13. Sometimes I feel like a motherless child
Hast du jemals in das Gesicht deines Gegenübers geschaut und dich gefragt, was du ihm wohl bedeutest? Hast du dich schon einmal so sehr jemandem hingegeben, dass du befürchtet hast, dieser Jemand könnte mit nur einem Wort deine ganze Welt zum Einsturz bringen?
Ich gebe zu, in diesem Augenblick waren meine Augen geschlossen, jedoch befürchtete ich, dass eben diese Gefühle, diese Fragen mein Inneres füllen würden, sobald ich sie öffnete. Und dennoch wollte ich nichts mehr als dieser Frau direkt in die Augen zu schauen, meine Hände an ihre Wangen zu legen und ihr all meine Gefühle zu gestehen. Sie hatte mich erfüllt. Mit Liebe, Verlangen und mit Glück. Sie machte mich glücklich. Ja, genau in diesem Augenblick war sie mein Glück und ich wusste, dass ich sie nie wieder gehen lassen wollte.
Zaghaft lösten wie uns voneinander. Schweren Atems lehnte sie ihre Stirn an meine und verschränkte ihre zarten Hände hinter meinem Rücken. Stille füllte den Raum. Keiner war bereit diese zu unterbrechen. Sie schien ein notwendiges Mittel zu sein, um das soeben erlebte zu verarbeiten. Ich wusste das die Brünette mir mehr bedeutete als ich mir vermutlich eingestehen wollte. Eben so wagte ich es anzunehmen, das meine Lehrerin eventuell die selben Gefühle für mich hegte. Immerhin hatte sie den Kuss erwidert. Ja, das hatte sie. Trotz dessen plagten mich unzählige Zweifel. Zweifel über meine Gefühle und Zweifel bezüglich ihren.
Vielleicht war eben dies der Grund, warum die Stille in diesem Augenblick einfach richtig erschien. Sie wirkte befreiend und rettend zu gleich.
Und so kam es, dass wir einfach nur so in ihrer Wohnung standen. Stirn an Stirn und nicht bereit dies irgendwie zu ändern.
Aber auch dieses Mal war mir mein Glück einfach nicht vergönnt. Ich spürte das aufdringliche vibrieren meines Handys in meiner Hosentasche. Wie hätte es auch anders sein sollen? Ein Blick auf das Display war gar nicht erst von Nöten. Ich wusste wer mich anrief. Ich wusste ganz genau, dass nur eine Person in der Lage war jeden perfekten Moment zu ruinieren. Und einmal mehr hatte meine Ma' dies auch wieder geschafft. Danke dafür. Doch ich konnte es nicht ändern. Und so stieg das Bewusstsein in mir auf, dass ich so bald wie möglich nach Hause müsste. Mein Magen verkrampfte sich und es fühlte sich an, als würde mein Herz in tausend Teile zerspringen. Dennoch brachte ich die Kraft auf meinen Kopf langsam zurück zu ziehen.
Ich schämte mich. Meine Gefühle für sie waren so unbeschreiblich groß, so groß das ich mich tatsächlich für diese geschämt hatte. Natürlich hätte ich das folgende nicht tun sollen, aber wie hätte ich wissen können, dass mein anschließendes Handeln Ms. Morgan so zusetzen würde?
Mit gesänktem Blick unterbrach ich die drückende Stille. „Ich muss.. Es.. Es tut.. Ich muss jetzt gehen." Es tat unbeschreiblich weh. Ich wollte nicht gehen, sie verlassen und das Geschehene verdrängen. Ich wollte sie nicht allein in ihrer Wohnung zurück lassen. Doch was hatte ich schon für eine Wahl? Wenn ich nicht wollte das meine Ma' noch die Cops holte oder ich zu Jahre langem Hausarrest verdonnert würde, dann müsste ich gehen. Und dies tat ich. Ohne auf eine Antwort zu warten nahm ich meinen Helm und verließ die Wohnung. Mein Herz krampfte. Es fühlte sich falsch an, so Verdammt falsch an.
Es war die falsche Entscheidung, oder doch die richtige? Gab es überhaupt so etwas wie Entscheidungsfreiheit? Ich meine... wenn man dem Prinzip des Determinismus glauben schenken wollte, so ließe sich annehmen, dass jede Entscheidung die man fällt von vornherein schon gesetzt war. Als ob man unverantwortlich für seine Handlungen ist. Ja, vielleicht war dieser Kuss von Anfang an so vorbestimmt, ebenso meine kurzschlüssige Reaktion, welche ja auch nur durch die Nachricht meiner Mutter ausgelöst wurde. Es war zumindest eine Erklärung, die mir auch nur für einen kurzen Moment Klarheit verschaffen sollte.
Und dennoch konnte ich meine Füße nicht davon abhalten weiter zu gehen. Schnellen Schrittes flog ich beinahe schon die einzelnen Treppenstufen hinab. Ich öffnete die Tür und die kalte Luft stach mir in den Augen. Ich dachte nicht darüber nach, was soeben geschehen war. Wusste nicht ob es der Realität entsprach oder doch wieder meiner Phantasie entsprang.
Gedanken über Gedanken belagerten mein Gewissen und zerquetschten mein Inneres, wie ein Schuh eine Fliege zerquetschte. Möglicherweise hätte ich in dieser Situation nicht mehr fahren sollen. Wie jeder aufstrebende Fahrschüler weiß, beeinflussen Gefühle und Emotionen das Fahrverhalten, sowie das Reaktionsvermögen. Aber mal ernsthaft... Who gives a shit? Meiner Lehrerin konnte ich absofort nicht mehr in die Augen schauen. Meinen Freund fand ich nunmehr abstoßender als ohnehin schon. Würde ich zu Hause ankommen, so würde ich auch direkt mein Todesurteil unterschreiben, da meine Ma' mich sowieso außeinandernehmen würde. Also warum nicht gleich in mein offenes Grab fahren? Aber nein, so einfach würde ich es mir nicht machen. Wenn ich eines jemals gelernt hatte, dann das man sich seinem Schicksal stellen muss. Woher sich dieser schlaue Satz in mein Hirn eingebrannt hat, fragst du dich? Nun ja, ich würde sagen, das ist eine Geschichte für ein anderes Mal. Fakt war, ich musste einfach alles durchziehen. Wie ein Pflaster, einfach abreißen. Kurz, aber nicht schmerzlos.
Nach geraumer Zeit stand ich dann wieder vor meiner Haustür, das Moped in der Garage abgestellt, meinen Schlüssel in der Rechten und meine linke Hand zu einer verkrampften Faust geballt. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie nervös ich wirklich war. Ich steckte den Schlüssel in das Schloss, drehte zwei vollständige Umdrehungen nach Rechts. Ein klick und ich drückte die Türklinke hinab. Hinter der weißen Holztür erwartete mich bereits meine ach so fürsorgliche Mutter. Mit verschränkten Armen lehnte sie sich locker gegen das Treppengeländer. Ihre Haare sahen zerrupft aus und passend zu ihrem quietsch pinken Bademantel trug sie einen vernichtenden Blick der Verachtung in ihrem Gesicht. Herzlichen Glückwunsch Jess. Willkommen in der Hölle.
„Wo warst du?" blaffte sie mich mit "liebevoller" Strenge an. Nein, ich war eindeutig nicht bereit für dieses Gespräch. Vergiss alles was ich zum Thema Schicksal stellen und so n' Scheiß erzählt habe. (Bitte entschuldige meine Ausdrucksweise.)
Ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen schmiss ich meinen Schlüssel in die Schale rechts neben der Tür.
„Hast du mir nicht irgendwas zu sagen?" Ihr Ton wurde Schärfer.
Ich zog meine Schuhe aus und ging auf die Treppe zu. Nicht mehr weit, dann wäre ich in meinem Zimmer. Meinem sicheren Platz. Fast geschafft.
Ich war auf der Hälfte der Treppe als... „JESSICA ANNABELL ROSE MILLER. Wenn du nicht SOFORT hier runter kommst, dann ist Holland in Gefahr."
Verdammt. Jetzt hatte ich ein richtiges Problem. Langsam machte ich kehrt, ging Stufe für Stufe hinab. Jede einzelne knarkste und untermalte damit kläglich meinen Untergang. Auf dem Weg nach unten dachte ich nach. Ja, ab und zu kam das mal vor. Ich dachte daran, warum ich ursprünglich Hausarrest hatte. Mir fiel wieder ein, warum ich weg war, warum mich hier alle fast zum Kotzen brachten. Sonst kümmerten sich meine Eltern auch einen Scheiß um mich. Warum mussten sie mir ausgerechnet auch noch diesen an sich tollen Abend verderben. Es war als würde dadurch alles Gute in meinem Leben bereits im Keim erstickt. Als hätte ich Glück einfach nicht verdient. Mit jedem Schritt wuchs meine Wut und meine Verständnislosigkeit. Es brodelte in mir, kurz davor auszubrechen.
Ich blieb stehen und starrte ihr mit kaltem Blick in ihre so viel sagenden Augen. Ich sah Wut, Trauer, Enttäuschung. Doch es interessierte mich nicht das kleinste Bisschen. Ich war Blind für Verständnis und Schuldgefühle. Konnte nicht riechen, das in Wahrheit nur die Sorge um mich aus meiner Mutter sprach. Es war einfacher zu glauben ungeliebt zu sein. Es machte es einfacher so zu Fühlen wie ich fühlte und mich dem entsprechend zu verhalten. Ja, es machte so vieles einfacher und doch verschlimmerte sich dadurch im stetigen Ton schlicht und ergreifend alles.
Mein Gesicht war ausdruckslos, mein Ton war kalt und doch meinte ich jedes Wort wie ich es sagte, denn ich wusste es nicht besser.
„Was interessiert mich Holland?"
Und das meine Freunde, ist wie der dritte Weltkrieg ausgebrochen ist.
„Keine Sorge, es wird sich interessieren, junges Fräulein." Ich hasste es wenn sie mich so nannte. „Ich hab dir doch gesagt das ich zur Nachhilfe bin." Auch ich bin jetzt die Stimme an. „Verarsch mich nicht! Mir war von Anfang an klar, das du nicht zur Nachhilfe gehst. Doch nett wie ich bin wollte ich dir noch eine Chance geben. Das einzige was du tun musstest, war pünktlich zu Hause zu sein. Aber einmal Mehr hast du uns enttäuscht." „Ein Glück das ich so eine Enttäuschung bin, ansonsten müsstet ihr die Fehler ja bei euch selbst suchen!" „Wie bitte?" Bam. Damit hatte ich einen Nerv getroffen. „Du weißt ganz genau wo von ich rede." zischte ich ihr entgegen. „Wie haben stets nur das beste für dich gewollt. Das du dich zu so einer asozialen Göre entwickelt hast, hast du ganz allein dir und deinem drogenabhängigen Freund zu verdanken." „Oh bitte, Ben hat damit nichts zu tun. Für euch war ich doch schon immer nicht mehr als der Gelegenheits-Babysitter. Wenn ihr euch dann auch mal dazu bequemen konntet euch um euer Kind zu kümmern, so habt ihr euch einen Scheiß um mich geschärt." „Das reicht. Hausarrest." Das ging zu weit. Der Hass in mir stieg immer mehr an. Ich war so unglaublich wütend, dass sich warme Tränen in meinen Augen sammelten. „Was? Nur weil du die Wahrheit nicht verkraften kannst?" „Jetzt halt die Klappe und geh in sein Zimmer!" Unsere Schreie hallten durch die Flure. Ich hätte schwören können, das selbst die Nachbarn davon wach wurden. „Du kannst mich mal." Murmelte ich mehr zu mir als in den Raum. „Was?" Ich hätte so die Schnauze voll von allem. Sie regte mich auf und trieb mich in den Wahnsinn. „DU. KANNST. MICH. MAL." Und damit besiegelte ich mein zum Scheitern verurteiltes Schicksal.
„Raus.", war das Einzige was sie in dem Moment herausbrachte. Ihre Stimme verlor an Kraft. Der Hass war weg. Schmerz hingegen deutlich herauszuhören. Aber es war mir egal. Mit war in den Moment alles egal. In einem Zug schnappte ich mir meine Jacke, ne Mütze, meine Tasche und die Schlüssel. Ich schaute nicht zurück und dachte nicht auch nur im geringsten darüber nach was ich soeben tat. Mit einem epischen Türknall verließ ich das Haus und machte mich auf in das tiefe Dunkel der Nacht. Ich hätte keinen Bock in einer solchen Situation zu fahren und stapfte ohne weiteres ins Nichts. Der kalte Wind pfiff mir im die Augen, Tränen liefen mir die Wange hinab. Ich hatte kein Ziel. Ebenso wenig einen Plan wo ich jetzt hin sollte.
Ich lief die Straße entlang. Ab und zu rauschten wenige Autos an mir vorbei. Mein Handy hatte ich auf Stumm gestellt. Das letzte was ich in diesem Moment brauchte waren irgendwelche Nachrichten.
Nach knapp drei Stunden des wurden umherlaufens ,kam ich in einen Park, wo ich langsam auf einer Holzbank zusammen sackte. Ich weiß, man sagt, das Leben sei hart, aber mit diese hatte nicht einmal ich rechnen können. Natürlich hätte ich einen meiner Freunde fragen können, ob ich dort übernachten könnte. Aber dann hätten sie mich für schwach und verletzlich gehalten und das war das letzte was ich zu diesem Zeitpunkt noch gebrauchen konnte. Also zog ich mir meine Mütze tief in mein Gesicht und wickelte mich in meine Jacke ein. Es war kalt. Es war dunkel und ich wollte nicht mehr als schlafen und die Welt um mich herum vergessen. Ich schloss meine brennende Augen und versuchte loszulassen. Einfach die Gedanken vorbei ziehen zu lassen und meine Situation, welche nun mehr einem Scheißhaufen glich, auszublenden. Es war schwer, doch nach geraumer Zeit gelang es mir, in einen traumlosen Schlaf zu sinken.
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