Kapitel 20

Ju's POV

Da stand sie also wirklich.
Ihre langen Haare in zwei gleichen Partien links und rechts auf ihren Schultern liegend, ihr schmaler Körper eingehüllt in wärmende Klamotten, ihre süße Stupsnase rot von der Kälte und ihr verzaubernder Blick direkt in meine Augen gerichtet.
"Hey", begrüßte sie mich schüchtern und hielt mir ihre Hand hin.
Ich schüttelte sie, ich hatte ja gelernt, dass Lu Körperkontakt hasste und wollte sie definitiv nicht erschrecken oder überfordern.
Alles Gute zum Geburtstag."
Aus ihrer Tasche holte Lu mit zarten Bewegungen einen kleinen Umschlag hervor. "Eine Kleinigkeit, kannst du auch später öffnen."
"Das hätte doch nicht sein müssen Lu", lächelnd nahm ich ihre liebe Geste entgegen.
"Aber danke."

"Komm doch rein", meinte ich nun bittend und trat zurück. Luisa setzte langsam einen Schritt über die Türschwelle, dann den zweiten.
Bevor ich ihr zuvorkommen konnte zog sie schon die Tür hinter sich zu und sah sich neugierig um.
"Darf ich?" Fragend wollte ich ihr die Jacke abnehmen, worauf sie sich dankend einließ. Sorgfältig hing ich ihre durchnässte Jacke an den Kleiderhaken, sie legte ihre Mütze, den Schal und die Handschuhe in die Kaputze.
Den Umschlag legte ich auf die Komode, dass ich ihn nachher nicht vergessen würde.
"Ist dir sehr kalt?
"Nein, alles gut. Der Weg ist ja nicht zu lange bis hierher", erwiderte sie lächelnd.
"Nur eine viertel Stunde mit dem Rad."
"Dann kannst du ja öfter hierher kommen, ich wohne nur ein paar Häuser weiter", meinte ich schmunzelnd, sie lachte leise und starrte auf ihre Füße, unsicher, was sie jetzt antworten sollte.

"Soll ich dir das Haus zeigen und die anderen vorstellen?", fragte ich deshalb, um die Situation zu wechseln.
"Gerne", meinte sie nickend.
"Vergiss die Bar-Story nicht", raunte ich ihr zu.
Lu nickte und ich begann, sie durchs Haus zu führen.
"Hier links ist direkt die Gästetoilette", deutete ich ihr.
"Der Raum hier", ich zeigte auf die Tür neben dem Eingang,"ist das Büro meine mom."
"Die arbeitet hier? Für dich etwa?", fragte Lu erstaunt.
"Ja", meinte ich lachend. "Wir arbeiten hier alle zusammen."
"Wie krass", staunte sie.
"Dann, hier haben wir einen quasi- Ausstellungsraum unserer Brand." Ich öffnete die Glastür und schaltete das Licht an.
Lu betrat den Raum langsam.
"Eigentlich wollten wir einen Fitnessraum daraus machen, aber dazu sind wir nie gekommen", erklärte ich.
Sie lies ihre Finger über unsere Hoddies und Kappen streifen.
"Die Designs sind ja süß", meinte sie und betrachtete den kleinen Drachen.
"Du kannst einen in deiner Größe haben, wenn du willst", bat ich ihr an.
Lu starrte mich nur an.
"Wirklich?"
"Natürlich, wir produzieren die doch selbst, ich schenke dir einen!"
"Naw, danke", verliebt betrachtete sie den Aufdruck.
"Lass uns weiter gehen", meinte ich schließlich, sie legte den Hoddie schnell beiseite und folgte mir weiter, am Brunnen vorbei.

"Boah, wie tief ist der?", erkundigte sie sich.
"Ich glaube um die zehn bis fünfzehn Meter."
"Warum habt ihr einen Brunnen im Haus?", lachte sie.
Doch zu einer Antwort war ich nicht fähig. Ihr wunderschönes Lachen zog mich sofort in einen Bann und ich konnte nicht aufhören, sie anzustarren.
Sie erhellte mit ihrer Einzigartigkeit und Schönheit den ganzen Raum, unglaublich, wie nicht jeder zu ihren Füßen lag.
Aber auch gut für mich, denn so konnte ich es tun.
"Juuu", schnipsend erlangte sie meine Aufmerksamkeit wieder.
"Sag, warum ist der hier?"
"Achso, ja, dieses Haus ist ein historisches Gebäude, die Mauern hier sind von den Römern oder so, und der ist halt auch hier."
"Wow!", gab Lu von sich.

"Waaarte- WOW!"
Erstaunt betrachtete sie die Wand hinter dem Brunnen.
"Die sind mit jetzt erst aufgefallen, sind das alles deine Preise?!"
"Unsere, würde ich sagen. Ohne mein Team wäre ich nichts. Aber ja", lächelte ich.
Mit bedachten Schritten trat sie näher an die Regalbretter und inspizierte jede einzelne Auszeichnung.
"Darf ich die auch hochnehmen?", fragte sie mich.
"Natürlich."
"Wow! Wofür ist der denn? Nickelodeon kids choise award? Wie süß! Und der? Eins Live Krone, wie krass! Und wie viele", lachte sie und las die Aufschriften der anderen.
Ich lauschte ihrer engelgleichen Stimme und verfolgte ihre zarten und liebevollen Bewegungen. Wie sie einem Preis nach dem anderen zu sich nahm, ansah und bewunderte.
So süß!
Wie in Trance beobachtete ich sie, ich konnte nicht aufhören, ihr mit meinem Blick zu folgen.
"Eine Million!", staunte sie.
"Die YouTube-Preise sehen ja richtig cool aus", vernahm ich ihre Stimme.
Staunend drehte sich Lu zu mir.
"Was ist?" Fragend legte sie ihren Kopf schief und sah mir in die Augen.
"Nichts", antwortete ich schnell und wandte meinen Blick von ihr ab.
"Lass uns mal ins Wohnzimmer gehen und ich stell dir ein paar meiner Freunde vor", versuchte ich abzulenken.
"Okay, gerne. Aber kann ich vorher noch kurz auf die Toilette gehen? Ich weiß ja schon wohin", lachte sie stolz.
"Natürlich, ich warte", antwortete ich ihr.

Doch ich konnte nicht hier warten.
Sobald Lu auf dem Klo verschwunden war, hastete ich zum Kamin, wo ich meine Managerin, Tom und Carina lachend vorfand.
"Annika?", fragte ich in die Runde.
"Ach, Ju. Was gibts?"
Die drei blickten mich erwartungsvoll an.
"Ich will gar nicht stören aber darf ich dich kurz entführen?"
"Klar", meinte Annika und stand auf, während Tom und Carina schon weiter redeten.
Wir entfernten uns kurz ein paar Schritte von den anderen und ich beugte mich etwas zu Annika, um leiser sprechen zu können.
"Ich hab Luisa eingeladen", flüsterte ich ihr zu, worauf Annikas Augen vor Erstaunen und Freude größer wurden.
"Aha", meinte sie nickend mit einem leicht wissenden Unterton, den ich nur mit Augenrollen quittierte.
"Und wo-", wollte sich Annika erkundigen, doch ich viel ihr ins Wort.
"Sie ist gerade auf dem Klo. Nur dass du bescheid weißt, wir kennen uns aus einer Bar, niemand kennt sie hier bis jetzt und ich stell Lu allen ganz casual vor, ja?"
"Klaro, wir werden sie ja dann noch öfter hier sehen, da ist es wichtig, dass die anderen sie kennen", schmunzelte Annika nur.
"Ach, nicht du auch noch", beschwerte ich mich verzweifelt.
Sie drehte sich nur lachend um und gesellte sich wieder zu ihren Gesprächspartnern.
"Ugh." Genervt ging ich wieder zum Brunnen, an dem ich Lu gesagt hatte zu warten und- wartete eben.

Lu's POV

Tief ausatmend ließ ich mich auf dem Klo nieder und begann, die ganzen auf mich einprasselnden Eindrücke zu verarbeiten. Alles war so neu und interessant hier, es gefiel mir sehr.
Mit Ju war ich wie ein ausgewechselter Mensch, bei ihm war mein Lachen auf einmal echt und ehrlich, die Zeit mit ihm fühlte sich so frei und unbeschwert an, für einen kurzen Moment konnte ich alles vergessen und war einfach nur mit ihm.
Ein unbeschreibliches Gefühl.
Mir war nicht klar, ob er wusste, dass ich seine Blicke deuten konnte und das Anstarren bemerkt hatte, aber in jedem Fall löste er sehr viele Schmetterlinge in meinem Bauch aus.
Es hatte mir alles an Beherrschung gekostet, mich nicht in seinen mandelbraunen Augen zu verlieren oder von seinem Lächeln in eine rosarote Herzchenwelt verführt zu werden.
Ich war von mir selbst überrascht und schockiert gleichzeitig, schließlich war ich gerade bei einem fremden Mann in einer mir unbekannten Gegend mit anderen mir nicht vertrauten Menschen.
Bei dem Gedanken daran, diese gleich alle kennenzulernen wurde mir schon etwas schlecht. Meine sozialen Kommunikationskünste ließen sich irgendwo nach stundenlangem Graben unter der Erde finden und die Motivation, neue Leute kennenzulernen und über Stunden mit ihnen zu interagieren war auch nicht vorhanden.
Aber wenigstens hatte ich Abstand und Ablenkung von Chris und meinem eigentlichen, monotonen Leben.
Und ich hatte Ju.
An ihn zu denken, brachte mir schon wieder ein leichtes Lächeln aufs Gesicht.
Ich raffte mich wieder zusammen und verließ dann die Toilette.
Dort lehnte er am Brunnen und starrte auf die Tür.
Sobald er mich erblickt hatte, huschte ein Schmunzeln über seine Lippen, was mich schon wieder in ferne Gefühlswelten katapultierte.
Langsam ging ich zu Ju, immer seine Blicke auf mir habend.

"Gut, dann können wir ins Wohnzimmer, oder?", meinte er, als ich zu ihm gestoßen war.
"Ja, gerne."
Ich hoffte innerlich zwar, dass er meinen Energieumschwung nicht mitbekommen würde, aber ich war mir sicher, man würde es irgendwie bemerken. Meine Stimmungsschwankungen waren schließlich selten zu übersehen.
"Alles gut?", fragte Ju schon, während er mich besorgt ansah.
Seine braunen Augen ruhten auf mir, von einem verständnisvollen Ausdruck geprägt.
"Ja", ich schenkte ihm ein sanftes Lächeln, welches ihn wahrscheinlich nicht zufrieden stellte, doch es musste reichen.
"Okay, dann los", sagte er und ich folgte ihm in einen geräumigen, großen Raum, anscheinend das Wohnzimmer.
Die Einrichtung war gemütlich und doch edel, der Kamin strahlte eine angenehme Wärne aus und ich fühlte mich ganz wohl.

Auf der beigen Couch saßen drei Männer, deren Aufmerksamkeit ich anscheinend schon hatte.
Der eine sah vergleichsweise jung aus, hatte weiche Gesichtszüge und kurze, hellbraune Haare, die verstruppelt unter seiner Kapuze herauslugten.
Der Typ neben ihm hatte markantere Gesichtszüge, ein verschmitztes Lächeln und kurze, gestylte, braune Haare. Seine Körperstatur war etwas kleiner.
Nun hatte der dritte meine Aufmerksamkeit. Seine blauen Augen funkelten mich voller Freude an, er hatte ein sehr nettes und empfangendes Lächeln, bei dem man sich direkt wohlfühlte. Unter seiner Cap standen blaue Haare hervor, und er war ebenfalls nicht ganz so groß.
Doch eine Sache war merkwürdig. Ich kannte dieses Gesicht, ich kannte diese unverkennbaren Augen, dieses einzigartige Lächeln, das einem ein unglaubliches Gefühl von Sicherheit gab.
Ich hatte diesen Mann schon einmal gesehen.
Anscheinend war er auch am überlegen, doch noch schwiegen wir beide, denn Ju ergriff auch schon das Wort.
"So, also Jungs, das ist Luisa. Luisa, das ist Marius", er deutete auf den Typ ganz links, "das ist Passi, und das ist Rezo. Marius und Passi sind bei mir im Team und Rezo ist ein guter Freund, die anderen beiden natürlich auch", lachte er.
"Hey", sagte ich etwas unsicher und reichte jedem die Hand.
"Ihr könnt mich auch Lu nennen, das hab ich lieber", fügte ich hinzu, Ju nickte nur.

Nun begann der Blauschopf zu sprechen.
"Wir kennen uns doch, oder täusche ich mich? Wir sind uns auf der Straße begegnet, nicht?"
Die anderen sahen uns verwirrt an, doch ich erinnerte mich langsam.
"Ja, stimmt", antwortete ich.
"Als du nach dem Weg zum Bahnhof gefragt hast. Als ich auf dem Weg zu Arbeit war!", stellte Rezo fest.
"Das war ich, ja", lächelte ich. Ich erinnerte mich genau an das Lächeln und die Ausstrahlung. Zufälle gibts.
"Gut, haben wir das auch geklärt", lachte Passi.
"Wollt ihr euch zu uns setzen?"
"Ne, ich geh noch kurz Luisa den anderen vorstellen, nachher wahrscheinlich", lenkte Ju ein.
"Kommst du?"
"Mhm." Ich nickte und trottelte ihm weiter wie ein gehorsamer Dackel hinterher, beziehungsweise ein paar Meter weiter in den Raum, der von diesem durch eine Holzkonstellation abgetrennt war.
Dort saßen drei Menschen am Kamin. Eine Person davon war Annika!
Ich hätte auch selber darauf kommen können, schließlich waren Ju und sie eng befreundet, wie mir schien.
Neben Annika saß eine junge Frau mit schwarzen, langen Haaren, rosa Strähnen und einem sehr stylischem, rosa Outfit.
Auch ihr Makeup saß perfekt und passte zu ihr.
Ich war direkt verliebt in ihren Style und ihre Modebewusstheit.
Links von ihr war ein Mann, dessen braune Haare unter einer Mütze hervor in sein Gesicht hingen.
Im Gegensatz zu der Frau hatte er einen schlichten Pulli und eine Jeans an.
Die beiden schienen ein Paar zu sein, denn sie hielten Händchen.

"Darf ich euch unterbechen?", fragte Ju die drei, welche sofort ihre Gespräche einstellten.
"Ich möchte euch jemanden vorstellen. Leute, das ist Luisa. Ihr dürft sie auch gerne Lu nennen. Luisa, das ist Tom, das ist Carina, und das ist Annika, meine Managerin. Carina hilft uns mit den Outfits und Makeup-Looks für unsere Videos und ihre Bruder Tom hilft hinter der Kamera."
Die drei begannen zu lachen.
"Hey, Lu." Carina streckte mit freundlich die Hand hin.
"Ich muss eine Sache klarstellen, Tom ist mein Freund. Nur Ju-", sie schlug ihm freundschaftlich gegen das Bein, "macht sich einen Spaß daraus, uns als Geschwister darzustellen."
"Auaaaa Carina", nörgelte dieser und warf sich auf den Boden.
"Du weißt doch, dass mein Fuß oft Probleme macht."
"Karma", lachte sie bloß und die anderen stiegen mit ein.

"Wir müssen jetzt aber noch hoch, ich hab Lu noch nicht das ganze Haus gezeigt", erwähnte Ju schließlich.
Ich nickte und auch die anderen verstanden.
"Ihr könnt ja nachher wieder zu uns kommen und wir können uns kennenlernen", meinte Carina freundlich und lächelte mich an.
"Klar, gerne", erwiderte ich, bevor ich mich wieder zu Ju drehte und er mich weiter führte.
"Einfach die Treppe nach oben", meinte er.

"Nach Ihnen."
Schmunzelnd ließ er mir mit einer eleganten Bewegung den Vortritt.
Vorsichtig stieg ich die Treppen nach oben. Auch hier wirkte alles sehr edel und sauber, sehr strukturiert und aufgeräumt. Als erstes betraten wir einen büroartigen Raum. An den Wänden befanden sich Schreibtische, auf denen mehrere Bildschirme und PCs Platz standen. Der Mond schien leicht durch die Fensterfront, durch die man in den Garten und auf einige Häuser weiter sehen konnte.
Auf den drehbaren Gamingstühlen saßen drei sympathisch wirkende Männer, welche ihre Gespräche wegen uns eingestellt hatten und uns nun erwartungsvoll anblickten.
Der Typ auf dem hintersten Stuhl, mit den dunkelbraunen Haaren und brauen Augen wechselte ein paar undeutbare Blicke mit Ju, der diese nur augenverdrehend resignierte.

"Also, dann stell ich euch gegenseitig mal vor. Jungs, das ist Luisa", er deutete mit großen Handbewegungen auf mich.
"Hey, ihr dürft mich Lu nennen, das ist mir lieber", ergänzte ich und schüttelte jedem die Hand.
"Und Lu, das sind Vince, unser Musikdesigner, André und Jimmy, gehören alle zum Team der Videoproduktion. Das heißt Skripte mitschreiben, Szenen planen und drehen, die 'Behind the scenes' filmen und so weiter. Ich hoffe, ihr versteht euch", beendete Ju seinen kleinen Vortrag und sah uns mit einer Mischung aus Lächeln und gespieltem Mahnen an.
"Ich denke schon", meldete sich André.
"Glaub auch", stimmte Jimmy zu, von Vince kam nur ein brummendes "Jo".
"Gut, ich zeig Lu dann noch die oberen Zimmer und dann gibt's irgendwann Essen, nur dass ihr bescheid wisst", informierte Ju die drei.
"Ich würde jetzt dann fahren", meinte Jimmy noch, als wir schon auf dem Weg ins nächste Zimmer waren.
"Kein Ding", antwortete Ju bloß.
"Schön, dass du überhaupt da warst."
"Hat mich auch gefreut, danke dass ich da sein durfte, edler Chef", lachend erhob er sich aus seinem Stuhl, verabschiedete sich von Vince und André mit einem Händeschlag und kam dann zu uns, um auch Ju auf Wiedersehen zu sagen.
"Gerne", erwiderte Ju nur.
"Du hast dich so gut benommen, dass du morgen direkt wieder kommen darfst", grinste er und winkte Jimmy zu, der sich auf den Treppen nach unten befand.

"Gehen wir weiter?", erkundigte Ju sich bei mir.
"Klar, auf wie viele mysteriöse Freunde deinerseits Treffen wir heute noch?"
"Nicht mehr so viele, aber du lernst heute noch meine ganze family kennen", lachte Ju nur und ignorierte meinen gespielt geschockten Blick.
"Dann, hier links weiter, Lu."

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