Blutiges Fasching (2)
Seit Emilies Verschwinden, Anfang Januar, war über ein Monat vergangen. Fasching stand vor der Tür und noch immer waren die Geschehnisse das Nummer eins Gesprächsthema in Angeltürn und der näheren Umgebung. Nachdem aufgefallen war, dass Emilie nicht mehr bei den anderen Schülern war hatten die Polizei aus Krautheim, Tauber-Bischofsheim und einigen anderen umliegenden Ortschaften zusammen mit einem Haufen Freiwilliger den Wald nach ihr durchsucht. Gefunden hatten sie Emilie nicht, dafür waren aber ein 28 Jahre alter Polizist und ein 19 jähriger Freiwilliger verschwunden, die man einige Tage später gefunden hatte. Sie waren beide tot, beiden war der Kopf abgesägt worden, beide hatten eine schmetterlingsförmige Wunde auf dem Handteller und beide waren so vergraben worden, dass nur eben jene Hand sichtbar war. Nach drei Wochen, auch zum Schutz der Suchmannschaft, hatte man die Suche dann abgebrochen. Die Polizei tappte relativ weit im Dunkeln, aber sie war sich sicher, dass es sich um den gleichen Mörder handelte und, dass er enorm stark und schnell sein musste, schließlich hatten die beiden, selbst nicht schlecht gebauten, Opfer keine Chance gehabt. Die Polizei schlussfolgerte, dass es sich wohl um einen extrem durchtrainierten Mann handeln musste und gaben ihm auf Grund des Zeichens, welches er auf seinen Opfern hinterließ, den Namen „Butterfly-Killer".
In ihrem Unterschlupf, im Wald, bekam die Killerin das alles mit und es amüsierte sie tüchtig. Vor allem der Name, den die Behörden ihr gegeben hatten, gefiel ihr. Butterfly: es klang richtig in ihren Ohren. Ihren echten Namen hatte sie seit Jahren nicht mehr benutzt. Seit dem Unfall nicht mehr. Seit sie aufgehört hatte nett zu Leuten zu sein. Seit sie begonnen hatte ihre tödliche Mission zu planen.
Butterfly saß auf einer Holztruhe und sah auf ihre Wand, an der, sorgfältig gereinigt, ausgestopft, an Eichenholzbrettern befestigt und in eine schnurgerade Reihe gehängt, die Köpfe ihrer Opfer ausgestellt waren. Ganz bei sich gab die Mörderin sich recht: die drei sahen im Tode wirklich viel besser aus als zu Lebzeiten. Im Hintergrund war, außer dem rumpeln einer Waschmaschine, nichts zu hören. Denn nur weil Butterfly eine brutale Killerin war, hieß das ja noch lange nicht, dass ihre Sachen deshalb schmutzig sein mussten. Butterfly hasste Schmutz über alles. Während sie nun auf ihrer Kiste hockte und die Gesichter der Toten betrachtete, plante sie bereits ihren nächsten Mord. Sie würde bis Fasching warten. Die Jugendlichen würden sich betrinken und leichte Beute sein, außerdem würde sie an Fasching mit der Maske und dem Dolch nicht auffallen. Die Tage bis zum Stichtag, den sie auf den Rosenmontag gesetzt hatte, zogen sich wie Kaugummi und vergingen trotzdem nicht ungenutzt. Butterfly mochte es wenn Dinge geplant waren, wenn Dinge ordentlich waren, und so plante sie. Sie spähte, vom Waldrand aus, Angeltürn aus und suchte sich einen Ort, an dem sie auf Opfer warten konnte. Sie schärfte ihren Dolch und ihre Säge und poliertes sie, bis sie glänzten. Sie staubte die Köpfe ab und verpasste Ihnen ein Umstyling. Sie kämmte ihnen, vor allem der hellblonden, stundenlang die Haare und flocht sie, wenn die Länge das zuließ. Dann schminkte sie die Köpfe, um sie lebendiger wirken zu lassen. Butterfly war äußerst sorgsam, wenn es um ihre ‚Babys' ging. Sie reinigte ihr Versteck, wie jeden Tag, duschte, wie jeden Tag, und sorgte dafür, dass alles aufgeräumt war. Eigentlich war Butterfly immer äußerst sorgsam. Sie verpasste der silbern glänzenden Außenseite ihres Versteckes einen neuen, zu ihrer Maske passenden, Anstrich mit Blumen und einem Schmetterling. Sie wusch ihre Kleidung wieder, dann wartete sie. Butterfly hatte wenig Probleme mit Warten.
Den Rosenmontag verbrachte sie komplett allein und bereitete sich auf ihren Mord vor. Dann war der Abend gekommen. Die Musik der Faschingsfeier vom Dorfplatz war bereits am Waldrand zu hören, als die maskierte Mörderin sich langsam den Weg vom Wald zu ihrem Lauerplatz bahnte. Die Sonne war bereits untergegangen, aber es war noch nicht dunkel. Das Dämmerlicht fiel auf Butterfly und lies ihre weiße Maske rot glänzen, als wäre sie schon in Blut getaucht. Ihr Mantel schien ein dunkles Orange anzunehmen, ähnlich der Farbe, die er einst gehabt hatte.
Dann verschwand Butterfly in den Schatten eines Busches, um zu warten. Sie beobachtete die vorbeilaufenden Jugendlichen in ihren Kostümen. Die meisten waren in Grüppchen unterwegs, unterhielten sich und lachten. Butterfly ließ sie in Ruhe. So manch einer hätte die Mörderin als böse bezeichnet, sie selbst sah das anders. Sie tötete keine netten Menschen, und außerdem gab es einen Grund für ihre Morde, einen der ihr unendlich wichtig war... Butterflys erstes Opfer, das Mädchen mit den hellblonden Haaren, war eine eklige, manipulative Zicke gewesen, ihr zweites Opfer, der Polizist, hatte seinen Müll überall hingeschmissen und ihr drittes Opfer, der junge Kerl, war der schlimmste von allen: er hatte versucht ein Mädchen, ein weitaus jüngeres, das ebenfalls Teil der Gruppe gewesen war, die die Zicke gesucht hatte, zu begrapschen. Butterfly hatte ihn leiden lassen. Sie beobachtete und wartete und ihre Hoffnung schwand. Bis jetzt hatte sie kein geeignetes Opfer gefunden.
Es war bereits dunkel und das Funkeln der Sterne spiegelte sich in den glatten Linsen von Butterflys Maske, als eine stark geschminkte Jugendliche mit einer lila Perücke an dem Versteck der Killerin vorbei wankte. „Jaaa, ich weiß, es isch net ganz legal, abber des gondroliern die eh net... es isch doch Faschin...", lallte die Jugendliche in ihr Smartphone und die grünen Bälle, die auf Sprungfedern auf ihrem Haar-Reif angebracht waren wippten vor und zurück. Butterfly wurde hellhörig. „Soooo bsoffn bin ich net... ich kann noch faaahn... ja ich weiß,... dass ich kein Führersch... Führersch... Führerschein hab, aber des isch doch net weeiiiiid...", nörgelte die Betrunkene. Eine Erinnerung, die Butterfly in den Tiefen ihres Verstandes vergraben hatte, war plötzlich wieder da. Sie stand auf.
Onyx Rufmaid und ihre Familie fuhren im Auto vom Urlaub nach Hause. Ihre Mutter, ihr Stiefvater, ihre Halbschwester und sie. Im Radio lief „Walking on Sunshine" und alle sangen mit. Mira, Onyx jüngere Halbschwester, schwenkte eine leere M&M Tüte durch die Luft, die die Schwestern gemeinsam vernichtet hatten. Ihre Augen funkelten schelmisch. Ausnahmsweise machte es Onyx nichts aus, dass sich deswegen überall Schmutz verteilte. Das fröhliche Quietschen ihrer Schwester glich es aus. „AND DON'T IT FEEL GOOD? HEY! YEAH!", sang die ganze Familie ausgelassen und lachte dann über den schiefen Ton, den Onyx' Stiefvater gesungen hatte.
Butterfly zog ihren Dolch und lief auf die, immer noch in ihr Handy zeternde, Jugendliche zu. Unter ihrer Maske funkelten ihre Augen hasserfüllt. Der Dolch schimmerte im Glanz des Mondes und dem Licht der zirka 100 Meter entfernten Straßenlaternen. Die total betrunkene Jugendliche bemerkte nichts.
Es war eine regnerische Nacht, die denkbar schlecht zu „Walking on Sunshine" passte, aber davon ließen Onyx und ihre Familie sich nicht den Spaß verderben. Die Mutter der Mädchen trommelte im Rhythmus auf das Lenkrad und ihr Ehemann machte lustige Tanzbewegungen mit den Armen Die Sechzehnjährige Onyx lachte und ihre kleine Halbschwester lachte mit. Der Augenblick war perfekt.
Butterfly stieß ihren Dolch nach unten, genau in dem Moment, in dem die Jugendliche sich doch umdrehte. Mit einem widerlichen Krachen und Splittern stieß die scharfe Klinge durch die Zähne der Betrunkenen. Blut lief aus ihrem Mund, als sie geschockt rückwärts taumelte und ihr Handy fallen lies, aus dem eine besorgte Stimme nach ihr rief. „JULE! JULE! Ist alles in Ordnung? Ich habe so ein Geräusch gehört! Bist du okay? Geht es dir gut? Jule! Alter, nachdem was mit Emilie passiert ist, ist das echt nicht lustig. JULE! Antworte mir verdammt noch mal! Wo bist du? Was passiert? Soll ich den Krankenwagen rufen? Die Polizei? Bist du verletzt? Ich rufe die Polizei! Emilie war deine Freundin, was, wenn dieser Butterfly es auch auf dich abgesehen hat. Ich schwöre der hat sich Emi geholt. Ich ruf' die Polizei! Halt' durch!" Butterfly grinste gehässig. Das war also die, mit der die Zicke sie im Wald verwechselt hatte. Eine Freundin der kleinen Hochstaplerin. Doppeljackpot!
Der Wagen kam wie aus dem nichts. Sein betrunkener Fahrer sah das Auto, in dem Onyx saß, nicht kommen bis es zu spät war. Das erste, was Familie Rufmaid von ihm sah waren seine strahlend hellen, aufgeblendeten Scheinwerfer, die in Schlangenlinien über die Straße schlingerten. Der Wagen raste verboten schnell auf sie zu. Ein dröhnendes Hupen zerriss die Luft. Fröhliches Singen wurde zu panischem Geschrei.
Jule drehte sich um und rannte davon. Ihre Hände presste sie fest auf ihre blutigen, zerfetzt Kiefer. Irgendwie war Butterfly beeindruckt, dass die Kleine noch rennen konnte, so betrunken und verletzt wie sie war. Auf dem Boden bildete sich eine Blutspur hinter Butterflys verwundeter Beute. Die Mörderin wischte ihren Dolch an einem Tuch sauber, steckte beides weg und nahm die Verfolgung auf. Jule würde nicht weit kommen. Sie hatte Zeit.
Glas und Metall splitterten als die Autos ineinander krachten ins Fahrzeuginnere und bohrten sich erbarmungslos in alles, das sich darin befand. Das Urlaubsgepäck flog in die entgegengesetzte Richtung. Schmerzensschreie gingen im allgemeinen Lärm des Unfalls unter. Onyx kniff die Augen zusammen und schrie.
Die Mörderin war schnell, aber das war ihr Opfer auch. Todesangst und Adrenalin können Wunder bewirken, das wusste Butterfly aus Erfahrung. Die Kostümierte rannte, vermutlich dem Alkohol verschuldet, aus dem Ort hinaus, statt zwischen den Häusern Schutz zu suchen. Dumm und tödlich. Butterfly verbuchte dieses bescheuerte Verhalten bereits als klaren Sieg, als sie plötzlich die Silhouette eines Aussiedlerhofes erkannte, den die Kleinere, die ihren Fehler wohl endlich bemerkt hatte, ansteuerte. Verdammt! Es würde doch nicht so einfach werden.
Onyx wurde nach vorne geschleudert und ihr Kopf kollidierte schmerzhaft mit dem Sitz. Der Sicherheitsgurt Schnitt ihr schmerzhaft in die Brust. Sie konnte spüren wie die Haut in ihrem Gesicht aufriss. Blut und Tränen flossen in den Stoff unter ihr. Ihre Hand erschlaffte auf halbem Wag zu ihrer Stirn wieder und sackte herab. Ihr wurde schlecht und ein gequältes Stöhnen verließ ihre Lippen. Um sie herum wurde die Welt dunkel.
Wäre Butterfly nicht so sehr im Tunnel gewesen und hätte sich auf etwas anderes als ihren brodelnden Hass und ihr Opfer konzentriert, hätte sie die Jugendliche gesehen, die aus dem Fenster des Hofes starrte und dann entsetzt zum Telefon rannte um die Polizei zu informieren. Sie war siebzehn Jahre alt und wohnte noch nicht sehr lange auf dem Hof. Ihr Name war Lea. Die Mörderin bemerkte sie nicht. Sie folgte der Verkleideten, die sich nun in einem Schuppen verbarrikadierte. Ein schadenfrohes Lachen erklang unter dem ausdruckslosen Porzellangesicht der Maske.
Als Onyx aufwachte war es bereits zu spät. Ihr Gesicht schmerzte, tiefe Risse zogen sich durch ihre Stirn und Wangen und Glas steckte in ihrem Körper. Die Sitze vor ihnen hatten sie und ihre kleine Schwester abgebremst. Ein Koffer steckte zwischen den beiden und Onyx konnte ihn nicht bewegen. Er hing fest. Benommen öffnete sie ihren Anschnallgurt und guckte auf den Sitz vor sich, auf dem ihr Stiefvater saß. Sein Kopf war um 180° gedreht, Glassplitter durchsiebten seinen kompletten Körper, seine Augen und sein Mund waren im Tod weit aufgerissen und er schien Onyx verzweifelt anzustarren. Die Sechzehnjährige schluchzte verzweifelt auf. Die Frontscheibe war praktisch nicht mehr vorhanden. Durch das, was davon übrig war, hing die Leiche des Fahrers des anderen Wagens. Er stank nach Schweiß, Erbrochenem, Urin und vor allem Alkohol. Seine, sich in Totenstarre befindliche, Hand umklammerte immer noch die Überreste einer Bierflasche. Onyx spürte siedenden Hass gegen ihn in sich aufsteigen, aber die Sorge um ihre restliche Familie war größer. Um ihre Mutter, um ihre Mira.
Butterfly riss die verschlossene Tür des Schuppens einfach aus den Angeln. Erneut zog sie ihren Dolch und folgte der Blutspur hinter ein paar Kisten. Die Jugendliche mit der Perücke kauerte sich heulend in eine Ecke und drückte ihre Hände auf ihr blutiges Gesicht. Das Bild war einfach erbärmlich. Butterfly hatte das Gefühl sie würde explodieren, vor Hass. Jule saß in einer nassen Pfütze. Sie roch nach Angstschweiß, Blut, Erbrochenem, Urin und billigem Schnaps. Der Geruch schien Butterfly zu verspotten.
Onyx begann zu weinen. Sie öffnete mit zitternden Fingern ihre Autotür, zumindest versuchte sie es. Die Tür klemmte. Sie rüttelte am Griff, warf sich dagegen und trat schließlich sogar schreiend darauf ein. Mit einem Krachen flog die Türe auf und die Sechzehnjährige purzelte aus dem Auto. Überall um die beiden Gefährte lagen Kleider und andere Urlaubsüberbleibsel. Der Regen prasselte auf Onyx' zitternden Körper und Matsch sickerte durch ihre Kleidung. Ihr war so furchtbar schlecht. Sie weinte und der eiskalte Regen wusch die Tränen hinweg. Es stank beißend nach brennendem Plastik. Das Auto des Säufers stand in Flammen.
Butterfly lief auf Jule zu. „Bitte! Bitte nicht! Bitte nicht!", winselte Jule mit einem flehenden Ausdruck in dem, was von ihrem Gesicht übrig war, „Wieso tust du das? Wieso? Bitte, bitte, bitte, töte mich nicht. BITTE!" Tränen rannen über ihr Gesicht und spülten Teile der Schminke mit ab, sodass aus dem, was einmal gelungenes Alien-Makeup gewesen war, ein verschmiertes Durcheinander, vermischt mit Blut, wurde. Sie schluchzte Hemmungslos und drückte sich enger an die Wand. Die stinkenden Pfütze wurde durch die Bewegung weiter verwischt. Butterfly verspürte nichts als Ekel bei ihrem Anblick.
Onyx schleppte ihren Verwundeten Körper auf die andere Seite des Autos, um nach ihrer Mutter und ihrer kleinen Halbschwester zu sehen. Sie stolperte an durchweichtem und verdrecktem Gepäck vorbei. Der Regen verhinderte, dass das Feuer übergriff. Noch nie hatte sie Schmutz so sehr gehasst wie in diesem Moment, in dem er diese Katastrophe repräsentierte. Der verdammte Dreck war überall. Besudelte ihre Kleidung, ihren Körper, die Autos, das Gepäck. Ihre blutigen Finger legten sich auf das Fenster der Autotür ihrer Mutter. Frau Rufmaids Körper lag gekrümmt über dem Lenkrad, Blut bedeckte ihre blonden Haare. Onyx heulte und schrie, sie ruckelte an der Autotür, bis sie mit einem wiederwilligen Kreischen aufging. Langsam drehte ihre Mutter das Gesicht in ihre Richtung. „Deine Schwester! Rette deine Schwester! Ihr müsst Leben!", flüsterte sie mit gebrochener Stimme, dann fiel ihr Kopf zurück auf das Lenkrad. Es war kein Leben mehr in ihren Augen.
Hass und Wut rasten durch Butterflies Verstand. „Du! Weißt was du hättest anrichten können? Niemand hat das hier so sehr verdient wie du!", brüllte die Killerin. Sie packte die, nun zappelnde, Jugendliche am Fuß und riss sie in ihre Richtung. Flüssigkeit aus der widerlichen Pfütze gelangte auf Butterflies grüne Handschuhe. Innerlich schüttelte sie sich vor Ekel. Sie konnte es kaum erwarten die Handschuhe in die Waschmaschine zu werfen. Mit einem wütenden Aufschrei stach sie den Dolch unter die Kniescheiben ihres kleineren Opfers. Jule flennte nur noch mehr. Butterfly spürte Genugtuung in sich aufsteigen, aber keine Freunde. Sie tat, was getan werden musste, nicht was sie tun wollte. Ihre Hand schloss sich um den Unterarm ihres Opfers, fest wie ein Schraubstock. Sie legte den Dolch an ihre Handfläche.
Onyx stolperte weiter zur Tür ihrer Halbschwester. Sie ging überraschend leicht auf. Der kleine Körper der Neunjährigen war zwischen einigen Koffern eingeklemmt und komisch verdreht. „Nein.", flüsterte Onyx und begann verzweifelt die Gepäckstücke aus dem Auto zu werfen. Ihre Halbschwester regte sich nicht. Die leere M&M Tüte segelte lautlos zu Boden und ging in einer schlammigen Pfütze unter. Blut tropfte aus Miras Mundwinkel. „NEIN!", schrie Onyx.
Metall glitt durch blutverschmierte Haut. Auf der zuckenden Handinnenfläche nahm ein Schmetterling Gestalt an. Schreie echoten durch den Schuppen. Die maskierte Killerin drückte die Klinge fester in den glitschigen Handteller. Normalerweise wartete Butterfly damit, bis ihr Opfer bereits tot war, damit das Zeichen nicht verwackelte, wie es bei ihrem ersten Opfer passiert war, doch hier würde sie eine Ausnahme machen. Diese Jule hatte das verdient, es so sehr verdient. All den Schmerz. Es verdient...
Vorsichtig zog Onyx Mira aus dem Wagen. Ihre Halbschwester hing schlaff in ihren Armen. „Ganz ruhig. Ich bringe dich in ein Krankenhaus. Wir schaffen das.", flüsterte Onyx in die mit Blut beklebten Haare der Jüngeren. Mit taumelnden Schritten lief sie los. Immer der Straße nach. Irgendwann würde sie schon ein Krankenhaus finden. Die Verzweiflung brachte sie dazu schneller zu laufen, machte ihre Schritte sicherer. Adrenalin donnerte durch Onyx' Körper. Ihre Schmerzen traten in den Hintergrund. Sie lief noch schneller. Immer schneller, bis sie rannte. Miras Körper schwang in ihren Armen hin und her. Onyx rannte weiter, das Adrenalin trieb sie gnadenlos voran. Sie rannte die Straße entlang auf die entfernten Lichter einer Stadt zu, bis ihre Wunden und der Blutverlust ihren Tribut forderten und sie in Dreck des Straßengrabens zusammenbrach. Als die Sanitär die Kinder fanden war Onyx kaum noch bei Bewusstsein. Sie hatte den toten, kalten Körper ihrer Halbschwester fest umklammert und flüsterte immer wieder, einer Mantra gleich: „Wir schaffen das. Wir müssen das schaffen. Wir bleiben am Leben." Sie realisierte nicht, dass es längst zu spät war. Dass sie versagt hatte. Der letzte Wunsch ihrer Mutter blieb unerfüllt.
Nachdem Butterfly ihre Markierung hinterlassen hatte stand sie auf und wischte ihren Dolch an dem Tuch sauber. Es war ebenfalls grün, wie die Handschuhe, sie würde also als nächstes die grüne Wäsche anschalten. Die Kostümierte bewegte sich kaum noch. Immer wieder wurde ihr Körper von einem erbärmlichen Zittern befallen und sie schluchzte leise. Butterfly gab ein verächtliches Schnauben von sich und rammte den Dolch zwischen Jules Rippen. Blut spritzte aus der Wunde, wie eine kleine Fontäne. Ein letztes Zittern erschütterte den schmalen Körper und ein blubberndes Röcheln entwich ihren zerschnittenen Lippen, die kaum die gesplitterten Zähne zu verbergen vermochten, dann fand sie den Tod. Unter ihrer Maske lächelte Butterfly, endlich zufrieden.
Erneut löste sie die Säge von ihrem Gürtel, das Gesicht unter der Maske wieder völlig emotionslos. Sie begann den Kopf der Jugendlichen von ihrem Körper abzutrennen. Die Säge schnitt durch Fleisch. Vor, zurück, vor, zurück. Die lilane Perücke verfing sich in den Zähnen der Fuchsschwanzsäge. Wütend riss Butterfly sie von Jules Kopf herunter. Lange, schwarze Haare fielen um ihr, immer noch schmerzverzerrtes, Gesicht. Kurze Zeit später war es vollbracht. Butterfly ließ den abgesägten Kopf auf dem Bode liegen, während sie ohne Eile ihre Säge reinigte und dann wieder verstaute. Die maskierte Mörderin hob den Kopf auf und klopfte provisorisch den Staub ab. Die würde sie gründlich reinigen müssen... viel zu viel Make-up. Und ein bisschen flicken, vielleicht. Sie hätte aufpassen sollen das Gesicht nicht zu verschandeln...
Noch einmal sah sie auf ihr ausgeblutetes Opfer herab. Ja, das Mädchen hatte das verdient gehabt. Butterfly war zufrieden mit sich. Sie hatte das richtige getan.
Butterfly hob die Arme und begann zu summen. Sie spürte die dämonischen Kräfte ihrer Vorfahren durch ihre Adern rauschen, unter ihrer Haut pulsieren, in den Boden unter ihren Füßen strömen und ihn nach ihrem Willen verformen. Der Zement des Bodens barst auseinander und brachte frischen Lehm zum Vorschein. Die Macht lullte Butterfly ein, während Jules schlaffer Körper langsam in der Erde versank. Das monotone, dumpfe Summen hätte wohl für die meisten Menschen unheimlich geklungen, doch Butterfly erinnerte es irgendwie an ein Lied das sie vor einer langen Zeit gehört hatte, damals, als sie das letzte Mal wirklich glücklich gewesen war. Es klang wie ‚Walking on sunshine'.
Die Mörderin überprüfte noch einmal, dass sie alles dabei hatte. Säge und Dolch am Gürtel, Reinigungstuch in der Manteltasche, Maske im Gesicht, Kopf in der Hand, gut. Sie rannte aus dem Schuppen und steuerte auf den Wald zu. In Gedanken sang sie immer noch das Lied.
I'm walking on sunshine! WHOA!
Im Hintergrund konnte sie die Sirenen der Polizeiautos hören, die sich dem Aussiedlerhof näherten. Sie würden zu spät kommen. Butterfly lachte.
And don't it feel good?
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