Baku 4/5
-4- Carlos und Lando
Zum Glück schien der Mond hell genug und auch die Lichter der Straßenbeleuchtung spendeten genügend Licht, um etwas sehen zu können. Rasch lagen Papier und Stift auf dem Tisch und die ersten Zeilen waren schnell geschrieben.
Es war doch jedes Mal faszinierend, was Google alles wusste. Schnell auf dem Smartphone die suchenden Begriffe eingegeben und schon hatte er ein passendes Formular, an welches er sich nur ungefähr halten musste. Es sollten seine eigenen Worte sein und nicht die von jemandem, der es vorgegeben hatte. Wichtig war nur, dass sein Arzt in England und der Notar noch eine Unterschrift geben würden.
„¿Cariño? ¿Qué estás haciendo ahí? Es medianoche."*
„Ich wollte dich nicht wecken. Entschuldige."
Müde rieb sich Carlos den Schlaf aus den Augen, tapste auf nackten Füßen zum Schreibtisch. Als seine Blase ihn geweckt hatte und er rasch ins Badezimmer verschwand, war ihm das Fehlen von Lando noch gar nicht aufgefallen. Erst als er sich wieder hingelegt hatte, bemerkte er, dass sein Partner nicht neben ihm lag.
„Wieso bist du wach, Lando?"
„Ich konnte nicht schlafen." Vertraut legte Lando seine Arme um den Bauch des Älteren, als dieser direkt neben ihm stand. Fest drückte er seinen Kopf an den flachen Bauch, während er tief Luft holte. Eigentlich hatte er einen tiefen Schlaf, fast wie ein Stein. Und wenn sie vorher noch intensiven Sex gehabt hatten, bekam ihn eigentlich nichts so schnell wach. Aber heute Nacht war es anders.
Verwirrt legte Carlos seine Hand auf den Kopf des Jüngeren, glitt mit den Fingern durch die weichen Locken und schaute das erste Mal richtig auf den Schreibtisch.
„Eine Patientenverfügung?"
Im Grunde nichts Schlimmes und trotzdem schlug Carlos mit einem Mal das Herz bis zum Hals. Wie kam Lando darauf, mitten in der Nacht eine Patientenverfügung zu verfassen? Ohne es steuern zu können, fing sein Körper an zu zittern und er griff mit beiden Armen nach Lando, zog diesen in eine stehende Position, um in dessen Gesicht blicken zu können.
Natürlich hatte Lando die Veränderung sofort bemerkt. Carlos stand die pure Angst ins Gesicht geschrieben, weswegen er schnell seine Hände an dessen Gesicht legte und sanft über dieses strich.
„Mit mir ist alles in Ordnung. Ich bin nicht krank. Alles gut, Carlos." Sanft küsste er die angespannten Lippen des Älteren, fand sich Sekunden später in einer halsbrecherischen Umklammerung wieder.
„Mach das nie wieder", wisperte Carlos gegen die Lippen seines Freundes.
Es brauchte noch viele kleine Küsse und liebevolles Streicheln der nackten Brust, bis Lando spüren konnte, dass sich Carlos entspannte. Ruhig führte er seinen Freund zum Sessel, drückte Carlos in diesen und setzte sich kurzerhand auf dessen Schoß. Zum Glück hatten sie beide Unterwäsche an. Obwohl sich Lando sicher war, dass selbst wenn sie beide nackt gewesen wären, sich nichts geregt hätte.
„Wieso schreibst du deine Patientenverfügung?"
„Weil ich möchte, dass man dir auch alles sagt, sollte mir mal was passieren."
„Lando ..."
„Höre mir bitte zu. Das ist mir wirklich sehr wichtig."
Auch wenn es nicht unbedingt neu war, so war es doch immer wieder eine kleine Überraschung, wenn Lando so ernst wurde. Als er seinen Freund kennen und lieben gelernt hatte, war dieser süße 19 Jahre alt gewesen, schüchtern, scheu, unschuldig und total unsicher. Aber was Lando auch war, war ein toller sympathischer, herzlich, humorvoller junger Mann. Carlos kannte seinen Freund im Grunde nur mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Selbst wenn es mal schlechte Tage gab, verlor Lando sein Lächeln nicht. Eine Eigenschaft, um die er den Briten beneidete. Aber auch Lando konnte anders. Nur wussten das die wenigsten.
„Dir ist das so wichtig? Denkst du schon lange darüber nach?"
„Ja. Der Gedanke kam mir immer wieder, seit wir zusammen sind. Wir haben beide einen gefährlichen Beruf und es kann immer etwas passieren. Was gestern ja wieder der Fall gewesen ist. Richtig ernst habe ich mir Gedanken darum gemacht, als Romain seinen schweren Unfall hatte. Aber wir waren danach so mit unserem Haus beschäftigt, dem Umzug und anderen Dingen, dass ich nicht weiter darüber nachgedacht habe. Nachdem aber gestern Lance und Max mehr als nur Glück hatten, habe ich den Gedanken nicht mehr loswerden können. Was, wenn mir das passiert und es nicht so glimpflich endet? Es muss ja nicht mal etwas mit unserem Beruf zu tun haben. Im alltäglichen Leben kann auch alles Mögliche passieren, oder eine unheilbare Krankheit tritt ein."
Sein Blick musste zwischen Unglauben und Entsetzen sein. Unglauben, dass Lando wirklich schon so lange darüber nachdachte, und Entsetzen, dass dieser wirklich in seinen jungen Jahren so verdammt reife Gedankengänge hatte. Sie waren seit fast drei Jahre zusammen und er musste jetzt in diesem Moment feststellen, dass er Lando gewaltig unterschätzt hatte.
„Weißt du, niemand außer unseren Familien und Freunden weiß, dass wir zusammen sind. Und du würdest niemals als einfacher Freund und Kollege Auskunft bekommen. Es könnte sein, dass meine Eltern es erlauben können. Aber ich möchte einfach, dass du alles zu wissen bekommst, sollte mal ein Ernstfall eintreten."
Tränen liefen Carlos über die Wangen. Schniefend war er es, der nun seinen Kopf an die Brust des Jüngeren presste.
„Wenn die Welt nicht voller Arschlöcher und Intoleranz wäre, würde ich dich überall als meinen festen Partner vorstellen. Aber dann dürften wir uns in einigen Ländern, wo wir Rennen fahren, nicht mehr sehen lassen. Da würde man uns am liebsten auf offener Straße steinigen. Ich bin mir noch nicht mal sicher, ob man dir Auskunft geben würde, wenn wir verheiratet wären. Gleichgeschlechtliche Ehen sind erlaubt und eigentlich müssten sie dir alles sagen, wenn du mein Mann wärst. Nur werde ich eben nichts riskieren. Und deswegen habe ich die Patientenverfügung geschrieben."
+
„Vielleicht sollten wir es tun."
Sanft glitten seine Fingerspitzen über den nackten Brustkorb, während er vertraut dem Herzschlag des Jüngeren lauschte. Nachdem er sich wieder beruhigt hatte, waren sie zurück ins Bett gegangen. Aber Carlos war nicht gewillt, Lando auch nur einen Zentimeter von sich entfernt zu lassen. Auch wenn es sonst immer der Brite war, der seinen Kopf auf seine Brust legte, war es diesmal anders. Lando hatte ihn mit seinen Worten und der Geste sehr berührt. Noch immer war er aufgewühlt und brauchte den Körperkontakt zum Jüngeren.
„Was sollten wir tun?"
„Uns outen."
Überrascht hielt Lando inne. Er nahm die Hand vom Rücken des Älteren, legte diese an dessen Wange und drehte den Kopf zu sich.
„Meinst du das ernst?"
„Lando, ich möchte dich irgendwann heiraten. Und ich möchte eine Familie mit dir."
Tief atmete er durch, schob sich weiter ins Gesichtsfeld von Carlos und küsste diesen voller Hingabe und Liebe. Über das Outen hatten sie sich schon öfter unterhalten, hatten sogar eine Liste mit Pros und Kontras geschrieben.
„Lass uns zu Hause in Ruhe reden. Und wir sollten unsere Eltern auch dazu befragen. Ich möchte nichts lieber, als jedem zu zeigen, wie sehr ich dich liebe. Und ich bin bereit dafür, vieles einzustecken, weil ich weiß, dass unsere Liebe stärker ist. Man muss sich für seine Liebe nicht schämen, man sollte sich nicht verstecken und trotzdem müssen wir es. Aber wenn du wirklich in Betracht ziehst, dass wir uns outen sollten, dann werde ich an deiner Seite sein."
Ihre Blicke trafen sich inniger, als Lando seine Stirn gegen die des Älteren lehnte. Schmunzelnd zeichnete er die Konturen des vertrauten Gesichtes nach. Vielleicht war es wirklich Zeit, dass sich jemand von ihnen an die Öffentlichkeit traute. Wobei es ja die Öffentlichkeit war, die sie daran hinderte. Lando war nicht bereit, sich zurücknehmen zu müssen, sollte Carlos etwas passieren. Alle Kameras wären dann auf ihn gerichtet wegen ihrer speziellen Freundschaft. Er wollte für seinen Partner sein, er wollte offen zeigen dürfen, wie sehr er litt.
„Wenn wir zu Hause sind, werde ich ebenfalls eine Patientenverfügung für dich aufsetzen." Flatternd hauchte Carlos Küsse auf den Hals, die Schultern und die Stirn des Jüngeren.
Irgendwann, als die Küsse und das Streicheln träger wurden, konnte sich Carlos ein verliebtes Lächeln nicht verkneifen. Lando war eingeschlafen. Nun schien es diesem auch besser zu gehen. Lando sah entspannter aus als noch am Schreibtisch. Carlos war noch immer überrascht von der Ernsthaftigkeit seines Freundes. Er konnte erkennen, dass aus seinem schüchternen jungen Freund ein selbstbewusster, starker junger Mann herangewachsen war.
Minutenlang genoss er noch den Anblick seines schlafendes Freundes, bis auch Carlos die Müdigkeit ein weiteres Mal einholte und er dicht angeschmiegt an Lando einschlief.
ENDE.
*Schatz? Was machst du da? Es ist mitten in der Nacht.
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