Kapitel Vier
"Freie Projekte?", wiederhole ich verzweifelt. Noemi sitzt auf meinem Schreibtischstuhl, während ich auf dem Rücken liege und meinen Kopf vom Bett hängen lasse. Kopfüber sieht sie irgendwie komisch aus.
"Das kann doch ganz witzig werden", versucht sie mich aufzumuntern, während sie durch eines meiner Bücher blättert, "Du musst dich nur mal darauf einlassen!" Sie wirft mir einen vielsagenden Blick zu.
Genervt zucke ich mit den Schultern, zumindest so weit es mir im Liegen möglich ist. "Ich will mich aber gar nicht auf Typen wie Vincent von Altenburg einlassen! Die bringen einem nur Stress und Kummer. Alleine sein Name bringt mich zum Kotzen." Okay, vielleicht ist die letzte Aussage etwas übertrieben, eigentlich mag ich seinen Namen sogar, aber das würde ich Noemi bestimmt nicht sagen.
"Jetzt mal im Ernst, du musst endlich über Adrian hinwegkommen. Nur weil er ein Wichser war, bedeutet das nicht, dass alle reichen gutaussehenden Typen so sind", sagt sie und trifft den Nagel damit genau auf den Kopf.
Ein Schmerz durchzieht meinen Brustbereich und wütend schnaubend mache ich ihr klar, dass sie das Thema Adrian besser meiden sollte. "Ich will nicht über ihn reden, ich werde und will ihn nie wieder sehen und damit basta!"
Schwer seufzt sie und legt das Buch aus der Hand um mich eindringlich anzusehen. "Wie du willst, Luca. Ich sage ja nur, dass du so langsam mit ihm abschließen musst. Und das kannst du nicht, wenn du es immer vermeidest über ihn zu reden oder nachzudenken."
Ich weiß, dass sie recht hat. Ich weiß, dass ich vernünftig sein sollte. Ich weiß, dass mir weglaufen nichts bringt. Und dennoch kann ich mich nicht dazu überwinden. Verrat schmerzt zu sehr, als das ich ihn nochmal durchmachen möchte.
"Naja, auf jeden Fall ist er in meinem Deutschkurs", beginnt sie und belässt das Thema Adrian auf sich beruhen, wofür ich ihr sehr dankbar bin. Obwohl ich auch nicht gerne über Mr. Schnösel rede, ist er mir um einiges lieber. "Du kannst nicht abstreiten, dass er ein absoluter Leckerbissen ist. Und schlau ist er auch noch."
"Ja okay, vielleicht sieht er gut aus", gebe ich ganz beiläufig zu, "Über sein Gehirn kann ich noch nicht urteilen, aber ich erwarte nicht allzu viel." Ich setze mich wieder aufrecht hin, weil mir mittlerweile sämtliches Blut in den Kopf gelaufen ist. Meine Mutter hatte mir früher immer erzählt, dass mir der Kopf platzen könnte wenn ich zu lange kopfüber hing... und irgendwie hatte sich das so in mein Gehirn eingebrannt, dass ich immer noch Angst davor hatte. "Ich hoffe er ist wenigstens engagiert was die Schule angeht, ich kann es mir nicht leisten wegen ihm eine schlechte Note zu bekommen. Wir haben drei Wochen Zeit für dieses Projekt, wir müssen echt was abliefern."
"Das bekommt ihr schon hin, da bin ich mir sicher. Ich kenne dich ja... wenn er nicht spurt, dann machst du ihm das Leben zur Hölle. Das wird er sicher nicht wollen", sie grinst mich belustigt an und ich muss einfach mit einstimmen. Sie hat Recht. Ich brauche mir gar keine Sorgen zu machen. "Was ist überhaupt das Thema?"
"Äußere Einflüsse auf das jugendliche Gehirn", antworte ich und lächle, weil mir das Thema tatsächlich gefällt. Schließlich will ich einmal Psychologie studieren. "Herr Brand möchte gerne, dass wir etwas erarbeiten, woran man erkennen kann, wie sich äußere Einflüsse auf die Entwicklung bei Kindern und Jugendlichen auswirkt."
"Gott, bin ich froh, dass ich Pädagogik abgewählt habe", sie verzieht angeekelt das Gesicht, "Aber gut, hast du schon eine Idee?"
"Ja, ich dachte mir, dass man vielleicht ein Jugendgefängnis oder eine Wohnanstalt besucht. Oder vielleicht der Unterschied zwischen reich- und armaufgewachsenen Jugendlichen. Die Unterschiede werden bestimmt immens sein", in meinem Kopf bin ich schon mitten im Projekt gefangen, "Ich muss natürlich hoffen, dass Mr. Schnösel mit einer meinen Ideen einverstanden ist."
"Frag ihn doch einfach", antwortet sie mir grinsend.
"Und wie soll ich das bitte tun?", frage ich sie genervt.
Sie grinst nur hämisch, nimmt mein und ihr Handy vom Schreibtisch in die Hand und tippt darauf herum. Ich lasse sie einfach machen, ich bin zwar neugierig aber ich habe nichts auf meinem Handy was sie nicht sehen darf. Mit einem noch breiteren Grinsen hält sie mir mein Handy entgegen und ich sehe, dass sie mir einen neuen Kontakt eingespeichert hat.
"Warum zum Teufel hast du die Nummer von Mr. Schnösel?", frage ich sie geschockt und angewidert zugleich. Ich nehme mein Handy allerdings trotzdem an mich, kann mir aber nicht verkneifen ihn von Vincent zu Mr. Schnösel umzubenennen.
"Emil hat sie mir gegeben", murmelt sie und sofort nimmt ihr Gesicht eine rosa Farbe an. Sie ist so süß, wenn sie verliebt ist.
"Soso... Hat Emil dir vielleicht sonst noch was gegeben?", ärgere ich sie mit einem zweideutigen Grinsen, woraufhin sie nur noch verlegender wird.
Sie atmet empört ein, "Wie kannst du nur, Luca Martin!? Du bist ekelhaft!"
"Hey, was kann ich denn jetzt dafür?", frage ich lachend.
"Du bist unmöglich! Und jetzt ruf endlich Vincent an, das wird mir hier zu bunt mit dir."
Sofort ist meine Laune schlechter, aber ich tue trotzdem was sie mir sagt. Ich drücke auf den grünen Hörer und sofort ertönt das Wählsignal.
Nach nur dreimal Tuten nimmt er ab.
"Vincent hier. Wie kann ich helfen?", ertönt seine Stimme und mir läuft ein Schauer den Rücken runter. Ich weiß nicht mal genau warum, wahrscheinlich weil seine Stimme so kalt und professionell ist, wie ich sie noch nie bei einem 19 Jährigen gehört habe.
"Angela Merkel am Apparat", antworte ich und muss mir das Lachen verkneifen, als Noemi mir einen geschockten Blick zuwirft.
"Verarsch mich nicht, Luca Martin", sagt er mit ernster Stimme und ich verschlucke mich fast an meiner Spucke. Was zum Teufel?
"Woher weißt du, dass ich es bin?", frage ich und man kann den Schock in meiner Stimme förmlich hören.
"Ich hatte deine Nummer schon eingespeichert, meine Liebe", sagt er ganz nonchalant als wäre es das Normalste der Welt. Woher zum Teufel hat er meine Nummer?
"Was redest du bitte?", ist das Einzige was ich zustande bekomme.
"Ich sagte; Ich hatte deine Nummer schon-", wiederholt er sich selber, doch ich unterbreche ihn. Ich lasse mich doch nicht verarschen. "Ich hab das schon verstanden, danke."
"Warum fragst du dann?", fragt er ganz unbeeindruckt und mir reißt gleich der Geduldsfaden.
"Hör zu, ich hab echt keine Zeit für die Scheiße, Mr. Schnösel. Ich will nur wissen, wann du Zeit hast, damit wir über das Projekt reden können?"
Er schnaubt wütend, wahrscheinlich wegen des Spitznamens den ich ihm gegeben hatte, sagt aber nichts dazu. "Morgen nach der Schule, ich nehme dich mit."
"Ich kann alleine fahren", sage ich trotzig und stemme meine freie Hand in meine Hüfte, was er aber natürlich nicht sehen kann.
"Ich nehme dich mit, keine Widerworte", sagt er und macht damit ganz deutlich, dass das Thema beendet ist, "Bis morgen, meine Liebe."
Bevor ich etwas erwidern kann, hat er bereits aufgelegt. Dieses miese Arschloch.
"Und, was hat er gesagt?", fragt Noemi aufgeregt und schlägt freudig in die Hände.
"Er nimmt mich morgen nach der Schule mit", erwidere ich und verziehe dabei angeekelt das Gesicht. Was bildet der sich nur ein?
Sie quietscht wie ein 14-jähriges Mädchen, das auf ihr erstes Date eingeladen wurde und ich verdrehe nur die Augen. Wieso lande nur immer ich in so Situationen?
-
Normalerweise kann die Schule gar nicht schnell genug vorbei sein. Heute ist das absolute Gegenteil der Fall. Die Stunden sind viel zu schnell vorbei und ich versuche gegen die Zeit zu arbeiten, indem ich ganz langsam überall hin schleiche und trödele. Aber nichts bringt etwas. Ich habe nur noch eine Stunde Spanisch vor mir liegen, bevor mein Treffen mit Mr. Schnösel ansteht.
Bisher habe ich ihn den gesamten Tag erfolgreich vermieden, aber das ist mir wohl nicht mehr lange möglich.
Der Spanischunterricht ist heute so langweilig, dass meine Gedanken ganz ungewollt abdriften. Zu Adrian. Zu dem ersten Jungen, in den ich jemals verliebt war. Der erste Junge, der mir mein Herz gebrochen hat. Und das auf die mieseste Art überhaupt. Mir wird kotzübel und ohne mich abzumelden, stürme ich aus dem Raum und haste zu dem Mädchenklo auf der anderen Seite des Flures.
Ich spritze mir aus dem Wasserhahnkaltes Wasser ins Gesicht und versuche ruhig zu atmen. Ich muss mich ganz dringend beruhigen. Dieser scheiß Wichser wird mir mein Leben nicht weiter zerstören.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top