Buchstabenchaos
So eine Buchstabenverwechslung kann ganz schön großes Chaos anrichten. Glaubt mir, ich hab's ausprobiert. Und zwar, wenn man dem Weihnachtsmann statt Elfen Elben an die Seite stellt. Oh Gott, da ging was ab ... Lasst es mich erzählen.
Ich saß am Wochenende ganz gemütlich am Schreibtisch, hab den dicken Schneeflocken beim Fallen zugeschaut und wollte eine kleine Weihnachtsgeschichte – natürlich eine Konsumweihnachtsgeschichte, versteht sich – schreiben. Gleichzeitig hatte ich meine anderen Fanfictions im Kopf, und dann, ja, dann passierte es:
»[...] Die Rentiere scharrten ungeduldig mit den Hufen, im Stall war es frisch geworden und sie wollten unbedingt raus, wollten sich bewegen und munter über den Himmel springen. Der Weihnachtsmann lächelte, als er sah, wie sie sich auf den bevorstehenden Ausflug freuten. Es herrschte geschäftiges Treiben um ihn herum, der Schlitten war schon vorgefahren worden und die Elben luden eifrig -«
Und da war es geschehen. Donnergrollen. Ich hatte das Gefühl, der Schneefall wurde dichter und die Flocken segelten mit unterdrückter Wut zu Boden. Das Licht in meinem Zimmer flackerte, bis es schließlich ganz verlosch, die Straßenlaterne ging aus, bis auf den Nachhall des Donners wurde es still, nichts schien sich mehr zu bewegen, ich konnte nichts mehr sehen. Als ich vom Schreibtisch aufstand, um das Licht wieder anzuschalten, wurde mir schwindelig. Ich tastete nach der Schreibtischkante, aber da war nichts, einen Moment konnte ich mein Gleichgewicht noch halten, dann stürzte ich ins Leere.
Als ich die Augen wieder öffnete, war im ersten Moment alles weiß. Und auch im zweiten. Und mir war kalt, wirklich sehr sehr kalt. Langsam begriff ich, dass ich mit dem Gesicht voran in den Schnee gefallen war. Moment. In den Schnee? Ich meinte mich zu erinnern, dass in meinem Zimmer kein Schnee lag. Aber die Faktoren weiß, kalt und zunehmend nass machten die Sache relativ eindeutig. Langsam rappelte ich mich hoch und blickte sogleich auf die Brust eines hochgewachsenen, menschenähnlichen Wesens. Auf die Brust deshalb, weil sich der Elb, als der sich das Wesen entpuppte, knapp zwei Meter zwanzig groß war.
»Du weißt, warum du hier bist?«, fragte er mit schneidender Stimme. Ich traute mich kaum, ihm in die Augen zu schauen, so eisig war sein Blick, als ich einmal kurz nach oben blinzelte. Und mir war immer noch kalt, nur so nebenbei.
»Ähm ... also ... um ehrlich zu sein ...«, stotterte ich. Ich hab schon mal intelligentere Sachen von mir gegeben, denkt also nicht schlecht von mir.
»Du hast Elben an den Nordpol in den Dienst einer Kunstfigur von Coca-Cola geschrieben!«
Ich würde wirklich gerne behaupten, dass ich ihm fest in die Augen gesehen und gesagt hätte: »Ihr Elben seid auch nur eine Kunstfigur, euch kann ich hinschreiben, wo ich will!« Aber ich stand nur wortlos da und wunderte mich. Und ich hatte Angst. Sowas mit ins Leere fallen und plötzlich wo anders sein kennt man ja sonst nur aus schlechten Fanfictions. Dass mir sowas passiert ist ... Meine größte Sorge war vor allem, wieder von hier wegzukommen, bevor ich erfrieren würde. Wirklich, so auf Socken im Schnee und ohne Pullover wird es beim Weihnachtsmann verdammt schnell kalt. Also trat ich von einem Fuß auf den anderen, rieb meine Hände aneinander und sagte nichts. Wobei, irgendwann fiel mir eine passende Erwiderung ein.
»Woher kennt Ihr Coca-Cola?« Der Elb sah mich aus zu schmalen Schlitzen zusammengekniffenen Augen an. Mir kam der Gedanke, dass das nicht die Antwort war, die er sich erhofft hatte.
»Wer ... wer seid Ihr überhaupt?«, fragte ich, mittlerweile zähneklappernd.
»Gut, dass du fragst, fíriel! Vielleicht möchtest du auch noch wissen, wer die hundert anderen Elben sind, die du mit mir hierhergeschickt hast?« Hier waren noch andere Elben? Als ich den Blick von der hochgewachsenen, ehrfurchtgebietenden, eine ganz eigene Macht ausstrahlenden Gestalt abwenden konnte, sah ich hinter ihr dutzende andere Elben, die sich zwar höflich im Hintergrund hielten, mich aber recht unhöflich anstierten. Wobei, können Elben unhöflich sein?
»Ähm ...« Wieder so eine wahnsinnig qualifizierte Aussage. Ich weiß nicht, ob ihr schon mal versucht habt, mit einem Wesen, das tausende Jahre älter ist als ihr, weiser, intelligenter und in so ziemlich allem besser (außer vielleicht Latein), anständig zu sprechen. Ich habe es versucht und bin recht kläglich gescheitert. Mittlerweile hätte ich mich am liebsten einfach irgendwo vergraben, und das nur teilweise, weil mir gerade gefühlt die Zehen abfroren. Die Macht, die dieser Elb ausstrahlte, war wirklich gewaltig, und ich traute mich nicht so recht, wirklich mit ihm zu sprechen. Andererseits war rumdrucksen auch keine besonders höfliche Variante der Unterhaltung ... Ich riss mich also zusammen und sah ihm das erste Mal richtig ins Gesicht. Und, ganz ehrlich, obwohl der Elb eine grüne Zipfelmütze mit weißem Bommel aufhatte, musste ich nicht lachen. Nicht einmal ein Grinsen huschte über mein Gesicht. Ich hatte nämlich langsam die Befürchtung, dass ich -
»Glorfindel.«
Jetzt hatte er es gesagt und meine schlimmste Vermutung bestätigte sich. Ich hatte einen der mächtigsten Elben ganz Mittelerdes (vielleicht ganz Ardas) zum Weihnachtsmann geschrieben. »Und die anderen sind auch alle aus Bruchtal.« Na herrlich. Wobei, eigentlich hätte ich es mir denken können, denn jetzt, wo ich einen genaueren Blick hinter Glorfindel warf, sah ich zwei gleich aussehende Elben in roten Overalls, schwarzen Schnabelschuhen und roten Zipfelmützen, die sich eine Schneeballschlacht lieferten. »Elladan und Elrohir sehen gar nicht so unglücklich aus ...«, meinte ich, bevor mich Glorfindels Blick wieder zum Schrumpfen brachte.
»Ich meine ... ähm, das ... das tut mir wirklich schrecklich leid, nur ... ähm ... habe ich keine Ahnung, wie ich diesen Fehler ... nun ja, berichtigen kann.« Glorfindel drehte sich wortlos um und ging in Richtung des Schlittens, um den herum die anderen Elben standen und mich teils grimmig, teils belustigt musterten. Ich folgte ihm, weil mir nichts besseres einfiel. »Das ist sie«, meinte Glorfindel, und ich glaube, er hätte mich am liebsten wie einen Kartoffelsack vor die anderen Elben geworfen.
»Hör mal, du kannst doch nicht einfach etwas von Elben beim Weihnachtsmann schreiben!« Ein dunkelhaariger Elb trat vor, der einen goldenen, mit einem blauen Edelstein besetzten Ring am Finger trug.
»Herr Elrond.« Ich verbeugte mich unwillkürlich. Ein winziges Lächeln schien über sein Gesicht zu huschen. »Ich ... muss mich bei Euch allen entschuldigen, es lag nicht in meiner Absicht, Euch hierher zu schreiben!«
»Nun, es ist recht kühl hier, das ist wahr, doch andere Schreiberlinge haben uns schon deutlich Schlimmeres angetan.« Glorfindel räusperte sich hörbar und warf einem schwarzhaarigen Elb einen genervten Blick zu, den dieser erwiderte. Ich glaube, das war der »Nein-Erestor-und-ich-sind-kein-Paar«-Blick.
»Wie kann ich diesen Fehler denn jetzt begleichen?«, fragte ich und hoffte, dass einer dieser weisen Herren einen Rat wusste.
»Nun, entweder warten wir, bis uns ein anderer Mensch wieder zurück nach Mittelerde schreibt, dann bleibst du aber hier, oder du besserst deinen Fehler aus.« Das klang für mich in diesem Moment sehr logisch, bis ich bemerkte, dass ich meinen Laptop nicht mit zum Lichtanschalten genommen und ihn somit auch nicht bei mir hatte. Aber ich begann dafür, neben meinem Zähneklappern auch noch wie wild zu zittern.
»Ich habe leider meinen Lap-, äh, mein Schreibgerät nicht hier«, sagte ich mit Percussion-Untermalung meiner Zähne.
»Wir sind hier beim Weihnachtsmann, hier werden Wünsche war!«, rief da eine dunkle Stimme, und der Weihnachtsmann trat zu uns.
»Na endlich, der Herr des Hauses lässt sich auch blicken, wie schön!« Elrond schien etwas gereizt zu sein, doch der Weihnachtsmann lachte nur und überreichte mir ein Blatt Pergament. Darauf stand in feiner, geschwungener Schrift die ganze Geschichte, die ich zu Hause am Laptop geschrieben hatte, bis zu der Stelle, an der mir der Schreibfehler passiert war. Dazu gab er mir einen goldenen Füllfederhalter und so eine Art kleines Messer. Weil ich verdammt gebildet bin, wusste ich, was ich zu tun hatte. Aber trotzdem fiel es mir schwer, mich von diesem wunderbaren Erlebnis zu verabschieden. Zwar sehnte ich mich nach meinem warmen Zimmer, einer heißen Dusche und einem Kakao, aber es war doch wirklich fantastisch, diese mächtigen Elben so nah zu sehen, ihre Wirklichkeit zu erleben. Trotzdem setzte ich das Messer an das vermaledeite b und schabte es vom Pergament. Noch geschah nichts, und ich warf einen letzten Blick auf Elrond, Glorfindel, Elladan, Elrohir und die anderen, bevor ich mit vor Kälte klammen Fingern ein eckiges f an die Leerstelle setzte. Elrond lächelte mir ein letztes Mal zu, dann verblassten alle Elben, und ein Donner ertönte. Ich hörte das entfernte Klingeln von Weihnachtsglöckchen, dann wurde es schwarz um mich herum.
Als ich die Augen wieder aufschlug, war ich zurück in meinem Zimmer. Meine Socken waren eiskalt und vom Schnee durchweicht, aber das Licht ging wieder und auch die Geräusche waren zurückgekehrt. Ich warf einen Blick in mein Dokument. In normaler Linux stand dort Elfen. Ich lächelte. Dann durchfuhr mich ein regelrechter Kälteschauer. Schnell versetzte ich meinen Laptop in den Ruhezustand und sprang unter die warme Dusche.
Es ist doch wirklich erstaunlich, was man so alles anrichten kann mit einem einzigen Buchstaben. Und, was noch erstaunlicher ist, ist das, was diese armen Geschöpfe täglich, ja vielleicht sogar stündlich über sich ergehen lassen müssen. Da denkt man, als guter Elb hätte man in Valinor endlich Ruhe vor dem ganzen Quatsch der Welt, aber *zack* wird man in ein völlig anderes Setting geschrieben. Naja, ich dachte, ich erzähl das mal. War doch ne ganz nette Anekdote, oder?
***
Fíriel: Sterbliches Mädchen
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