1.2
„Jane! Da bist du ja!"
Ihre gemeinsame Freundin hatte sich unbemerkt zu ihnen gesellt. Keiner beherrschte es so gut wie sie, sich anzuschleichen. Die drei umarmten einander und gingen gemeinsam zum Pier. Dieser lange, breite Steg, auf dem sich zahlreiche Sitzgelegenheiten und Stände befanden, war bei weitem der gemütlichste Ort am Strand. Außerdem war es die einzige Möglichkeit, neben einem Ausflug aufs Land natürlich, dem hektischen Großstadttreiben zu entkommen. Die ganzen Metropolen hatten sich derart ausgebreitet, dass Grünflächen selten geworden waren. Und selbst auf dem Land suchten mittlerweile so viele Menschen Erholung, dass die Ruhe dort nicht mehr wirklich vorhanden war. Auch dagegen ging die Regierung vor, endlich. Sie hatten viel zu lange zugelassen, dass jegliche Grünflächen zerstört wurden.
Manchmal fragte sich Jessie schon, wie sich das alles entwickeln würde. Die fehlenden Bäume und Parks waren momentan ohnehin ein vergleichsmäßig geringes Problem, denn ...
„Hey, willst du dich nicht setzen, Jess?" Die Stimme ihrer Schwester riss sie aus ihren Gedanken. Mittlerweile waren sie auf dem Pier angekommen und die anderen hatten sich auf die Bänke gesetzt, während Jessie scheinbar gedankenverloren in die Ferne geblickt hatte.
„Natürlich, sorry!" Sie beeilte sich, ebenfalls Platz zu nehmen, und bestellte per iPad einen Eiskaffee. Annah und Jane hatten ihr Getränk bereits erhalten.
„Du warst ja ganz in deinen Gedanken versunken, über was hast du denn nachgedacht?", wollte Jane wissen. Ein Lächeln umspielte die Lippen ihrer Freundin. Jessie wusste genau, woran diese dachte, wollte dieses Thema jedoch nicht wieder anschneiden. Diese ewigen Diskussionen über die Liebe waren lästig, denn sie brauchte niemanden. Im Moment jedenfalls noch nicht, denn zuerst hatte sie Ziele, welche sie erreichen wollte, und die Liebe würde dann schon im richtigen Moment Einzug in ihr Leben halten.
„Ist nicht so wichtig", entgegnete sie, denn sie wollte die Stimmung nicht ruinieren. Deshalb machte sie sich auch nicht die Mühe, zu erklären, worüber sie sich den Kopf zerbrach. Vielleicht machte sie sich ja tatsächlich zu viele Sorgen. Aber der Zeitungsbericht auf UpTOdate Online von letzter Woche bezüglich einer neuen Krankheit ließ sie nicht los. Annah hatte ihr erklärt, dass noch keine Behandlung dafür existierte. Solche Probleme waren nicht zu unterschätzen, dieser Meinung war Jessie jedenfalls.
Aber vorerst wollte sie sich noch keine zu großen Gedanken darüber machen, daher ließ sie sich nur zu gerne von Jane und Annah ablenken.
Nach einem schlussendlich doch noch relativ entspannten Nachmittag ging Jessie mit ihrer Schwester nach Hause, um mit einem gemütlichen Filmabend an den Tag am Strand anzuknüpfen – wobei sich die Filmauswahl wie meistens nicht ganz einfach gestaltete. Annah liebte Dokumentationen über alles, genau wie Komödien. Es war ein krasser Gegensatz, aber ihre Vorlieben im Bezug auf Filme wiederspiegelte in gewisser Weise auch ihre Persönlichkeit. Jessies Schwester war jederzeit bestrebt, Spitzenleistungen abzuliefern und dafür auch eine Menge an Zeit und Arbeit zu investieren. Genauso konnte sie aber auch witzig sein und ihre ernste Seite für eine Zeit vergessen, wenn sie mit Personen zusammen war, denen sie wirklich vertraute.
Jessie hingegen hasste langweilige Dokumentationen. Sie bevorzugte Filme mit psychologischem Hintergrund. Fiktiv oder Real war ihr egal, Hauptsache Psychologie!
Schlussendlich entschieden sie sich heute für einen Filmvorschlag von Jessie.
„Über was hast du heute Nachmittag eigentlich nachgedacht?", wollte Annah wissen, als sie gemütlich auf dem Sofa vor dem Fernseher saßen.
„Ach, das Übliche", antwortete Jessie nur.
„Wir finden eine Lösung für diese ominöse Krankheit. Es tut mir leid, ich hätte dir nichts davon erzählen sollen. Du machst dir ja sowieso immer zu viele Gedanken. Warum vergesse ich das immer?", entschuldigte sich ihre Schwester bei ihr.
„Ich bin froh, dass du ehrlich zu mir bist. Und eigentlich ist mir ja auch bewusst, dass so eine Spitzenmedizinerin wie du eine Lösung finden wird. Da bin ich mir sicher", antwortete Jessie lächelnd, um Annah die Schuldgefühle zu nehmen.
Eigentlich mache ich mir um dich am meisten Sorgen. Diese Worte sprach sie nicht laut aus, sondern fügte sie lediglich im Kopf hinzu. Nichts wäre so schlimm, wie ihre Schwester zu verlieren, und da sich Annah im Labor ständig mit gefährlichen Krankheiten auseinandersetzte, war dies Jessies größte Angst.
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