Kapitel 30- Harry

Ich hatte Glück gehabt, die Wintermonate waren vorüber und mein Heimflug war tatsächlich zwei Wochen früher gebucht worden. Die Zeit in Brasilien war fantastisch, ein Erlebnis, dass ich nie mehr missen wollte. Es hatte mich von Thea getrennt, hatte sie in die Arme eines anderen getrieben, doch ich war mir sicher, diese Episode wäre vorbei, sobald ich zurück war. Das ich damit Meilenweit von dem entfernt war, was die Wahrheit war, hatte ich nicht gerechnet. Auch jetzt, Wochen nach meiner Rückkehr, war es für mich noch immer nicht zu fassen. Sie hatte es versucht zu erklären, hatte versucht sich zu rechtfertigen, doch wenn ich ehrlich war, hatte ich nicht einmal richtig zugehört. Ich war verletzt. Verdammte scheiße, ich dachte ich hätte das Mädchen sicher und sie würde nur mit mir spielen, als sie mir von Max erzählte. Doch ich war naiv gewesen, denn Max hatte seine Chance genutzt, während ich Thea in seine Arme trieb. Es war meine Schuld, dass sie sich vernachlässigt fühlte und es war meine Schuld, dass sie sich einsam fühlte. Sie hatte sich nach Nähe gesehnt, nach einer Person, die bei ihr sein konnte und dieser Typ hatte, dank mir, freie Bahn.
Wenn ich also die Schuld bei jemandem suchte, dann durfte ich das nicht allein bei Thea. In diesem Fall gehörte ich ebenso dazu, wie sie. Wir hatten uns ein paar Tage nach meiner Rückkehr im Café Chaos verabredet, der alten Zeiten wegen, aber viel mehr, um diese Sache zu klären. Wenn ich ehrlich war, hatte ich gedacht, sie würde mich mit Handkuss zurücknehmen und spekulierte daher schon auf extrem heißen "Ich-hab-dich-furchtbar-vermisst-Sex", der jedoch ausblieb. Um den Sex war es mir egal, auch wenn ich mir einzureden versuchte, dass ich nur wegen dessen Ausfall angepisst war. Die eineinhalb Stunden, die ich ihr gegenüber saß und dabei zuhörte, wie gut es ihr mit Max ging, waren die reinste Tortur, doch was musste ich Idiot auch fragen. Ein einfaches "ich wünsche euch noch viel Glück" hätte gereicht und dann hätte ich einen Monolog über Brasilien halten sollen. Ich hätte ihr erzählen sollen, wie viele Weiber ich flachgelegt hatte, oder welche Models sich mir an den Hals geschmissen hatten, doch ich sorgte mich, dass sie die Lüge aufspüren würde. Seit unserer Trennung hatte ich zwar geflirtet, doch bis dato kein weibliches Wesen mehr flachgelegt. Scheiße, ich war im Arsch. So richtig.
"Ich vermisse dich noch manchmal", hatte sie still zu sich gesagt, und ich konnte ihren Augen ansehen, dass es ihr trotz des Wahrheitsgehaltes unangenehm war.
"Max ist sicher in Ordnung, warum solltest du da mich vermissen?" Hatte ich gefragt und schon während des Sprechens hätte ich mich erwürgen können. Ich wollte keinen scheiß "Max-Fanclub" gründen, sondern das Mädchen zurückhaben, dass mich berührt hatte. Thea hatte etwas in mir erweckt, dass schon lange sehnsüchtig nach ihr gesucht hatte, ganz ohne mein Wissen. Und jetzt saß ich hier, nackt, in meinem Wohnzimmer und wartete, dass Bea ihre Sachen packte und verschwand. Ich hatte ihr erklärt, worum es ging und das ich vor allem Sex brauchte und sie hatte es mit einem Zwinkern hingenommen, ehe sie über mich hergefallen war. Nicht, dass ich mich beschweren wollte! Bea war nett und sie gab mir einen Teil dessen, was ich an Thea vermisste. Nähe, Sex und immer mal wieder ein nettes Gespräch. Aber sie war nicht Thea.
Ich nippte an meinem Bier, dass schon seit zwei Stunden auf dem Couchtisch gewartet hatte, und würgte die lauwarme Brühe hinunter. Egal, dachte ich bei mir und zuckte mit den Schultern. Mit einem breiten Grinsen trat Bea aus dem Schlafzimmer, hatte ihre nasse Lockenmähne nach oben gesteckt und trat, voll bekleidet, auf mich zu. Rasch gab sie mir einen Kuss auf den Mund, tätschelte meine Wange und verschwand. Hätte sie das vor ein paar Monaten getan, hätte ich einen monumentalen Streit vom Zaun gebrochen, aber jetzt fühlte ich mich wie jemand, der getätschelt werden musste. Fuck, ich wurde echt zum Weichei. Grandios. Ich setzte mich aufrecht, hielt meine Stirn auf den Ballen meiner Hände und dachte nach. Thea vermisste mich ebenfalls. Sie hatte, trotz aller Widersprüche, noch nicht mit mir abgeschlossen. Meine Füße begannen zu Wippen. Sie mochte Max, liebte ihn vielleicht sogar, doch sie war nicht über mich hinweg. Das hatte ich an den Blicken erkennen können, die sie mir während unseres Gespräches zugeworfen hatte. Klar, sie sagte, sie wolle mit Max zusammenbleiben. "Weil er ihr gut tat", aber letztlich hatte sie nicht gesagt, dass sie nicht nicht mit mir zusammen sein wollte. Ich wäre ein Scheißkerl, würde ich ihre Beziehung zerstören und mich zwischen zwei Menschen drängen, die sich vielleicht auch inniger liebten, als ich mir das ausmalte, aber ich wäre ein verdammter Idiot, würde ich es nicht versuchen.
Acht Monate verbanden sie mit Max. Eine lange Zeit, aber nicht lange genug, wenn in den Gedanken noch ein anderer wohnte. Mit einem Ruck stand ich auf, und ging zum Schlafzimmer, um mir eine Jeans und ein Shirt über zu ziehen. Griff nach den Boots, die nicht unweit davon entfernt standen und wählte Jesses Nummer. Ich brauchte jetzt ein Bier, ein frisches Bier, eines in einem Café, mit der Hoffnung auf ein unverfängliches Treffen. Noch ehe ich die Wohnungstür erreichte, nahm Jesse den Hörer ab.
"Alter, du störst!", plärrte er ins Telefon und im Hintergrund konnte ich jemanden Stöhnen hören. Unwillkürlich musste ich Lachen. "Ich habe Besuch", ächzte er zur Erklärung, die ich gar nicht gebraucht hatte. Ich fragte mich nur, wen er letztlich flachlegte. Ob er die Kassiererin des Café Chaos endlich hatte erweichen lassen? Zu einem Date hatte sie letztlich schon zugesagt und der Abend war laut meinem Kumpel vielversprechend gewesen, doch bei Jesse konnte man nie wissen.
"In etwa 15 Minuten im Café Chaos. Bekommst du das hin?"
"Bin schon da. Wir sehen uns dann",  war alles was er sagte, ehe er wieder auflegte. Damit war klar, wen er da unter oder über sich hatte. Wieder musste ich Lachen und stieg dabei in mein Auto. Jesse hatte bekommen was er wollte und musste nun beweisen, ob er es auch halten konnte. Ich dagegen musste versuchen etwas zu erkämpfen, dass ich achtlos hatte liegen lassen. Und das würde mich sicher einiges kosten.

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