'Fünf Türen' von TheBlindIo

Titel

Fünf Türen

Autor

TheBlindIo

Genre

Mystery

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G E S A M T E I N D R U C K

Es hat eine Weile gedauert, bis ich mich in der Geschichte zurechtgefunden habe und die Gestaltung hat mich immer mal wieder in der Hinsicht zurückgeworfen, aber rein vom Handlungsbogen selbst, hat mir die Geschichte ausnehmend gut gefallen. Gerde darum fand ich die Stolpersteine sehr schade. Sicherlich sind deine Bemühungen, eine mystische und rätselhafte Atmosphäre zu schaffen, nachvollziehbar, aber verständlich sollte es dennoch bleiben. Wenn du da aber nochmal drüberarbeitest, glaube ich, dass das eine ziemlich gute Geschichte wird. Interessant ist sie jetzt schon. Also, vom Thema her, nicht in dem Sinne, wie wenn man sagt "Es schmeckt ... interessant", sondern wirklich lobend gemeint.

L E S E E M P F E H L U N G

Zum jetzigen Zeitpunkt empfehle ich die Geschichte genügsamen Leseratten mit einem Fable für Mysteriöses und Übernatürliches, die was Kurzes für die ruhige Pause Zwischendurch suchen. Da sind Kurzgeschichten ja genau das Richtige, was keinesfalls heißen soll, dass das Werk thematisch platt oder eintönig wäre. Auch Leser, die gerne mitdenken und sich über das Ende eines Buches hinaus mit einer Geschichte befassen, sollten mal trotz dem ein oder anderem Schönheitsfehler einen Blick riskieren.

Alle übrigen, Romantiker oder beispielsweise Klischeeliebhaber, ... lesen davon hier überhaupt welche mit? Egal, ihr solltet einen Bogen drum machen. Genauso wie Leser, die auf spektakuläre Action aus sind. Pedanten wie ich sollten die Überarbeitung abwarten, um den Text in vollen Zügen oder Bahnen - oder auch auf dem gemütlichen Sofa - genießen zu können.

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C O V E R

Cover ist von ofifas gestaltet.

Wirkung

Düster und mysteriös, aber nicht einmal durch extreme Dunkelheit, sondern allein durch die Wahl der Motive. Der triste Himmel, die karge Landschaft im Licht der beginnenden Dämmerung und das in Kombination mit dem Raben, hinter dem ein Licht unbekannten Ursprungs erscheint, machen trotz Tür, die ohnehin verschlossen ist, keinen einladenden Eindruck im ursprünglichen Sinne. Trotzdem hat genau das mich neugierig gemacht. Ich mein ... da steht eine Tür mitten im Feld und oben drauf sitzt ein Rabe, der in vielen Geschichten und auch Filmen Übernatürliches und Ungeheures ankündigt. Auch im Jahr 2018 funktioniert er noch sehr gut als Bote des Unglücks. Eigentlich schade, sind ja ziemlich intelligente Tierchen. Das mystische, blaue Leuchten der Fünf im Titel unterstreicht das noch einmal wunderbar.

Was also erwarte ich bei diesem Cover: Ganz ehrlich, meine erste Assoziation war "Kein Happy End". Ich erwarte Spannung, eine bedrohliche Atmosphäre, irgendwas in Richtung Horror/Mystery. Keinesfalls ein verspieltes oder gar romantisches Werk und wenn, dann eher in Richtung einer düsteren Tragödie. Störend fand ich hier in der Tat gar nichts.

Handwerk

Von der Machart her gefällt mir der Buchdeckel auch sehr gut. Die verringerte Sättigung der Landschaft lässt das Licht hinter der Tür und den Schein, der sehr unscheinbar an der Seite herauskommt, schön kräftig herausstechen und lenkt den Fokus auch auf die farbigere Fünf, obwohl auch hier keine grellen, sondern sehr dezente Farben zum Einsatz kommen. Das allein finde ich bereits gut gelungen. Viele andere hätten grellere Farben gewählt, statt den Rest zu reduzieren.

Die Tür vor der Landschaft, in einen schmalen Rahmen eingebunden, der die Umgebung wie eine Theaterkullisse dastehen lässt, finde ich auch eine sehr gute Idee, die auch noch gut umgesetzt ist - auch, wenn man sehr genau hinsehen muss, um das zu erkennen. Dass der Rabe dennoch auf der oberen Kante sitzen kann, wäre normalerweise ja ein Grund, zu schreien "Das kann ja gar nicht sein!", aber hier steht eine Tür mitten im Feld und man kann davon ausgehen, dass es so vom Covermaker beabsichtigt ist und die Surrealität verdeutlichen soll, was, wie ich finde, auch gut klappt.

Alle Elemente sind entweder fantastisch eingearbeitet oder aber es ist ein bestehendes Bild, das 1:1 übernommen wurde. Die Bildqualität ist nicht ganz perfekt (es finden sich oben rechts im Himmel und auch im Wald einige Artefakte - griesige, verrauschte Flächen, die bei der Komprimierung vorwiegend auf ebenen Farbflächen entstehen), aber in diesem Fall fällt es erst in der Originalgröße auf.

Schriftarten haben wir auf dem Cover zwei. Eine für den Titel und die andere für die Zusatzinformationen. Dass Autor und die Anmerkung "Ein Wattpad-Buch" nicht in einer Flucht liegen, fand ich etwas schade. Es hat in ein eigentlich stimmiges Cover eine in meinen Augen unnötige Unruhe gebracht. Außerdem lässt sich die Anmerkung nicht so gut lesen wie die Autorennennung, die vor dem wesentlich dunkleren Hintergrund natürlich den höheren Kontrast hat. Inwiefern es wichtig ist, zu erwähnen, dass es sich um ein Wattpadbuch handelt, weiß ich nicht. Da man sich auf Wattpad befindet, finde ich das zumindest hier unnötig. Dass du jedenfalls für die Information die nüchternere serifenlose Schrift verwendet hast, passt in meinen Augen gut. Durch die Transparenz rückt der Schriftzug ohnehin nicht so stark in den Fokus wie der Titel und hebt sich so etwas ab. Gleichzeitig ist es dennoch keine 0815-Schrift. Die Proportionen ähneln der des Titel-Typos, du bleibst auch hier bei der Verwendung von Großbuchstaben und die klaren, graden Linien passen zur Schlichtheit des gesamten Covers.

Der Titel hingegen ist in einer etwas aufwändigeren Serifenschrift geschrieben. Du hast hier die beiden Teile des Titels, die Zahl fünf und das Wort Türen, übereinander gelegt. Lesen lassen sich beide Zeichenfolgen problemlos und es gibt genau zwei Möglichkeiten, in welche Reihenfolge man sie setzen kann. Da die Fünf die Türen überlagert, wird man zusätzlich noch in die richtige Richtung geschubst. Das kalte Glühen hebt die Zahl hervor und unterstützt die triste und kühle Atmosphäre.

Alles in allem ein ziemlich gutes Cover, wie ich finde. Nur eine Frage: Hast du deinem Covermaker nicht gesagt, dass du nicht TheBlindLO, sondern der vorletzte Buchstabe deines Accounts ein großes I ist oder ist es dir bei der Abnahme nicht aufgefallen? Das zieht das Cover ein wenig runter. Wer aufgrund dessen nach deinem Account sucht, wird dich nämlich nicht finden.

T I T E L

Wirkung

Kann ich etwas damit anfangen? Fünf Türen. Einerseits schürt er keine bösen Erwartungen hinsichtlich Badboys, Mates, Kitsch oder pubertierende Protagonisten, was gut ist, andererseits, weiß ich kaum, was ich sonst damit anstellen soll. Andererseits ist er irgendwie auch interessant, wenn man sich fünf Sekunden nimmt, um darüber nachzudenken. Türen führen irgendwo hin. Muss man sich für eine Tür entscheiden? Muss man durch alle Türen gehen? Kann man einfach so durch die Türen gehen und will man das überhaupt? Trennen mich vielleicht auch verschlossene Türen von etwas, oder hindert mich jemand daran, voranzukommen? Braucht es einen Schlüssel? Diese einfache Wortkombination generiert damit eine ganze Horde an Fragen, die man sich stellen kann. Von Möglichkeit bis Hürden gibt es eine ganze Latte an Deutungsmöglichkeiten, die den genauen Handlungslauf nicht vorgreifen, aber den Leser beschäftigen. Wichtig ist aber, dass der Fokus gleich bleibt und das sind unwiderruflich die Türen, deren Bedeutung man hinterfragt. Man bewegt sich damit in einem festen Rahmen. Wie ein Hund, der einen Knochen hingeworfen bekommen hat. Im Grunde genau das, was man will.

Dafür muss der Leser allerdings auf so mysteriösen Kram stehen. Auf der Suche nach Romantik würde niemand daran hängen bleiben und das ist ja auch ganz gut so. Da man viel spekulieren kann, was hinter den Türen liegt, könnte man auch Fantasy oder etwas in Richtung Science Fiction erwarten, aber ich finde ihn in erster Linie (passend) mysteriös und ausgefallen.

Kontext

Zum Cover passt der Titel ganz gut, auch, wenn wir nur eine von fünf Türen sehen können. Vielleicht die Erste? Oder die Letzte? Auf jeden Fall ist dieser Zusammenhang im wahrsten Sinne des Wortes auf den ersten Blick erkennbar, da die Tür mit eines der Elemente ist, das die meiste Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Im Klappentext wird zwar der Rabe des Covers aufgegriffen, aber nicht der Titel - was ich dennoch nicht schlimm finde, da man trotzdem aus dem Kontext erschließen kann, dass die angesprochene Künstlerin dem Raben durch die Türen folgt. Oder durch eine der Türen. Jedenfalls passiert genau das auch in der Geschichte und somit ist der Titel sehr schön im Kontext eingeflochten, wie ich finde.

Bezogen auf die Geschichte hat mich der Titel in der Tat ein wenig überrascht. Fünf Türen - Fünf Sinne; wenn man es weiß, ist es so offensichtlich! Ich liebe solche Titel, die plötzlich und unerwartet Sinn ergeben und auch vorher ihren Reiz haben. Seit ich dahintergestiegen bin, find ich den Titel total klasse.

K L A P P E N T E X T

Eine Künstlerin mit Geldsorgen folgt einem telepathischen Raben durch den Stoff der Realität. Kurzgeschichte.

Das wundervolle Cover wurde erstellt von @ofifas.

Handwerk

Der Klappentext ist megamäßig kurz. Wir haben einen Satz zur Geschichte, den Verweis (im Telegramstil), dass es sich um eine Kurzgeschichte handelt und den Hinweis auf den Covermaker.

Den Hinweis auf den Designers des Covers finde ich immer gut und richtig. Wenn sich jemand die Mühe gemacht hat, sollte man das entsprechend würdigen. Falls man ein Vorwort hat, wäre da auch eine gute Stelle, ihn namentlich zu erwähnen, aber falls man das aus diversen Gründen nicht geschrieben hat, darf auch mal der Klappentext herhalten. Gerade bei einer Kurzgeschichte, die ohnehin nur aus einem Kapitel besteht, find ich das völlig okay.

Der Hinweis, dass es sich um eine Kurzgeschichte handelt ist inzwischen gar nicht mehr so verkehrt. Seit Wattpad sein Zuordnungssystem geändert hat und nurnoch über die Tags indiziert, kann man sich nicht mehr anzeigen lassen, in welches Genre der Autor die Geschichte einst einsortiert hat. Auf der anderen Seite ist deine Geschichte abgeschlossen und verfügt über nur ein Kapitel, was zumindest zeigt, dass deine Geschichte mit hoher Wahrscheinlichkeit kurz sein wird (und womöglich auch andere Merkmale einer Kurzgeschichte aufweisen wird). Inwiefern man dem Wort wenigstens ein unbestimmtes Pronomen (Eine) zugesteht, könnte man hier überlegen. Diesen extremen Telegramstil hätte ich jetzt zum Beispiel bei Kriegsromanen oder einem Klappentext im Rapportstil passender gefunden. Aber kann man machen.

Trotz dass der eigentliche Klappentext zum Inhalt der Geschichte so extrem kurz ist, find ich die eine Hälfte gut gelungen und den Anfang ... Wir beginnen mal wieder mit der Protagonistin, bekommen noch an den Kopf geworfen, dass sie Geldsorgen hat und was sie im Laufe der Geschichte tun wird. Der zweite Teil ist weniger platt, mystischer und mehr vage formuliert; malerischer und klangvoller. Ja, Anfänge zu schreiben ist doof. Klappentexte schreiben ist doof. Anfänge von Klappentexten finden, ist, als begebe man sich auf eine Expedition, um das Bersteinzimmer zu finden. Aber geh da doch noch einmal bei, falls dieser Kontrast nicht gewollt ist.

Inhalt

Es ist aber nicht so, als könnte man sich nichts unter dem Text vorstellen. Wir wissen, die Protagonistin ist weiblich, steckt in finanziellen Schwierigkeiten und trifft auf einen Raben, der augenscheinlich telepathische Fähigkeiten besitzt. Oder sie denkt nur, dass sie das tut. Beides wäre möglich.

Mehr erfahren wir allerdings nicht und das finde ich so ganz gut. Man erfährt nicht, was es mit den Türen auf sich hat, aber wir wissen dennoch, dass sich die Figur auf eine Reise begeben wird. Wir erfahren also bloß etwas zur Anfangssituation, so dass genügend Geheimnisse und Unbekannte übrigbleiben, um den Leser zu überraschen. Offene Fragen haben wir auch noch, sogar noch einige mehr. Weshalb hat die Frau Geldsorgen? Gibt es in der Geschichte wirklich telepathische Raben? Wohin folgt sie ihm? Rein vom Inhalt her machen die Andeutungen mich neugierig und ich will wissen was dahinter - und hinter den fünf Türen - steckt.

Nur hast du im zweiten Teil die Realität als Stoff bezeichnet, in der Geschichte greifst du das Bild eines gedruckten Bildes auf. Es wäre gut, denselben Vergleich zu bemühen. Vielleicht Farbschichten der Realität? Es ist genauso rätselhaft für den Leser, klärt sich dann aber im Text auf. Nur so als Idee.

T A G S

Schon wieder so viele Kategorien. Dazu kommen wir später.

Die restlichen Tags jedenfalls finde ich treffend. Bei den Raben musste ich mich kurz selbst überzeugen, ob die Leseliste genutzt wird, aber scheinbar schon. Zumindest sind dort Bücher eingetragen. Wie viele Leute diese Liste nutzen, ist nicht einsehbar, daher kann ich das nur vermuten. Die anderen beiden sind Elemente deiner Geschichte und ich kann mir vorstellen, dass jemand danach suchen könnte.

Man könnte noch hinsichtlich deiner Protagonistin ergänzen, dass sich die Geschichte um eine #Krise dreht, die ja durch die Geldsorgen bereits angedeutet wird, auch wenn sie nicht der Hauptfokus ist, spielt sie ja doch eine Rolle. #Versuchung wäre noch ein Tag, den man dazunehmen könnte.

Orga-Tags: rezensionfrei
Genre-Tags:
fantasy, kurzgeschichte, sci-fi, sciencefiction
Gute Tags:
rabe, raben, realität, verwandlung
Vorgeschlagene Tags:
Krise, Versuchung

S T O R Y A U F B A U

Einleitung

Die Einführung in die Geschichte ist recht abrupt. Was man erfährt: Unsere Hauptperson heißt Alice und befindet sich in ihrem Atelier. Zu Beginn der Geschichte kommt sie dort an und schließt die Tür hinter sich und im nächsten Satz treffen wir bereits auf den Raben, der dort sitzt und sie gelassen beobachtet. Das unbestimmte Pronomen (ein Rabe) lässt vermuten, dass es ein ihr (und dem Leser) unbekannter Rabe ist und das offene Fenster läd zur Vermutung ein, es handelt sich um ein zugeflogenes, neugieriges Wildtier. Die Eigenartigkeit des Tiers hebst du aber ebenfalls hervor, denn die Bewegungen des Vogels sind nicht ruckartig, sondern ... sein Blick ist ruhig und kalkulierend.

Von der Einstiegssituation finde ich das gut. Man weiß sofort Wer und man weiß Wo, was mehr als bei vielen anderen Kurzgeschichten ist. Es ist typisch für Kurzgeschichten, sich sofort im Geschehen wiederzufinden und keine lange Einleitung zu haben und wir erfahren wenig über die handelnden Personen. Wäre es der Einstieg in einen Roman, hätte ich wohl angemerkt, dass man mehr auf Alice hätte eingehen können. Zum Beispiel, von wo sie kommt; ob sie womöglich zu spät dran ist; was sie sich vorgenommen hat; wohin sie ihren Blick als erstes wendet. Ich hätte auch vorgeschlagen, ein paar mehr Eindrücke des Ateliers zu geben. Lichtverhältnisse; ist es chaotisch oder ordentlich? Steht irgendwo ein begonnenes Bild? Bei Kurzgeschichten ist sowas allerings optional und drückt sich meist durch Metaphern oder Vergleiche, sprachliche Bilder aus. Als Leser muss man sich das dann selbst erschließen. Sprachliche Bilder finden sich im Einstieg nicht.
Auf der anderen Seite gehst du später näher auf das Atilier ein, das in einer alten Lagerhalle eingerichtet ist. Würdest du das gleich zu Beginn klarstellen, wäre deinem Text leichter zu folgen, da man nicht plötzlich zu einem benannten Raum nähere, sehr offensichtliche, Informationen bekommt. Im Zweifel macht sich der Leser nämlich bei der ersten Erwähnung ein Bild anhand der gegebenen Informationen (hier: kaum welche), dem die nachgereichten Details dann widersprechen. Das kann zu Verwirrung beim Lesen führen. Du kannst den Leser nicht in einem unbestimmten Raum stehen lassen und ihm fünf Absätze später sagen: Übrigens, das hier ist eine Lagerhalle.

Statt malerischer Ausschweifungen besteht der Text aus sehr nüchternen Formulierungen, welche die Handlung Punkt für Punkt abhaken. Wir erleben, was passiert. Mehr nicht. Zwar für die Textart in Ordnung, trotzdem etwas sehr karg. Positiv ist, dass es keine Infodumps gibt, dass man unmittelbar im Geschehen hängt, wenn auch in reichlich Distanz zu den uns unbekannten Charakteren. Der Inhalt erschließt sich, ist aber recht schmucklos. Insofern passt dein Telegramklappentext ganz gut.

Nicht ganz einverstanden bin ich auch mit der Beschreibung der Bewegungen des Raben, anhand dieser Alice ihn für besonders identifiziert. Erst beschreibst du die Bewegungen, die Alice erwartet hätte und dann vergleichst du sie nicht damit, wie er sich wirklich bewegt, sondern mit seinem Blick. Das ist im wahrsten Sinne ein Vergleich von Äpfeln und Birnen und sollte von dir noch einmal überarbeitet werden.

Das ist recht viel, was mir auf den ersten paar Metern - einem kurzen Absatz - in die Quere kam und hat mir den Einstieg nicht einfach gemacht. Unter normalen Umständen hätte ich mich womöglich wieder umgedreht - auch wenn die Handlung interessant klang. Hat auch noch eine Weile gedauert, bis ich wirklich drin war.

Handlung

Wir haben einen Roten Faden, dem die Geschichte folgt. Alice trifft auf den telepathischen Raben, der sie zu einer Tür führt, die nur sie und einige wenige andere Menschen mit einem Blick für Details sehen können. Diese besonderen Türen führen in Paralleluniversen, in denen jedoch Aspekte, in diesem Fall Sinneseindrücke, fehlen. Sie erlebt den Gang zur Tür immer und immer wieder. Erst ohne Geschmackssinn, ohne Geruchssinn, im nächsten Anlauf wird ihr das Augenlicht genommen. Immer wieder muss sich sich den Weg vom Atelier zur Tür suchen, immer hilfloser und dem Raben ausgeliefert, der sie immer tiefer in dieses fremde Universum führt, bis er ihr am Ende eröffnet, dass sie im letzten Universum angelangt zwei Wünsche frei hat. Der Erste muss uneigennützig sein, der zweite unterliegt kaum irgendwelchen Restriktionen. Wünscht man sich mehr, kommt es zu Unfällen - und durch einen genau solchen Unfall wurde er zum Raben. Sie erfüllt ihm seinen Wunsch, uneigennützigerweise, und entledigt sich danach mit dem Wunsch nach einer Millionen einer unbekannten, nicht näher spezifizierten Währung, ihrer Geldsorgen. Im Nachhinein kommt ihr die Summe im Schatten der Möglichkeiten, die ihr zur Verfügung gestanden hätten, sehr gering vor und sie geräht in die Versuchung, sich ein weiteres Mal etwas zu wünschen. Was infolge dessen geschieht, bleibt offen.

Ich finde zunächst einmal die Idee großartig und fand die Handlung an sich sehr spannend und habe sie gerne verfolgt. Es wirkt wie eine sehr mystische, ein wenig gruselige Variante des Kinderlides "Auf der Mauer, auf der Lauer". Zwar erlebt Alice immer wieder dasselbe, wie man es aus Filmen wie "Lola rennt" kennt, aber auch jedes Mal ein wenig anders, dadurch, dass sie mit immer weniger Sinneseindrücken die im Grunde sehr einfache Aufgabe bewältigen muss. Ohne Geschmack- oder Geruchssinn mag es das auch noch sein, aber ohne etwas zu sehen, eine befahrene Straße zu überqueren, ist eine Herausforderung, nur davon getoppt, auch jeder akustischen Wahrnehmung beraubt zu sein.

Hier hatte ich vorwiegend nur an zwei Punkten meine Schwierigkeiten - und es sind auch nur kleine Anmerkungen. Zunächst einmal schreibst du "Alice schloss die Tür ihres Ateliers ab [...]", aber kurze Zeit später heißt es "[...] in dessen halboffenem Nebeneingang sie stand." Hat sie die Tür nun abgeschlossen oder hatte sie es bloß vor und von ihrem Vorhaben abgelassen? Da zuvor von einem Atelier die Rede ist, dessen Tür abgeschlossen ist, und sie später in einer Lagerhalle steht, die eine halboffene Tür hat, war ich mir nicht sicher, ob sich Alice noch immer am selben Ort befindet. War eine recht ungünstige Unklarheit im Text.

Dann zu den Rabenkrallen: Du beschreibst, dass die Krallen des Tiers durch den "dicken Stoff" ihrer Jacke reichen. Zumindest die Vögel, die ich bisher kennengelernt habe, haben es hinbekommen, wenn sie irgendwo still aufsitzen konnten, ihre Krallen so zu managen, dass sie damit niemandem wehgetan haben. Anders, wenn sie drohten, irgendwo abzustürzen, dann krallen die sich in der Tat panisch fest. Oder wenn sie irgendwo abschüssig sitzen, damit sie nicht herunterfallen. Auf der Schulter allerdings sortieren bereits normale Vögel sich ganz gekonnt. Ein Vogel mit menschlicher Intelligenz sollte das also auch hinbekommen, zumal, wenn Alice von einer dicken Jacke geschützt wird.

Davon abgesehen spannend gedacht und der Handlungsstrang ist nicht völlig alltäglich und nachvollziehbar. Hat mir gut gefallen.

Dramaturgie und Gestaltung

Verschiedene Szenen haben wir nicht, sondern wir erleben das gesamte Geschehen in (fast) chronologischer Reihenfolge von Anfang bis Ende. So, wie es für viele Kurzgeschichten üblich ist. Mit dem offenen Ende, dem eine überraschende Wendung vorangeht, erfüllst du auch gleich noch zwei weitere Merkmale. Trotz personalem Erzähler haben wir zudem keine wertenden Formulierungen, sondern können uns selbst ein Urteil bilden. Alles Punkte, die mir positiv beim Lesen aufgefallen sind.

Trotzdem: Ich fand es anfangs schwierig, mich in der Geschichte zu orientieren. Viele Dinge hingen in der Luft und es fehlte der Kontext. Und dabei meine ich nicht die Realitäten des Tunnels, sondern bereits vorher.

Das begann mit einer kurzzeitigen Verwirrung ob der Kennzeichnung der gedanklichen Rede des Raben. Es existiert nämlich keine. Das Einzige, was den Erzähler von den Gedanken des Raben, die auch Alice in ihrem Kopf hören kann, unterscheidet, ist die Erzählperspektive und die Zeit. Während der Rabe natürlich von sich selbst in der 1. Person (Präsens) spricht, wird der Rest der 3. Person (Präteritum) dargelegt. Beim ersten Vorkommen aber stolpert man da sehr blöd rein, wenn da steht: "Es knisterte in ihrem Kopf. Ich brauche deine Hilfe." Einerseits ist es sogar irgendwie perfekt, weil man zunächst einen Augenblick braucht, bis man begreift, dass das etwas ist, das jemand gesagt hat, so, wie wahrscheinlich auch Alice eine Schrecksekunde benötigte, um zu verstehen, dass sie in ihrem Kopf eine fremde Stimme gehört hat. Im weiteren Verlauf ist diese mangelnde Trennung aber mehr störend als unterstützend. Eine kursive Formatierung würde bereits reichen. Im Zweifel kann man auch einfache - also keine doppelten - Anführungsstriche setzen, die sich immer mehr für Gedanken durchgesetzt haben. Im eigentlichen Sinne sind sie dafür gedacht, wörtliche Rede innerhalb einer anderen wörtlichen Rede zu kennzeichnen, wenn diese direkt wiedergegeben wird.

Der zweite, große Grund, weshalb ich in der ersten Hälfte Probleme hatte, zu folgen, war dass deine Figuren auf Dinge angespielt haben, die du vorher mit keiner Silbe erwähnt hast. Damit meine ich keine überraschenden Wendungen, die clever vorbereitet wurden, sondern Sätze wie: "Falls das hier wirklich Zigaretten sind und nicht etwas ganz anderes, ja." Aber ich weiß nicht, was Alice mit "das hier" meint. Hat sie wirklich eine Zigarette in der Hand? Deutet sie auf einen Stummel auf dem Boden? Zieht sie eine Schachtel aus ihrer Hosentasche? Vorher ist nie die Rede von Zigaretten gewesen. Wenn im Anschluss sofort gestanden hätte "Sie ließ den Raben nicht aus den Augen, als sie die Kippe hinter ihrem Ohr hervorzog" oder was auch immer, wär alles gut gewesen. Aber erst Absätze später bekomme ich die Randinformation, dass sie ihre Zigarette austritt. Sie hat also während des Gesprächs geraucht. Etwas, das sich aus dem Text vorher nicht lesen ließ.

Zwischenzeitlich war ich mir auch nicht mehr sicher, wo genau sich Alice nun befindet. Ja, natürlich, in einer Kurzgeschichte darf der Handlungsort unbenannt bleiben, das ist richtig. Aber wenn beschrieben wird, dass die Protagonisten die Straße zwischen zwei Gebäuden überqueren und es danach ohne nähere Bestimmung heißt: "Und jetzt hier durch?" kann das alles heißen. Zwischen zwei parkenden Autos durch, durch einen Menschenstrom, durch eine schmale Seitengasse. Dass sie direkt hinter der Straße dann sofort vor der Tür stehen, könnte man erwähnen. Würde die Mystik auch nicht zerstören, versprochen. Man braucht zumindest die Basisinformationen, um den Gesprächen und Handlungen folgen zu können. Sonst kommt man sich schon vor dem dritten Paraleluniversum selbst sehr blind und gehörlos vor.

Ebenso hier: "Merkst du irgendwas?" - "Außer das, meinst du?" Was meint Alice mit "das"? Ich konnte mir keinen Reim darauf machen. Ich steck ja nicht in Alice drin. Meint sie, dass sie plötzlich hinter der Tür, wieder in der Lagerhalle steht? Ist da noch irgendwas anderes, was da nicht ist? Selbst, wenn ihr nichts anderes als "das" einfällt, könnte sie auf ihre Umgebung deuten oder sich verwirrt umschauen. Kurzgeschichten sind sehr knapp gefasst, aber ein Minimum an Beschreibungen, um die Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten, ist dennoch notwendig.

Noch gravierender dagegen war ein anderer Umstand. Wir erleben, wie Alice den Raben das erste Mal trifft und die beiden führen ein Gespräch. In Folge dieses Gesprächs bittet der Rabe sie, zu beschreiben, was sie auf der anderen Straßenseite sieht. Alice versucht sich daran - und erklärt uns nebenbei, dass sie vorher für ihn bereits Gesichter von Personen ansehen und wiedergeben sollte. In diesem Gespräch, das wir glauben, vollständig mitzuerleben, wird im Nachhinein also in einer Rückblende etwas eingefügt. Wo soll denn das passiert sein? Es ist nirgendwo im Dialog ein Zeitsprung oder eine Zusammenfassung der Ereignisse zu erkennen. Zeitschleifen-Geschichte hin oder her, aber das reißt das Universum bereits vorher sehr aus den Angeln. Streich diese Passage, falls es unnötig ist (wie ich meine), oder füge sie in den chronologischen Verlauf des Gesprächs ein. Oder mache die Stelle deutlich, in dem Alice und der Rabe sich unterhalten, aber der Leser außen vor ist. Beispielsweise "Je mehr der Rabe von sich gab, desto weniger konnte Alice ihm folgen. Immer mehr Worte prasselten auf sie ein ..." oder so. Dann weiß man auch, wo dieser Rückblick letztlich hingehört.

Weiter zur Gestaltung der Paralleluniversen. Vor allem ab dem dritten, in dem Alice' Sehsinn abhanden kommt, malst du eine ziemlich beklemmende Vorstellung für jeden sehenden und hörenden Menschen, der das mal beispielsweise in einer Simulation erlebt hat. Zumindest Blindheit kann man selbst ganz gut "ausprobieren". Bitte nur, wenn ihr nicht allein zuhause seid und sagt vorher jemandem (erwachsenen) Bescheid. Es reicht schon, sich die Augen zu verbinden und mal zu versuchen, von einer Seite des Zimmers in die andere zu finden. Kentn man vielleicht vom Topfschlagen oder dem Spiel "Blinde Kuh". Achtung bei anwensenden kleinen Geschwistern: Es ist eine grandiose Gelegenheit, in dem Moment Legosteine auf den Teppich zu werfen. Und probiert sowas nicht im Treppenhaus aus. Und nicht in der Nähe von Lavaseen oder Schlangengruben. Man weiß ja nie ... Warum führe ich das aus? Hinter jeder Tür liegt dasselbe Szenario. Alice muss die Straße überqueren und erneut durch die Tür gehen. Die Formulierungen übernimmst du komplett, streichst aber jene Dinge heraus, die Alice nicht mehr wahrnehmen kann, so dass es dennoch andere Texte sind. Was du aber nicht so schön hervorhebst, wie du es könntest, obwohl der Einstieg in diese Sequenz mit Alice' Realisieren ihrer Blindheit gut angefangen hat: Es kommen neue Eindrücke und Hindernisse hinzu. An dem blinden Universum kann man das schön zeigen, weil Alice zuvor den Bordstein beispielsweise instintiv überwunden haben wird. Eine ganz banale Kleinigkeit für jeden gesunden Menschen, aber wenn man ihn nicht sehen kann und nicht vorgewarnt wird, eine spürbare und überraschende Hürde. Dann parken vor der Tür zwei Autos, die sie zuvor beschrieben hat, zwischen denen sie noch hindurch müsste. Auf Autos liegt meist eine dünne Staubschicht, die man nicht unbedingt sieht, aber man spürt sie, wenn man den Lack anfasst und sie bleibt an den Händen haften, ganz dumpf und trocken. Überhaupt ist in keiner Sequenz beschrieben, wie Alice die Straße überquert, nur, dass Autos an ihr vorbeifahren, obwohl das Haus, vor dem die mysteriöse Tür ist, doch auf der anderen Straßenseite liegt. In den späteren Sequenzen fehlt auch das Verlassen des Atielies, obwohl es schwer für sie sein müsste, den Ausgang zu finden. Es ist sicher nicht einfach, das durch die einzelnen Fetzen deutlich zu machen, aber das solltest du versuchen, um es für den Leser noch greifbarer zu gestalten.

Was ich dagegen ausnehmend gut fand, war, dass du dich keinerzeit in Vorträgen ergangen hast. Die ganze Handlung haben wir gemeinsam mit Alice erlebt und da du auch auf Gedanken zu Vergangenheit und Zukunft bis ganz zum Schluss verzichtet und sie höchstens mal im Dialog mit dem Raben zum Ausdruck gebracht hast, ist man beim Leben auch die ganze Zeit im Hier und Jetzt (von dem kleinen Patzer mal abgesehen).

Es beginnt verhältnismäßig ruhig, dadurch, dass die Protagonistin ihr eigenes Terrain betritt, aber verfängt sich dann ja doch schnell in der Handlung, indem wir auf den Raben treffen, was Neugier und auch in gewisser Weise Befürchtungen schürt, da du sofort deutlich machst, dass es kein gewöhnlicher Rabe ist. Dass Alice plötzlich Stimmen in ihrem Kopf hört, erhöht sich der Gruselfaktor damit. Sprechende Tiere, die einem Reichtum und Macht versprechen wecken bei mir persönlich ja immer Misstrauen, so dass ich der Meinung war, es sei keine gute Idee, ihm zu folgen. Die Erlebnisse, auch das Konzept der Universen, haben mich dann aber doch so gefesselt, dass ich mein Misstrauen beinahe begraben hätte, aber der Triumph am Ende, dass der Rabe eigene Motive hat, blieb nicht aus. Genauso die Erleichterung, dass es einen Weg zurück gibt und Alice die Lösung für ihr Geldproblem wirklich gefunden hat und keiner leeren Versprechung anheim gefallen ist. Am offenen Ende fand ich toll, dass du vorher, nachdem eigentlich alles gelaufen war, noch einmal ausholst und Alice, als sie allein ist, mehr und mehr in Versuchung gerät. Das hebt die Spannung zum Ende noch einmal - und du lässt den Leser ja auch eiskalt damit allein. Konsequent! Traut sich auch nicht jeder. Viele Autoren würden da weitererzählen wollen, statt die Geschehnisse der Fantasie des Lesers zu überlassen.

Dennoch, wenn du da an der Gestaltung noch feilst, kannst du da noch mehr rausholen. Vor allem erleichterst du es dadurch dem Leser, überhaupt mit der Geschichte warmzuwerden und sich zurechtzufinden.

Metaebene

Auch, wenn Emotionen und Reaktionen der Hauptperson noch eine Spur besser hätte ausgebaut werden können (kommen wir bei Figuren noch zu), fand ich die Botschaft, die Gefahr unserer eigenen Versuchung zu erliegen, die sich in der Geschichte verbirgt, unglaublich klasse verpackt. Anfangs noch nicht so, denn die Neugier der Menschen hättest du noch kraftvoller darstellen können, hättest du ihr die Zweifel gegenübergestellt und den Konflikt herausgearbeitet. Im weiteren Verlauf aber, vor allem am Ende der Geschichte ist dir die Skizzierung der Versuchung in Form des Raben wunderbar gelungen, der seine Gestalt seiner eigenen Gier zu verdanken hat. Wider besseren Wissens hat er sich weiterhin der Macht der Wünsche bemächtigt, in der Hoffnung, es ginge gut und wäre zu seinem Vorteil - solange, bis er die Konsequenzen zu spüren bekam. Und noch besser fand ich es, wie Alice von denselben Gedanken anheim gesucht wurde, obwohl sie die Geschichte des Raben kannte. Wie Rache, ist auch Gier ein oft aufgegriffenes Motiv - jedoch meist von Antihelden. Die wenigsten Helden in Geschichten weisen diese Eigenschaft auf. Deine Geschichte schließt mit diesem Gedanken ab und das grenzt sie in meinen Augen auf dieser Plattform von vielen anderen Geschichten ab, worauf ich aber besser bei den Figuren näher drauf eingehe. Es zeigt aber, dass jeder Mensch seine Schwächen hat und nicht jeder Versuchung wiederstehen kann und wie schnell unser Wertekompass im Angesicht völlig neuer Möglichkeiten schon einmal ins Trudeln geraten kann - dass aber jede unserer Handlungen auch Konsequenzen mit sich bringt, die uns aber nicht immer vor unserer eigenen Kurzsichtigkeit bewahren.

Ebenso interessant fand ich deine Darstellung deiner Protagonistin in den Paralleluniversen, in denen sie mit immer weniger Sinneseindrücken auskommen und sich orientieren musste. Wie sehr wir, sofern wir über alle fünf Sinne verfügen, uns darauf verlassen und wie mehr oder weniger verloren wir sind, wenn sie wegfallen. Natürlich ist auch der Verlust des Geschmacksinns kein ... (Syd, nein, schreib nicht Zuckerschlecken. Nein, Aus, Lass das!) Vergnügen, selbst wenn man vorher kein Gourmet war, aber bei der Überquerung einer Straße sind vorwiegend Seh- und Hörsinn elementare Eindrücke, auf der unsere Entscheidungen - Loslaufen, Stehenbleiben, Warten - fußen. Wie oben schon einmal angerissen, hätte man auch das noch eine Spur deutlicher herausstellen können, aber die Idee dahinter gefällt mir bereits jetzt sehr gut und ich bin mir sicher, dass der ein oder andere Leser dadurch zum Nachdenken angeregt wird.

Die Dialoge halte ich eigentlich für sehr gelungen, würden sie nicht manchmal auf Dinge und Umgebungen verweisen, die dem Leser verborgen bleiben. Blendet man diesen ungünstigen Umstand aus, lässt sich den Gesprächen sehr gut folgen und ich halte die einzelnen Beiträge auch für authentisch. Alice legt mehr Umgangssprache an den Tag als der Rabe, so dass sich auch inhaltlich unterscheiden lässt, wer nun was gesagt hat. So einen Idiolekt finde ich immer ganz praktisch, weil er den Figuren auch Individualität verleiht.

Genre

Zunächst die von dir gewählten Kategorien aus den Tags: Wir haben #Fantasy angegeben, #Kurzgeschichte und #sci-fi/#sciencefiction. In den meisten Fällen, die ich kenne, schließen sich Fantasy und SciFi gegeneinander aus. Wo Fantasy Magie oder eine mystische Macht als Ausrede für alles bemüht, drückt sich der SciFi-Autor mit Pseudowissenschaft um die Realität. Ganz selten aber gibt es Geschichten, die das gut miteinander in Einklang bringen. Das Lustige dabei ist, dass ich gestern, als ich mich aus gegebenem Anlass noch einmal mit Genrekonventionen und -definitionen auseinandergesetzt habe, beim Piper-Verlag auf die Spielart "Science Fantasy" gestoßen bin, die ich so auch noch nicht gehört hatte. Es hat halt alles seine positiven Seiten ... Jedenfalls könnte man das in diesem Fall hier mitetablieren.

Kurz erklärt: Science Fantasy verbindet Elemente der modernen Welt und Wissenschaft mit klassischen Fantasyelementen wie Magie oder Fabelwesen. Im Gegensatz zu urbanen Fantasy, in der ja ebenfalls die gegenwärtige/uns bekannte Welt mit Monstern und Magie kombiniert werden und diese Elemente auch im Mittelpunkt stehen, wird hierbei allerdings das eher weltliche Abenteuer mit technischem Fokus lediglich fantastisch angehaucht. Als Beispiel gibt Piper "John Cater vom Mars" an. Der Links zur Übersichtsseite der verschiedenen Fantasy-Spielarten von Piper hängt der Bewertung am unteren Ende an.

Für Geschichten, aus deren Inhalt nicht deutlich wird, ob es sich nun um Magie oder Wissenschaft oder beides handelt, gibt es eine andere Kategorie, die ich dir hier ans Herz legen wollen würde: Übernatürliches. Modernes Setting (Autos, Lagerhallen, Kaugummi), Ereignisse die über das Gewöhnliche hinausgehen (Paralleluniversen, Türen die nur besondere Menschen sehen können, verwandelte Menschen in Tiergestalt), menschlicher Protagonist in einer paranormalen Realität (Alice), die mit übernatürlichen Individuen in Berührung kommen (Rabe). Was will man mehr? Das sind alle Punkte aus der "Content Definition" der Wattpad "Content Categories". Das passt in meinen Augen am Besten - abgesehen davon, dass es natürlich und unbestreitbar eine Kurzgeschichte ist.

W O R L D B U I L D I N G

Welt

Die Geschichte beginnt in unserer modernen Welt. Übrigens wusstet ihr schon: wenn ihr beim Wort Modernen das R um nur zwei Stellen nach links verschiebt, wird daraus Mordende Welt. Egal, jedenfalls spielt der historische Hintergrund keine große Rolle. Wir haben einen kleinen Bruchteil der Vergangenheit der Protagonistin und der des Raben und darauf beläuft sich unser ganzes Wissen, was für eine Kurzgeschichte gut und richtig ist. Sie fokussiert sich auf das Wichtige. Ergänzt wird diese reale Welt durch die Türen, die nur besondere Menschen sehen können, die besonders auf Details achten. Künstler zum Beispiel. Unter ihnen sucht jedenfalls der Rabe nach jemanden, der ihn durch eine solche Tür führen kann. Als Vogel scheitert er leider bereits am Knauf, so clever die Tierchen auch sind. Neben Künstlern kann ich mir aber noch andere Menschen und Berufsgruppen vorstellen, die sich dafür eignen. Optiker beispielsweise. Oder Feingerätemechaniker. Auch Programmierer. Wer schon einmal einen Quelltext auf fehlende Semikola ohne Suchfunktion und RegEx geprüft hat, hat hoffentlich daraus gelernt und weiß, wovon ich rede. Dass sich aber der Rabe speziell auf Künstler eingeschossen hat, ist dennoch verständlich und die Idee, dass man bloß genau hinzusehen braucht, um "hinter die Realität" zu blicken und Trugbilder zu durchschauen, ist nicht vollkommen neu, aber sie gefällt mir immer wieder sehr und verbildlicht auch noch einmal die Oberflächlichkeit, mit der viele (mich eingeschlossen) durch die Welt gehen. Das Auspüren der Tür beschreibst du in meinen Augen auch sehr bildhaft und gut.

Ähnlich begeistert bin ich von der Idee der sich kommulierenden Paralleluniversen, die zusammen die Realität ergeben und die man durch diese Türen einzeln beschreiten kann, bis hinunter auf die unterste Ebene, die nahezu frei von allen Vorgaben und Regeln ist. Dass eben jene wenige Regeln dagegen so strikt und klar umfasst sind, finde ich schade. Zum Beispiel ist es verboten, dass man mit seinem eigenen Wunsch mehr als zehn Menschen gleichzeitig tötet. Das klingt sehr nach menschgemachten Regeln. Dass der erste Wunsch uneigennützig sein muss, klingt dagegen schon eher spirituell. Nur woher weiß man das? Klar, Alice weiß das vom Raben, aber woher weiß der Rabe es? Sagt einem das jemand? Ist es so überliefert? Weiß man das durch die Leute, die das vorher versucht haben und es ist nur eine Vermutung? In der jetzigen Fassung klingt es arg nach Gebrauchsanweisung. Und in meiner Welt haben Paralelluniversen keinen Waschzettel ;-)

Trotzdem fügt sich für mich alles zu einem relativ runden Ganzen.

Figuren

Es ist bei Kurzgeschichten ziemlich schwierig, da viel zu Person zu sagen, da traditionell nicht viel zur Person preisgegeben wird. Wir haben kein großes Umfeld, wir haben keine ausführliche Vergangenheit und keine großen Ziele der Zukunft. Alles, was wir über Alice wissen, beschränkt sich auf die Geldsorgen, die sie hat, und ihren Beruf: Künstlerin. Informationen, die wir aktuell bereits aus dem Klappentext kennen. Hinsichtlich der Authentizität ... fehlte mir etwas Konflikt. Ich hab es zuvor bereits angesprochen: Die Neugier und die Zweifel, als Alice auf den telepathischen Raben trifft, die wurden mir zu schnell abgehandelt. Ich hatte dazu tausend Fragen im Kopf. Wohin führt das alles? Wo will der Rabe mit ihr hin? Wo endet dieser Weg? Und warum fragt Alice sich das alles nicht? Sie nimmt den sprechenden Raben und seinen Plan erstaunlich schnell an - selbst für einen kreativen und fantasievollen Menschen. Der Rabe zeigt ihr die Tür, sagt, dass dahinter alles liegen kann, was sie begehrt, und sie ... geht mit ihm hin. Und ich weiß nicht, ob ich sie dafür für naiv und gutgläubig oder für sehr verzweifelt halten soll. Falls das gewollt ist, will ich nichts gesagt haben, aber ich fände so ein bisschen Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass ein Rabe gerade seine Gedanken in ihren Kopf projeziert und ihr das Blaue vom Himmel verspricht, irgendwie nett. Sie hat ja trotzdem ihre menschlichen Schwächen, wie man vor allem am Ende sehr eindrücklich gezeigt bekommt, aber da hätte man noch etwas menschlicher werden können.

Mit dem darauffolgendem Umgang der beiden miteinander hab ich kaum etwas auszusetzen. Die beiden reagieren aufeinander - auch wenn ich an Alice Stelle wütend gewesen wäre, wenn ich durch die dritte Tür gegangen wäre, nachdem man mir versprochen hätte, dass nichts schlimmes geschieht, und ich wäre blind. Auch das nimmt Alice wesentlich gelassener hin. Bei der vorletzten Episode dagegen merkt man, dass es an ihren Nerven nagt, was ich wiederum sehr gut fand.

In den Raben kann ich nicht hineinsehen. Er kommt sehr selbstbewusst rüber und scheint das nicht zum ersten Mal zu versuchen, so routiniert wie er daherkommt. Ich traue es ihm sowohl zu, bisher das Pech gehabt zu haben, immer an die falschen Leute gekommen zu sein und deshalb noch nicht zurückverwandelt worden ist, aber auch, dass er der Versuchung bisher nicht nur einmal Anheim gefallen ist und sich schon mehrmals selbst verwunschen hat. Er war mir am Anfang sehr unheimlich - weil mir das erstmal alle Figuren sind, die mir den Mond und die Sterne zum Sonderpreis verkaufen wollen (egal ob echter Hase oder Erfüllung meiner Träume), was zwischenzeitlich etwas abflaute und von der Faszination über die Welten überlagert wurde, letztlich dann aber nochmal aufflammte, als sie im letzten Universum waren und er Alice von seiner Misere erzählt, die ja dann alles auflöst. Er war für mich ein sehr undurchschaubarer, aber genau deshalb interessanter Charakter. Weder unauthentisch noch unlogisch sprunghaft vor, aber dennoch nicht ganz greifbar. In diesem Fall: Eine sehr gelungene Figur.

Dadurch, dass sie sich nicht groß überwinden muss, dem Raben zu folgen, fehlt auch ein Stück Entwicklung. Klar, sie lernt die Universen kennen und sich darin zu bewegen, aber sie überwindet keine Unsicherheit, sie gibt nicht ihrer Verzweiflung über die vielen Rechnungen nach. Lediglich am Ende lässt sie sich von ihren Träumen jenseits der Bewältigung ihrer Probleme verführen, aber darüberhinaus verändert sie sich nicht. Ist das schlimm? Nein. Weil: Kurzgeschichte. Wir haben eine einzige, kurze, isolierte Handlung. ABER sie bietet die Möglichkeit der Entwicklung. Es wäre etwas schade, wenn du die nicht nutztes.

S C H R E I B S T I L

Ausdruck

Ich könnte jetzt anfangen zu meckern, dass du teilweise dieselben Phrasen wiederverwendest, aber bei dir wäre das ziemlich unangebracht, da du die wiederkehrenden Szenen als Stilmittel benutzt und dich, sofern durch die veränderten Umständlich möglich, derselben Phrasen bedienst. Ein schönes Beispiel, wie man Wortwiederholungen gut einsetzen kann. Allerdings gibt es nicht sehr viele Geschichten, in denen Figuren Erlebnisse fast exakt auf dieselbe Art und Weise mehrmals durchleben.

Auch du schreibst viele kurze, knappe Sätze, aber variierst dennoch in der Satzstellung und -länge, so dass ich es recht angenehm fand. Vorwiegend verknappt der Rabe mal seine Äußerungen, sonst ist es in erträglichem Maße und an den Stellen, an denen es in meinen Augen auch Sinn macht.

Nur ganz am Anfang hast du noch den Hang, die handelnde Person (oder wörtliche Rede) an den Anfang der Absätze zu stellen und so wenig Variation drinzuhaben. Später verläuft sich das dann etwas, aber achte zukünftig darauf, dass du statt "Alice konzentrierte sich, und wäre es nicht ein Rabe gewesen, der ihr diese Anweisung erteilte, so wäre sie sich ein wenig veräppelt vorgekommen." genauso mit "Konzentriert betrachtete Alice die andere Straßenseite genauer [...]" beginnen könntest. Davon abgesehen bitte Dinge, die in der Vergangenheit stattgefunden haben, wie die Weisung des Raben, auch in der Vorvergangenheit ("[...] der ihr die Anweisung erteilt hatte [...]") schreiben, wenn deine reguläre Erzählzeit das Präteritum ist. Eigentlich nichts für diese Kategorie, aber wo wir gerade dabei waren.

Sonst ist mir genau ein Satz aufgefallen, indem ein Wort verwendet wird, das ich wenig passend fand: "[...] als der Rabe seine Krallen in den dicken Stoff ihrer Jacke sank." Mag aber auch daran liegen, dass ich der Meinung bin, dass Rabenkrallen nicht automatisch durch eine dicke Jacke dringen. In meinen Augen müsste der Rabe sich aktiv festkrallen. Dann würde er nicht passiv darin versinken, sondern seine Krallen in ihrem Stoff aktiv versenken. Ansonsten hab ich da derzeit nicht viel zu sagen, weil du auch recht wenig beschreibst.

Orthografie

Keine Zeichensetzungsfehler im engeren Sinne, keine Rechtschreibfehler, Zeitfehler hab ich bereits angesprochen. Wir werden hier sehr schnell durch sein.

Eine Sache ist deine Wahl der Satzzeichen. Du verwendest englische Anführungszeichen, was dein gutes Recht ist. Darf man machen, auch wenn andere in meinen Augen schöner sind, aber das ist Geschmackssache. Aber wenn du Halbgeviertelstiche verwenden willst, nimm auch das Zeichen dafür. Kann man aus dem Wikipediaartikel beispielsweise rauskopieren und einfügen. (Oder mit Alt+0150 und mit Enter bestätigen ... geht theoretisch auch unter Windows.) Andere Möglichkeit wäre, du schreibst die doppelten Bindestriche in einem vernünftigen Schreibprogramm (LibreOffice/OpenOffice/MS Word o. ä.) und bestätigst die mit einem Leerzeichen, dann wandelt der die dir automatisch um. Nimm meinetwegen auch einen normalen Bindestrich, aber um Himmels Willen keine doppelten. Das sieht, sorry, einfach kacke aus.

Dann ist mir ein Satz aufgefallen, indem du mit dem grammatikalischen Geschlecht durcheinander gekommen bist, nämlich "[... die] Lagerhalle, in dessen halboffenem Nebeneingang sie stand." Dessen bezieht sich auf maskuline Subjekte. Damit nicht auf die Lagerhalle. Der steht das Wörtchen Deren zu. Passiert fix, ich weiß, aber zukünftig drauf achten.

Sonst grammatikalisch top. Nix weiter zu meckern.

S C H L U S S W O R T

Etwas mehr Futter fürs innere Auge wäre nicht schlecht und etwas mehr Reaktion deiner Protagonistin, aber sieht man davon einmal ab, hat mich die Geschichte vom Handlungsbogen her allein bereits sehr fasziniert. Ich mochte sie, habe sie gern gelesen und das trotz der Widrigkeiten im Verständnis zum Anfang. Ich bin mir sicher, dass ich sie nach der Überarbeitung umso lieber lesen werde. Vor allem der Schluss hat mich sehr gefesselt, dass du ausgerechnet die Schwäche deines Charakters aufzeigst und damit endest, dass du den Mut zu einem offenem Ende hast und der letzte Satz deiner Geschichte ist einfach auf den Punkt genial, ein unfassbar guter und treffender Abschluss. Jetzt den Anfang aufpolieren, in der Handlung mehr die Wirkung der Ereignisse auf deine Protagonistin beleuchten, dann wird das richtig, richtig gut.

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