meine Wangen werden noch eine Spur dunkler und am liebsten würde ich im Erdboden versinken.
Das reicht an Peinlichkeiten für eine Woche.
„Wie ich sehe, erinnerst du dich wieder", sein Schmunzeln wird breiter und ein Grübchen auf seiner linken Wange kommt zum Vorschein. Für einen kurzen Augenblick wirft es mich aus der Bahn. Am liebsten würde ich mit meinem Finger darüber streichen, denke ich. Dann schüttle ich mich und würde am liebsten im Stehen kotzen.
„Ja, offensichtlich", grummele ich und drehe mich schnell von ihm weg. Ich ertrage es nicht, mich wegen ihm so lächerlich zu fühlen. Arschloch. Ich nehme den Käscher in meine Hand und mache weiter damit, alles mögliche an Zeugs aus dem Pool zu fischen.
Es ist interessant, was darin alles zu finden ist und bei manchen Sachen frage ich mich, wie zum Teufel sie da überhaupt reingekommen sind. Zum Beispiel bei dem Lockenwickler, den ich gerade neben dem Pool, auf den Holzboden geschleudert habe.
„Wohin bist du gestern verschwunden?", fragt der Typ, von dem ich nicht einmal wusste, dass er noch hier ist. Er kommt näher und ich mache einen Schritt weiter weg. Er kommt noch einen Schritt näher und nimmt mir den Käscher aus der Hand.
„Hey, was soll das?", frage ich genervt und versuche den Käscher zurück zu bekommen, aber keine Chance. Mr. Schnösel hat einfach meine Aufgabe übernommen. Er ignoriert meine Frage vollkommen, so als hätte er sie garnicht gehört.
„Ich hab dich den ganzen Abend nicht mehr gesehen", meint er ernst und sieht mir dabei tief in die Augen. Seine Augen sind so blau, dass ich es kaum fassen kann.
Angewidert schüttle ich mir den Gedanken aus dem Kopf und würde ihn am liebsten in den Pool schubsen. Er hätte es verdient.
„Hast du mich etwa gesucht, Fremder?", frage ich ihn arrogant an, um die angespannte Situation zu unterbrechen und den nötigen Abstand zwischen und wieder herzustellen. Er sieht mir weiterhin direkt in die Augen, ernst, ohne auch nur eine Sekunde wegzusehen. „Ja, das hab ich."
Ich kann nicht unterdrücken, dass mir die Spucke im Hals stecken bleibt und ich mich dermaßen verschlucke. Ach du Scheiße. Ich huste mich in Grund und Boden, während mein Kopf knallrot wird und meine Augen anfangen zu tränen.
Vergnügt höre ich ihn lachen und als ich meinen Blick hebe, sehe ich in seinem Blick die Genugtuung. Natürlich. Angewidert sehe ich ihn an, was wahrscheinlich aber gar nicht so cool aussieht, wie ich es mir vorstelle. Ich bezeichne ihn mit heiserer Stimme als „Arschloch" und er lacht nur noch mehr. Arsch. Arsch. Arsch. Mal sehen ob er gleich auch noch lacht, wenn ich ihn in den Pool geschubst habe.
Als ich mich wieder einigermaßen beruhigt habe wird sein Blick wieder ernster und die Situation ist auf einmal genauso intensiv wie vorher. „Also? Wo warst du?"
Warum zum Teufen will er das unbedingt wissen? „Das geht dich wirklich überhaupt nichts an", sage ich angefressen und verschränke meine Arme vor der Brust. Was bildet der sich ein? „Erst bringst du mich fast dazu zu sterben. Dann machst du dich über mich lustig. Und dann nimmst du es dir auch noch raus, Fragen zu meinem Privatleben zu stellen? Ich hab keine Ahnung wer du bist und ich hab auch kein Interesse das zu ändern."
Verdattert sieht er mich an und ich hab heute das erste mal das Gefühl von Triumph. Damit hat er offensichtlich nicht gerechnet und es macht mich ein wenig stolz.
Ich schnappe mir meine Tasche vom Boden und winke dem Fremden schnippisch zu. „Es hat mich nicht gefreut dich kennenzulernen. Ich hoffe, dass wir uns nicht wieder sehen", ich grinse ihn gespielt freundlich an, „Aber hey, danke, dass du meine Aufgabe übernimmst, wegen dir kann ich früher gehen."
Daraufhin sagt er nichts mehr.
Als ich gehe, spüre ich seinen Blick in meinem Rücken. Mir läuft eine Gänsehaut den Körper runter. Verdammte scheiße, denke ich, was war das denn?
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