8. „Hello, Is it me your looking for?"

Angestrengt versuchte Ich weiter mir einen Weg nach Hause zu bahnen. Nach bereits wenigen Minuten hatten sich meine Stoffturnschuhe mit Wasser vollgesaugt. Der Straßengraben war nur noch ein einziger See aus durchgeweichten Blättern und glitschigem Matsch. Meine Kleidung klebte an mir wie ein billiger Latexanzug und von meinen Haaren tropfte das Wasser als würde ich einen vollgesaugten Schwamm ausringen. Aus Reflex hielt ich mir meinen ebenso nassen Rucksack schützend über meinen Kopf... Als hätte das noch etwas bringen können... Durch den Regen war es stockfinster geworden. Wenn nicht ab und zu ein Auto vorbei gefahren wäre, hätte ich vermutlich nicht einmal gesehen wo Ich hin lief.
Nun hätte zu meinem Glück nur noch mein heißgeliebtes Duschbad gefehlt und eine Dusche wäre mir an diesem Tag noch erspart geblieben.

Jedoch war mir auch dieser annähernd positive Gedanke nicht lange vergönnt. Mit Höchstgeschwindigkeit tauschte ein silberner Mercedes unmittelbar neben mir in eine riesige Pfütze. Eine Flut aus dreckigem Autoabwasser und Straßenschlamm schlug auf mich ein und drohte mich zu verschlucken. Ohne das ich es hätte verhindern können taumelte Ich nach vorne. In den glitschigen Matsch blieb mein Fuß teilweise stecken und Ich knickte um. Ich verlor mein Gleichgewicht und landete mit einem weniger eleganten Hechtsprung mit dem Kopf voraus im Schlamm. ... Wie hätte es auch anders kommen sollen?...

Als würde das nicht reichen hielt jetzt ein weiteres Auto kurz vor mir. Entweder wollte diese Person meine Blamage vollends auskosten, mich fotografieren, Filmen oder mich einfach nur auslachen, oder, was ich eher vermutete, diese Person war ein Kidnapper oder Perverser, der mich jeden Augenblick in einen gruseligen schwarzen Van stopfen würde, um mit mir über die Grenze ins Ausland zu fahren, wo ich dann meine ach so tolle Familie niemals Wiedersehen würde. Vor lauter Angst vor dem "Wer?" Kniff ich meine Augen zusammen und wagte es nicht mich zu rühren. Es war als befände ich mich auf Treibsand und mit jedem Zucken meiner Gliedmaßen würde ich immer tiefer hinein sinken, bis es mich vollständig verschluckt hätte. Natürlich war es vermutlich armselig mit anzusehen, wie ein komisches Mädchen mitten im Dreck lag. Aber hey? Who cares?

Zwischen dem dröhnendem Rauschen des Regens auf dem Asphalt war ein dumpfes Knallen einer Autotür zu hören. Auf welches sogleich das Klakern von hochhackigen Schuhen immer näher zu mir zu kommen schien. Nur noch weniger Meter trennten mich und diese Person. Nur noch wenige Meter bis mein Leben ein Ende haben konnte. Doch was dann kam traf mich unvorbereitet. Eine wunderschöne klare Stimme erklang. Eine Stimme, die mich sowohl mit Freude erfüllte, als auch zusammen fahren ließ. Eine Stimme, wie ich sie unter Tausenden erkennen würde.

„Jess? Bist du das?" Natürlich war von all den gruseligen Gestalten die mich hätten finden können ausgerechnet Ms. Morgan die jenige, die nun mit einem verzerrten Gesichtsausdruck und einem bunten Pünktchen Regenschirm vor mir stand. Doch bevor ich mich auch nur in irgend einer Art und Weise zu der durchaus peinlichen Situation hätte äußern können, fuhr sie fort. „Warte, ich helf dir.” Sacht streckte sie mir ihre schmale Hand entgegen. Sie zitterte leicht. Dankbar griff ich nach dieser und sie half mir hoch. Erst jetzt konnte ich das Meisterwerk begutachten. Meine einst weißen Sneaker, meine Jeans, ja sogar meine Uhr, alles war mit wunderschönem hell bis dunkel braunem Schlamm übersehen. Wahrlich, ich sah aus wie frisch aus der Kloake gekrochen.

Langsamen Schrittes folgte ich meiner Lehrerin. Am Auto angekommen öffnete sie den Kofferraum. Sie schien irgendetwas zu suchen, wobei sie beinahe schon in den Kofferraum hinein kroch. Völlig ungewollt (Ich schwöre es.) betrachtete ich sie von Kopf bis Fuß. Ihre wunderschönen dunklen Haare, ihre schmale Taille, ihr...
Man musste zugeben, schlecht aussehen tat sie keines wegs. Nach geraumer Zeit hatte sie das gefunden, wonach sie zuvor auf der Suche war. Sie drehte sich zu mir und schaute mir direkt in die Augen. Einmal mehr verlor Ich mich in den vielen verschiedenen Dimensionen, die ihre Augen so unglaublich machten. Sie ging auf mich zu. Ich spürte wie mein Herz mit einem Mal schneller zu schlagen begann. Einen knappen Meter vor mir blieb sie stehen, den Blick nicht von meinen Augen abwendend. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit so mit ihr hier in dem Regen zu stehen. Doch es war nicht unangenehm. Nein, ganz im Gegenteil. Ms. Morgan strahlte eine gewisse Wärme und Vertrautheit aus, die mich den Moment in gewisser Weise sogar genießen ließen.

Vorsichtig hob sie ihre Arme und griff um mich herum, um eine warme, jetzt ebenfalls nasse, Decke um mich zu legen. Ich spürte wie ihre Hand noch für einen kurzen Augenblick weiter auf meiner Schulter ruhte und dann langsam zu meinem Rücken hinunter rutschte. ein gewaltiger Kloß bildete sich in meinem Hals und ich schluckte.

Sacht drückte sie mich zu ihrem Auto und deutete mir somit ich solle einsteigen. „Nein, nein. Ist schon gut. Sie müssen mich nicht-” „Nah! Keine Ausreden. Ich fahre dich nach Hause. Das ist kein Problem. Schließlich kann ich dich ja hier auch nicht im Regen stehen lassen. Nicht wahr?” Unterbrach sie mich und zwinkerte mir zu. Ihr bestimmerischer, aber dennoch sarkastischer und sachter Ton ließ mich verstummen. Mit einem Mal war er wieder da. Der Gedanke daran, wie ich die Frau, die bereit war mich mitzunehmen, nach dem Unterricht angeschnauzt hatte, weil ich zu blind war zu erkennen, dass sie es nur gut mit mir meinte. Mit ihm kam ein Gefühl des Unbehagens. Mein Magen krampfte sich zusammen und Röte schoss mir in die Wangen. All das war mir einfach unangenehm.

Gemeinsam gingen wir schnell zu ihrem Auto. In die Wärmende Decke eingemummelt setzte ich mich auf den Beifahrersitz, schloss die Tür und richtete meinen Blick nach draußen. Ich hörte wie sie sich neben mich setzte, ebenfalls die Tür schloss, den Motor startete und los fuhr. „Also, warum läufst du ganz allein im Regen nach Hause?” Unterbrach sie die erdrückende Stille, welche aufgekommen war. Erst jetzt bemerkte ich wie erschöpft und kratzig ihre Stimme war. Der Regen musste es zuvor kaschiert haben. Tränen schossen mir in die Augen und ich wagte es nicht auch nur einen Blick zu ihr rüber zu werfen. Ich gab mir die Schuld dafür und diese stach in mir wie tausende Messerstiche.
„Ich... M... Mein Fahrrad wurde geklaut.” Meine Stimme war zittrig und brach kurz darauf ab. Das was ich rausbekommen hatte war kaum mehr als ein unsicheres Flüstern. Irgendwie machte mich die Situation fertig. Es war ein Gefühl, wie es sich kaum beschreiben lässt. Ich fühlte mich schlecht, immer noch leicht sauer, wobei jetzt mehr auf mich selbst als auf Ms. Morgan, es machte mich außerdem traurig sie so gebrochen zu sehen.

Ich schaute weiter nach draußen. Beobachtete wie sich die klaren Regentropfen ihren Weg an der Fensterscheibe nach unten bahnten. Für einige Augenblicke blendete ich alles aus. Hörte nicht was sie zu mir sagte. Ignorierte, dass ich mit bei ihr im Auto saß. Vergaß, dass meine Eltern einmal mehr nicht für mich und meinen Bruder da waren. Für einen Moment war ich nicht hier, sondern in einer anderen Welt. Einer Welt, die so viel besser schien als es die Realität für mich bereithielt.
Ms. Morgan schien dies ebenfalls bemerkt zu haben, denn sie hatte aufgehört zu reden und schaltete statt dessen das Radio an.
Entfernt vernahm ich die leisen Stimmen der Musiker und Künstler.

Doch nur eine Stimme war so wunderschön, dass sie mir Gänsehaut bereitete. Sie war klar und hell und leider nicht mehr als ein leises Summen unmittelbar neben mir. Nun drehte ich mich doch vom Fenster weg und sah sie. Sah wie ihre dunklen Haare perfekt auf ihren Schultern ruhten. Beobachtete wie sie rhythmisch mit ihrer Hand am Lenkrad trommelte. Sie wirkte so entspannt und zufrieden... Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Ich schloss meine Augen und hörte genau hin. Genoss jeden einzelnen Klang ihrer wunderschönen Stimme. Es erfüllte mich mit einer Wärme, die ich nicht zu beschreiben vermag. Villeicht war es Glück oder Zufriedenheit? Oder doch eher die total dämliche Idee den Moment zu zerstören indem ich das Solo zu einem Duett verwandelte? Ganz gleich was es auch war, die Schnapsidee einfach mitzusingen, nur weil ich das Lied kannte, wurde leider Realität. Eh ich mich versah saß ich hier, im Auto, neben meiner Lehrerin, mit geschlossenen Augen und begann mit dem Einsetzen des Refrains zu singen. Einfach so, ohne das ich mir auch nur das geringste dabei gedacht hatte. Und das, meine Freunde, war ein riesiger Fehler!
„Hello, is it me you'r looking for? I can see it in your eyes, I can see it in your smile. Your all I ever wanted and my arms are open wide.”

Und dann traf es mich mit einem Schlag. Erst fühlte es sich an wie ein feuriger Stich in meinem Herz. Dann überkam mich die Kälte eines Eissturms, welcher in meinem Körper wütete. Ich hatte ernsthaft gerade vor Ms. Morgan gesungen. Ich glaube ich muss nicht erwähnen das ich Superhirn mir dabei rein gar nichts gedacht hatte. Scheiße noch eins, das war peinlich. Es war eine unwiderlegbare Tatsach das ich nicht singen konnte. Doch das schlimmste war, dass Ms. Morgan aufgehört hatte zu summen,  nur um dem Hyänen-Gekreische ein Ohr zu schenken. Ich wusste ich würde nicht drum herum kommen, weshalb ich meine Augen so schnell wie möglich wieder öffnete, als würde ich ein wirklich sehr klebriges und zähes Pflaster abreißen, und schaute direkt in das erstaunte Gesicht meiner Lehrerin, welche sich meines Erachtens nach lieber auf den Straßenverkehr hätte konzentrieren sollen.

„Hätte nicht gedacht das du Lionel Richie kennst.” Scherzte sie, wobei mich diese Bemerkung schon wieder fast beleidigte. Natürlich war auch ich ein Teenager, oder wohl eher einer dieser 'Kulturbanausen', wie mein Vater stets zu sagen pflegte, aber ich war einer mit gutem Musikgeschmack und das musste sich anscheinend auch die Brünette eingestehen. Aber als wäre mein Hirn in zehn Tonnen Ahornsirup geplumpst, konnte ich vor Schwachsinn und Gedankenmurks keinen einzigen sinnvollen Satz heraus bringen, weshalb sie dann wieder das Wort ergriff. „Du kannst wirklich gut singen.” Pah! Der war gut! Wenn ich es nicht besser wüsste hätte ich ihr beinahe noch geglaubt.

Natürlich konnte ich ihr das aber nicht um die Ohren hauen, weshalb ich mich dazu entschied ihr einfach schüchtern zu zu Lächeln und ein kratziges „Danke” aus meiner trockenen Kehle zu pressen. Ich hätte an diesem Tag wirklich mehr trinken sollen. ...Wie dem auch sei... Ms. Morgan ließ sich von meiner 'traumhaften' Stimme nicht beirren und nutzte die Gelegenheit mit mir zu sprechen, bevor ich wieder in eine andere Dimension abtauchen würde.
„Also, wo wohnst du?” Verdutzt schaute ich sie an. Wofür bitte war diese Information relevant? „Ich meine, wo soll ich dich absetzen?” Achso... natürlich meinte sie das. Was auch sonst? „Ich... Äh...Houston in der Bakerstreet 21.”
Oh man sie muss mich echt für den letzten Deppen halten. 11. Klasse am Gym und kann immer noch keine ordentlichen Sätze formulieren. Herzlichen Glückwunsch Jess, das kannst du wohl kaum noch toppen.
Wenn ich damit doch auch nur recht behalten hätte. aber nein, natürlich brannte mir etwas auf der Seele, was ich nicht weiter verdrängen konnte und glaube mir, ich hätte es am liebsten in die hinterste Schublade meines Fotografischen Gedächtnisses verbannt. Aber wie auch sonst war mein Mund schneller als mein Hirn. „Alles klar ich-” „Warum?” Platzte es aus mir heraus. „Was meinst du?” „Warum helfen sie mir? Warum sind sie immer so nett? Ich meine... Ich war heute schließlich nicht gerade höflich zu ihnen, und sie helfen mir trotzdem. Nicht einmal meine Eltern hätten mich mitgenommen wenn ich voll mit Schlamm und Regenwasser bedeckt wäre. Ich mache ihnen nur Umstände und trotzdem helfen sie mir und sind freundlich und wollen nur gutes... Warum?”

Ihr zuvor erschrockener Gesichtsausdruck wandelte sich zu einem leichten Grinsen. Sie wendete sich nun ganz von der Straße ab und fokussierte meine Augen. Zuerst verunsicherte mich dies, als ich dann aber bemerkte das wir bereits bei mir zu Hause angekommen waren beruhigte sich mein Herzschlag wieder und ich konnte meine Gedanken erneut sammeln. „Was ich sagen wollte ist... Danke. Für alles.” Ich erwiderte ihren Blick. Studierte jeden einzelnen Winkel ihrer großen Augen, wobei ich ein kleines Funkeln zu sehen meinte. Aber vermutlich lag das nur daran, dass ich unglaublich müde war. Schnell wendete ich meinen Blick wieder ab und schaute auf mein zu Hause. Es sah leer aus, kalt, unbewohnt, traurig. Wie ein Block Zement mitten in der Pampa, allein gelassen und zum Verfall verdammt.
Was hatte ich mir eigentlich erhofft? War doch von Anfang an klar das Mom und Dad mal wieder nicht da sind. Wie konnte ich auch nur erwarten Sie hätten einmal in ihrem Leben Zeit für uns?
„Hey, Alles in Ordnung?” Ich spürte wie ihre besorgten Blicke sich durch meine Rücken bohrten, doch wollte ich sie gerade nicht ansehen.
Nein verdammt! Nichts ist in Ordnung! Wie auch wenn nie jemand Zeit für mich hat und sich jeder nur einen Dreck um mich schert? Und das beste ist das ich mich jetzt noch um den Teufel in Gestalt meines Bruders kümmern soll. Als hätte ich keine anderen Sorgen...

Ja, klar. Alles gut.” „Hör zu, du kannst mit mir über alles reden.” Ihre sanfte Stimme bereitete mir eine Gänsehaut. Sacht legte sie ihre zierliche Hand auf meinen Oberschenkel. Meine Haut begann unter ihrer Berührung zu Kribbeln und mein Herz begann unweigerlich schnell zu schlagen. Ebenso beschleunigte sich auch mein Atem und meine steigende Nervosität ließ sich kaum noch verbergen. Was war nur los mit mir? Bevor ich jedoch noch weitere Gedanken an diese Frage verlieren konnte, verlor Ich mich zunächst erneut in den tiefen Ozeanen ihrer Augen und die Welt stand still.

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