9. Zerbrechlich

Kate's Sicht

Liebe. Was ist Liebe? Ist es eine Emotion? Ein Zustand? Ein Gefühl? Oder doch nur Einbildung oder gar ein unmöglicher Wunsch? Auch wenn ich mir noch nie ganz erklären konnte, was diese ominöse Sache mit dem Titel Liebe ist, wusste ich jedoch schon immer ganz genau was sie hervorrufen konnte.

Mein Hals war trocken, meine Lippen staubig und Alles was ich konnte war ihre Augen nach irgendeinem Ausdruck abzusuchen. Mein Magen verkrampfte sich, mein Herz, schwer wie ein Stein, drohte mir aus der Brust zu rutschen. Es schmerzte mir sie so gebrochen zu sehen. Denn auch wenn sie darauf bestand das es ihr bestens ging, war ich dennoch nicht blind. Mir war bewusst das es ihr nicht gut ging. Doch was sollte sie mir schon sagen? Wer würde schon freiwillig mit seiner Lehrerin über private Dinge reden? Ja, nur die Lehrerin... Sie schaute mich an als würde ich von einem anderen Stern kommen. Überrascht. Neugierig. Schockiert zum Teil. Noch bevor ich realisieren konnte was ich getan hatte stieg Panik in mir auf. Druck baute sich in meinem Kopf auf, welcher drohte wie ein Luftballon zu platzen. Eine eisige Leere durchzog mein Herz und entzog es auch noch seiner restlichen Kraft.

Ich spürte den weichen Stoff ihrer Jeans unter meinen Fingerkuppen. Fühlte die Wärme die von ihr ausging. Meine Hand brannte wie Feuer unter der sachten Berührung. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Ich hatte eine Grenze überschritten. Angst umhüllte mich. Was wenn sie das meinem Chef erzählen würde? Gott, was wenn sie es jetzt wüsste? Hatte ich mich soeben selbst verraten und in einem Moment der Schwäche ihr, mit einer mitfühlenden Geste, all meine Gefühle gestanden? Ruckartig zog ich meine Hand zurück und starrte ausdruckslos auf das zerkratzte Amaturenbrett.

Tausend Gedanken bäumten sich in mir auf und errichteten eine riesige Mauer, die wie eine Blockade verhinderte, dass ich auch nur einen winzigen Laut von mir geben konnte. Die Stille drohte uns zu erdrücken, doch wir beide wussten, dass Es nicht an mir lag, diese zu durchbrechen. Ich lauschte ihren langsamer werdenden Atem und versuchte mich allein darauf zu konzentrieren, so das ich nicht erneut die Nerven verlieren und einen gravierenden Fehler begehen würde.

„Es... Es sind meine Eltern.” Endlich. Fragend drehte ich mich wieder zu ihr. Ihre Hände zitterten und in ihren farblosen, glasigen Augen fehlte das Funkeln was mich einst so in seinen Bann riss. „Und... Nein, Es ist nicht so wichtig. Es geht mir gut.” Fügte sie nach längerem Schweigen mit heiserer Stimme hinzu. „Willst du darüber reden?” „Nein, ich... Ich schätze ich geh' jetzt lieber rein. Sie haben ja schließlich auch noch ein Privatleben.” scherzte sie und schnallte sich ab. Vorsichtig drückte sie die Türklinke hinunter und öffnete die Beifahrertür. Ein eisiger Wind zog hinein und ließ mich scheinbar erfrieren. Ich wusste ich sollte sie jetzt nicht allein lassen. Doch befand ich mich überhaupt in der Position ihr zu sagen das ich bei ihr bliebe,... Nur zur Sicherheit... Natürlich.? Einzelne Tropfen des schüttenden Regens erreichten den nun leeren Beifahrersitz. Ein Rums. Und ohne ein weiteres Wort kämpfte sie sich durch die Dichte Wand aus Wasser, zu ihrer Haustür. „Fuck” hauchte ich.

Ohne weitere wertvolle Zeit zu verschwänden sprang ich so schnell es ging aus dem Auto und ging schnellen Schrittes hinter ihr hier. Nur noch wenige Meter trennten mich von ihr. Ich blieb stehen. Hier. Im Regen. Auf dem Bürgersteig einer scheinbar verlassenen Wohnsiedlung. Alles war ruhig. Ich vernahm nicht einmal mehr das dröhnende Röhren des Regens, wenn dieser auf dem Boden aufprallte. Die Zeit rannte und doch fühlte es sich an wie eine Ewigkeit. sollte ich wirklich erneut eine Grenze überschreiten? Als Lehrerin gingen mich die privaten Angelegenheiten meiner Schüler nichts an. Und doch wusste ich, wäre es ein Fehler sie so gebrochen das Haus betreten zu lassen.

„Warte!” Meine Stimme war heiser und kratzig. Noch ehe ich selbst wusste was ich anschließend sagen würde, hielt sie inne. „Du solltest jetzt nicht allein sein. Ich meine... Ich kann dich so jetzt nicht allein lassen.” Sie drehte sich um. Mit roten, geschwollenen Augen betrachtete sie mich von oben bis unten, musterte jede einzelne Muskelbewegung die von mir ausging und wartete gespannt darauf wie ich fortfahren würde. „Wie wäre es wenn wir in Ruhe darüber reden, bei einer Tasse Kaffee. Ich lade dich auch ein.” Mein Herz hämmerte gegen meinen Brustkorb. War das zu viel? Wie würde sie reagieren? Ich beobachtete sie genau. Sah ihren fragenden Blick. Darauf folgte ein leichtes Lächeln, unscheinbar, doch wunderschön.
„Nein, das... Das geht nicht.” Ich spürte wie sich ein Kloß in meinem Hals bildete. Mein Magen krampfte sich zusammen und für einen Moment hielt ich die Luft an. Es war eindeutig, sie wollte nichts mit mir zu tun haben, ja vermutlich konnte sie mich nicht einmal leiden. War ich überrascht? Vielleicht... Aber welcher Schüler konnte seine Lehrerin schon leiden? Ich schätze das eher eine Art Enttäuschung mir in diesem Augenblick mit einem gewaltigen Hieb in die Magengrube schlug.

„Ich meine... Ich bin ihnen sehr Dankbar für ihr Angebot, doch ich muss auf meinen kleinen Bruder aufpassen.” Da war er wieder. Der kleine Funke Hoffnung, der mich bereits durch die vergangenen Tage getragen hatte. Ohne auch nur annähernd darüber nachzudenken platzte es aus mir heraus und katapultierte mich in eine Situation, von der ich am heutigen Morgen nicht einmal zu Träumen gewagt hätte. „Ok, dann komme ich mit rein und mache euch Abendbrot. Ich kann dich so jetzt nicht gehen lassen. Ich meine,...” Ein Kratzen stieg in meinem Hals auf und ich hustete kurz, bevor ich mir meiner improvisierten Rede fort fuhr: „Ich kann es nicht verantworten dich so gebrochen nach Hause zu schicken, als wäre alles in Ordnung. Mit Problemen sollte man nicht allein bleiben.” Es war gesagt.

So stand ich hier. Im Regen. Am späten Nachmittag. Vor meiner Schülerin. Vor Ihr. Wartend auf eine Antwort, oder jegliche Art einer Reaktion. Ein verstörter Blick, vielleicht oder gar ein sarkastisches Lachen? Doch nein, die Warterei brachte mich beinah um meinen Verstand. Bis dann... „Danke.” Hauchte sie über ihre zart-rosa Lippen. Ihre Stimme nicht mehr als ein heiseres Säuseln im Wind. Ich selbst verstand jedoch nicht ganz was sie mir damit sagen wollte, doch voller Eifer deutete ich dies als ein ja. Sie schenkte mir ein leichtes Lächeln, drehte sich um und verschwand in der dunklen Eingangshalle des viel zu großen Hauses.

Langsam folgte ich ihr in das warme Haus und sperrte den Regen, samt meiner eigenen Probleme aus. Es war ziemlich ruhig, dafür dass hier ein acht jähriger Bruder Leben sollte. Ein warmes Licht drang von rechts in den Flur. Vorsichtig zog ich meine durchnässten Schuhe aus und hing meine Jacke an den rustikalen Kleiderhaken, neben dem großen Spiegel, direkt gegenüber von der Eingangstür. Sanft Schritt ich über den knarrenden Holzboden, als würde auch nur der kleinste Ton mein persönliches Ende bedeuten. Unmittelbar neben einer großen Treppe grenzte ein weiterer Raum an, der Raum mit dem Licht. In ihm befand sich ein großer Essenstisch aus Glas, mit den dazu passenden Stühlen, auf der rechten Seite. Weiter hinten und zentraler stand eine weiße Ledercouch mit unzähligen Kissen darauf trappiert. Vor dieser, ein alter Kamin, mit Familienbildern auf dem Sims und einem Flachbildfernseher über ihm. Vor dem Sofa hockte sie. Mit einer zerstörten Frisur und klitschnasser Kleidung starrte Jess auf ihren kleinen Bruder, welcher mit angezogenen Beinen seelenruhig schlief.

Ihr Blick war voller Liebe. All die Trauer und der Hass, der zuvor in ihr wütete schien nun mehr ein Nichts in den unendlichen Weiten des Universums zu sein. „Auch dieser Satansbraten kann irgendwie süß sein, schätze ich.”, flüsterte sie im Kampf gegen die herrschende Stille. Ich weiß nicht warum, aber es brach mir das Herz sie so zu sehen. Ich weiß, vielleicht ging es ihr im Augenblick gut. Vielleicht war alles jetzt gar nicht mehr so schlimm wie es schien. Ja, vielleicht konnte sie sich selbst etwas vormachen, doch tief im Inneren war diese Wunde, welche vorerst nicht so schnell verheilen würde, dessen war ich mir sicher. „Wie geht es dir?”, mit leiser aber fester Stimme versuchte ich irgendetwas aus Ich heraus zu bekommen, um Klarheit in das Dunkle zu bringen. Sanft Strich sie eine blonde Strähne hinter das kleine Oht ihres Bruders. „Ich weiß nicht ob ich darüber reden möchte...”
Nachdenklich schaute ich auf meine Uhr. Es war 18.00 Uhr. Schon merkwürdig wenn man bedenkt, dass ich erst vor zwei Stunden mich auf den Weg nach Hause gemacht habe und mich nun hier im Haus einer Schülerin befand. „Wie wäre es wenn ich uns Abendessen mache? Ich bin berühmt für meine Lasagne.”, versuchte ich vorerst von dem Thema abzulenken. Mit Tränen in den Augen schenkte sie mir noch ein dankbares Nicken, bis ich auch schon in der Küche verschwand.

Das Abendessen selbst verlief sehr ruhig. Theo, ihr kleiner Bruder, berichtete von seinem Tag und beschwerte sich darüber wie unfair es doch sei, dass die Mädchen immer bevorzugt werden. Nachdem Jess ihn ins Bett gebracht hatte und ich den restlichen Abwasch erledigte, gesellte sie sich zu mir auf die Couch. Ihre bloße Anwesenheit bereitete mir eine Gänsehaut. Ich spürte ihre eindringlichen Blicke auf mir ruhen, als würde sie nach irgendetwas suchen. Doch was?
„Möchten Sie noch etwas trinken? Wie hätten auch Rotwein, wenn Sie welchen wollen.” „Danke, aber ich muss heute noch nach Hause fahren.” Auch wenn mir der Gedanke an ein Gläschen Wein nicht missfiel, musste ich dennoch ablehnen, was sie zu enttäuschen schien. Doch so leicht gab sie nicht auf. „Sind Sie sicher das Sie bei diesem Sturm noch Auto fahren wollen? Sie können auch ruhig hier übernachten. Genügend Gästezimmer stehen bezugsbereit.” scherzte sie, wobei ich das Funkeln in ihren Augen wieder entdeckte, welches mich stets fesselte. Doch dieses erlosch mit meiner Antwort und eine eisige Leere trat an dessen Stelle. „Warum sagst du mir nicht, was los ist? Du kannst mit mir über alles reden.” Leere verwandelte sich in lodernde Flammen des Zorns. Wuterfüllt sprang sie von der Couch auf und strakste Richtung Flur. Kurz davor hielt sie inne. Ich beobachtete jede kleinste Bewegung, die von ihr ausging. In einem Zug drehte sie sich zu mir um. Ihr Kopf war so rot wie die Samtvorhänge an den Fenstern. Tränen rannen ihr an ihren zarten Wangen hinab und verschleierten ihre Sicht. „Was wenn Sie das einfach Verdammt nochmal nichts angeht? Schon einmal dran' gedacht, dass ich das nicht mit meiner scheiß Lehrerin besprechen möchte?”, platzte es aus ihr heraus. Ich wusste sie war nur traurig und verärgert. Es war nicht sie, die da sprach, sondern ihre Wut. Dennoch schmerzten ihre Worte wie tausend Messerstiche.

Verdattert schaute ich sie an. Unfähig auch nur ein Wort herauszubringen. „FUCK!” schrie sie und brach weinend auf dem dunklen Schiefernholzboden zusammen. Leisen Schrittes ging ich auf sie zu und hockte mich neben sie. Ich zögerte kurz, entschloss mich dann doch aber dazu sanft ihren Rücken zu streicheln, um sie zu beruhigen. „Es, es tut mir leid.”, schluchtste sie kaum hörbar. „Ich wollte nicht-” „Shhhhhh- Ich weiß doch.” unterbrach ich Sie. Dankbar rückte Jess näher. Sacht legte die Brünette ihren Kopf auf meinen Brustkorb und krallte sich mit ihren Händen in meinen Rücken, auf der Suche nach Halt. Ich genoss ihre Nähe und das Gefühl für sie da sein zu können. Unbedacht vergrub ich meinen Kopf in ihren Haaren und atmete den süßen Duft ihres Parfüm's ein. Ihre Wärme verlieh mir ein Gefühl der Geborgenheit. Und in nur einem Moment der Schwäche vergaß ich Alles um mich herum. Die Welt schien still zu stehen. Doch schon bald realisierte ich es. Schon bald wurde mir bewusst, dass ich eindeutig zu weit gegangen war. Unbehagen machte sich in meiner Magengrube breit und ich bekam Angst. Ruckartig ließ ich von ihr los und wich zurück. Sie dürfte niemals erfahren, was ich für sie empfand. Es war einfach zu Riskant.

Natürlich vernahm ich ihren irritierten Blick, doch dieses Mal ließ ich mich nicht davon beirren. Ich stand auf und strich den Rock meines Lieblingskleides glatt. „Es wird Zeit für mich zu gehen.” Erklärte ich kalt und ohne jeglichen Ausdruck meinen plötzlichen Aufbruch. Ich nahm meine Sachen und war bereits dabei die Tür zu öffnen, als dann... Wärme umschloss meine Hand und versetzte meinem Herz einen Sprung. Mein ganzer Körper spannte sich an und ich versuchte nicht auch nur den Hauch einer Emotion zu zeigen. Ich musste stark sein und autoritär. Schließlich ist das doch meine Aufgabe als Lehrerin nicht war? Ich spürte wie ihre zärtlichen Finger meine Hand umschlossen. Sie waren kalt und zitterten. Ein Blick über die Schulter und erneut war mein Herz zerbrochen. Was bedrückte sie nur so sehr?
„Bitte, bleiben Sie hier. Ich brauche Sie.”

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