Kapitel 25- Thea
Mit einer vollen Müslischale in der Hand und bequemen Klamotten, wollte ich es mir gerade auf meinem Bett im Wohnheim gemütlich machen, als es unerwartet an der Tür klopfte. Da Anna über das Wochenende mit Christian unterwegs war, hatte ich das Zimmer für mich alleine, daher hatte ich auch keine Ahnung, wer es sein konnte und öffnete deshalb gespannt die Holztüre und blickte verwundert auf Harry, welcher vor mir stand. Ein paar seiner braunen Locken fielen ihm in sein markantes Gesicht und ich unterdrückte den Drang, diese wegzustreichen.
„Oh, was für eine Überraschung. Ist was passiert?", fragte ich ihn und vergaß völlig ihn hineinzubitten.
„Darf ich reinkommen?", fragte er mich mit schelmischem Grinsen und wies mich auf meine Unhöflichkeit hin. Mit einem entschuldigenden Blick ließ ich ihn in mein Zimmer treten und gab ihm, als er an mir vorbeilief einen kurzen Begrüßungskuss. Im Schneidersitz machte ich es mir auf meinem Bett bequem und griff hungrig zum Müsli. Nach dem ersten Löffel stellte ich es jedoch wieder auf meinen Nachtschrank, da es schon total durchweicht war. Harry hatte sich neben mich gesetzt.
„Gibt es einen gewissen Grund für deinen Besuch oder hast du mich einfach nur vermisst?", wollte ich neckend wissen. Er lachte kurz auf, jedoch bemerkte ich, dass ihn etwas bedrückte.
„Wie könnte ich dich nicht vermissen? Wie war dein Tag?" Mit einem „gut" quittierte ich seine Frage und gab ihm zusätzlich einen feuchten Schmatzer auf seine weiche Wange.
„Was ist los Harry?", schoss es direkt aus mir heraus. Harry kratzte sich nervös am Hinterkopf und drehte sich so zu mir, dass er mir gegenüber saß.
„Thea, wie würdest du eigentlich unsere Beziehung beschreiben?"
Okay, mit dieser Frage hatte ich wirklich nicht gerechnet. Wie kam er denn so plötzlich auf die Idee unsere ‚Beziehung' zu definieren. Nun war ich diejenige die sich verlegen am Hinterkopf kratzte.
„Naja, wir stecken gerade irgendwo zwischen einer festen Beziehung und einem Freundschafts- Plus Ding fest." Ich überlegte, wie ehrlich ich sein konnte und entschied mich dann dafür, alles auf eine Karte zu setzen. „Aber ich muss ehrlich gestehen, dass ich mir eine Beziehung mit dir vorstellen könnte und es gerne genauer definieren würde."
Nickend nahm er meine Antwort hin und schwieg. Die Sekunden kamen mir schier endlos vor, doch Harry blickte mir tief in die Augen. Kein einziges Gefühl war in seinen Gesichtszügen zu lesen, es war eine neutrale Maske. Ein großes Fragezeichen bildete sich über meinem Kopf und nun wollte ich wissen, warum ihm gerade jetzt diese Frage in seinen Gedanken herum geisterte.
„Ich sehe es ähnlich. Wir stecken schon in einer Art Beziehung und obwohl ich es nie gedacht hätte, aber es gefällt mir." Glücklich über diese Aussage bildete sich ein großes Lächeln in meinem Gesicht. Endlich konnte ich Harry als meinen Freund bezeichnen. Doch so schnell wie es auftauche verschwand mein euphorisches Gefühl. Dass Harry plötzlich bei mir einschneite und mir diese Frage stelle, ließ mich skeptisch stimmen.
Laut atmete er aus und begann zu sprechen: „Ich hab ein Jobangebot bekommen. Einen ziemlich begehrten sogar. Das Problem ist nur, dass dieser Job sechs Monate Brasilien beinhaltet."
Niedergeschlagen schaute ich auf meine weiße Bettdecke und meine Finger spielten mit dem kühlen Stoff. Mit dieser Aussage hatte ich am wenigsten gerechnet. Meine Vorstellung, eine normale Beziehung mit Harry führen zu können, löste sich just in dem Moment in Luft auf. Harry nahm sanft mein Gesicht in seine großen Hände und ich sah in seine grünen Augen.
„Noch habe ich mich nicht entschieden, deswegen bin ich heute hier. Ich will das alles mit dir gemeinsam besprechen, bevor ich zu- oder absage."
Immer noch schwieg ich vor mich hin und musste bei dem Gedanken, dass Harry sechs Monate in Brasilien verbringen würde, meine Tränen unterdrücken. Es hatte doch gerade erst mit unserer Beziehung begonnen, warum musste sie nun auf der Kippe stehen?
„Wie stehst du dazu, wenn wir uns für die Zeit meines Aufenthaltes trennen würden?"
„Harry, das kannst du nicht tun. Ich bitte dich, würdest du es denn gut finden, wenn wir nicht mehr zusammen sind? Oder wenn ich gar einen anderen hätte?", stellte ich ihm die Gegenfrage. Leicht schüttelte er seinen Kopf.
„Und was wäre, wenn du mitkommen würdest, Thea? Eventuell ein bisschen im Ausland studieren. Erfahrungen sammeln."
Diesmal schüttelte ich meinen Kopf: „Ich stehe kurz vor meinem Abschluss und könnte nicht in Brasilien studieren, da ich erstens kein portugiesisch spreche und zweitens gibt es keine Partneruniversität in Brasilien."
„Dann bleibt noch die Möglichkeit, dass ich den Job einfach sausen lasse und hier bleibe."
„Auch wenn ich das ehrlich gesagt schöner fände, kann ich nicht so egoistisch sein und dich nicht nicht fliegen lassen. Das ist eine einmalige Chance für deinen Durchbruch als internationaler Fotograf, also wirst du wohl fliegen müssen." Zwar wollte ich meine Tränen zurückhalten, doch einzelne Tröpfchen nahmen ihren Weg über meine Wangen.
„Verdammt", stieß er genervt aus. Harry war aufgestanden und lief vor meinem Bett hin und her. „Ich will dich hier nicht alleine lassen."
Warum musste das alles so kompliziert sein?
„Wann geht es los?", fragte ich, um ihn abzulenken oder ihn einzustimmen. Keine Ahnung, ich wollte es einfach wissen.
„In ein paar Tagen." Geschockt blickte ich ihn an. Konnten wir nicht noch einige Monate gemeinsam verbringen, bevor der ganze Stress losging?
„Ich will das Ganze nicht, aber deine Karriere ist ebenso wichtig, wie mein Studium. Wir dürfen uns nicht Gegenseitig aufhalten. Ich will nicht der Grund dafür sein, dass du weiterhin eine Art Dorffotograph bleibst." Die Worte auszusprechen waren schwer, besonders mit vorgespielter Überzeugung, jedoch blieb mir nichts anderes übrig. Ich wollte ihn glücklich sehen und wenn er hier bliebe, wäre er das ganz sicher nicht.
„Warum kannst du mich nicht einfach anschreien? Wütend werden? Das Zimmer verlassen? Kannst du nicht einfach sagen, dass du willst das ich hier bleibe?", verzweifelt raufte er sich seine Haare.
„Nein, kann ich nicht, weil ich dich wirklich sehr, sehr gern habe, Harry", brach ich unter Tränen heraus. „Ich bin in dich verliebt."
Stürmisch kam er auf mich zu und küsste mich voller Verlangen. Er steckte seine ganzen Gefühle in diesen einen Kuss. Die Verwirrung, die Unschlüssigkeit, seine Zuneigung zu mir.
„Wir schaffen das schon irgendwie. Sechs Monate sind nicht lange. Und vielleicht kann ich dich in den Ferien mal besuchen kommen?", sagte ich wispernd.
„Fuck, du hast mich in deinen Bann gezogen, Thea. Vergiss das nicht, während ich weg bin, ja? Ich werde fliegen, aber du wirst hier auf mich warten, damit wir hier an dieser Stelle weitermachen können. Und damit wir es immer und immer wieder wiederholen können."
Verzweifelt sagte ich, dass es okay sei, dass ich es verstand und wir beide das durchstehen konnten. Es waren doch nur sechs Monate. Wir verloren uns in unserer Lust und unserem Kummer und machten den Tag unvergesslich. Wir feierten einen Abschied, der erst noch bevorstand.
SECHS. VERDAMMTE. MONATE.
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