Zwei


„Du verstehst, warum wir dich quasi dazu zwingen oder?", fragte sie ihr Vater William, der wie immer verlegen an seiner kaputten Kaffeetasse nippte. „Wir wollen dir doch nur eine bessere Zukunft bieten und mit dem Stipendium hätte es nicht besser laufen können."

Charlottes Mutter nickte aufmuntern. Die Familie Doyle war immer recht knapp bei Kasse, musste sprichwörtlich jeden Cent zwei Mal umdrehen. Vor einem Monat hatte Charlotte als Junge verkleidet an einem Auswahlverfahren für das Eliteinternat Atlas-Hills für Butler teilgenommen. Nur aus Spaß, doch wenige Tage später bekam sie eine Urkunde und ein Stipendium zugeschickt. Ihre Eltern drängten sie von da an, diese Chance zu ergreifen. Würde sie die Jahre in diesem Internat nicht überstehen, könnte sie immer noch Kontakte zu den Reichen geknüpft haben, welche ihr vielleicht andere Jobs versprechen könnten. Und würde sie die Prüfungen bestehen, dann ständen ihr alle Türen bei den Adelsfamilien und Stars offen. Das einzige Problem war eben nur, dass das Atlas-Hills ein reines Jungeninternat war.

„Ich weiß, ich weiß...", murmelte ich.

„Außerdem haben sie da die besten Unterrichtsmöglichkeiten. Ihr werdet wirklich alles lernen, was ihr braucht, nicht zu vergleichen mit dem, was die hiesigen Schulen zu bieten haben.", Elisabeth, Charlottes Mutter, war ganz hibbelig. „Und falls du einen schicken jungen Mann finden solltest, lass ihn bloß nicht los!"

„Mom, ich werde dort ein Junge sein. Ein J-u-n-g-e. Wie um Himmelswillen sollte ich da einen Kerl finden. Wenn überhaupt, dann wäre er schwul und würde nichts mehr von mir wollen, wenn er herausfindet, dass ich ein Mädchen bin.", Charlotte hatte nichts gegen Homosexualität, aber einen Freund würde sie im Butler-Internat niemals finden. Sobald er ihr zu nahe kommen würde, wäre ihre wahre Identität offenbart. Zu allem Überfluss war sie auch noch Jungfrau und hatte von all diesen Dingen keine Ahnung. „Und jetzt lasst mich in Ruhe packen. Solange ihr zwei um mich herum wirbelt, kann ich mich nicht konzentrieren."

Das Atlas-Hills war einige Kilometer von ihrer Heimatstadt entfernt. Sie musste alleine die lange Reise antreten, da die Zugfahrt und das anschließende Busticket schon für sie alleine teuer genug waren. Jedoch investierten ihre Eltern nur zu gerne in ihre eigene Tochter, wenn diese dadurch ein Elite-Butler werden konnte. Charlotte fand, dass sich das alles noch viel zu komisch anhörte. Alleine die Idee als Junge verkleidet da hineinzuschneien, war dumm genug. Als würden die Leute sie nicht überprüfen.

Der Abschied verlief schnell und mit wenigen Tränen. Allerdings hatte Charlotte im Zug ein ungutes Gefühl. Zweifel überkamen sie ein weiteres Mal und jetzt war niemand mehr da, der ihr gut zuredete. Auch Heute war die Bahn so unzuverlässig wie eh und je. Erst hatte ihr erster Zug Verspätung, weshalb sie den Anschlusszug verpasste und dann kam sie mit dem nächsten Zug auch wieder zu spät. Mit einem Kloß im Hals setzte sie sich endlich in den Bus, der sie direkt zum Internat brachte. Er war nobel eingerichtet, mit Samtvorhängen und allem Schnickschnack. Irgendwie unnötig, dachte sie. Charlotte musste sich wieder daran erinnern, dass sie nur auf diese Butler-Schule konnte, da sie ein Stipendium gewonnen hatte. Vor allem müsste sie sich daran gewöhnen, jeden Tag eine halbe Stunde eher aufzustehen, um sich jungenhaft zu schminken. Und natürlich musste sie sich selbst Charlie und nicht mehr Charlotte nennen. Die Bremsen des Busses quietschten leise und sie kamen zum Stehen. An der Anzeige leuchteten die Worte „Atlas-Hills-Internat". Vorsichtig stieg Charlotte die hohen Treppen herunter. Der Busfahrer reichte ihr ihre Reisetasche und den kleinen Rollkoffer. Auf ihrem Rücken hatte sie einen alten, ausgeblichenen Rucksack, wo ihre Unterlagen und Papiere waren.

Im Sekretariat wurde sie wie am Fließband abgefertigt. Nur bei dem Blick auf das Stipendium wurde sie neugierig und auch abwertend gemustert. Der Sekretär gab ihr einen Lageplan des Internats, ein Regelbuch sowie den vorläufigen Stundenplan und ihre Zimmerschlüssel. Alles verstauend machte sie sich auf den Weg in ihr Zimmer. Es war kein leichtes, das Zimmer zu finden. Die Eingangshalle des Wohnheims war beeindruckend. Marmorsäulen und verschnörkelte Wendeltreppen zierten diese. An der Decke prangte ein einziges großes Gemälde, wie sie es zuvor in einer Kirche gesehen hatte. Staunend lief sie weiter, fand schließlich auch ihr Zimmer, das nicht weniger prachtvoll war. Himmelbetten und antike Möbel standen dort. Erschöpft von der zehnstündigen Fahrt hierher, legte sie sich auf das wunderschöne Bett. Es war weich und roch nach etwas frischem, vermutlich irgendwelche Blumen, die sie nicht kannte. Plötzlich rüttelte jemand an ihr und schimpfte.

„Was soll das? Wer bist du?", rief ihr ein Junge entgegen, der etwa in ihrem Alter war.

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