Kapitel Fünf

Mit genervtem Gesichtsausdruck laufe ich über den Schülerparkplatz und halte Ausschau nach Mr. Schnösel. Ich habe keine Ahnung was für ein Auto er fährt und was er heute für Anziehsachen trägt, weiß ich auch nicht. Ich habe also keine Wahl als nach seinem hellblonden Schopf und seinem großen schlanken Körper zu suchen.

Die Idee einfach abzuhauen ist sehr verlockend, aber im Endeffekt führt es wohl zu nichts. Ich brauche einfach eine gute Note in Pädagogik und Mr. Schnösel wird mich davon nicht abhalten können.

Nach weiteren fünf Minuten werde ich so langsam sowohl genervt, als auch verzweifelt. Das kann doch nicht wahr sein! Hat der Arsch mich bloß verarscht und hat gar nicht vor sich mit mir zu treffen?

Bevor meine Zweifel aber noch größer werden können, entdecke ich ihn endlich. Er steht an die Motorhaube eines neuen M4 gelehnt, hat die Hände in seine Anzughose gesteckt und sieht mich bereits an. Sein Blick liegt ganz ruhig auf mir, verfolgt jede meiner Bewegungen und ein kleines Schmunzeln breitet sich auf seinem Gesicht aus als ich auf ihn zu laufe.

"Hallo Prinzessin", sagt er und sieht von oben auf mich herab als ich vor ihm zum Stehen komme. Er macht nicht die Anstalten sich auch nur einen Millimeter zu bewegen.

"Nenn mich nicht Prinzessin, du Arsch", erwidere ich grummelnd und sehe ihn böse an, "Was soll das überhaupt?"

"Was?", fragt er verwirrt, behält aber trotzdem das Schmunzeln im Gesicht.

"Musst du dich in der letzten Ecke verstecken? Ich hab dich die ganze Zeit gesucht!", ich stemme die Hände in die Hüften und betrachte ihn tadelnd.

"Tut mir leid, Prinzessin", sagt er und drückt sich von der Motorhaube ab. "Gib her", sagt er und deutet auf meinen grauen Rucksack, der von meiner einen Schulter baumelt.

"Nein", erwidere ich und halte den Gurt mit einer Hand fest. Er lässt die Hand weiter ausgestreckt und nickt, "Doch". Dieses Spiel spielen wir noch ein paar mal, bis ich schließlich nachgebe, weil er ja doch nicht lockerlässt.

Er nimmt mir den Rucksack ab, geht zur Beifahrertür und öffnet sie mir. Er öffnet mir die Autotür. ER ÖFFNET MIR DIE AUTOTÜR. Ich blinzele verwirrt, steige aber trotzdem ein. Als ich an ihm vorbeigehe, weht mir sein Duft in die Nase. Ich muss es unterdrücken noch einmal tief einzuatmen, er riecht verdammt gut. Männlich und teuer irgendwie. Keine Ahnung, wie ich diesen Duft in Worte fassen soll.

Er schließt die Tür hinter mir, geht am Kofferraum vorbei um meinen Rucksack hinein zu legen und steigt schließlich auf der Fahrerseite ein. Sofort steigt mir sein Geruch erneut in die Nase und diesmal kann ich es nicht sein lassen, einmal tief einzuatmen. Ich erleide hier fast einen Geruchs-Orgasmus. Angewidert schüttle ich mich wegen dem Gedanken.

"Wohin fahren wir?", frage ich skeptisch. Ich weiß schließlich nicht wohin es geht, er hat mir nur gesagt, dass er mich abholt. Nicht, dass er mich entführt oder sowas. Obwohl es dafür jetzt wohl sowieso schon zu spät wäre, wenn man bedenkt, dass ich schon im Auto drin sitze.

"Wir fahren in ein Café", antwortet er lediglich und fährt los. Konzentriert guckt er nach vorne, denn die ganzen Schüler rennen wie Wilde über den Parkplatz und stellen ein großes Sicherheitsrisiko da. Ich vermute, dass sein Interesse daran, einen davon anzufahren nicht besonders groß ist.

"In was für ein Café?", frage ich neugierig und positiv überrascht. Ein Café ist ein guter Ort um sich über ein Schulprojekt auszutauschen. Vor allem ist es öffentlich und wir haben nicht die Gelegenheit uns gegenseitig umzubringen.

"Ins Café Elysion", antwortet er und ein seliger Ausdruck liegt in seinem Gesicht. Ich betrachte ihn von der Seite, und mir fällt erst jetzt wirklich auf wie schön er eigentlich ist. Seine Gesicht ist so symmetrisch und seine Gesichtszüge so fein, zugleich so maskulin. Ich könnte ihn Stunden anstarren, wie ein Ausstellungsstück im Museum.

"Hm, das kenne ich nicht", antworte ich und reiße meinen Blick von ihm los und richte ihn wieder auf die Straße vor uns.

"Du wirst es gleich kennenlernen, meine Liebe", antwortet er und wirft mir einen kurzen Blick zu.

"Hör auf mich so zu nennen", erwidere ich böse und verschränke meine Arme vor der Brust, wie ein bockiges kleines Kind, "Du hast keinen Grund mich deine Liebe zu nennen."

"Aber vielleicht irgendwann mal", erwidert er und grinst mich herausfordernd von der Seite an. Ein Schauer läuft mir über den Rücken und mein Herz macht einen kleinen Hüpfer, auch wenn ich weiß, dass es das nicht tun sollte.

"In deinen Träumen vielleicht, Mr. Schnösel."

"Oh, wenn du wüsstest, Prinzessin."

"Hör auf mich Prinzessin zu nennen!"

"Dann hör du auf, mich Mr. Schnösel zu nennen."

"Nein."

"Okay, dann haben wir das ja geklärt."

Die restliche kurze Fahrt verläuft schweigend, größtenteils wegen mir. Ich bin es einfach nicht gewohnt, dass man mir Widerworte gibt. Die meisten Menschen mögen mich nicht, wegen meiner oft unhöflichen und schroffen Art. Also halten sie von Anfang an lieber etwas mehr Abstand und sobald ich meinen Mund aufmache, flüchten sie. Mr. Schnösel macht hingegen den Eindruck, als würde er unseren Austausch tatsächlich genießen.

Wir parken in einer Tiefgarage und als ich aussteige, hat er bereits meine Tasche aus dem Kofferraum geholt und trägt sie in der Hand. Ich will sie ihm abnehmen, doch er schüttelt den Kopf und läuft einfach los.

Hastig laufe ich hinter ihm her. "Ich kann das auch alleine machen, weißt du", versuche ich es erneut. Doch keine Chance. Mr. Schnösel trägt meinen Rucksack und schweigend laufen wir nebeneinander in die Innenstadt.

Ehrlich gesagt wundere ich mich über seine guten Manieren, er öffnet mir die Tür und trägt meine Tasche. Welcher Typ macht sowas heutzutage noch? Er muss eine echt gut Erziehung genossen haben und ich weiß nicht ob ich ihn dafür hassen, oder lieben soll.

Während ich knapp hinter ihm laufe, nutze ich die Zeit und nehme ihn genauer in Augenschein. Er trägt unsere Schuluniform, genau wie ich. Der blaue Anzug sitzt ihm perfekt. Sein breiter Rücken kommt gut zur Geltung, aber das Jackett spannt in keiner Weise. Es wirkt beinahe so, als wäre die Uniform für seinen Körper geschneidert und entworfen wurde. Das ist allerdings unmöglich, bedenkt man, dass diese Schuluniform bereits vor 17 Jahren eingeführt worden ist. Nach meiner Rechnung war er zu dem Zeitpunkt erst zwei Jahre alt, genau wie ich. Seine blonden Haare liegen unordentlich auf seinem Kopf und bilden einen Kontrast zu seinen gebügelten Anziehsachen, der mich beinahe um den Verstand bringt. Wie kann ein Mensch nur so gut aussehen?

"Kommst du endlich?"; fragt er genervt und dreht sich zu mir um. Mir ist gar nicht aufgefallen, dass ich stehen geblieben bin. Peinlich berührt nicke ich und gehe schnellen Schrittes los um zu ihm aufzuholen. Sein wissenden Grinsen entgeht mir dabei allerdings nicht.

"Hör auf so zu grinsen, Mr. Schnösel", sage ich und versuche dabei bedrohlich zu klingen, "Oder ich haue dir eine rein."

"Warum glaube ich dir das nur?", fragt er und sein Grinsen wird noch breiter. Arroganter Mistkerl. Er weiß, dass er gut aussieht und nutzt es ganz offensichtlich aus. Auf eine komische Art und Weise macht ihn das in meinen Augen doch noch einen Ticken unattraktiver.

"Wir sind da", er bleibt vor einem wunderschönen Café stehen und ich kann mich noch kurz vor seinem Rücken abbremsen.

Vor uns ragt ein sandsteinfarbender Altbau in die Höhe. Die Wände und Fensterrahmen sind verziert und kleine Statuen sind in den Stein hereingemeißelt. Sie wirken fast wie die, von griechischen Göttern. Die schwarzen Fensterrahmen sind verschnörkelt und bilden einen schönen Kontrast zu dem hellen Stein. Die Fassade der unteren Etage ist bewachsen mit wunderschönen Blumen und verteilt einen herrlich frischen Duft. Der Name Café Elysion strahlt einem in einem polierten Goldton entgegen, der über der Eingangstür hängt und die Aufmerksamkeit von gewiss allen Passanten auf sich zieht. Vor dem Café stehen viele kleine schwarze Tische, aus Metall und verschnörkelt, sie bieten immer Platz für zwei Personen. Alle der Tische sind besetzt, meistens von Pärchen. Sie himmeln sich gegenseitig an, lachen und genießen ihre heißen Getränke in dem September Wetter.

Plötzlich fühle ich mich Fehl am Platz. Dieses Café strahlt eine ganz besondere Magie aus und ich fühle mich, als würde ich ihr nicht gerecht werden. In meiner Schuluniform, meinen gemütlichen Turnschuhen und dem abgewetzten Rucksack. Und am schlimmsten ist es, dass ich mit ihm hier bin. Einem Typen, den ich erst seit zwei Tagen kenne und den ich nicht einmal ausstehen kann. Das hier ist kein Ort, an dem zwei Klassenkameraden sich treffen, die gezwungen sind, sich miteinander zu verstehen. Das hier ist ein Ort, an den man mit Menschen geht die man...liebt.

"Sicher, dass wir hier richtig sind?", frage ich ihn und bleibe stehen, obwohl er Anstalten macht hinein zu gehen. Es fühlt sich so falsch an, obwohl ich so neugierig bin auf diesen magischen Ort, "Es ist so... schön?"

"Wir sind richtig, Luca", sagt er ermutigend und schenkt mir ein kleines Lächeln. Er macht den Eindruck, als würde er genau wissen, was gerade in mir vorgeht. Als könnte er in mein Inneres hineinsehen und die Gedanken sehen, die mir sagen, dass ich hierfür nicht gut genug bin. "Es wird dir gefallen", er hält mir die Tür auf und skeptisch sehe ich ihn an, "Ich verspreche es dir."

Mit einem Seufzen ergebe ich mich und mache genau drei Schritte, bis ich das Café betrete. Und zu sagen, dass es schön ist, wäre eine bodenlose Untertreibung. Sofort schlägt mir der süße und zugleich bittere Geruch von Kaffee und Kuchen in die Nase, tief atme ich ein. Nur mit Mühe kann ich mir das Stöhnen verkneifen, das sich auch mir herausbahnen will.

Das Café ist groß, viel größer als man von außen denken mag und die Menge an Menschen, die sich hier drinnen befindet, erschlägt mich fast. Es stehen unzählig viele Tische über die Fläche verteilt, das meiste kleine Tische, abgegrenzt durch Blumenwände, die dem ganzen ein wenig Privatsphäre verleihen. In der Mitte des Raumen ist ein Tresen, weiß-gold und auch hier prangt der Name des Cafés in glänzenden Buchstaben. Café Elysion. Ich frage mich, was das bedeutet.

"Komm mit", sagt Mr. Schnösel und hält mir seinen Arm hin. Mit hochgezogener Augenbraue und skeptischem Gesichtsausdruck sehe ich ihn an. Das kann doch nicht sein ernst sein? Aber er sieht mich nur abwartend und bewegt sich kein Stück.

"Ich bin groß genug um alleine zu laufen, danke", trotzig verschränke ich die Arme vor der Brust und sehe ihm entschlossen entgegen. Ihr sieht in meine Augen und wir halten den Blickkontakt, was sich wie eine Ewigkeit anfühlt. Aber ich gebe nicht nach, ich werde mich ganz bestimmt nicht bei ihm einhaken. "So weit sind wir noch nicht. Und das werden wir auch nie sein."

"Wir werden ja noch sehen", grinsend unterbricht er den Blickkontakt, lässt seinen Arm aber doch sinken. Er ergibt sich somit und ein triumphierendes Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht. Zumindest bis mir die Bedeutung seiner Worte bewusst wird. Was zum Teufel will er damit sagen? Am liebsten würde ich ihm sein schönes Grinsen aus dem Gesicht boxen und das Grübchen auf seiner linken Wange gleich dazu. Gerade als ich zu einer Beleidigung ansetzen will, werde ich unterbrochen.

"Vinc!", ein mittelalter Mann kommt auf uns zugelaufen. Er trägt ein weißes Hemd und eine schwarze Weste darüber, dazu eine schwarze Chino-Hose und glänzende Lackschuhe. Sein dunkles welliges Haar liegt ordentlich gestylt zu einer Seite und sein Ziegenbart sieht verdammt gepflegt aus. Im Allgemeinen sieht er sehr wichtig hier aus und sein Namensschild verrät mir, dass er hier arbeitet. Alexandros Makris. "Oh wie schön sich mal wieder zu sehen!", sagt er und klopft Mr. Schnösel liebevoll auf die Schulter.

"Ich freue mich auch immer", antwortet dieser, "Wie geht es dir und deinem Café? Und wie geht es Giulia?"

Seinem Café? Ich merke wie meine Wangen einen leichten Rot-Ton annehmen. Ich hatte vermutet, dass er ein Angestellter hier war. Dass ihm das Café gehört, das hab ich nicht vermutet. Ich schäme mich dafür, dass ich mal wieder voreilige Schlüsse gezogen habe, obwohl ich sie ja nicht einmal laut ausgesprochen habe.

"Weißt du, wenn es meiner Frau und meinem Café gut geht, dann bin ich der glücklichste Mensch auf Erden. Und ich meine, sieh sich nur um; Ich bin voll. Randvoll. Und das jeden Tag. Das Café könnte nicht besser laufen!"

"Das sehe ich, Alex, das sehe ich", Mr. Schnösel klopft ihm stolz auf die Schulter. Was irgendwie ulkig aussieht, wenn man bedenkt, dass Alexandros schätzungsweise 15 Jahre älter ist als er. "Ich bin froh, dass du dir deinen Traum erfüllen konntest!"

Alexandros will ihm gerade antworten, als ich im wohl ins Auge springe. Ich lächle ihn freundlich an und er erwidert es gutherzig. "Oh Vinc! Du hast mir nicht erzählt, dass du jetzt eine Freundin hast! Was für ein hübsches Mädchen!", ruft er empört und sieht Mr. Schnösel anklagend an. Ich verschlucke mich an meiner Spucke und kann das Husten nur knapp unterdrücken.

Er wendet sich an mich. "Ich bin Alexandros, ein alter Freund der Familie. Ich fühle mich geehrt dich kennenzulernen!"

Ich fühle mich geschmeichelt von Alexandros, verspüre aber ganz dringend den Drang  etwas richtig zu stellen. Mr. Schnösel und ich sind bestimmt kein Paar. "Mein Name ist Luca. Ich freue mich auch, Alexandros. Aber Mr. Sc- äh Vincent und ich sind-"

Aufgeregt mit den Händen gestikulierend unterbricht er mich. "Noch nicht so lange zusammen", vollendet er meinen Satz und legt sich eine Hand auf die Brust. Meine Wangen nehmen einen immer dunkleren Farbton an und ich würde gerne auf der Stelle kehrt machen und einfach flüchten. "Das verstehe ich", sagt er mitfühlend und lächelt mich an, "Aber du musst etwas besonderes sein, du bist das erste Mädchen das er hier mit hin bringt."

Diesmal schaue ich Mr. Schnösel erschrocken an und sehe, dass jetzt er an der Reihe ist, dass seine Wangen sich leicht röten. Es sieht süß aus, wenn er peinlich berührt ist und ich grinse ihn herausfordernd an. "Ach ist das so, Vincent?", frage ich ihn ganz unschuldig und klimpere ein paar mal mit den Wimpern. Erschrocken muss ich aber feststellen, dass es sich schön anfühlt, seinen Namen auszusprechen. Angeekelt schüttle ich diesen Gedanken von mir ab.

"Bild dir bloß nicht zu viel drauf ein, Prinzessin", antwortet er und ich sehe wie ein Muskel an seinem Kiefer zuckt. Die Wendung dieses Gespräches scheint ihn wütend zu machen und das macht es für mich um so besser.

"Was sich liebt, das neckt sich", zitiert Alexandros und klatscht euphorisch in die Hände, "Ich hab für die zwei Turteltauben den besten Tisch überhaupt. Folgt mir doch bitte!"

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