Blumen im Herbst ~ Echter Lorbeer 🍃🌼🍁
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~ Blumen im Herbst ~(A Malec Story)
von PowerGirlJessi
Echter Lorbeer (Lorbeerbaum) - Laurus nobilis
~Muskatnus, Blätterfall, schlafen, cremefarben, Haselnuss~
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16:58 Uhr. Also noch zwei Minuten, bis dieser Typ wieder auftauchen würde.
Seufzend wickelt er den Teig, den er bis gerade eben als Ablenkung bearbeitet hat, in Frischhaltefolie ein und legt ihn in den Kühlschrank zum Durchziehen. Dabei sieht er sehnsuchtsvoll zu der Metallbox, in der frische, ganze Muskatnüsse lagern, die seine Leckereien perfekt machen würden.
Doch darum wird er sich erst später kümmern können, denn jetzt hat er eine Mission: Den Blumendieb schnappen.
Alec hat keine Ahnung, wer es ist, aber wie ein Schweizer Uhrwerk taucht der Fremde jeden Monat am gleichen Tag zur selben Uhrzeit auf und bedient sich an seinen Blumenbeeten. Er kommt immerzu vorbei, schneidet sich mit einem Taschenmesser ein paar Blumen weg und verschwindet damit sonst wo hin. Im Frühling leiden seine Tulpen, im Sommer die Margeriten und im Herbst, wie jetzt, sind wieder seine schönen Chrysanthemen an der Reihe.
Das geht nun schon knapp zwei Jahre so. Wieso Alec diesen Typen nicht anzeigt? Er ist schlichtweg nicht pedantisch genug, um sich über den Verlust von Blumen aufzuregen und findet es auch unfair, jemanden wegen so einer Kleinigkeit bei den Behörden anzuschwärzen.
Jedoch gibt er zu, dass er langsam neugierig wird. Es ist schließlich nicht so, als würde Alec dem Fremden seine Blumen nicht einfach überlassen, wenn er nur nett fragen würde. Es wäre kein Problem.
Dieses Jahr hingegen ist etwas anders, denn er hat endlich seinen Mut zusammengekratzt und beschlossen, den pünktlichen Blumendieb zu konfrontieren. Für Alec als introvertierte Person ist das ein großer Schritt, aber jetzt fühlt er sich dazu bereit. Besser spät als nie.
16:59 Uhr.
Er wischt sich die leicht mehligen Hände an seiner schwarzen Jeans ab und verlässt die kleine, sonnengelbe Küche, um sich ein paar Stiefel und einen langen Herbstmantel anzuziehen. Dann sieht er nervös durch den Türspion nach draußen.
Gleich ist er wieder da. Nein, ich bin kein Stalker. Jeden Moment kommt er vorbei. Ich schaffe das! Jeden Moment ... Shit!
Da ist er! In einem neuen, weinroten Mantel kommt er angelaufen, als ob nichts wäre. Die Haare hat er wie üblich zu schwarzen Spitzen hochgestylt und auch seine flachen Absatzstiefel und der cremefarbene Schal sind Alec mittlerweile mehr als vertraut.
Jetzt ist sein Auftritt gekommen. Er würde vorgehen, den Mann fragen, was das soll, eine Lösung finden und als erfolgreicher Mann schlafen gehen. Er kann das schaffen!
Mit einem tiefen Atemzug schnappt er sich seinen Hausschlüssel und öffnet die Tür. Auf leisen Sohlen geht er den schmalen Kiesweg zu den Blumenbeeten entlang, während sein Herz so laut klopft wie ein Presslufthammer.
Er wird auch immer unsicherer und will eigentlich wieder kehrtmachen, aber da ist es schon zu spät. Der Mann hat ihn bemerkt und sieht ihn mit vor Schock geweiteten Augen an.
Für einen Moment sagt niemand etwas, bevor der Mann plötzlich losplappert: "Oh Gott, es tut mir so leid! Ich weiß, dass das nicht richtig ist, aber ich brauche die Blumen und der nächste Laden ist in einer ganz anderen Stadt. Doch ich habe nicht so viel Zeit und obendrein noch einen schwarzen Daumen und ... Shit, ich habe Sie unterbrochen, oder? Shit, das tut mir jetzt aber leid, Ich ... halt jetzt mal lieber die Klappe."
Dann gibt es wieder einen Moment der Stille, in dem Alec verzweifelt versucht, sich an seine einstudierte Rede zu erinnern. Er hätte den Spickzettel doch mitnehmen sollen!
"Kann ich Ihnen helfen?", fragt er nur und will sich am liebsten gleich selbst schlagen. Ich bin so ein Vollidiot!
Der Mann beginnt plötzlich zu lachen und die peinliche Spannung löst sich schlagartig in Luft auf. Der Mann lacht so laut und frei, dass selbst Alec ein kleines Lächeln zustande bringt, während er die Hände beschämt in den Jackentaschen versteckt.
"Sorry, manchmal rede ich dummes Zeug."
"Also ich fand es ziemlich süß", bemerkt der Fremde und hält ihm grinsend die Hand hin, "Ich bin übrigens Magnus."
"Alexa- Alec."
"Jetzt, da wir uns kennen, kann ich mir vielleicht ein paar Blumen leihen? Sie sind für einen guten Zweck. Ich würde sie ja ... Ich hab das schon gesagt, oder?"
"Ja, hast du. Die Chrysanthemen?"
"Die roten bitte."
Alec nickt nachsichtig und greift nach der Gartenschere, die er an der Wand eines kleinen Geräteschuppens befestigt hat. Dann macht er sich an die Arbeit, während Magnus ihm neugierig zusieht.
Wenn er ehrlich ist, hat er keine Ahnung, wieso er gerade das tut, was er tut. Es hat sich einfach irgendwie so ergeben und er kennt keinen Weg zurück und...
"Wofür brauchst du die Blumen überhaupt? Für eine Freundin?", fragt er nervös, während er mit einem Bündel roter Chrysanthemen wieder aufsteht.
Die Gartenschere wird sorgfältig wieder zurückgehängt und der Strauß vorsichtig mit einer Schnur umwunden, damit er nicht auseinanderfällt. "Freund, irgendwie. Danke sehr."
"Gerne ..."
Alec kratzt sich im Nacken, denn wenn er nicht irrt, ist das hier das Ende dieses Gesprächs, dabei will er das gar nicht. Nicht wirklich. Magnus scheint ... interessant zu sein und er würde gerne mehr Zeit mit dem Kerl verbringen, der jedes Mal Blumen von ihm klaut, um sie seinem Freund zu schenken. Muss wohl ein echter Glückspilz sein, denkt Alec sehnsüchtig.
Als hätte er seine Gedanken gelesen, schlägt Magnus vor: "Möchtest du mich vielleicht begleiten? Dann kannst du dich persönlich von meinen noblen Absichten überzeugen. Also natürlich nur, wenn du Zeit hast und überhaupt willst ..."
"Ja, ich will", antwortet er ernst, bevor er hastig korrigiert. "Also, dich begleiten natürlich. Nur deswegen."
"Dann komm mit!"
Wie ein treuherziger Hund folgt er ihm auf die stille Alleenstraße.
Alec lebt in einer sehr ruhigen Gegend, in der größtenteils nur ältere Pärchen wohnen und die weit weg von jedem Lärm ist. Ihm gefällt das, denn so wird er von niemandem gestört und kann ganz friedlich sein Leben leben.
Doch jetzt erdrückt ihn diese Stille förmlich, denn er weiß, dass er sich jetzt eigentlich mit Magnus unterhalten sollte, immerhin begleitet er ihn. Nur je verzweifelter er nach einem Gesprächsthema sucht, desto weniger fällt ihm eins ein.
Magnus beschließt, ihn zu erlösen: "Wieso hast du eigentlich so viele Blumen in deinem Garten? Nicht, dass das ein dummes Hobby wäre, aber es ist nicht gerade das, was man von einem Mann deines Alters erwarten würde, Alexander."
"Es ist Tradition. Meine Geschwister konnten nie viel mit Blumen anfangen, deshalb hat meine Mom mich in diese Welt entführt. Aufgrund meines Outings hatte ich leider nie viel Kontakt zu anderen knüpfen können. Die Blumen haben mir geholfen und eine Aufgabe gegeben. Das tun sie immer noch, selbst nach dem Tod meiner Mutter.", erzählt er mit einem versonnenen Lächeln, "Es ist meine Leidenschaft."
"Das ist wirklich schön. Traurig, aber schön. Ich hingegen kann sogar einen Kaktus umbringen."
"Was?", schnaubt Alec, während er wirklich alles versucht, um nicht loszulachen. Er scheitert.
"Das ist einfacher als du denkst. Du stellst ihn auf die Fensterbank, wirfst irgendein hässliches Shirt drauf und ein paar Monate später, als du dich endlich dazu überwunden hast auszumisten, findest du den verkrüppelten, schwarzen Rest einer Pflanze. Nicht gerade etwas, auf das ich stolz bin.", gibt er zu, "Ich hatte aber immer eine Liebe für den Herbst."
"Wieso? Der ist doch nur arschkalt, nass und arschkalt."
"Also jetzt bin ich beleidigt", behauptet Magnus und verschränkt schmollend die Arme vor der Brust. Allerdings beginnt er gleich wieder zu grinsen und fährt fort: "Der Herbst ist natürlich nicht nur das. Er ist auch bunt und sonnig und hat übrigens die perfekte Temperatur, Darling. Man kann dazu auch endlich wieder ausschlafen, ohne gleich von der Sonne oder zu gut gelaunten Menschen geweckt zu werden. Außerdem ist es die einzige Zeit, in der man Haselnüsse nicht nur sammeln, sondern auch gleich essen kann."
"Solltest du die nicht zuerst waschen?", fragt er mit einer kritischen Miene.
Magnus zuckt nur die Schultern. "Möglicherweise. Wir sind übrigens da."
Mit diesen Worten stößt er mit seiner freien Hand das Tor zu einem Friedhof auf. Es war ein altmodisches, gusseisernes Stück, aber Alec schenkt dem kaum Beachtung. Ein Friedhof? Und ich hab ihn gefragt, ob die Blumen für seine Freundin sind. Ich Vollidiot!
Sollte Magnus die Veränderung in seiner Haltung merken, so kommentiert er das nicht. Stattdessen plappert er fröhlich weiter über den Herbst, den Blätterfall, das Paradoxon, in dem er zwar gut kochen, aber nicht backen kann und noch vieles mehr.
So gern Alec auch zuhören will, die verschiedenen Themen verschwimmen alle in Magnus' samtiger Stimme und seinen viel zu lauten Gedanken, die alle gleichzeitig Panik schieben. Er merkt erst, dass Magnus angehalten hat, als er schon beinahe in ihn hineinläuft. So hingegen bleibt er wie angewurzelt stehen und verschränkt nervös die Hände hinterm Rücken.
Sie stehen vor einem schlichten Grabstein, auf dem mit goldenen Lettern Imasu Morales 1993-2019 geschrieben steht. Davor steht eine Vase mit den Dahlien, die Magnus letzten Monat gestohlen hat. Daneben seltsamerweise ein winziger Lorbeerbaum im Topf, der dafür, dass er wahrscheinlich nicht die Pflege bekommt, die er braucht, noch ganz gut aussieht.
Magnus geht in die Hocke und die Dahlien tauschen nun den Platz mit den Chrysanthemen.
"Imasu und ich kannten uns seit der Schule und er war mein erster Freund nach meinem Coming-out. Er war toll. Liebevoll und ein begnadeter Musiker. Ich habe ihn wirklich geliebt, auch wenn bei uns nie alles rund lief. Nur wurden die Differenzen irgendwann zu groß und wir haben uns getrennt. Ich habe ihn immer vermisst und er mich anscheinend auch, denn vor rund zwei Jahren kamen wir wieder zusammen. Wir haben uns erst seit ein paar Wochen wieder gedatet, als er einen tödlichen Unfall erlitt. Ich war am Boden zerstört, aber dann habe ich mich daran erinnert, was er mir bei unserer ersten Trennung gepredigt hat: Geh deinen Weg, Magnus, denn auch, wenn wir keine Weggefährten sind, so ist der Weg das Ziel und irgendwann wirst du jemanden finden, der gewillt ist, den ganzen mit dir zu laufen. Hab Vertrauen. Und tja ... so lebe ich jetzt eben. Bringe ihm Blumen, für die er mir nie danken wird, befolge seinen Rat, auch wenn er das nie wissen wird. Ziemlich erbärmlich."
"Ich verstehe das", meint Alec, der es nicht ertragen kann, den bislang so aufgeweckten Magnus so verletzlich und deprimiert zu sehen.
Das passt einfach nicht zusammen und entschlossen, diesen Gesichtsausdruck zu ändern, fährt er fort: "Du willst ihn nicht vergessen, ihn und seine Worte aber auch nicht durch deine anhaltende Trauer entehren. Du versuchst zu leben, auch wenn das oft das Schwerste ist, das man sich vorstellen kann und wenn du das Gefühl hast, du schaffst den Spagat nicht mehr, kommst du hier her und findest deinen Frieden. Deshalb steht da auch dieser Lorbeerbaum, richtig?"
Magnus sieht ihn ungläubig an, nickt aber leicht. Zum ersten Mal redet er nicht wieder drauf los, sondern hört tatsächlich zu. Ein Novum, an das er sich vielleicht gewöhnen könnte.
"Wie einst der Gott Apollo gedenkst du an die Liebe, die nie funktioniert hätte und machst gleichzeitig mit deinem Leben weiter."
"Du hast Recht, auch wenn du's in schönere Worte packst. Du kannst das gut, Alexander."
Magnus sieht hoch und das Licht spiegelt sich in seinen braunen Augen wider, die grünen und goldenen Tupfer funkeln dankbar. Umrahmt sind sie von pechschwarzem, glitzerndem Eyeliner, der sie noch faszinierender werden lässt.
Der Wind frischt plötzlich auf, der Blätterfall nimmt zu und mehrere kleine Soldaten fliegen Magnus direkt ins Gesicht. Der intime Moment wird durch schallendes Lachen zerstört und die schwere Stimmung hebt sich.
Nachdem Alec nach unendlichen Stunden wieder Luft bekommt, schlägt er etwas vor, das er sonst nie getan hätte.
"Möchtest du vielleicht später noch bei mir vorbeikommen? Ich backe gerade und könnte einen Vorkoster brauchen."
"Wirklich? Du bist nicht ... abgeschreckt und lädst mich stattdessen auf ein Date ein? Bist du noch ganz dicht?! Ich meine ..."
"Ja, genau das hatte ich vor. Ein Date", unterbricht er ihn mit neu gewonnenem Mut. Er ist wohl nicht der einzige Nervöse hier.
"Dann haben wir wohl ein Date."
"Und wie wir das haben."
Und es sollte nicht nur bei einem bleiben, denn trotz eines ungewöhnlichen Starts steht den beiden eine große Zukunft voller Tiefen und Höhen bevor, die sie gemeinsam meistern würden. Und das alles wegen ein paar Blumen im Herbst.
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