'Die Versuchung des Todes' von __Stille__
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Ein Hinweis vorweg: Die folgende Bewertung wird keine Punkte beinhalten, da sie, wie auch die 'Hüter der Himmelsrichtungen', für den Buchseelenaward angefertigt wurde und wir keine zwei konkurrierenden Bewertungssysteme haben wollten.
Desweiteren haben wir beschlossen, in diesem Bewertungsbuch zukünftig komplett auf Punkte zu verzichten. Wie stark oder wenig die angesprochenen Punkte sich auf euer Werk auswirken, hängt ja letztlich an euch als Autor. Was bringt es, wenn ihr den Punkt als gar nicht so wichtig erachtet, wir dafür aber fünf Punkte abziehen?
Daher wird es zukünftig nur noch punktfreie Bewertungen geben.
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Titel
Die Versuchung des Todes
Autor
__Stille__
Genre
Übernatürliches
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Cover
Wirkung: Ist es ansprechend?
Ansprechend ist es, wenn es auch durch den krassen Kontrast zur Unterlegung des Titels arg dunkel wirkt, so passt es doch perfekt zur Thematik deiner Geschichte. Beide Bilder, sowohl das obere als auch das untere. Die Sticker stören Syd und Jao nicht, obwohl es einige sind. Sue hingegen empfindet sie als äußerst störend, gerade weil es so viele sind! Die Andeutungen auf dem Cover deuten sogar ein wenig auf den Inhalt hin, ohne zu viel zu verraten.
Das Cover sticht nicht extrem hervor, wenn man durch eine Liste scrollt, aber - und das ist auch wichtig - es schreckt auch nicht ab. Durch das Unscheinbare werden einige vermutlich drüber hinweggehen, aber man muss ja auch nicht wirklich jeden Leser abgreifen und zu viel Effekthascherei würde der Geschichte auch nicht gut tun.
Einzig und allein die Frage bleibt, ob die Andeutungen des Inhalts komplett genügen oder ob du laut Wattpad Statuten nicht auf Erwachseneninhalt hochschrauben müsstest.
Kontext: Passt es zum Titel und zur Geschichte?
Nun, großteils ja. Allerdings kommen wir später noch dazu, dass das Buch nur halb so düster wirkt, wie das Cover droht. Es ist inhaltlich keine Düsternis, die einem ins Herz kriecht, sondern mehr ein grauer Schleier, durchzogen von einigen bunten Sprenklern, weshalb der Kontext zum Inhalt nur solala erkennbar ist. Wir sagten vorher, dass zu viel Effekthascherei nicht gut wäre, aber in Verbindung mit dem Inhalt wären Andeutungen auf das Reich der Toten doch passender gewesen als die Andeutungen von Freitoden, denn die scheinen in dem Buch nur mehr ein Mittel zum Zweck zu sein (was auch der Botschaft am Ende widerspricht).
Dafür passt das Cover sehr gut zum Titel. Denn der wirkt so dunkel und hoffnungslos wie das Cover. Hoffnungslos soll hier keine Beleidigung sein, sondern die Atmosphäre beschreiben. Handwerklich ist es völlig in Ordnung. Keine schlechten Übergänge, der Trick mit dem weißen Hintergrund des Titels ist eigentlich sehr gut geeignet, da man oben und unten einfach nur ein Bild einfügen muss und Schwierigkeiten mit dem Kontrast hat man auch keinen. Wir wollen hier ja nicht bewerten, wie viel Arbeit du oder der Covermaker damit hatten, sondern wie gut es zur Geschichte passt oder gemacht ist und da haben wir eben nicht viel zu meckern. Der Vorteil an Simpel ist ja, dass man weniger falsch machen kann.
Schrift: Kann man den Titel gut erkennen?
Man kann durch die Banderole den Text sehr gut erkennen, allerdings fällt auf, dass der Name des Autors und der Name des Accounts sich unterscheiden. Das fiel aber nur auf und dir nicht auf die Füße, das darf man durchaus trennen.
Der Titel
Kontext: Passt er zur Geschichte?
Ja. Er passt zur Geschichte. Der Glaube von Jeys Eltern dreht sich um den Tod, Jeys Gedanken kreisen darum, er beschäftigt sich mit den Hintergründen um seinen Freitod und dem, was danach kommt und seiner Hoffnung, dadurch erlöst zu werden. Also, ja, der Titel passt sehr, sehr gut! Zumindest wenn man nur die reine Handlung und das Geschehen betrachtet. Von der Ausarbeitung her, kommt diese Düsternis weniger rüber und tritt zuweilen sogar komplett in den Hintergrund. Die Tragweite der Handlung hat uns nicht erreicht, worauf wir später noch zu sprechen kommen. Allerdings ist der Titel gut gewählt. Versuchung klingt außerdem klingt zudem nach falscher Hoffnung und Irrweg und glorifiziert nicht etwa wie andere Worte (Chance, Ausweg, Licht), was im Kombination mit der harten Thematik ein gutes Licht auf die Titelwahl wirft.
Anderersteits stellt man sich unter Versuchung auch etwas Lockendes vor. Etwas, das Jey anzieht, ihn umwirbt oder ihn schlichtweg richtig in Versuchung führt. Diese Aspekte sind in deiner Geschichte zwar anssatzweise vorhanden, sind aber zu wenig ausgearbeitet. Aber da gehen wir später noch mehr ins Detail.
Wirkung: Klingt er interessant und ansprechend?
Er klingt interessant, auch ansprechend, aber in den Worten steckt, wie oben schon geschildert, auch etwas Warnung, was wir gut finden.
Der Klappentext
Äußere Form: Wie lang bzw. kurz ist er?
Großer Pluspunkt: Der Klappentext ist fehlerfrei. Eigentlich schade, dass wir das so positiv herausstellen, aber es kommt uns immer seltener unter. Die Länge ist auch in Ordnung und du hast die Plazierungen wirklich sehr dezent untergebracht, so dass sie nicht stören. Und du übertreibst es auch nicht.
Inhalt: Verrät er zu viel oder zu wenig?
Du schaffst den Spagat sehr gut, dass man zwar neugierig wird und auch das Gefühl hat, viel zu erfahren, was neugierig macht, aber dennoch nicht viel zu verraten. Man erfährt, dass Jey sterben will und der Tod für ihn eine Versuchung ist, auch wenn die Gründe darüber im Verborgenen bleiben. Es ist nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel. Sondern genau die richtige Mischung.
Wirkung: Macht er neugierig?
Ja, er macht neugierig, ist aber auch respekteinflößend. Die Thematik ist keine einfache und vor allem eine sehr gefährliche, wie schon Goethes Werther bewies, der den Nachahmungseffekt bis heute prägt. Einerseits hält das jene ab, die Triggern aus dem Weg gehen, aber du läufst, und dem solltest du dir bewusst sein, Gefahr, sehr interessant für jene zu werden, welche nach Mut und Kraft suchen, um das, was sie sich vielleicht schon seit Jahren vornehmen, durchzuziehen. Es gibt Menschen, die genau nach diesem Lesestoff suchen, um die letzten Zweifel auszuräumen.
Sieht man mal von diesen Personen ab und geht vom "normalen" Leser aus, weckt er auf jeden Fall Neugier und auch etwas Bestürzung, was wohl passiert sein muss, dass ein Mensch solche Gedanken hegt.
Storyaufbau
Einführung: (Fühlt man sich gut von dir abgeholt oder muss man sich eher in deine Geschichte hineinquälen?)
Du beginnst mit der Szene, die man direkt im Prolog nicht erwartet hätte, nämlich als der Protagonist sich scheinbar das Leben nimmt. Das hat uns überrascht, denn nach dem Tod der Hauptperson kann ja nicht mehr so viel kommen, oder die Kapitel werden aus der Retroperspektive erzählt, um zu schildern, wie es dazu kam. Die Auflösung, als du später auf den Prolog referenzierst und sich dieser als wiederkehrender Traum entpuppt, fanden wir außerdem sehr gelungen.
Zwar wird man dadurch erst einmal hilflos in die Szenerie geschmissen, aber man findet sich schnell ein. Da im Prolog kein Name erwähnt wird, erleichtert es die Vorstellung des Protagonisten im ersten Kapitel, der den Leser an die Hand nimmt, sehr, sich zurecht zu finden. Auch, wie du mit der "vierten Wand" umgehst und den Leser direkt ansprichst, hast du gut gemacht und ziehst den Leser so in die Geschichte. Hineinquälen braucht man sich wegen des Einstiegs auf jeden Fall nicht.
Noch vor dem Prolog allerdings schreckt dein Vorwort etwas ab. Denn im ersten Satz - der wegen der Warnung sehr wichtig ist - tauchen gleich mehrere Fehler auf. Das zerstört den guten Eindruck, den man zuvor von deinem Klappentext hatte. So wäre es korrekt (und übersichtlicher, wenn man die Sätze trennt): "Wie der Name schon sagt[,] wird es sich in diesem Buch um das unausweichliche Thema des Todes [drehen. A]ber nicht irgendein Tod, sondern de[n] Selbstmord." Wie gesagt, die Warnung halten wir für richtig und wichtig. Da wir keinen anderen Punkt haben, wo wir das ansprechen könnten, wäre hier der Hinweis wichtig, dass ein Tagging als Erwachseneninhalt hier auf Wattpad gefordert wird.
Der rote Faden (Ist die Geschicht stimmig und verfügt über einen logischen Aufbau und ist somit nachvollziehbar? Fühlt man sich als Leser von dir abgeholt oder kommt man schwer in die Geschicht rein?)
Fassen wir die Handlung einmal grob zusammen, die von der Idee her schon ziemlich gut und interessant ist: Wir lernen Jey kennen, sowohl seine einsame Vergangenheit als auch seine jetzige Existenzform als arroganter Brocken. Außerdem erfahren wir, dass seine Familie einem Glauben anhängt, der darum rangt, nach einem erfülltem Leben zufrieden in den Tod und das Leben danach überzugehen. Er selbst gibt sich nach außen hin sehr desinteressiert, als sei er über das alles erhaben. Als seine Familie letztlich aber fast vollständig bei einem Verkehrsunfall nach einer Party ums Leben kommt, schlägt das plötzlich um und er möchte hinüber in das Reich der Toten, zu seiner Familie. Seit Wochen verfolgt ihn schon derselbe Traum, welcher ihm vermeintlich zeigt, wie er zu sterben hat und tatsächlich schafft er es auf die andere Seite, auf der er auch seine Familie wiedersieht. In der fremden Welt jedoch wird er mit seiner Verfehlung konfrontiert, den falschen Tod gestorben zu sein und sein Leben nicht genutzt zu haben. Er ist voller Zweifel, Fehler und Fragen und muss in den nächsten sieben Tagen versuchen, das alles aufzuarbeiten, um im Tod mit seiner Familie vereint zu werden, was ihm leider nicht gelingt.
So weit, so gut. Von der Grundidee her wirklich gut gedacht, mit viel Metaphorik und etwas abstrakt, aber auf jeden Fall was für Mitdenker. Nun kommen wir endlich mal konkret zu dem, was uns allerdings gefeht hat. Die Übergänge zwischen den einzelnen Ereignissen waren teilweise sehr undurchsichtig. Gerade bei den Charakteren, die wir weiter unten noch näher beleuchten.
Es beginnt schon bei dem kaum nachvollziehbaren Kuss zwischen Risky und Jey auf der Party. Zum einen fragt man sich, ob man wirklich noch beim selben Protagonisten ist, weil so ein kaltes, berrechnendes Arschloch wie Jey (und angeblich auch Risky) mit Sicherheit nicht vor den Augen aller einen Kerl küssen würde. Immerhin könnte man ihnen das als Schwäche auslegen und diese offenbaren sie ja angeblich beide niemandem. Alkohol sollte dafür nicht deine Ausrede sein. Dann kommt noch die Szene dazwischen, in der er sich an seine vergangenen Liebe erinnert. Das ist total wirr und irritierend im ersten Moment und könnte so manchen Leser abschrecken.
Aber beispielsweise auch die Szene, als Jey nach dem Unfall im Krankenhaus aufwacht. Er war augenscheinlich bewusstlos gewesen, bekommt quasi nebenher den Tod seiner Familie mitgeteilt und soll daraufhin schon entlassen werden, um ins Heim zu kommen. Am selben Tag! Zunächst einmal müsste ohnehin eingeschätzt werden, wie viel Verstand er nach dem unfreiwilligem Schlaf überhaupt noch hat, ob er überhaupt entlassen werden kann. Dass er allerdings aufspringt, zu seiner Schwester (die im Koma und somit wohl auf der Intensivstation(!!!) liegt) rennt, und dann flieht, beweist, dass er erstaunlich gut beieinander ist, ist für uns aber auch sehr unglaubwürdig. Das wirkt zu hektisch, als habest du es nicht abwarten können, in der Handlung vorwärts zu kommen. Dabei hättest du hier den Sinneswandel von Jey so wunderbar beleuchten können. Stattdessen stehen hier wieder die bösen Erwachsenen im Vordergrund, das herzlose Jugendamt, dass die Geschwister trennt und Jugendliche in Heime steckt. Jey ist siebzehn, bisher nicht auffällig gewesen, seit zu erkennen ist, vermutlich würde er ohnehin erst einmal in eine offene Wohngruppe kommen. Es ist einfach nicht rund und wirkt kantig, ungeschliffen und über den Zaun gebrochen. Zumindest auf uns. Du gehst auch darauf ein, dass Jey nun auf einmal merkt, was er verloren hat, aber so plötzlich und extrem reumütig, ohne konkrete Begebenheiten oder Konsequenzen, dass es weh tut. Was genau bedeutet es denn, wenn seine Eltern nicht mehr da sind? Was genau vermisst er? Wir wussten ja vorher schon nicht, was genau er an seinen Eltern gehasst oder nicht-geliebt hat. Die gemeinsamen Frühstücke an Sonntag werden werden es wohl nicht sein.
Ebenso wie seine Flucht. Es heißt, er hätte in den zwei Tagen so viel abgenommen, dass man plötzlich seine Rippen sieht. Je nachdem, wie er vorher genau augesehen hat, fragt man sich schon, wie viel ein Mensch in zwei Tagen abnehmen soll. So fix geht das nicht. Das waren so Punkte, die uns auf kritischen Abstand gehalten haben.
Dramaturgie (Zeichnet sich eine Spannungskurve ab? Oder neigt man dazu den Inhalt deiner Geschichte einfach zu überfliegen?)
Dein Stil der Geschichte ist sehr beschreibend, ob nun gewollt oder nicht. Das ist auf der einen Seite sehr gut, da gefärdete Personen ob der Thematik nicht zu sehr hineingezogen werden, andererseits schmälert es auch die Attraktivität der Geschichte für das gesamte Leserspektrum. Zum Punkt Emotionen kommen wir noch später, aber das Problem, das wir dabei hatten, war auch, dass viele Situationen von dir schlicht zusammengefasst worden waren, anstatt sie auszuschreiben und auszuschmücken, so dass man sie wirklich hätte erleben können. Es fehlen auch Dialoge im Allgemeinen zu großen Teilen, sieht man mal von den Sticheleien zwischen Jey und "Schönheit" ab.
Die andere Sache ist, dass wir kein Gefühl für deine erzählte Zeit entwickeln konnten. Als Beispiel einmal die Situation nach Jeys Flucht: Der Junge wacht, nachdem er aus dem Krankenhaus geflüchtet ist, auf und läuft in die Stadt zum Bäcker. Danach trifft er auf einen Bettler, unterhält sich kurz mit ihm und legt sich dann wieder schlafen, weil es ja schon wieder Abend ist. Das ist ein verdammt kurzer Tag. In Skandinavien gibt es Regionen, in denen Tage im Frühjahr oder Herbst so kurz werden, in der Tat, aber da spielt deine Geschichte unseres Wissens nicht. Zumal Jey auch im Krankenhaus erst einmal wach wurde, dann kurz zu seiner Schwester rein ging, flüchtete und sich dann einen Platz zum Schlafen suchte. Da konnte man ihm noch zu Gute halten, dass er ja noch mit den Folgen des Unfalls zu kämpfen haben mochte und wir nicht wissen, wie lang genau er gerannt ist. Aber generell solltest du da mehr drauf achten, zu vermitteln, wie viel Zeit vergangen ist. Du musst nicht jede Sekunde deines Charakters On-Screen beleuchten und bis ins Extreme beschreiben, das will niemand lesen. Aber fülle die Tage etwas, die Zeit, die vergeht. Das geht schon, indem man den Morgen beim Bäcker beschreibt und schließlich im nächsten Absatz mit "Als es schließlich Abend wurde" fortsetzt, so dass klar wird, dass einige Stunden vergangen sind. Wer hochmotiviert ist, kann dann noch kurz zusammenfassen, was dazwischen passiert ist, wenn er es für wichtig hält.
Der nächste Punkt, der uns ins Auge fiel, war schließlich die Beschreibung in dem Reich der Toten. Was es mit den Zeichen der dunklen Macht auf sich hat, die Parallelen zu den Verfehlungen in seinem Leben, die mag man noch irgendwie ziehen, aber auch diese Welt wirkte blass und nebelig. Wie die Burg aussah oder ihre Umgebung - außer metallisch - bleibt im Verborgenen, man bekommt kein Gefühl für die Dimensionen, die Weitläufigkeit oder Enge dieser Welt. Da ist nur Jeys Zimmer, die Burg, der Metall-Wald und sonst nichts. Sonst ist da nur Schwärze und über allem einige Gewitterwolken. Dabei sind Schreiber wie Maler. Nur ohne Pinsel, sondern mit Worten. Und hier bedarf es einiger Worte mehr, um deiner Welt Leben einzuhauchen und den Leser in sie hineinzuziehen. Wir flogen leider nur darüber.
Du sieht, dass gerade die Ausschmückung uns persönlich gefehlt hat.
Genrebezug? (Passt der Titel zum Inhalt? Oder brichst du ganz bewusst und gekonnt mit den Vorgaben, um etwas Neues zu wagen?)
Übernatürliches passt.
Charaktere
Charakterset: Sind sie authentisch?
Zu den Charakteren lässt sich einmal sagen, dass es keine schlechte Idee ist, mal einen Protagonisten zu schreiben, der nicht hyper-sympathisch ist. Das gibt bei uns sicherlich keine Abzüge. Und ja, du hast Recht, es ist nicht allzu typisch, wenn es sich nicht gerade um eine BadBoyStory handelt, in der der BadBoy das Mauerblümchen abschleppt und zum braven Lieblingsschwiegersohn mutiert. Genauso gibt es auch Arschlöcher wie Jey - was auch immer sie dazu gemacht hat. Und Blender wie Risky. Und Familien wie Jeys. Insgesamt ist die Idee authentisch. Aber der Umsetzung fehlt es an Tiefe. Zudem musst du dir darüber im klaren sein, dass ein solcher Charakter beim Leser wenig Empthie entfacht.
Charakterdesign: Kann man sich ein gutes Bild von ihnen machen? (nicht nur äußerlich, sondern auch was ihre Eigenschaften betrifft)
Bleiben wir doch bei Jey. Er ist Sohn einer reichen Familie, war in der Kindheit wohl mit Karies geschlagen - die man ihm wohl angesehen hat - und außerdem übergewichtig, weshalb Mitschüler ihn gemieden haben. Wer sich ihm genähert hat, der tat das, um von seiner reichen Familie zu profitieren. Ja, sowas kommt vor. Daraufhin beschloss Klein-Jey auf Freunde zu verzichten und seine Mitmenschen möglichst fern von sich zu halten und schreckt dabei auch nicht davor zurück, sie psychisch unter Druck zu setzen. Er findet Gefallen an dieser Art der Macht und wird überheblich, kalt und arrogant. Das passt soweit. Auch, dass er seine Mutter für ihr weiches Herz als naiv beschimpft oder er seinen Vater nicht leiden kann, weil er ihm immer Vorschriften macht, an die er sich in der Schule schon längst nicht mehr hält. Nur fällt es beim Lesen sehr schwer, zu unterscheiden, was Fassade und was Jey wirklich ist. Man bleibt sehr auf Distanz, wozu wir später kommen. Deshalb wirkt es auch so merkwürdig, als Jey plötzlich um seine Familie trauert und dem Glauben seiner Familie, den er zuvor so verspottet hat, unglaublich viel Aufmerksamkeit widmet. Dass der Junge, dem die Außenwirkung so extrem wichtig ist, plötzlich auf einer Feier seinen besten Freund leidenschaftlich küsst, ohne darüber nachzudenken. Dass Jey plötzlich einem Bettler sein letztes Geld gibt, obwohl er selbst nichts mehr hat. Das lässt den Charakter unglaublich unstet und wacklig wirken. Man hat nicht das Gefühl, ihn zu kennen. Und das kann bei einem Protagonisten sehr fatal sein. ANDERERSEITS ist das im Fall dieser Geschichte zumindest hilfreich, dass sich der Leser nicht zu sehr mit ihm identifiziert, was bei der Thematik zum Schutz der Leser beitragen kann.
Jao: Ich gehöre vermutlich selbst zu der Gruppe Lesern, denen ein Buch mit dieser Thematik gefährlich werden könnte. Dennoch habe ich micht entschlossen es zu lesen und bei der Bewertung mitzuwirken, unter dem Vorbehalt, es beiseite zu legen, falls es mir zu gefährlich werden sollte. Davon war ich jedoch Meilen(!) entfernt. Und das unter anderem deshalb, weil Jey so flach charakterisiert und beschrieben wurde, dass ich ihm mir als eindimensionale Scheibe vorstellen konnte, die motivationslos vom Autor durch die Geschichte geschliffen wurde. Sorry, wenn das jetzt hart klingt, aber gerade bei so einer Thematik, sollte der Protagonist Persönlichkeit haben. Ob er nun ein Arschloch ist oder nicht, so sollte man trotzdem in der Lage sein, seine Gefühle zu verstehen, seine Denkweise zumindest nachempfinden zu können und trotz allem ein gewisses Mitgefühl für ihn zu empfinden. Das alles habe ich für Jey nicht mal im Ansatz empfunden. Für mich war er einfach nicht greifbar und daher völlig egal. Sue und Syd empfinden das ähnlich, sind aber vermutlich nur halb so sauer darüber, dass jemand, der mit Suizidgedanken kämpft, so oberflächlich, flach und subsstanzlos dargestellt wird. Ich will dich damit keinesfalls beleidigen. Aber so habe ich es leider(!) empfunden.
Kurzer Exkurs
Jeder Leser und jeder Betroffene geht mit solchen Thematiken anders um. Was den einen trotz entsprechenden Neigungen überhaupt nicht juckt, kann für den anderen, trotz flacher Ausarbeitung, das Zünglein an der Waage sein. Da spielen viele verschiedene Faktoren wie Wesen, Erfahrungen, Leidensdruck und Auslöser rein. Die Behandlung des Themas sollte in jedem Fall immer mit großer Vorsicht angegangen werden. Wichtig ist hierbei, dass der Fokus niemals - nicht nur kurz, nicht nur am Anfang, NIE - darauf liegen darf, den Freitod als Chance darzustellen, denn ihr wisst nie, ob eure Leser bis zum Schluss lesen werden, wo ihr dann mit der Moral um die Ecke kommt. Mag krass formuliert sein, aber im Zweifelsfall ist es dann zu spät. Macht euch das bewusst! Allerdings darf man Betroffene auch nicht verurteilen. Das ist ein sehr schmaler Grat, der Einiges an Übung und Intellekt erfordert. Unterschätzt niemals den sogenannten Werther-Effekt. Die wenigsten Schüler behaupten, dass Goethe sonderlich mitreißend schreiben würde. Trotzdem haben sich einige auf Basis dieser Lektüre zu schwerwiegenden Entscheidungen hinreißen lassen, was die Berichterstattung bis heute beeinflusst. Im Zweifel: Lasst die Pfoten davon!
Suizid ist kein Clickbait-Thema. Wenn ihr mit dem Gedanken spielt, es in einer Geschichte zu behandeln, fragt euch kurz, ob ihr damit umgehen könntet, wenn jemand euch per PN auf die Thematik anspricht und euch um Hilfe bittet, weil er keinen Ausweg mehr sieht. So ein echter Mensch, irgendwo in der großen weiten Welt, schreibt DICH an. Und wenn du dir das vorgestellt hast, dann denkt noch einmal darüber nach, ob du dieses heiße Eisen wirklich anpacken willst. (Immer richtige Reaktion, falls euch das mal passieren sollte: Meldung an den Support und die Weitergabe der Nummer gegen Kummer mit ein paar mutmachenden Worten, ohne(!) jede Forderung und Druck.)
Weiter zu Risky. Die zwei verbindet eine merkwürdige Freundschaft, denn Risky und Jey sind nur Spitznamen. Ihre echten Namen kennen sie nicht. Eine interessante Idee, auf jeden Fall. Zu dem besten Freund des Protas bekommt man aber noch weniger Informationen. Er ist ein genauso manipulatives Wesen wie Jey, ebenso nicht auf den Kopf gefallen, aber älter. Das ... wars. Gut, es stellt sich hinterher heraus, dass die beiden wohl irgendwie aufeinander stehen und dass Risky Drogen vertickt, aber da man keine Beziehung zu ihm aufbaut, ging uns persönlich das nicht wirklich nahe. Das war eben so. Umso weniger ist es nachzuvollziehen, warum beide plötzlich und aus heiterem Himmel von Liebe(!) - wir schreiben es nochmal: Liebe! - sprechen.
Genauso wie der Tod von Jeys Familie. Man lernte die Personen ja nicht kennen. Sie waren Namen und dazu noch ein paar Beschreibungen von Jey, die deutlich machten, dass er mit seiner Familie nicht viel anfangen kann. Entsprechend ist der Unfall und der plötzliche Verlust vergleichbar mit einem Spaltenartikel auf Seite acht der Wochenzeitung. So belangenlos, dass diese Belangenlosigkeit allein beinahe schon wieder tragisch ist. Völlig kurios wirkt hierbei, dass Jey sich an vielen Stellen mehr Gedanken über den Kuss mit Risky macht, als über den Tod seiner Familie. Ist für uns nicht nachvollziehbar! Wenn die ganze Familie stribt und man plötzich ganz allein ist, macht man sich bestimmt keine Gedanken über einen alkoholträchtigen Kuss auf einer Party.
Metaebene: Wie sind Dialoge und Emotionen beschrieben worden?
Die Emotionen sind für uns das Problem an der Geschichte. Da sind kaum welche. Das mag jetzt hart klingen, aber der Großteil der Geschichte besteht aus Jeys kalten und abweisenden Gedanken, später aus seinen kreisenden Überlegungen zu seinem eigenem Tod und dem Verlust seiner Familie. Aber es fehlt Erleben, es fehlen Dialoge, es fehlt - wie Syd selbst des öfteren vorgeworfen wird - Leben! Du beschreibst, dass Jey zu Beginn einige Mädchen abwimmelt. Aber nicht wie. Du schreibst einen Satz dazu, anstatt eine Szene daraus zu machen und dem Leser so zu zeigen, was für ein Arsch er wirklich ist. Es ist ein Unterschied, ob man diese Einschätzung selbst vornimmt, oder ob sie jemand vorgibt. Hier fehlt ganz, ganz eindeutig in unseren Augen das Show, don't tell. Es ist gut und richtig auch Jeys Gedanken mit einfließen zu lassen, aber du solltest dem Leser wirklich ganz dringend die Gelegenheit geben, selbst zu urteilen. Denn so, wie es jetzt ist, kriegen wir nur mit, wie Jey sich selbst sieht. Als unnahbarer Kerl, der unwiderstehlich und unglaublich intelligent ist und mit jeder Aktion durchkommt. Vielleicht sieht die Realität ja ganz anders aus und er redet sich das nur ein? Wir wissen es nicht, weil wir ihn nicht erleben. Wir lesen keine Gespräche, die er führt, wir erleben keine Situationen, in denen er handelt - oder nur sehr wenige. Es wirkt alles sehr gestaucht, sehr oberflächlich und gehetzt. Da fehlt eben die Tiefe und das Erleben. Es ist sehr eindimensional.
Schreibstil
Ausdruck: Gibt es viele Wortwiederholungen? Verfügst du über ein eher geringes oder über ein weitgefechertes Vokabular? Wie sieht es mit Bildern, Vergleichen oder Metaphern aus? Oder greifst du immer wieder dieselben hohlen Phrasen auf?
Eigentlich hast du ein durchschnittliches Vokabular, das du auch zu nutzen weist. Du versuchst dich an Vergleichen und Metaphern, was auch von Zeit zu Zeit sehr gut gelingt, aber insgesamt könntest du damit noch freigiebiger werden. Extreme Wiederholung von Phrasen war nichts, was uns negativ aufgefallen wäre, was uns sehr gefreut hat. Wortwiederholungen sind eine andere Geschichte. Die kamen durchaus vor, wenn auch nicht in übertiebenem Maße. Dennoch solltest du auch darauf, noch einmal achten, wenn du die Geschichte überarbeitest. So viel zu dem, was deinen Stil eigentlich ganz angenehm lesen ließ.
Wo wir immer wieder stocken mussten, waren teils verquere Formulierungen. Meist darauf zurückzuführen, dass du zwar gewillt warst, statt beschreibende Adjektive zu verwenden, nach passenden Verben gesucht hast, aber nicht immer fündig wurdest und dich mit Platzhaltern oder Notlösungen zufrieden gegeben hast. Die Sätze klingen nicht schön, auch, wenn man weiß, was sie aussagen sollen. Hier ein paar Beispiele:
"Er nimmt die Akte, die an meinem Bett ist [...]" Der Satz ist, wie oben schon gesagt, ja nicht falsch, aber eben nicht schön. Die Akte ist nicht einfach nur an dem Bett. Sie lebt dort nicht, sie schwebt dort nicht in der Luft, sie steckt auch nicht halb in der Matratze, sie hängt - am Fußende, um genau zu sein. Es ist nur ein Wort, wenn man Bett nicht ersetzen will, aber es macht den Satz so viel aussagekräftiger und lässt ihn natürlicher wirken. Außerdem ist das ein Punkt, an dem man auch noch einmal - gerade, wenn man aus einer Charakterperspektive und nicht mit einem auktorialem Erzähler schreibt - überprüfen sollte, wie viel Wissen die Figur hat, die erzählt. Jey ist gerade wach geworden, da kommt ein Weißkittel in den Raum und nimmt irgendein Brett vom Fußende weg, auf dem augenscheinlich was geschrieben steht. Aha, vermutlich die Krankenakte. Gerade die Situationen, in denen euer Charakter vermutlich gedanklich selber etwas langsamer ist, könnt ihr das gut als Übung nutzen, solche Gedankengänge auszuführen.
Next: "Mein Atem verschnellert sich [...]" Auch hier wird deutlich, was gemeint ist. Die Atemfrequenz steigt, aber auch das klingt in einem Fließtext, der allgemein eher jugendlich gehalten ist, etwas zu förmlich. Dann muss man ein wenig überlegen, aber verschnellern kennt der Duden nicht einmal. Das ist ein Kunstwort, eine Notlösung. Es spricht NICHTS dagegen, in einem Entwurf solche Notlösungen zu schreiben, um sich hinterher ein besseres Wort zu überlegen. Aber dann tut das auch! Markiert euch das Wort, damit ihr es nicht vergesst (wenn ihr es nicht markiert, werdet ihr es vergessen und irgendwelche Rezensenten werden euch dann mehr oder minder höflich darauf hinweisen!) und veröffentlicht den Text dann, wenn SOWAS da nicht mehr drin ist. Ein Wort, das du nehmen könntest, wäre Beschleunigen. Oder ganz profan: "Mein Atem wurde schneller." Oder "Die Angst trieb meinen Atem an". Das geht tausend Mal besser. Desweiteren wird der Atem ja nicht einfach so schneller. Das ist ja nicht, dass der Atem nicht zu Jey gehören würde und sich überlegt "Leg ich mal etwas Tempo zu!", völlig unabhängig vom Besitzer der Lungen. Es mag eine willkürliche Funktion sein, die vom vegitativem Nervensystem aus gesteuert wird, worauf Jey also nur einen begrenzten, bewussten Einfluss drauf nehmen kann, aber völlig voneinander getrennt ist das nicht. Dass der Atem hier also aktiv handelt ist unwahrscheinlich - kann Jey aber so vorkommen.
Was Jey hoffentlich nicht so vorkommen wird, ist, dass Wege aktiv handeln. "Mein Weg bringt mich sofort nach Hause." Auch hier ist das Problemwort wieder das Verb. Weg, oh du Schotterpiste, bring mich heim! Klingt doof, oder? Es gibt eine allgemeine Redewendung, die das ausdrückt, was du vermutlich meintest, aber die macht, tschuldige, ergibt deutlich mehr Sinn. "Mein Weg führt mich sofort nach Hause." Jetzt sieht man übrigens auch, weshalb Präsens so schwer zu schreiben ist. Du musst dir überlegen, wo Jey in dem Moment ist, als er dem Leser das verkündet. Ist er schon zuhause und macht einen kurzen Rückblick? Dann müsste es im Perfekt stehen. Oder wird da der Weg, während er ihn geht, zusammengefasst? Dann ist es so richtig. Jedenfalls: Pass mit Aktiv und Passiv auf und setzt das bewusst ein. Dann kann man damit coole Kunstgriffe fabrizieren, die auch echt Eindruck machen, aber man kann damit eben auch echt auf die Nase fallen. Wenn eure Figur immer von irgendwelchen Leuten geleitet, geschickt oder seine Finger zeigen und sein Atem sich verschnellert, man aber den Eindruck bekommt, Jey, die Person, macht nix selbst, sondern wird sogar von einzelnen Körperteilen fremdbestimmt, wirkt das einfach sehr passiv. Genauso wie, wenn alles andere als Aktiv umschrieben wird und eure Figur sehr selten als handelnd auftritt, sondern nur zusammenfasst und beobachtet. Kombiniert man beides, hat man das Maximum an Passivität.
Zurück zu den Verben. Auch hier ist das eher gewollt als gekonnt: "Stärker denn je tritt mein Hunger hervor." Nja, das geht. Kann man machen. Ist jetzt auch nicht soo schlimm. Ein Gefühl kann stärker hervortreten oder auch in den Vordergrund treten. Gibt schönere Umschreibungen, aber das geht. Hier wäre eine Umschreibung der Auswirkungen in unseren Augen weit besser gewesen, um auch eine Identifikation mit der Person zu schaffen und mehr Empathie zu generieren. Zusammen mit der Redewendung "denn je" wirkt es aber dann auch noch recht förmlich, was nicht zu Jey passen mag. Du rutschst da durch die verschiedenen Sprachschichten. Auch darauf solltest du achten, dass das passt und du in einem Sprachgebrauch bleibst - es sei denn, es gibt einen Grund für den Wechsel. Den konnten wir hier nicht erkennen. Wirkt einfach, als wolltest du einfach etwas epischer formulieren, dramatischer. Nur muss das dann auch dein Charakter wollen, denn er erzählt die Geschichte, und der Leser sollte verstehen, weshalb er das tut. Denn wenn man sich vor Magenschmerzen krümmt und einem der eigenen Hunger ein Loch in die Eingeweide zu fressen droht - sollte es so schlimm gewesen sein, aber der durchschnittliche Jugendliche muss hierzulande glücklicherweise nur selten lange hungern und ist entsprechend schnell vom Ausbleiben einer Mahlzeit zu beeindrucken - fragt man sich nicht, wie man das jetzt am dramatischsten und literarisch wertvollsten in Worte packt, es sei denn, es hören irgendwelche Leute zu.
Aber wie gesagt: Das Handwerkszeug hast du, nur am Einsatz hapert es hin und wieder. Da fehlt einfach etwas Feinschliff, den man am Besten entwickelt, indem man ein kritisches Auge einen Blick drauf werfen lässt. Am besten im Detail. Wir sind ausführlich, aber das ist nix gegen einen Betaleser, der sich deinen Text wirklich Wort für Wort vornimmt und nicht nach vier Beispielen sagt, dass das jetzt reichen muss, weil sonst wieder die Wortzahl ausufert.
Äußere Form: Verwendest du Satzzeichen? Verwendest du sie richtig? Wie steht es um deine Rechtschreibung? Wie ist es mit der Grammatik? Nutzt du lange Bandwurmsätze, ungeachtet der entsprechenden Situation, oder weißt du damit zu spielen?
So, auf und weiter gehts! Nebensätze. Kurz und schmerzhaft, fangen wir damit an. Allerdings sagen wir gleich vorweg, dass du keiner der Kandidaten bist, dem man eigentlich nur an den Kopf werfen will: "Guck dir einfach alles zum Beistrich (Komma) noch einmal an!" Denn es sind ziemlich genau *nachzähl* - oh so viele Zahlen! - drei Arten von Nebensätzen, die dir hin und wieder auf die Füße fallen. Der Rest: LÄUFT! Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass viele Kommata dort sind, wo sie hingehören.
Erster Typus der Nebensätze, der uns negativ aufgefallen ist, ist der Infinitivsatz. Wer hier ab und an auch die anderen Rezensionen mitliest, kann zum nächsten Absatz springen, denn den erklären wir in so ziemlich jeder Rezension. Zeigt also, dass dieses Konstrukt nicht so leicht bzw. nicht so geläufig ist. Standardabriss zur Grammatik: Ein Infinitivsatz beschreibt den Teilsatz um eine Infinitivgruppe, welche aus einem Infinitiv - der Grundform eines Verbes - und dem Wort Zu besteht. Manchmal sind die beiden auch zu einer Einheit verschmolzen. Wie hier: "Die Idee, mir einfach die Pulsadern aufzuschneiden ist verlockend [...]" aufschneiden plus zu gleich aufzuschneiden. Vorn hast du den Beistrich ja sogar gesetzt! Aber der Nebensatz ist ja auch irgendwann beendet und dann muss da auch ein Komma hin. Die Idee ist verlockend. Funktioniert auch prima ohne Infinitivsatz dazwischen. Typsiches Zeichen eines Nebensatzes: Der Satz kommt auch ganz gut ohne ihn klar. Kommas werden also wie folgt gesetzt: "Die Idee, mir einfach die Pulsadern aufzuschneiden[,] ist verlockend [...]"
Next one, was wir so gar nicht verstehen, weil die Nebensatzart eigentlich inhaltlich so nachvollziehbar ist, dass sie unglaublich einfach ist: Der Temporalsatz. Dabei stehen die Sätze in einem zeitlichen Zusammenhang. Die passieren gleichzeitig, nacheinander oder vorzeitig. Entsprechend kann man die an Worten wie Währenddessen, Bis, Während, Bevor, Ehe usw. wunderbar erkennen. Auch einer der wenigen Gründe, vor Als ein Komma zu setzen ist eben der Temporalsatz. Dass wir den so oft hier erklären müssen, überrascht uns jedes Mal wieder aufs Neue. Aber passiert. "Ausdruckslos und kalt starrt mir das Eisblau meiner eigenen Augen entgegen[,] bevor ich schwach auf meine Knie sinke."
Zuletzt die indirekten Fragen, welche ebenfalls immer mal wieder hier erläutert werden. Kann man ebenfalls super identifizieren: Am Fragewort. Wer die Fragewörter nicht kennt, es gibt eine Sendung, in deren Intro die wunderbar zusammengefasst werden. Wer mir die Pommes geklaut hat, würde ich gerne mal wissen. Wie der Typ 'nur ein bisschen' definiert, will ich gar nicht erst hinterfragen. Was sich manche Leute denken, hinterfrage ich ja schon ohnehin nicht. Wieso der Himmel blau ist, ist eine Frage, die sich wohl schon jedes Kind gestellt hat. Weshalb ich sie allerdings dem abgebrochenem Meter zum dritten Mal erklären soll, leuchtet mir nicht ein. Warum er mir nicht einfach zuhört, kann mir vielleicht seine Mutter beizeiten erklären. "Wo ich bin interessiert meine Familie sowieso nicht." Prinzip klar? Und wer weiß, welches Lied ich meine?
So, die andere Sache, die uns ab und an auf die Füße gefallen ist und die Lesbarkeit des Textes herabsetzte, war die Groß/Kleinschreibung deinerseits. Du hast keine Hemmungen, hin und wieder einfach mal Adjektive oder Verben groß zu schreiben. Ob im Eifer des Gefechts oder aus Unwissen können wir schlecht sagen. Kann zwar passieren, aber in der Masse sollte man es vor der Veröffentlichung rausnehmen. Es stört sonst eben beim Lesen. Oder sind "Schwach und Zerbrechlich." zwei Kumpel, die abends gemeinsam in die Kneipe gehen, um sich dort mit Übel und Gefährlich zu treffen? Dann darf man sie beide groß schreiben. Anders ist es, wenn es ganz klar Tätigkeiten sind, die beschrieben werden: "Schnell Laufe ich dorthin [...]" In einigen Fällen kann man Laufen auch groß schreiben. Beispielsweise, wenn man das Wort an sich meint, wie wir gerade. Oder wenn man über das Laufen als Tätigkeit spricht. Doch hier beschreibst du, was deine Figur tut. Sie läuft. Schnell. Und dann schreibt man es in jedem Fall klein. Da solltest du in Zukunft drauf achten.
So und ansonsten bleibt uns nur, mit etwas Lob abzuschließen, was die äußere Form anbelangt. Die Absätze waren passend gesetzt, die Zeiten größtenteils passend - nie falsch, aber hier und da nicht ganz eindeutig, aber nichts, was wir lautstark kritisieren würden - und wir haben kaum Tippfehler oder Rechtschreibfehler gefunden. Du bist also auf einem echt guten Weg. Die ein oder andere Baustelle hast du zwar noch, aber keine Sorge, wenn du die beigelegt hast, hast du dir die nächste Marotte angewöhnt, die du dir dann mühsam wieder abtrainieren darfst. Das ist kein Vorwurf an dich, sondern einfach wahr und so geht es jedem Schreiber. Man findet immer etwas, was man verbessern kann (und auch sollte!), sobald man danach sucht. Und da sich der Schreibstil ständig weiterentwickelt, was durch Versuch und Irrtum geschieht, gewöhnt man sich immer wieder irgendeinen Scheiß an, der nicht so gut ankommt. Aber das ist okay. So wird es nie langweilig.
Der Gesamteindruck
Abschließend lässt sich sagen, dass wir die Grundidee gut fanden und die Art und Weise, wie du dich dem Thema nähern wolltest, einiges an Potenzial hat. Auch von der Form her bist du durchaus zum Schreiben in der Lage. Aber um aus dieser Geschichte etwas wirklich Besonderes und für uns Lesenswertes zu machen, müsstest du dich noch einmal hinsetzen und aus diesem Entwurf mehr herausholen. Du müsstest die Charaktere mehr beleuchten und dir selbst einfach mehr Zeit geben, die Geschichte auszubauen, Atmosphäre zu schaffen, deine Welt zu malen und die Handlungen geschehen zu lassen. Sowohl bei Formulierungen als auch bei Hintergründen und Abläufen solltest du innehalten und dir die Zeit nehmen, es richtig zu machen. Recherchiere und hinterfrage! Kann es sein? Passt es so vom Ablauf her? Was ist den Tag über passiert, was will ich über diesen Tag erzählen? Und was will ich für mich behalten? Im Zweifel hilft dir da, wie oben schon angesprochen, ein kritisches drittes Auge, das mal mit auf den Text guckt, bevor du ihn online stellst, mit dem du dich bereden kannst, welche Wirkung du erzielen willst und was du bei ihm erreicht hast. Wir glauben, das könnte dir helfen, da noch weiter zu kommen.
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