'Darkness on the wall' von Besserwisserin
Titel
Darkness on the wall
Autor
Genre
Fantasy
***
Cover
Wirkung: Ist es ansprechend?
Ein ... Gesicht. Schon wieder ein Gesicht. Aber! Es ist nicht einfach nur ein Gesicht, das einen tumb anstarrt, wie die dröfzig anderen Futterlucken, nein. Es ist ein aus Schatten und Mustern geformtes Gesicht mit geschlossenen Augen und scheinbar vernähtem Mund. Das ist durchaus mal etwas anderes und etwas, das interessant ist. Nicht ansprechend im engeren Sinne, aber es weckt Interesse und Neugier. Und echt gruselige Fantasien, die einen schon einmal auf eine weniger fröhliche Atmosphäre einstimmen.
Die kalten Farben, die weniger an Sonnen- als an Mondlicht erinnern, lassen da an das Genre Horror oder Thriller denken. Die Schatten um Mund und Augen, die an dicke Nähte oder Masken a la das Schweigen der Lämmer erinnern, unterstreichen das ziemlich gut. Und doch wirkt es in einer Art friedlich. Zu friedlich ...
Der Rahmen fasst das Motiv und den Titel schön ein, die Schrift ist durch die Textur wunderbar mit dem Rest verbunden ... es ist ein wirklich gelungenes Cover. Trotz Gesicht. Wir sind erstaunt.
Kontext: Passt es zum Titel und zur Geschichte?
Das Hauptmotiv des Covers taucht aus den Schatten, der Dunkelheit, auf, damit ist auf jeden Fall ein Element des Titels (Darkness, engl. Dunkelheit) aufgegriffen. Eine Wand haben wir hier nicht, aber dafür greift die düstere Montage das Thema doppelt gut auf, so dass man trotzdem sagen kann, dass das Cover sehr gut zum Titel passt.
Zur Geschichte dafür umso besser, wenn man den Klappentext dazunimmt. Denn dort ist die Information enthalten, dass die Geschichte von Arian handelt, der mit eben diesen Schatten konfrontiert wird, selbst sehr zurückgezogen und verschlossen ist - was in unseren Augen wunderbar durch die Schatten um Mund und Augen in Szene gesetzt wird. Das bildet alles eine ziemlich schlüssige Einheit.
Schrift: Kann man den Titel gut erkennen?
Wunderbar. Durch die Textur, die hinterlegt ist, passt es zum Titel und trotzdem hebt es sich vom dunklen Hintergrund sehr, sehr gut ab, so dass man sowohl den Autor als auch den Titel wunderbar lesen kann. Zugegeben, beim Autor könnte man den Rahmen drumrum noch etwas mehr abschwächen, so dass sich die filigranen Kapitälchen noch etwas besser hervorheben, aber so wie es ist, ist es keinesfalls schelcht.
Beide Schriften sind zentriert, in einer Flucht, mit genügend Rand, so dass es nicht gequetscht, sondern passend wirkt ... Ja, was soll man dazu sagen? Gut gemacht, MuffinsBlood.
Der Titel
Wirkung: Klingt er interessant und ansprechend?
Gleich vorweg und der ein oder andere hat es vielleicht schon erahnt: Wir finden die Englischartigkeit des Titels vollkommen sinnfrei. Gib es zu, dir ist kein besserer, deutscher Titel eingefallen, der klang so schön cool, also hast du ihn genommen. "Dunkelheit an der Wand" klingt jetzt auch nicht so künstlerisch wertvoll, aber was bitteschön ist an "Schatten an der Wand" verkehrt? Oder "Das Dunkel an der Wand", "Die Wand im Zwielicht", "Im Angesicht der Finsternis" oder irgendwas in der Richtung denn so abturnend? Deine Geschichte ist in der deutschen Sprache geschrieben, da wird sich doch ein Titel in derselben Sprache finden lassen. Die englische Sprache hat für deine Geschichte auch keinen gehobenen Mehrwehrt und auch im Deutschen steht Finsternis, Schatten oder Dunkel nicht nur für die Abwesenheit von Licht sondern auch von Hoffnung , so dass eine solche Andeutung ebenfalls funktionieren würde. Die einzige Ausrede, die man jetzt noch finden könnte, wäre, dass der Titel subtil auf "Another Brick in the wall" von PinkFloyd anspielen soll ... Aber das hätten wir dann gerne begründet. Mit etwas Geduld und Hirnschmalz wird sich da was finden lassen!
So, genug Bashing von fremdsprachigen Titeln. Davon abgesehen greift der Titel, wie schon erwähnt, wunderbar die Atmosphäre des Covers auf, nämlich düster und geheimnisvoll. Er ist zudem ziemlich einzigartig und hat einen Wiedererkennungswert. Von der Wahl der Sprache abgesehen hast du in unseren Augen nichts falsch gemacht.
Er weckt zudem den Drang zu Vermutungen. Welche Dunkelheit sieht man an der Wand? Einen Schatten? Was anderes fällt einem so schnell nicht ein, aber die Frage bleibt, was für ein Schatten es denn ist und was es damit auf sich hat. Damit kann man als Leser arbeiten und wen die Antwort interessiert, der geht eben einen Schritt weiter und schaut sich den Klappentext an.
Kontext: Passt er zur Geschichte?
Ja. Schon der Klappentext macht deutlich, wie Titel und Geschichte zusammenhängen. Die Geschichte dreht sich um Arian und die Dunkelheit an seiner Wand. Wer dazu jetzt eine ausufernde Analyse braucht, um unsere Antwort zu begründen, sollte sich entweder noch einen Kaffee holen oder wieder hinlegen. Zudem lässt er sich auch tiefgehender deuten, der Titel (nicht der Kaffeesatz), da Arian auch mit den Schatten seiner Vergangenheit kämpft, was vorwiegend den Tod seiner Familie bei einer Gasexplosion meint. Wo Syd das gerade schreibt, fühlt sie sich ein bisschen an Baymax erinnert, auch weil Arian überzeugt davon ist, dass diese Explosion kein Unfall war. Aber das soll kein Vorwurf sein, es gibt eben nicht unendlich viele Schreckensszenarios, die man zurate ziehen kann, wenn man die Familie seines Protagonisten töten will. Muss. Wird. Egal! Jedenfalls ist es legitim, dass sich Elemente wiederholen, zumal wir auch sonst keine Parallelen erkennen konnten.
Wir haben also eine sehr offensichtliche Verbindung zwischen Story und Titel und dann noch eine tieferliegende ...
Hier mal ein Beispiel, weshalb man Synonyme mit Bedacht wählen sollte: Woxikon schlägt Syd als Alternative für "Verbindung" "Geschlechtsverkehr" vor, das weder in Genus noch vom Sinn her in irgendeiner Weise zu diesem Text passt. Wie war das? Wissend ist, wer weiß, dass Tomaten und Gurken zu den Beeren zählen. Intelligent ist, wer sie dennoch aus dem Obstsalat herauslässt.
Eine tieferliegende Bedeutung des Titels, die eine schöne Einheit mit dem Inhalt bildet. So viel zum Titel.
Der Klappentext
Äußere Form: Wie lang bzw. kurz ist er?
Er ist lang. Zu lang. So, haben wir das Schlimmste in diesem Punkt auch schon hinter uns. Jetzt an die Arbeit: Die Erklärung, warum das so ist. Gucken wir uns die Struktur einmal an, die du recht übersichtlich gegliedert hast, was die Überlänge zum Teil ausgleicht: Wir haben ein Zitat, gefolgt von ... einem Textklumpen, auf den wir im nächsten Punkt näher eingehen ... gleich vier Award-Gewinne und zum Abschluss noch ein Copyright und die Nennung des Cover- bzw. Trailererstellers.
Gut. Wo kann man streichen? Den Textklumpen aka "eigentlicher Klappentext" werden wir inhaltlich betrachten müssen. Das Zitat ist kurz und knapp, da braucht man nicht bei.
Also zu dem ganzen Organisationskram. Müssen es wirklich alle Award-Gewinne sein? Ja, man ist stolz drauf und man muss dir zugute halten, dass du nicht dein Cover mit den Stickern zugekleistert hast (oder hat MuffinsBlood sich geweigert, die alle draufzumontieren?), aber es zieht den Text doch ordentlich in die Länge. Der Catalyst ist ziemlich groß, der Alpha Award ist der neuste Gewinn ... reicht das nicht? Kannst du die nicht ins Schlusswort/Vorwort packen, zu den anderen Infos rund ums Buch?
Dann der nächste Punkt. Das Copyright. Kleiner Schwank aus der Rechtskunde: Das Copyright hat hier in Deutschland absolut KEINE Wirkung. Ihr könnt auch reinschreiben "Ich mag keine Erdnussbutter", das hätte denselben Effekt, außer dass Terence dich verstehen könnte, weil er gegen Erdnüsse allergisch ist. Hier in Deutschland gilt für geistiges Eigentum das Urheberrecht und das ohne, dass ihr das dazuschreiben müsst, sondern ganz automatisch. Es gibt also keinen Grund, den Copyrightquatsch mit Reservierung neben der Werkinformation (am PC am rechten Rand) noch in euren Klappentext zu klatschen. Lasst das. Spart auch gleich wieder zwei Zeilen.
Dagegen halten wir es für richtig und vorbildlich, dass du Leute, die an deinem Werk mitgearbeitet haben, namentlich erwähnst. Neben dem eigentlichen Klappentext ist das tatsächlich eine Information, die ihre Berechtigung hat.
Das ist das Potenzial, das wir grundsätzlich sehen, um da etwas mehr auf den Punkt zu kommen und den potenziellen Leser nicht gleich mit zu viel Beifang zu belästigen. Weiter gehts.
Inhalt: Verrät er zu viel oder zu wenig?
Hier müssen wir diesmal etwas bei der Formulierung aufpassen. Der Klappentext verrät nicht unbedingt zu viel, in dem Sinne, dass er zu sehr vorgreift, aber er ist zu detailiert. Er geht zu sehr in die Tiefe, differenziert zwischen den verschiedenen Personen, die auf den Protagonisten reagieren (Großtante, Klassenkameraden, das Umfeld im Allgemeinen) und beleuchtet Wirkung und Mechanismen ... da darfst du ruhig allgemeiner fassen. Hier mal ein Beispiel:
"Alle in seinem Umfeld behandeln ihn wie ein rohes Eis, das bei der leichtesten Berührung zerbrechen könnte und auch seine Klassenkameraden scheinen ihn nur zu dulden, weil sie seine Vergangenheit kennen. Zudem wird er als sonderbar und psychisch labil abgestempelt, da er die Umstände des Todes seiner Familie einfach nicht akzeptieren will. Er ist felsenfest davon überzeugt, dass sich jemand oder etwas im Haus befand, als das Unglück geschah und sie kaltblütig ermordet hat. Doch niemand glaub ihm und langsam beginnt auch Arian selbst zu zweifeln."
Richtig, das ist fast der halbe Klappentext. Was uns dabei aufgefallen ist: Er besteht fast nur aus Aneinanderreihungen von Fakten und springt ständig zwischen dem Umfeld und Arian hin und her. Er wird behandelt wie ein rohes Ei, geduldet, gilt als sonderbar und psychisch labil, will die Umstände des Todes seiner Familie nicht akzeptieren und glaubt an eine Verschwörung, was ihm keiner abkauft. Das sind die Punkte, an denen wir mal angesetzt haben. Wir haben die einzelnen Punkte geordnet und versucht, zusammenzufassen. Herausgekommen ist das hier:
"Weder seine Großtante noch sein Umfeld können ihn jedoch davon überzeugen, dass das tragische Unglück, für das sie ihn bedauern und bemitleiden, wirklich nur ein Unfall war. Doch mit der Zeit beginnt Arian, anfangs felsenfest davon überzeugt, dass ein kaltblütiger Mord hinter allem steckt, an seiner Theorie zu zweifeln."
Nicht das Non-Plus-Ultra, aber deutlich mehr aufeinander bezogen. Eins führt zum anderen und weitreichende Ausschmückungen und Differenzierungen haben wir einfach gestrichen. Verloren geht nicht wirklich etwas.
Bleibt noch der Schluss des Klappentextes, der auch die Verbindung zwischen Titel und Geschichte sehr deutlich plakatiert.
Wirkung: Macht er neugierig?
Trotz seiner vielen Details macht der Klappentext neugierig und hält offene Fragen bereit, die man als Leser gewillt ist, durch Weiterlesen zu beantworten. Der Zyniker in uns dachte sich bei den ersten Zeilen sofort "Oh well, normalerweise stirbt die Familie immer bei einem Autounfall", aber tatsächlich kann man schon am Klappentext sehen, dass du vorhast, dieses Ereignis wirklich näher zu beleuchten und es nicht nur als billige Effekthascherei missbrauchen willst. (Ja, Effekthascherei, genau das ist es, wenn man die Anhängsel seines Protas "irgendwie" los wird und den Autounfall dann nie wieder thematisiert, es sei denn, man braucht eine Szene, in der sich der Prota bei jemandem ausheulen muss, um möglichst schnell zum Liebesplot zu kommen, wonach der Verlust endgültig in den Sphären der Unwichtigkeit versackt.) Das Gefühl bekamen wir bei dir gar nicht und das ist gut!
Dann fällt positiv auf, dass dein Charakter augenscheinlich mehr Familie hat als nur seine Eltern, nämlich noch eine Großtante. Das lässt auf einen ausgearbeiteten Charakter mit Hintergrund schließen und darauf, dass du dir dazu Gedanken gemacht hast. Zwar scheint die Dame etwas "speziell" zu sein, aber das klischeehafte "gewaltätige Stiefeltern"-Syndrom scheinst du auch resolut zu umschiffen, wofür wir schon jetzt sehr dankbar sind.
Dein Protagonist wird als Sonderling in der Klasse beschienen, wofür du aber auch Gründe nennst - auch das ist nicht selbstverständlich. Umso verständlicher ist allerdings, dass Arian nicht akzeptieren will, dass es einfach nur "Pech" ist, dass ein Großteil des Mittelspunktes seines Lebens einfach nicht mehr da ist und die Andeutung, dass vielleicht wirklich noch mehr dahinter steckt, ist wirklich gut gemacht. Du greifst den Titel auf, teaserst den Fortgang an - ohne konkret etwas zu sagen! Und das befeuert natürlich die Denkmaschinerie unglaublich gut. Ob es nun um Fabelwesen oder Halluzinationen geht, man weiß es nicht und will es herausfinden. Entsprechend: Ja, er macht neugierig. Sehr.
Tags
Was bei der Listung auf jeden Fall auffällt: Wir haben keine Tags bei dir gefunden, die wir streichen würden. Wirklich, du hast da echt ein gutes Händchen bewiesen und gut die Themen abstrahiert, die du in deiner Geschichte ansprichst und nach denen ein Leser suchen könnte.
Dazu kommen noch diverse Organisationstags, die entweder das Genre (Fantasy, Jugendliteratur) beinhalten, oder aber für diverse Awards obligatorisch sind. Wenn du die alle gewinnst: Wag es nicht, die alle in den Klappentext zu klatschen!
Jedenfalls haben wir bei einem Tag den Rat an dich, zumindest Alternativen anzugeben. Der Begriff "geisteskrank" ist nämlich etwas veraltet. Ja, er ist immer noch gebräuchlich - ja, manche fühlen sich davon diskriminiert, da der Gebrauch meist diffamierender (beleidigender) Natur ist, aber das ändert nichts daran, dass ihn manche (älteren Menschen) im neutralen, sachlichen Kontext noch immer gebrauchen - aber du solltest mindestens aktuellere Äquivalente angeben. Beispielsweise Tags wie "psyche" oder auch "psychischestörung" bzw. "verhaltensstörung", etwas allgemeiner "krankheit" oder "psychischekrankheit". Nur, um auch zu zeigen, dass du dir der politisch korrekten Bezeichnung psychisch kranker Menschen bewusst bist.
In dem Zusammenhang wollen wir übrigens auf einen OrgaTag hinweisen, der für alle anderen Bücher, die das Thema der psychischen Krankheiten aufgreifen, unter Umständen ganz interessant ist: Auf dem Organisations-Account NotJustSad werden Bücher gesammelt, die sich mit der Thematik befassen. Mit dem Tag "#notjustsad" kann man sich bei dem Projekt anmelden. Wichtig ist allerdings, dass ihr euch vorher gut mit dem Thema beschäftigt habt und es glaubwürdig und vielseitig rüberbringt.
Aber zurück zum eigentlichen Thema, den Tags. Thematisch ist uns noch eingefallen, dass man "familie", "verlust", "trauer", "wut" und "waise" durchaus noch mit aufnehmen könnte. Auch das sind vielgesuchte Begriffe, die auf dein Werk zutreffen, ohne, mehr als der Klappentext zu verraten.
Sonst: Top!
Gute Tags: Dunkelheit, Einsamkeit, Freundschaft, Geisteskrank, Hass, Liebe, Magie, Mord, Mut, Verrat, Zweifel
Orga-Tags: Fantasy, Jugendliteratur, Mirroraward18, olympawards2018, teaaward2018, watty2018
Vorgeschlagene Tags: Familie, Verlust, Trauer, Waise, Wut
Storyaufbau
Einführung: (Fühlt man sich gut von dir abgeholt oder muss man sich eher in deine Geschichte hineinquälen?)
Insgesamt hast du einen sehr schönen und stimmigen Einstieg. Du beginnst mit einer im Grunde sehr banalen Situation, die jedoch durch die Empfindung deines Protagonisten ihre zum Cover und zum Klappentext passende Gruselstimmung erhält. Ein Kind in seinem Kinderzimmer. Es ist Nacht. Nichts besonderes eigentlich, würde sich der Junge nicht zu Tode fürchten und am liebsten mit der Bettdecke verschmelzen. Du beschreibst die Situation sehr packend und beziehst Arian da sehr schön ein. Seine Ängste, Zweifel, die Verärgerung über sich selbst und seine Gedanken. Der Plottwist am Ende ist einem eigentlich schon aus dem Klappentext bekannt, aber über die Erzählung vergisst man es beinahe wieder. In dem Moment, wo Arian den Lichtschalter betätigt, ploppt das Wissen wieder hoch und auch ohne, dass du es sofort erwähnst, weiß man, was passieren wird. Das ist richtig gut gemacht, hält die Spannung oben, obwohl man im Grunde weiß, dass das irgendwann passieren würde - nur weiß natürlich niemand, dass es ausgerechnet im Prolog dazu kommt, so dass es letztlich doch überrascht. Du spielst mit dem Vorwissen und Erwartungen der Leser, was dir richtig gut gelingt und eben jenen stimmigen Einstieg bietet. Man hat Anknüpfpunkte zum Protagonisten, Spannung und offene Fragen. Ein guter Mix!
Auch die Überleitung zu den Kapiteln - welche einige Zeit nach dem Prolog spielen, gelingt dir gut. Man bekommt sofort die Veränerungen deines Protagonisten zu spüren und wird in seine neue Lebenssituation eingewiesen. Der Erzählerwechsel fällt hier kaum auf und wenn, dann kommt er trotzdem passend rüber, da die Rückblende des Prologs durchaus distanzierter sein darf. Zumal es sich um eine Traumvision handelt, wie sie gerne für solche Anlässe genutzt wird. Es kommt allerdings auf die Umsetzung an und die ist bei dir gut.
Was dagegen stört und das nicht nur zu Beginn, sind die Autorenanmerkungen, die, wenn sie unter den Kapiteln stehen, nicht gerade kurz sind. Du wirst da sehr ausführlich und da du sie genauso wie später den Brief formatierst, stehst du dir hier selbst im Weg. Aber sonst fühlten wir uns wirklich gut abgeholt von dir.
Der rote Faden (Ist die Geschicht stimmig und verfügt über einen logischen Aufbau und ist somit nachvollziehbar? Fühlt man sich als Leser von dir abgeholt oder kommt man schwer in die Geschicht rein?)
Zum roten Faden lässt sich sagen, dass dieser auf jeden Fall ab der ersten Seite sehr gut erkennbar ist. Du teaserst es ja bereits im Klappentext an und das Thema zieht sich konsequent durch dein Buch. Der Tod von Arians Eltern und Arians Bemühungen, herauszufinden, was damals genau geschehen ist. Man verliert diesen Fokus auch in deinen sehr ausschweifenden Erzählungen nicht, sondern kommt immer wieder darauf zurück. Man hat gar keine Chance, es aus den Augen zu verlieren, was sie auch verhältnismäßig einfach lesen lässt, trotz der Schwere von Tod, Verlust und Trauer.
Schön fanden wir auch die Rückbezüge, die du immer wieder machst. Im ersten Kapitel befindet Arian sich in der Kirche, während im Prolog erwähnt worden war, dass seine Mutter am nächsten Tag gute Plätze in der Kirche ergattern wollte. Im zweiten Kapitel berufst du dich mit dem Monat auf die Julinacht aus dem Prolog, so dass alles miteinander verwoben ist und mehr als nur einen einfachen Faden, sondern ein angenehmes Netz um alles herum bildet.
Die Löcher im Netz allerdings entfallen dann wieder auf den Punkt der Logik. Größtenteils geht es mal wieder um Biologie, Verletzungen und ähnliches, aber das sind wir ja schon gewohnt und vermutlich die meisten Leser unserer Rezensionen auch.
Beginnen wir im Prolog mit dem Bild, dass ein dreizehnjähriger Junge in seinem Bett liegt und sich vor der Dunkelheit fürchtet. Das allein markern wir dir nicht (hier) an, sondern folgendes, nachdem du schriebst, dass er sich die Decke bis zur Nasenspitze(!) hochgezogen hat: "Zwar begannen sich dadurch bereits vereinzelte Schweißperlen auf seiner Stirn zu bilden [...]" Du schreibst also, dass, weil Arian sich die Decke bis unter die Nasenspitze gezogen hat, die Stirn also freiliegt, sich auf eben jener freiliegenden Stirn Schweißperlen wegen der Decke bilden? Man schwitzt UNTER der Decke, nicht da, wo gar keine Decke ist, weil sich die Hitze darunter staut. Wo keine Decke, da kein Hitzestau. Natürlich kann sich dennoch Schweiß auf seiner Stirn sammeln, weil er Angst hat - Angstschweiß ist aber kalt, klebrig und echt widerliches Zeug, überlegt euch das! - aber das rührt dann nicht von der Decke her. Der kausale Zusammenhang hier ist falsch.
Um bei Temperaturen zu bleiben: Du beschreibst im Prolog das vorherschende Klima als "kalte Julinacht", ohne das näher zu differenzieren. Im Allgemeinen sind Julinächte nicht kalt. Eher lau. Es ist natürlich möglich, dass es sich um eine besonders kalte Julinacht handelt, also eine Nacht im Monat Juli die, entgegen der normalen klimatischen Gewohnheiten, kalt ist. Dann sollte man es nicht einfach so da stehen haben, sondern näher auf diese Besonderheit eingehen. Ansonsten nimmt der Leser es als Paradoxon wahr und stolpert drüber. Falls du das wolltest: Es ist ein ziemlich verwirrender Stolperer, an dem sich schon zwei deiner Leser aufgehangen haben.
Von ganz kalt zu ganz heiß: Es kommt zu einer Explosion. Ein Ereignis, das mit einer rasanten, termischen Entwicklung einhergeht. Eine Explosion funktioniert nur aufgrund dieser Energieentwicklung. Was trägt Arian davon: Knochenbrüche und Quetschungen. Gut, gehen wir davon aus, dass er nicht direkt vom Feuer betroffen war, sondern unter Trümmern begraben wurde - aber auch dann sind "ein paar [...] Knochenbrüche und Quetschungen" nicht "nur" und schon gar nicht "läppisch"! o.O
Der Junge hat sich nicht den Finger in der Tür geklemmt! Und mehrere kaputte Knochen sind mehr als nur ein ärgerliches Ärgernis. Es tut verdammt weh, Quetschungen haben die Angewohnheit (nachdem man das, was quetscht, weggenommen hat) ganz hässlich zu bluten und bei dadurch erzeugten Wunden verflucht schlecht zu heilen, ganz zu schweigen davon, dass auch die unglaublich unangenehm sind. Wir wissen nicht, welche Knochen Arian sich gebrochen hat. Wäre es der kleine Zeh vom rechten Fuß und zwei Rippen: Geschenkt, Glück gehabt. Nicht angenehm, aber kann man verschmerzen. Hat's die Hüfte, einen Oberschenkel und nen Wirbel erwischt - auch Knochen - kann er froh sein, überhaupt selbst Worte für das Geschehen finden zu dürfen. Damit kann man auch schon mal verbluten. Ja, verbluten. An Knochen sind auch Blutgefäße angesiedelt, die mitreißen können, die Knochenränder können Gewebe verletzten und das Blut kann dann in den Knochen reinlaufen. In einen Oberschenkel passt mal eben ein Liter und in eine Hüfte ganze fünf. Dann noch die Gefahr, dass sind Dinge aus dem Knochen herauslösen und in die Blutbahn gelangen können und dann zu Thrombosen, Herzinfakten, Lungenembolien und Schlaganfällen führen können - nein, es ist nicht läppisch. Das ist scheißgefährlich und selbst wenn man das alles nicht auf dem Schirm hat und davon verschont bleibt, darf man vier bis sechs Wochen mit diversen Gipsapplikationen durch die Welt humpeln, was mindestens lästig ist. Schonmal versucht, einbeinig (weil das zweite geschient) aufs Klo zu gehen? Viel Spaß. Wenn dann auch noch ne Hand kaputt ist, wird das zur richtigen Challange. Zocken, mit dem vollen Bus fahren, Treppenlaufen ... Das macht alles keinen Spaß und die Liste hört beim Schlafen auf. Auf jeden Fall wird das für einige Leute ziemliche Arbeit gewesen sein, dass er so wenige Souveniers davonträgt.
Natürlich kann es sein, dass er das nur so dahinsagt, weil es im Gegensatz zu seinen Eltern (die es eben nicht überlebt haben) ihm alles harmlos vorkommt, aber nüchtern betrachtet passt die Bezeichnung halt überhaupt nicht.
Dagegen wirkt Arians Neigung zu Primzahlen, die er angeblich öfter aufsagt, um sich zu beruhigen. Manchmal macht er in seinem Kopf auch Rechenaufgaben. Erstens kommt das in deiner Geschichte sehr selten vor, obwohl Arian des Öfteren Grund hätte, Strategien zur Beruhigung und Fokusierung zu bemühen. An zwei Stellen erwähnst du diese Eigenart. Zweitens lässt du ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit über Mathehausaufgabeben oder den Matheunterricht herziehen. Das passt nicht zusammen.
Ja, nicht jedes Thema in Mathe ist gleich. Nein, jemand der gerne mit Zahlen spielt kann sich noch lange nicht für Kurvendiskussionen und Integrale erweichen. Aber Arian (und du als Autor) differenziert da überhaupt nicht. Man hat nicht das Gefühl, dass er gerne mit Zahlen arbeitet und nur dieses eine bestimmte Thema nicht begreift, sondern es wirkt extrem ambivalent, weil er zeitweise Mathematik als generell ätzend hinstellt. Als hättest du seine Zahlenliebe völlig vergessen.
Wir haben eine Vermutung. Du sagtest, dass Arian autistische Züge hätte. Hast du ihm diese Zahlenliebe deshalb angedichtet? Um es "autistischer" wirken zu lassen? Dann eine kleine Erklärung dazu: Einige (vor allem Asperger-)Autisten haben sogenannte Spezialinteressen, kurz SI. Vorweg: Nein, das heißt nicht, dass sie in dem Gebiet sehr begabt sind, sondern nur, dass sie sich gerne und viel damit beschäftigen. Woran ihr denkt, das sind Savants. Die SIs heißen deshalb so, weil sich die Menschen nicht nur rein hobbymäßig damit auseinandersetzen, sondern dieses meist sehr eng umgrenzte Interesse sehr(!) hartnäckig verfolgen, meist seit ihrer Kindheit und damit meist zumindest theoretisch zu Spezialisten auf ihrem Gebiet werden. Dieses Interesse befriedigt (aus, pfui! Auf mentaler Eben!) diese Menschen. Es bildet einen Ruhepol in ihrem Leben, ist jene "kleine Welt", in die sich Autisten manchmal zurückziehen. Es ist etwas, das sie verstehen, was sie fasziniert und worauf sie selbst Einfluss nehmen und ihnen niemand, auch kein NT, reinredet - falls doch tut er das vermutlich nur einmal ... was ihr Spezialinteresse angeht können die Menschen doch sehr penetrant und deutlich werden, oder sehr, sehr mitteilsam und schwer zu bremsen. Manche haben eben ein solches Mathe-SI. Ausleben tut das jeder anders. Manche begeistern sich für Zahlenreihen (Pi, Primzahlen, Fibonacci-Folge, e usw.), manche für komplexe Berechnungen, die einen für Stochastik, die anderen für Algebra. Manche mögen bestimmte Zahlen, begeistern sich also vorwiegend für die Ästetik, andere für die Ordnung und Vorhersehbarkeit im Allgemeinen. Wenn es ihnen mal zu viel, zu laut, zu hibbelig, zu unvorhersehbar wird, flüchten viele sich in ihre SIs. Einfach um etwas zu tun, das sie können und was sie seit klein auf begeistert, um mal nicht unsicher und fremden Reizen ausgesetzt zu sein. Wie du vielleicht erkennen kannst, passiert das nicht nur ab und zu, alle paar Wochen. Es ist nicht einfach nur Mittel zum Zweck, sondern es ist ein Wille da, sich damit zu befassen. Seien es Eisenbahnen, Fahrpläne, Pflanzen, Tiere, Sprachen (ja, es gibt Autisten, die Fremdsprachen als SI haben, nicht alle Autisten sind mathephil), menschliche Verhaltensweisen (paradox, aber ja, gibt es!), Flugzeuge, Blaupausen, technisches Zeichnen, Sortieren und Ordnen, Miniaturmodelle, Schrauben, Elektronik, Malerei, Lesen, Schreiben (ja, man glaubt es nicht, aber es gibt auch SIs, die gar nicht "komisch" sind ...) und und und. Klarer Unterschied zum Hobby: "Früher hab ich ja immer ... aber da bin ich rausgewachsen." - Kein Autist über seine SI jemals.
Es ist also kein "Ich murmel mal ein paar Zahlen vor mich hin", sondern es begeistert die Leute etwas daran, es beruhigt und befriedigt, fasziniert und fesselt sie. Es ist ähnlich, wie wenn ihr an ein schönes Bild denkt, einen tollen Film oder ein gutes Buch, das euch nicht loslässt, nur, dass es euch fast ein Leben lang begleitet. Es bereitet euch Freude! Naja, zu dem Thema kommen wir später noch einmal ... Überleg dir jedenfalls, wie du Arian nun zu Zahlen stehen lassen willst und arbeite da die Unterschiede, die er da zwischen Unterricht und seine Affinität hat, heraus, damit es zusammenpasst.
Der nächste Punkt lässt einen nicht nur stocken, sondern mal wieder aufstöhnen. Es gibt diesen Sündenfall ja in fast jeder Geschichte: Der Charakter bekommt was über die Rübe gezogen, wird bewusstlos(!) und wacht Stunden später(!) wieder auf, woraufhin alle erleichtert sind, weil ja nichts(!) passiert ist.
Zunächst einmal das Offensichtliche: Ein Mensch wird so hart auf den Kopf geschlagen, dass er zu Boden geht und die normalen Umweltreize (Geräusche, Licht) nicht mehr ausreichen, um ihn zu erreichen. Das ist schon verflucht hart, kann aber passieren. Diese Bewusstlosigkeit ist im Falle von Arian sogar so tief, dass er nicht mitbekommt, wie seine Großtante (Altenpflegerin, just sayin) ihn ins Bett steckt. Er scheint also auch auf Berührungen nicht mehr zu reagieren. Wer schon einmal von einer einzelnen Person über den Boden geschleift wurde, weiß, wie schwierig so etwas zu ignorieren ist. Es wird also deutlich: Der Junge ist nicht nur etwas schläfrig, sondern wirklich tief bewusstlos. Und das fast vierundzwanzig Stunden lang!
Wir mögen Ella, aber hinsichtlich ihrer Sorglosigkeit, mit der sie dieses Geschehen hinnimmt, möchten wir sie am liebsten schütteln.
Was hat das für Arian zur Folge: Naja, je tiefer man bewusstlos ist, desto mehr nähert man sich, was die Kontrolle über den eigenen Körper angeht, der eigenen Geburt wieder an. Wenn ein sechsmonate altes Kleinkind mit dem Löffel das eigene Gesicht um zwei Meter verfehlt, ist das ein Grund zum Schmunzeln. Bei Menschen in der Pubertät nennt man sowas dann Koordinationsstörungen. Ist man über dieses Stadium schon (wie Arian) hinaus, fallen auch die Sachen weg, die selbst ein Neugeborenes fertig bringt: Schlucken, nicht am Sabber oder erbrochener Milch ersticken, schreien, weil die Wi... DAS war der Punkt der uns mit am stutzigsten gemacht hat. Arian kommt von einem opulenten Abendmahl, ehe er verletzt wird. Dummerweise lassen sich sowohl Blase als auch Darm nur sehr bedingt vorschreiben, was sie tun oder lassen sollen. (Selber Schuld, dass wir darauf immer wieder zu sprechen kommen, aber wir schicken Charaktere nicht stundenlang folgenlos ins Reich der Träume!) Zwar fahren beide ihren Betrieb im Schlaf ein bisschen runter, aber der ein oder andere wird es kennen: Man geht befreit ins Bett und am nächsten Morgen muss man doch pullern und irgendwann wird es dann mal wieder so weit sein, dass man nicht nach dem Aufstehen dran denkt, sondern deshalb ans Aufstehen denken muss. Dass wir nachts nicht ins Bett (in unsere Buxe, in das Planschbecken, eigentlich überall hin) schiffen ist etwas, das wir mühsam als Kleinkinder haben lernen müssen - wobei die größte Mühe dabei wohl die Eltern hatten. Diese Fähigkeit besitzt jemand ohne Bewusstsein leider zunehmend nicht mehr. Trotzdem läuft seine Verdauung weiter und als logische Konsequenz bekommt dann irgendwann der Ausdruck "Läuft bei dir" eine etwas andere Bedeutung. Nicht, dass seine Großtante als Altenpflegerin damit nicht umzugehen wüsste ...
Mal im Ernst, Leute. Macht mal (nach dem Lesen dieses Absatzes) die Augen zu und stellt euch folgende Situation vor: Ihr kommt in einen Raum, wobei die Tür gegen etwas Hartes stößt und dann etwas, das wie ein Sack Kartoffeln klingt, zu Boden fällt. Ihr späht durch den Spalt und seht dort jemanden, den ihr kennt, liegen. Egal wen. Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Nachbar. Der liegt da, rührt sich nicht und etwas, von dem ihr inständig hofft, das es Erdbeermarmelade ist, hängt dem im Gesicht. Weil derjenige hinter der Tür liegt, kommt ihr aber nicht dran. Ihr ruft, aber die Person rührt sich immer noch nicht. Ihr stubst ihn vorsichtig mit der Tür an, aber das bringt auch absolut nichts. Die Person liegt dort, reg- und leblos, verzieht nicht das Gesicht, sondern liegt einfach nur da wie tot. Das ist doch kein Bild, bei dem man sich denkt "Naja, mach ich mir mal nen Tee und guck in fünf Minuten noch mal drauf." Oder? ODER? Kinder, so ein Erste Hilfe Kurs bei euch um die Ecke kostet nicht so viel Geld, dass man das nicht mal machen könnte - und wenn es nur dazu gut ist, uns solche Szenen zu ersparen. Die Leute sind froh, wenn da nicht nur 18-jährige sitzen, die den Stuff für ihre Straßenabnutzungslizenz brauchen, sondern sich wenigstens ein oder zwei dafür wirklich interessieren. Die beißen auch nicht! Wär auch schön doof, da müsst man sich ja hinterher selbst drum kümmern.
Was wir Ella übrigens zu Gute halten müssen: Sie hat den Dorfarzt gerufen, als sie ihren bewusstlosen Großneffen gefunden hat. Der ist dann auch vorbeigekommen, hat sich den immer noch bewusstlosen, der nicht auf ihn reagiert, sich später nicht an das Treffen mit ihm erinnern kann und mindestens völlig neben der Spur gewesen sein muss, falls er überhaupt etwas gemacht hat, angeguckt und festgestellt, dass ihm nichts fehlt. Wie erleichternd ... Wieder so ein Freagle, den man zwingen sollte, seine Approbation auf dem Markplatz öffentlich zu verbrennen.
Später im Buch kommt es dann allerdings noch dicker. Da fällt Arian vor den Augen eines Mädchens aus heiterem Himmel in Ohnmacht. Einfach so. Natürlich nicht einfach so, es gibt dafür eine plottechnisch valide Begründung, aber für das Mädel, das hier Beobachter ist, ist der Grund nicht ersichtlich, außer ein paar goldene Funken. In einem Punkt handelt das Mädel, Malia (wobei Syd jedes Mal an Malinois denken muss ...), auf jeden Fall gut: Es holt ihre Eltern zu Hilfe. Was ihre Eltern sich dann aber leisten, ist nicht viel besser als Ellas Meisterleistung: Sie stecken Arian, der fünf Minuten mit vollkommener mentaler Abwesenheit glänzt, in sein Bett - und lassen ihre völlig überforderte Tochter dann mit ihm allein. Parenting at it's best!
Eine Sache aber hast du beim vorherigen Türdesaster konsequent durchgezogen: Als Arian aufwacht wird er nicht von der strahlenden Sonne geweckt fühlt sich ausgeschlafen wie lange nicht mehr, sondern hat Kopfschmerzen und die begleiten ihn auch noch einige Zeit. Das war (im Ansatz) schonmal gut! Nur, wer schon mal richtige Kopfschmerzen hatte, der weiß eigentlich, dass eines der letzten Dinge, die man dann tun will, fernsehgucken ist. Hören, ok. Sich berieseln lassen, ohne wirklich hinschauen, vielleicht auch noch. Aber wirklich gucken? Am Laptop, so mit Lesen und so? Jezz, niemals!
Auch später kommt es zu einem Punkt, an dem es dir an Konsequenz fehlt. Als Ella Arian ihren Verrat gesteht, kippt der ihr seinen Tee über den Kopf. Tee, der gerade erst aufgesetzt worden ist. Selbst grüner Tee wird mit Wasser aufgegossen, das ca. 80°C hat. Zwar reicht eine Tasse Tee (oder Kaffee) nicht, um einem Erwachsenen fast die gesamte Hautoberfläche zu verunstalten (bei Kindern schon), aber weh tut es dennoch und ja, es führt zu Verbrühungen. Das Gespräch, das dazwischen stattfindet, ist zu kurz, als dass die Flüssigkeit entsprechend abkühlen könnte. Ella hat damit also keinen Grund, zu weinen, sondern wie am Spieß zu kreischen und sich danach schmerzgeplagt auf dem Boden zu winden. Und dann auch noch die Kopfhaut, die eh empfindlich ist. Das ist echt nicht feierlich.
Wir haben allerdings auch zwei Punkte gefunden, die aus ganz anderen Abteilungen kommen. Da wäre einmal der Kirschbaum am Grab des Vaters von Arian. Dass er sich den Platz auf dem Friedhof gewünscht hat (also sich offensichtlich als Mann mittleren Alters Gedanken darüber gemacht hat, wo er einmal beerdigt werden will), ist ja schön und gut, aber auch wenn er sich das so vorgestellt und diesem Wunsch sogar entsprochen werden konnte, sind wir fest davon überzeugt, dass man Kirschbäume nicht dazu überreden kann, im Herbst Blüten zu bilden und jene Blütenblätter dann auf das Grab herabregnen zu lassen. Das hat die Natur einfach anders vorgesehen. Die Kirschbaumblüte ist im April.
Was uns auch hat aufmerken lassen, war ebenfalls beim Besuch am Grab der Eltern: Augenscheinlich ist Arian am dritten Todestag seiner Familie genauso alt, wie seine zwei Jahre ältere Schwester. An alle Mathefans unter euch: Findet den Fehler.
Wir haben aber auch einen positiven Punkt, den wir hier lobend erwähnen wollen: Als Arian vorhat, sich mit einer Person zu treffen, die er bisher nur über das Internet kannte, legt er erstaunlich viel Verstand an den Tag. Sie verabreden sich an einem belebten Ort, auf neutralem Gelände, das keine Rückschlüsse auf den Wohnort zulässt, in der Öffentlichkeit. Da waren wir richtig und völlig begeistert von.
Übrigens waren wir auch begeistert von dem Aufklärungsgepräch, das Ella mit ihrem Großneffen geführt hat. Kurz, schmerzlos und nicht halb so peinlich, wie es manche deiner Leser kommentiert haben. Nichts sagen ist eben auch keine Lösung und die Gute hat da echt einen charmanten Mittelweg gefunden.
Leider waren dann da aber noch weitere Punkte, die uns mehr gestört haben. Beispielsweise Arians Internetbekanntschaft, die einen wichtigen, antiken Originaltext in ihrem Rucksack durch die Gegend trägt. Lose Blätter, wie es uns erschien. Wir hätten fast angefangen zu weinen ... Solche Relikte bewahrt man besonders auf. Man setzt sie keiner erhöhten Feuchtigkeit auf, passt aber auch auf, dass sie durch eine zu geringe Luftfeuchtigkeit nicht zerfallen. Man schützt sie vor Sonnenlicht, damit die Tinte nicht ausbleicht - und dann trägt so ein Teenager die Dinger durch die Gegend, packt die mit seinen Pfoten an und ballert die auf einen Tisch in einem Café, auf dem auch noch Getränke stehen?! Samma, hackt's oder wat?! Sowas scannt man ein und dann kommt das zurück in eine Vitrine. Oder ein Archiv. Dahin wo ... egal! Wären wir Archäologen, wir hätten wirklich mehr als nur eine Träne verdrückt.
Zwischenzeitlich mussten wir dann doch wieder zurück auf dieses blöde Thema mit den Krankheiten zurückkommen, als du beschreibst, wie Arian einen Asthmaanfall erleidet. Irgendwann nach Kapitel 20. Dass du vorher noch nie etwas davon erwähnt hast - ist erklärt worden, da Arian seit der Grundschule keine Probleme mehr damit hatte. Ok. Aber die Beschreibung ist ... kein Asthma. Du beschreibst, dass Arian schnell ein und ausatmet und ihm dann irgendwann das Einatmen schwerfällt. Dabei ist REIN bei Athma (erstmal) gar nicht das Problem.
Stellt euch Lungen wie einen halbaufgeblasenen Luftballon vor, der von innen (durch Unterdruck) an euren Rippen klebt. Euer Zwerchfell (ein Muskel unter euren Rippen, wer im Chor singt, wird davon schon einmal gehört haben) kann sich zusammenziehen (wie jeder andere Muskel auch) und zieht dadurch diesen halbaufgeblasenen Luftballon weiter auseinander. Macht ihr täglich (hoffentlich) öfter und kennt ihr als schnödes "Einatmen". Entspannt sich euer Zwerchfell, flutschen eure Luftballons (Lungen) wieder in ihren Ursprungszustand zurück. Was passiert mit Luftballons, die eine Öffnung haben und die mit der Luft, die in ihnen ist, tun und lassen können, was sie wollen? Genau, die Luft geht raus. Ausatmen können wir also, ohne irgendwas zu tun, außer, uns zu entspannen - aber nur, solange der Weg nicht versperrt ist. Bei Asthma ziehen sich die Bronchien (ein Teil des Luftweges von der Lunge nach draußen) zusammen. Jetzt kann das Zwerchfell zwar durch mehr Unterdruck problemlos Luft reinziehen, aber ein Muskel kann sich nur zusammenziehen, nicht schieben oder drücken. Das passiert nur durch ein kompliziertes Zusammenspiel mehrer Muskeln, die quasi aus "Ziehen" und "Ziehen" (und "Ziehen" und "Ziehen" und ...) in der Summe dann eine Bewegung verursachen, die wir dann "Drücken" nennen. Nicht weniger komplex als ein Computerprozessor, der nur Addieren kann, aber es irgendwie schafft, auch alle anderen Rechenarten zu meistern und lustige Katzenbilder darzustellen. Das Zwerchfell ist aber (fast) alleine, so dass man die Luft nur bedingt und mit Tricks in Kooperation mit anderen rausschieben kann und das Streben der Lunge, wieder in ihren Ursprungszustand zu verfallen, ist nicht stärker als der Wiederstand der eingeengten Luftwege. Das Problem entsteht also bei Asthma nicht beim EINatmen, wie du es beschrieben hast, sondern beim AUSatmen - und weil eine Lunge eben kein unendliches Fassungsvermögen hat, ist die irgendwann voll (mit Luft), dass auch das Einatmen nicht mehr läuft (was richtig doof ist, weil dann auch Spray nichtmehr reingeht). Auch wenn es eine Weile her ist, dass Arian einen Asthmaanfall hat, sollte er trotzdem den Trick mit der Atemhilfsmuskulator oder den magic skill "Lippenbremse" beherrschen oder zumindest kennen. Zwei Möglichkeiten: Du fängst an, deshalb mal etwas zu recherchieren (was keine 5 Minuten in Anspruch nimmt ...) oder aber du änderst es an der Stelle zur Hyperventilation, der die Beschreibung, die du dort präsentierst, wesentlich mehr ähnelt, auch wenn Arians Luftnot dann mehr subjektives Empfinden ist. Benötigt dann aber weniger Änderungen.
Es sind keine völlig neuen Sachen, es sind die üblichen kleinen Schwachstellen, die deine Geschichte in Punkto Logik aufweist. Vieles davon kennt man auch aus Hollywood oder aus verlegten Werken. Das heißt aber nicht, dass man nicht den Ehrgeiz haben darf, es besser und authentischer zu machen. Gerade, weil deine Geschichte sich im Kern auch um psychische Störungen und Trauerbewältigung dreht, wäre es angeraten in diesem Bereich viel Wert auf Authentizität zu legen.
Dramaturgie (Zeichnet sich eine Spannungskurve ab? Oder neigt man dazu, den Inhalt deiner Geschichte einfach zu überfliegen?)
In dieser Sparte wollen wir zunächst einmal anmerken, dass wir positiv überrascht waren, dass du jedem Kapitel ein eigenes Symbolbild gegeben hast, das zumindest in den ersten Kapiteln auch sehr gut zum Inhalt gepasst hat (später dann leider von T-Shirt-Sprüchen abgelöst wurde). Die Liebe, die du da hinsichtlich der Präsentation reingesteckt hast, kommt richtig rüber. Auch die Kapitelüberschriften sind originell. Dass es für jedes deiner Kapitel eine Redewendung als Entsprechung gibt, die du wunderbar humoristisch abwandelst, hat uns verblüfft. Uns wären die vermutlich nicht passend eingefallen.
Zu beiden Punkten haben wir allerdings Verbesserungsvorschläge an dich. Zunächst einmal wäre es gut, wenn du die Kapitelheader passend zuschneiden würdest. Nimm die Maße, die für den PC empfohlen sind (1920x600px), dann wird es auch auf dem Handy entsprechend schön dargestellt. Die Darstellung geht dann über die volle Breite und das wirkt einfach noch stimmiger als die kleinen, begrenzten Bildchen.
Zwar sind die Kapitelnamen sehr einprägsam, aber um sich im Inhaltsverzeichnis besser orientieren zu können - gerade wenn man mit einem Gruppen- und einem Privatenaccount liest, fällt das auf, wenn man die Stelle sucht, an der man aufgehört hat - wäre es clever, wenn du Kapitelzahlen den Titeln voranstellen würdest.
Im Prolog legst du die Daumenschrauben ziemlich eng an. Die zunächst angespannte, aber im Grunde harmlose Atmosphäre, die vor allem mit den Gefühlen deines Protagonisten spielt und dann der Twist legen da ordentlich etwas vor. Man beginnt sich dieselben Fragen wie Arian zu stellen, wer hinter dem ganzen Unglück steckt oder ob es sich wirklich nur um einen technischen Defekt gehandelt hat. Das ist super, schafft eine Verbindung mit der Figur und regt zum Weiterlesen an.
Es gibt aber zwei Dinge, die das ein wenig dämpfen. Da wäre einmal, dass du die Abfolge der Ereignisse nicht unbedingt passend aufgreifst. Das hatten wir in "To the moon and black" bereits. Bei dir ist es, dass Arian den Lichtschalter betätigt, dann einen lauten Schrei hört, dann den Knall der Explosion und letztlich dann seine eigenen Verletzungen wahrnimmt. Zunächst, was gut ist: Dass Arian nämlich erst gar nicht realisiert, was mit ihm selbst passiert, ist durchaus erklärbar und schlüssig. Im ersten Schreckmoment und auch in den Sekunden oder gar Minuten danach können Menschen aufgrund des Schocks so weit weggetreten sein, dass sie das wirklich nicht realisieren. Das passt sogar sehr gut zum Geschehen. Dass er aber erst den Schrei hört, bevor die Explosion überhaupt passiert, können wir nicht begreifen - es sei denn, es ist der Gott der Finsternis, der dort lacht und nicht die Eltern oder die Schwester, die aufgrund des Schrecks, der Schmerzen und der Angst kreischen. Auch die brauchen die berümte Schrecksekunde, um zu reagieren und in dieser Sekunde ist die Explosion vermutlich schon vorbei. Die richtige Abfolge wäre also: Lichtschalter, Knall, Schrei, eigene Schmerzen.
Der andere Punkt ist deine sehr blumige und vor allem sehr ausschweifende Art zu schreiben. Ja, wir wissen, das ist dein Stil, aber gerade in den ersten Kapiteln drehen sich halbe Kapitel nur um Nichtigkeiten. Man bekommt das Gefühl ganze Absätze bestehen allein aus irgendwelchen pseudozynischen Off-Kommentaren deines lyrischen Ichs zu irgendwelchen Begebenheiten, was Arian ganz und gar nicht wie den desinteressierten Jugendlichen rüberkommen lässt, wie du es vermutlich vorhattest, sondern eher wie ein höchst interessiertes Klatschweib mit einer echt schlechten Meinung über seine Nachbarschaft. Du bombadierst deine Leser teilweise mit den kleckerweisen Beschreibungen von Äußerlichkeiten, Rückblenden, die beispielsweise die Eigenheiten der Großtante beleuchten, ohne dass diese Informationen irgendetwas zur Handlung beitragen würden. Syd hat früher nie verstanden, wie Leute Textpassagen, auch nur einzelne Sätze, als unnötig oder überflüssig bezeichnen konnten; schließlich ist doch jeder Satz etwas wunderbares und trägt natürlich irgendetwas zur Geschichte, zum Charakter oder der Atmosphäre bei! Wir haben bei dir gemerkt ... nein, tut es nicht unbedingt. Wenn du Arian plötzlich seitenweise darüber dozieren lässt, dass Ella eine Abneigung gegen Technik hat und er es nur einem glücklichen Umstand zu verdanken hat, dass er ein Handy besitzt, ohne dass das Handy, Technik oder diese Abneigung Ellas in irgendeiner noch so entfernten Weise für den Plot an dieser Stelle irgendeine Relevanz hätte, dann steht das einfach in keinem Verhältnis. In der Hinsicht solltest du auf jeden Fall versuchen, die Waage zu halten. Es ist schön, wenn du ein paar Nebeninformationen einstreust, aber achte auf den Raum, den die einnehmen. Das Sprichwort "So viel wie nötig und so wenig wie möglich" könnte dir hier ein guter Leitfaden sein, um dich von dieser Angewohnheit zu entwöhnen. Dasselbe gilt für vollkommen alltägliche und normale Geschehnisse. Natürlich darf man auch die mal auskosten, dem Leser näher bringen, was denn so der Alltag des Protagonisten wäre und ihm Zeit geben, zu verschnaufen, aber im Zusammenspiel mit deinem sehr rasanten Prolog, ersaufen deine ersten Kapitel leider in diesen Beiläufigkeiten, als hättest du Probleme damit, zum Punkt zu kommen. Selbst, wenn man das mit Humor garniert, braucht man etwas Abwechslung. Es muss etwas da sein, das den Leser über diese Banalitäten hinaus fesselt: Humor, offene Fragen (Neugier), Spannung, sprachliche Rafinesse - irgendwas! Immer nur Arians Genervtheit und seine passive Aggressivität lässt einen wünschen, er würde sich endlich einmal kurz fassen. (Und das sagt Syd, die 30 Minuten Plot auf 20K-Wörter streckt; also sie weiß, was Ausführlichkeit heißt!)
Es gibt auch Stellen, an denen deine blumigen Ausschweifungen richtig, richtig gut zur Geltung kommen. Zum Beispiel, als Arian durch Fürth schlendert und die umliegenden Häuser und Menschen beschreibt. Da merkt man deine Liebe zum Detail und kann sich wunderbar ein Bild aufbauen. Die ruhigen Erzählungen passen außerdem wunderbar zu einem eben (anfangs) ereignislosen, aber beschaulichen Spaziergang. Es bremst keine Handlung aus, es lässt Zeit, das vorherige Gespräch zu verarbeiten, über das ja auch der Charakter nachdenkt und Arian lässt mal nicht alle zwei Sätze einen sarkastischen Gedanken los. Nebenbei erkundet man mit ihm gemeinsam auch neue Ecken, zumal es einen perfekten Kontrast zur nachfolgenden Handlung durch das große Spannungspotenzial (vorher SEHR wenig, hinterher SEHR viel) bildet. Das sind Stellen, an denen es dann wunderbar passt.
Nebenbei bemerkt funktioniert das auch gut, wenn euer Charakter völlig durch den Wind ist oder generell ein kleiner Chaot. Dann kann man sowas dazu verwenden, um das zu demonstrieren.
An anderer Stelle wundert es uns einfach nur. Wenn du beispielsweise irgendwo erwähnst, dass Ella ja kein Fleisch im Haus haben will und es dann auf der Trauerfeier anlässlich des Todestages ihrer Schwester (Arians Mutter + Vater + Schwester) Frikadellen gibt. Da haben wir noch gedacht "Ok, da wird sie für die Gäste eine Ausnahme gemacht haben". Wenn es dann aber ein paar Tage später Kartoffelbrei (schon wieder ...) und Schnitzel nur für Ella und Arian gibt, dann fragt man sich, warum man sich den Sermon ein paar Kapitel vorher eigentlich geben musste. Details, schön und gut, aber darüber sollte man dann auch den Überblick behalten.
Genauso wie Arians Brille, die plötzlich auftaucht, nachdem sie im ersten Kapitel mal nebenbei angeteasert worden war. Zuerst auch hier unser wohlwollender Gedanke "Naja, vielleicht ist das ja eher eine Lesebrille", aber nein, plötzlich heißt es, irgendwann nach Kapitel 20, dass er ohne seine Brille blind wie ein Maulwurf sei. What? Als er nach dem Schlag auf den Schädel zu Bewusstsein kam, hat er ohne Probleme, keine Minute nachdem er wach geworden war, das Poster über seinem Bett erkannt und detailreich beschreiben können, ohne nach irgendeiner Brille suchen zu müssen und auf dem Laptop die Nachricht kann er zwei Sekunden später (mit höllischen Kopfschmerzen >.<) auch lesen. Sowas wirkt unglaublich inkonsequent, als hättest du im Laufe der Geschichte gedacht "Och, der hat noch nicht genug Macken, packen wir doch noch mal 20 Dioptrin und Asthma dazu, nicht, dass der noch Klischee mutiert". Mach dir mehr Notizen, um so etwas zu vermeiden.
Same mit seiner Narbe. Im zweiten Kapitel heißt es, es sei "eine kleine Erhebung", das letzte Überbleibsel des Unglücks, das bei schlechtem Wetter zwickt. Später dann ist es ein hässliches Mal, das ihn furchtbar entstellt und man fragt sich "Was ist da passiert?". Da widersprechen sich deine Beschreibungen, so dass es fast schon in den Bereich Logik reingehört. Aber vor allem fällt das auf, weil die Beschreibungen sehr ausführlich sind - und dann nicht mal passen. Das mindert die Tolleranz mal eben um 100%.
Darüber hinaus solltest du vorsichtig sein, was Fremdreferenzen angeht. Bei dir in der Geschichte finden sich davon einige. Angefangen bei ASPHALT, über Harry Potter und The Walking Dead, bis hin zu Berlin Tag und Nacht, weiter zu Ed Sheeran und Kärbholz (wer?). Mit "ASPHALT" oder Kärbholz konnten wir absolut nichts anfangen, der Rest sagte uns zumindest ein bisschen was, aber wäre es nicht auch ohne diese Querverweise gegangen? Dagegen recht gut eingearbeitet fanden wir "Lasse reden" von den Ärzten. Da hast du einige Zeilen rezitiert, so dass auch diejenigen, die das Lied nicht kannten, verstanden haben, wie es mit der Situation zusammenhing. Das war gut gemacht, beim Rest ist man ohne dieses Fremdwissen leider vor eine Wand gelaufen, die du als Autor eigentlich durchbrechen und nicht noch verstärken willst.
Zuletzt bist auch du ein Freund davon, Dinge zu beschreiben, die scheinen oder wirken, aber selten wirklich sind. Beispielsweise an Stellen wie "Mein Herz schien mir aus der Brust springen zu wollen." Jeder Leser wird wissen, dass sein Herz nicht tatsächlich aus der Brust springt und auch gar keinen eigenen Willen besitzt, aber für Arian fühlt es sich in dem Moment wirklich so an, als würde sein wildklopfendes Herz tatsächlich gleich durch seine Rippen brechen. Der wird in dem Moment nicht darüber nachdenken, dass das ja gar nicht geht. Dann beschreib das auch so konkret! "Mein Herz schlug immer heftiger, schneller, als wollte es mir aus der Brust springen." Kein Anschein, keine Scheinwirkung, fass das Gefühl und trau dich, konkret und deutlich zu werden. Damit klaust du dir ein ums andere Mal die emotionale Wirkung deines Textes. Prüfe die beiden Worte "schien" und "wirkte" und sortiere die aus, die einfach unnötig sind, weil es keine Vermutungen, sondern Wissen oder wahre Empfindungen sind.
Davon abgesehen muss man aber auch lobend Erwähnen, dass du insgesamt gut mit den Erwartungen und Vorahnungen deiner Leser spielst, ihnen Anhaltspunkte für die verschiedensten Vermutungen gibst und dich nicht verplapperst. Man kann miträtseln, wird verunsichert und weiß nicht so recht, in welche Richtung es wohl gehen wird, weil alles gleich authentisch und auch wieder unglaublich klingt. Ein Dämon? Nebenwirkungen der Medikamente? Psychische Störung? Man weiß es nicht und wird da von dir auf sehr spannende Weise im Dunkeln gelassen, so dass man nicht drumherum kommt, weiter zu lesen, um Antworten auf die Fragen zu bekommen. Gewissheit. Diese Neugier generierst du wirklich sehr, sehr gut.
Genrebezug? (Passt der Titel zum Inhalt? Oder brichst du ganz bewusst und gekonnt mit den Vorgaben, um etwas Neues zu wagen?)
Wer die Rezension bisher gelesen hat, wird sich vermutlich fragen, warum dieses Buch, das sich augenscheinlich mit psychischen Störungen befasst und der Trauerbewältigung eines Teenagers, warum es bitte schön in Fantasy gelistet ist und warum wir darüber hinaus finden, dass es dort auch ganz richtig liegt. Das hat den Grund, dass noch eine weitere Komponente in die Geschichte hineinspielt und zwar die eines machthungrigen, hasserfüllten Dämons der Finsternis (Darknes on the wall, eh?), der andeutet, hinter dem Unglück Arians Eltern zu stecken. Anhand des Genres lässt sich schnell erkennen, dass es sich dabei um mehr als um eine gruselige Fantasie, Traumgestalt oder Halluzination handelt, trotzdem ist es (das sei noch einmal angemerkt) sehr gut gemacht, so dass einen die Zweifel, wie die Dinge denn nun wirklich liegen, immer wieder überkommen. Abgesehen: Die Brücke von Terabithia ist ebenfalls ein Werk des Genres Fantasy, obwohl alle Fantasiewesen in diesem Film ganz offensichtlich nur Gespinnste der Fantasie (get it?) zweier Kinder sind. Da es sich hauptsächlich um Arians Konflikt dreht, ob dieser Dämon nun existiert oder nur die Ausgeburt seiner Gedanken ist und ob sie wirklich hinter dem Tod seiner Eltern und seiner Schwester steckt, passt das Werk hervorragend ins Genre, wenn es auch clever ist, als zweiten Tag Jugendliteratur zu setzen, da es auch dort sehr gut hereinpasst. Eigentlich auch nach Übernatürliches.
Charaktere
Charakterset: Sind sie authentisch?
In diesem Punkt sind wir sehr zwiegespalten. Einerseits gibt es sehr authentische Ansätze. Da wäre einmal das Umfeld von Arian, das du vergleichsweise groß gestaltet hast. Bei vielen ist ja nach Mama, Papa, Kind Schluss, aber bei dir gibt es noch eine Großtante und auch Onkel und Tante, inkl. Cousin und dann noch eine Großmutter, die alle ihre eigene Vergangenheit und Wesenszüge besitzen. Das ist auf jeden Fall gut gemacht und realistischer als das übliche hier auf WP, wo sich Autoren diese Mühe eher selten machen.
Genauso positiv überrascht waren wir, als du dargestellt hast, welchen Personen Arian im Internet bei seinen Recherchen über den Weg gelaufen ist. Da tummeln sich, wie die meisten wohl wissen, Spinner verschiedenster Coleur, aber eben auch ganz normale Leute, die einem weiterhelfen können. Du beleuchtest den gesamten Querschnitt, anstatt sie alle über einen Kamm zu scheren und gehst sogar bisweilen auf die verschiedenen Motive (Dämonenanbetung, Rettung der Seelen verlorener Schäfchen, Neugier usw.), was uns richtig, richtig gut gefallen hat! Ebenso wie Arians Überlegungen, dass jemand mit seiner Verzweiflung spielen und ihn nur verarschen könnte und dass er den Leuten gegenüber sehr kritisch eingestellt ist.
Dagegen weniger gut fanden wir die Darstellung des Klassenverbandes, in dem Arian sich bewegt. Alle seine Mitschüler scheinen ihm seine Eskapaden durchgehen zu lassen - mit denen er bewusst provozieren will. Die Reaktion der Schüler scheint dabei fast immer dieselbe zu sein: Man lässt den "armen Irren" gewähren. Aber so sind Klassen nicht. Das sind keine homogenen Gruppen. Jeder reagiert anders. Manche sind genervt, verbergen das mehr oder weniger gut, andere wirklich schnell gereizt und wieder andere ignorieren solche Personen dann völlig und lassen sie links liegen. Dass sie alle auf dieselbe scheue Weise reagieren, ist unnatürlich - wenn es auch hoch anzurechnen ist, dass sich viele in deiner Geschichte doch noch sehr um Arian bemühen, ihn beispielsweise zu gemeinsamen Aktivitäten einladen oder das Gespräch mit ihm suchen, obwohl er ihnen - nur um zu provozieren - vorschlägt, gemeinsam mit ihm einen erweiterten Suizid zu begeben. Sorry, da wäre wohl jeder Mensch mit überfordert, wenn ein ihm fremder Mensch, den man nicht einschätzen kann, mit so einer Bitte gegenübersteht! Wir konnten hier wesentlich mehr Sympathie für die Leute innerhalb der Klasse aufbringen als für Arian, der hinter jeder netten Geste geheucheltes Mitleid vermutet und alles sofort im Keim erstickt.
Was wir außerdem an der Familie von Arian letztlich doch störend empfanden, waren seine Tante, sein Onkel und dessen Zögling. Dass die Tante scheinheilig ist und hinter seinem Rücken über den "zurückgebliebenen" herzieht - nicht nett, aber ok. Aber der Onkel schlägt in dieselbe Kerbe und der Cousin zieht ihn damit sogar ganz offen auf. Schnell kann man merken, dass Arian darauf sehr gereizt reagiert, was für jeden normaldenkenden Menschen völlig verständlich wäre (und jeder Mensch, der einen Funken Anstand im Körper hat, hätte sich nicht so verhalten wie die drei Grazien), aber die scheinen dafür vollkommen blind zu sein. Das Trio kommt so überzeichnet rüber wie die Dursleys aus Harry Potter. Es wirkt, als hättest du einen Grund gebraucht, um Arian weit genug zu treiben, damit er ausrastet. Dass sich Menschen wirklich derartig hässlich verhalten - auf einer Trauerfeier, in Anwesenheit eines minderjährigen Waisen - ist doch sehr schwer vorstellbar. Wären die Andeutungen subtiler und nicht derartig offen feindselig, wäre das schon was anderes gewesen, aber hier schießt du in unseren Augen einfach übers Ziel hinaus.
Charakterdesign: Kann man sich ein gutes Bild von ihnen machen? (nicht nur äußerlich, sondern auch was ihre Eigenschaften betrifft)
Bevor wir zu irgendwelchen Nebenfiguren kommen, befassen wir uns zunächst mit Arian. Bevor im Prolog sein Alter genannt wird, hätten wir ihn auf sieben, maximal zehn geschätzt. Der Junge hat Angst im Dunkeln, schläft das erste Mal allein in seinem Zimmer, jedes noch so kleine Geräusch ängstigt ihn und um sich abzulenken, will er sich an seine Legoburg setzen, die er erst vor Kurzem geschenkt bekommen hat. Er ist fest davon überzeugt, seine Eltern wären stolz auf ihn, wenn er diese Burg alleine aufbaut. Nun haben wir einige Referenzobjekte im Bekannten- und Freundeskreis. Also Kinder. Daher wissen wir, dass in der Regel bereits Neunjährige durchaus in der Lage sind, komplexe BAUSTEIN Technik-Produkte selbstständig auseinanderzunehmen und nach Anleitung wieder zusammenzusetzen. Selbst programmierbare Modelle liegen für diesen Altersbereich im Rahmen des Möglichen. Schon Zwölfjährige bauen allerdings eher für sich, anstatt ständig ihren Eltern damit auf den Geist zu gehen, weil die nach spätestens zehn Jahren auch keine Lust mehr haben, jeden Bleistiftstrich und jede Pappmascheeskulptur aus Schule oder Kita in den Himmel zu loben. Auch Aktionen wie "Ich will genauso toll sein, wie meine große Schwester", sind doch eher die Gedanken eines Grundschülers. Vor diesem Hintergrund haben wir doch sehr gestutzt, dass Arian zu diesem Zeitpunkt bereits dreizehn Jahre alt ist und uns gefragt, ob er insgesamt ein wenig hinterherhinkt.
Das Ganze wurde nur deshalb authentisch, weil beschrieben wird, dass keiner von Arians Klassenkameraden noch bei seinen Eltern schläft und er sich deshalb geniert. Das macht deutlich, dass du dir durchaus bewusst ist, dass sein Verhalten nicht ganz altersgemäß ist. Das ist wichtig. Hätte dieser kleine Absatz gefehlt, hätte es so ausgesehen, als hättest du nicht einmal eine grobe Ahnung, wie sich Kinder in den verschiedenen Lebensphasen verhalten. Wir erwarten (und könnten es auch nicht beurteilen, obwohl vielleicht doch, wenn Jao ihre Pädagogenfamilie um Rat fragen würde) keine pädagogischen Abhandlungen über Entwicklungsstufen, aber grob kann man sich informieren, was so im Bereich des "Normalen" liegt und was nicht.
Die Darstellung der Diskrepanz hat diesen Punkt damit gut erklärt, so dass die Darstellung wieder logisch war, was uns sehr erfreut hat. Auch in den Kapiteln, in denen Arian ja bereits 16 Jahre alt ist, hat uns zu Anfang sehr gefallen. Allein dadurch, dass der Junge kein 08/15-Badboy ist. Die Freude darüber ... nun, sie hielt nicht lang. Nach fünf bis zehn Kapiteln kamen wir zu einer Charakteresierung, die auf Dauer doch sehr anstrengend zu verfolgen ist: Zynisch, pessimistisch, mangelnde Einsicht, unzufrieden, unzuverlässig und das gepaart mit der Neunmalklugheit, dem hormonell bedingten Gefühl der universellen Überlegenheit gegenüber dem Universum und der bockigen Launenhaftigkeit eines 16-jährigen Pubertiers. Glückwunsch!
Falls das so geplant war, ist dein Werk zwar für Jugendliche zu empfehlen, für jeden jenseits der eigenen Pubertät aber leider nicht mehr ... Es gibt leider kaum Anknüpfpunkte für Menschen mit rationalem Verstand, ihn sonderlich sympatisch zu finden. Anfangs hat man Verständnis, wegen des Todes der Familie, aber dadurch, dass der Junge wirklich jede nett gemeinte Geste, jede helfende Hand und jede noch so unterschwellige Hilfe nicht einfach nur ablehnt, sondern gewaltsam ausschlägt und den Betreffenden auch noch zum Vorwurf macht, verliert man sehr schnell die Geduld mit ihm. Er erklärt sich auch nicht, sondern erwartet entweder still, dass man ihn doch so sein lässt, wie er nunmal ist, oder aber er geht steil und fängt an um sich zu treten. Wir hatten mit seinem Umfeld, das davon maximal überfordert war, wesentlich mehr Verständnis.
Kommen wir auch noch zu deiner Beschreibung, dass Arian autistische Züge aufweisen würde. Darauf gehen wir mal näher ein, auch wenn wir wissen, dass du diese Bezeichnung vor allem deshalb gewählt hast, weil dir kein besserer Begriff einfiel. Nun ist Autismus ein verdammt facettenreiches Spektrum (Autismus-Spektrum-Störung, ja, hat halt seinen Grund) und wir sind keine Psychologen, Psychiater oder Ärzte, weshalb wir uns nicht erdreisten nun zu sagen "Arian kann gar kein Autist sein" - spätestens die (alte) Klasse "Atypischer Autismus" bietet hier eine Niesche für allerlei Darstellungen, aber auf uns wirkt es wie ein Abziehbild dessen: Ein menschenhassender Teenie mit Eigenheiten. Wo wir die Probleme sahen, war der Mechanismus, der Auslöser für sein Verhalten: Während sich Arians Verhalten fast komplett mit seinem schrecklichen Erlebnis begründen lässt, gründet es eben bei Menschen aus dem Autismus-Spektrum auf einer Entwicklungsstörung und einer anderen Wahrnehmung der Umwelt und der Menschen.
Stumpf gesagt, würden wir es einfach so bezeichnen, da du ja nach einer bessere Begrifflichkeit gesucht hast, dass Arian durch das Unglück, bei dem seine Eltern starben, ein psychisches Trauma davongetragen hat. Allerdings machst du da auch einen eklatanten Fehler: Du benennst seine Abneigungen nur, statt sie dem Leser zu zeigen. Show, don't tell! So etwas ist wichtig, um Eigenheiten nachvollziehbar an den Leser zu bringen. Das fängt mit Arians Zahlenliebe an, geht über seine Abneigung über menschliche Nähe, bis hin zu seinen, wie du meinst, Problemen im sozialen Umgang. Warum wir trotzdem glauben, dass "autistische Züge" der falsche Begriff ist? Gut, das wird jetzt etwas länger.
Das ist das, was wir aus der Handlung beobachtet haben: Arians Desinteresse und Überlegenheitsgefühl gegenüber seiner Mitmenschen ist nicht stärker oder schwächer ausgeprägt als bei vielen anderen Menschen in seinem Alter. Arian hat keine Probleme mit Blickkontakt, keine Probleme Redewendungen oder Sprachbilder aufzufassen (ist selbst ein Freund von Ironie, Zynismus und der Ich-Erzähler bedient sich sehr farbiger Bilder), zeigt keine Stereotypien oder Hang zu Ritualen (verteufelt diese sogar stellenweise), keine Reizfilterschwäche, scheint normal sozialisiert zu sein, kein besonders eng gefasstes Interesse (von seiner Fixierung auf den Tod seiner Eltern abgesehen, was aber eine Ursache hat) und genauso kann er das Verhalten seiner Mitmenschen richtig deuten, einordnen und darauf reagieren - spielt sogar bewusst mit ihren Erwartungen und Andeutungen! Gerade in seiner Klasse kommt er wie ein sehr gerissener und - entschuldige - manipulatives Arschloch rüber.
Vorweg: Ein Autist zeigt nicht zwangsläufig ALLE Anzeichen, die wir beschrieben haben und ddie dann auch in unterschiedlichsten Intensitäten. Manchen merkt man es sehr deutlich an, anderen dagegen (von außen) fast überhaupt nicht. Das ist eine recht komplexe Entwicklungsstörung, für deren Diagnostik nicht selten ein Jahr oder mehr Zeit ins Land geht. Es mag zwar einfach sein, Arian einfach mit dem Terminus "besitzt autistische Züge" zu beschreiben, aber nicht jeder Mensch, der andere Menschen nicht leiden kann und auf eine Sache fixiert ist, ist ein Autist und Arian zeigt schlicht und ergreifend keinen der genannten Punkte wirklich konsequent und authentisch, auch wenn der Ich-Erzähler manchmal irgendwelche Behauptungen in den Raum stellt. Nebenbei bemerkt gibt es durchaus Autisten, die gut mit ihren Mitmenschen klarkommen - oder zumindest den Wunsch hegen, mit ihnen klar zu kommen. Dass viele den Kontakt zu Menschen meiden, liegt oftmals an den vielen Rückschlägen, die viele schon erlitten haben, und der einhergehenden Überforderung mit der Situation an sich. Wenn man vor einem Menschen steht, der einen einfachen Satz formuliert hat, den man sachlich auch fassen kann, aber die Intention (ob böse oder gut) einfach nicht begreift und damit immer wieder auf die Nase fällt, sich lächerlich macht, sehenden Auges in Witze auf eigene Kosten rennt oder gar Streit und Wut auslöst, ohne es zu wollen (was MEGA frustrierend ist, zumal wenn die Umwelt beginnt, das auszunutzen, weil man ein leichtes Opfer ist), ist man entweder irgendwann zwangsläufig sehr verunsichert oder aber man nimmt eine "LMAA"-Einstellung an und haut eben das raus, was man denkt, völlig unabhängig davon, was die Mitmenschen davon halten - oder man steht wirklich völlig im Wald und wird jedes Mal von den Auswirkungen überrascht und versteht die Welt nicht, das ist dann besonders übel, da man die Ursache nicht kennt und damit nicht vermeiden kann. Arian mag rein äußerlich ähnlich eingestellt sein, aber versteht sehr wohl, was er mit seinem Verhalten auslöst und wäre allgemein in der Lage, die Eskalationen zu verhindern, nutzt dieses Wissen aber, um ganz gezielt seine Mitmenschen zu manipulieren, sie von sich fern zu halten und sie in die Ecken zu drängen, in denen er sie gerne sehen würde. Manchmal ist ihm auch einfach danach, dass sie sich schlecht fühlen und schafft das gezielt mit Worten und unterschwelligen Botschaften.
Dann mag Arian keinen Körperkontakt. Also, eigentlich auch erst wirklich konsequent, nachdem er Malia getroffen hat, da scheint ihm das irgendwie einzufallen und er nutzt jede Gelegenheit, um es dem Leser und die Nase zu reiben. Er erwähnt es zwar auch vorher immer mal wieder, aber über eine Erwähnung hinaus kommt es in dem Buch nicht. Ja, auch manche Autisten mögen keinen Körperkontakt. Menschen mit Hygienefimmel auch nicht. Oder Menschen mit sozialer Phobie. Oder Menschen, die andere Menschen einfach nicht mögen - soll es auch geben. Es gibt dafür viele Gründe. Allen zueigen ist aber, dass man sie nicht einfach "überrumpeln" kann, damit sie das über sich ergehen lassen. Bleiben wir mal bei Autisten: Viele, die Körperkontakt nicht ertragen - nicht mögen ist für manche eine krasse Untertreibung - haben einen über- oder untersensiblen Tastsinn. Das heißt, sie können entweder Berührungen (und bestimmte Strukturen wie bestimmte Stoffe oder Materialien) auf der Haut generell nicht haben oder ihnen bereitet zum Beispiel eine bestimmte Intensität ein Missempfinden. Manchen tun leichte Berührungen weh, wie ein Reißen der Haut oder winzige kleine Nadeln, aber feste Berührungen, kräftigen Händedruck oder Umarmungen, bereiten ihnen keine Probleme. Andere wiederum nehmen alles viel deutlicher wahr, so dass sie jeglicher Kontakt schwer überfordert, was sie Hören und Sehen überlagert und sie quasi orientierungs- und hilflos macht. Bei wieder anderen ist es tatsächlich die Nähe, die ihnen Angst bereitet. Würde man jemanden, der so empfindet, unvermittelt anfassen, würd allein aus Reflex versuchen, dem zu entkommen, weil es Unwohlsein bis hin zum Schmerz bedeutet, dem wir selbst dann entkommen wollen würden, wenn man uns auf unsere niedersten Instinkte reduzieren würde. Arian aber kann man einfach austricksen und er nimmt es hin. Wie ein Kind, das behauptet, es möge keine Pilze, aber wenn man sie unter Pizzakäse versteckt, dann ist es ok. Wirklich ernstnehmen kann man es einfach nicht. Oder wie Dr. Watson in "Sherlock", dessen Knieschmerzen eingebildet sind (was nicht heißt, dass das daraus resultierende Leid nicht für den Betroffenen real belastbar wäre) sind und er sie irgendwann in der Aufregung vergisst.
Derartige Abneigungen aber sind nichts, woran man sich erinnern muss, nichts das man aktiv abwehrt. Das ist tiefsitzend, ganz tief in uns einprogrammiert und passiert automatisch, so dass wir uns zwingen müssen, dagegen anzugehen. Bei anderen ist das gar nicht so stark ausgeprägt, die können das sehr wohl ab, vermeiden es aber, wenn möglich. Auch diese Menschen könnte man dann aber nicht überrumpeln. Das Unwohlsein würde bleiben. Du solltest überlegen: Wie stark ist diese Abneigung? Wie sehr belastet es ihn? Ist es nur der Gedanke "Ich mag das nicht"? Will er sich daraus befreien? Fliehen? Letzteres wird mit der Zeit zum Reflex und ließe sich nur aktiv unterdrücken.
Was du später noch einbringt ist, dass Arian angeblich keine Nähe zu Menschen im Allgemeinen ertragen könnte. (Btw: In nem völlig überfüllten Bus einmal drei Dörfer weiterfahren ist dagegen auch wieder kein Problem.) Leider ist das wie mit der ach so entstellenden Narbe. Es kommt zu spät. In den ersten Kapiteln merkt man zwar, dass Arian kein Menschenfreund ist, aber dass er echte Probleme im Umgang hätte, davon sieht und liest man nichts, ist aber ein gewaltiger Unterschied. Auch später, wenn öfter mal erwähnt wird, wie ach so schwierig soziale Situationen für ihn seien, wird man im Geschehen dann mit völlig anderen Tatsachen konfrontiert. Arian ist nämlich verflucht schlagkräftig, redegewandt und alles andere als unsicher. Außer in Außnahmesituationen, hat er sich ziemlich gut im Griff und zeigt keinerlei Schwierigkeiten, ganz anders als er behauptet. Dass ihm die Worte ausgehen, als er plötzlich und unerwartet ein Gespräch mit einem (wie er findet) schönen, offenbar selbstbewussten Mädchen halten soll? Dass er wütend wird, wenn er an den Tod seiner Familie erinnert wird und dann Dinge sagt, die ihm hinterher leid tun? Dass er eine Panikattacke bekommt, nachdem vier Götter ihm gesteckt haben, dass er sich vermutlich opfern muss, um die Welt vor der ultimativen Zerstörung und dem Chaos zu schützen und dass diese Bestimmung Schuld an seinem Verlust ist? Das ist genauso normal, wie dass er nervös ist, die Eltern seiner Internetbekanntschaft kennenzulernen und dass ihr Reichtum ihn (der aus einfachen Verhältnissen vom Dorf kommt) beeindruckt und einschüchtert. Das macht ihn normal und menschlich und das ist auch gut. Sehr gut sogar. Du hast einen Protagonisten erschaffen, der mal völlig normal reagiert, dem auch mal was den Boden unter den Füßen wegzieht oder die Sprache verschlägt! Darauf kannst du stolz sein. Und du brauchst nicht "noch einen draufsetzen".
Willst du wirklich reinbringen, dass er die Nähe anderer Menschen nicht erträgt, wie er es behauptet? Dass jede Konversation zum Kraftakt wird? Jedes Mal sein Hirn auf Volllast läuft, um die verschiedenen Signale (Worte, Mimik, Gestik) zu entschüsseln? Begleitet von Herzklopfen, Unsicherheit und Angst, von Befürchtungen und Bangen geprägt, weil man sich mehr durchrät als wirklich etwas zu wissen? Vergleichbar mit einer mündlichen Abiturprüfung, für die man zwar gelernt hat wie bekloppt, aber es immer noch nicht begriffen hat, die aber das Zünglein an der Waage ist? Dann liegt ein großer Batzen Arbeit vor dir, denn das kommt in den Gesprächen überhaupt nicht durch und wird auch nicht dadurch deutlich, dass Arian nach hinten hin immer wieder sagt, er käme ach so schlecht mit Menschen aus.
Arian ist vor allem von seiner gewohnten Umwelt genervt: dass sie ihn nicht ernst nimmt und seine Bedenken nicht teilt. Er ist fixiert auf die Idee, dass seine Eltern ermordet worden sein könnten und wünscht sich nichts anderes, als in diesem zunehmenden Glauben bestärkt, statt dafür belächelt zu werden. Dass er dabei sogar gewalttätige Tendenzen entwickelt und seinen Therapeuten angreift, ist echt bedenklich. Wir lehnen uns mal so weit aus dem Fenster zu behaupten, dass der Junge schlichtweg stark durch den Unfall traumatisiert , geprägt (vermutlich das Wort, das du suchst) worden ist, was rein gar nichts mit Autismus (der angeboren ist) zu tun hat, dafür aber sehr verständlich ist. Die Wesensveränderungen allerdings, die später dazukommen, die Halluzinationen und der Drang, andere zu verletzen oder gar zu töten, geht weit darüber hinaus und ist, wie Arian selbst glücklicherweise einsieht, weit mehr als nur fraglich oder bedenklich sondern (von außen betrachtet) nichts anderes als eine Gefahr für die Allgemeinheit.
Unter dem Aspekt, dass die spätere hohe Bereitschaft zur Gewalt und die Tötungsfantasien von Arian auf irgendeine Verbindung zu Dubhadh zurückzuführen sind, nehmen wir allerdings an, dass nicht nur sein Trauma für diese, doch sehr besorgniserregende, Wesensveränderung verantwortlich ist. Einerseits finden wir es recht geschickt von dir gemacht, dass du mit den Ängsten und Zweifeln des Lesers spielst, indem du nicht vorwegnimmst, was genau nun für Arians Wandel verantwortlich ist. Du lässt den Überlegungen Spielraum. Liegt es an seiner Begegnung mit dem Monster? An den Medikamenten oder sogar an deren Fehlen? Andererseits sind wir doch auch schon von Arains übermäßig zur Schau gestellten Pubertät genervt gewesen (geht uns ja häufiger mal so, nur dass es diesmal eben ein männlicher Protagonist ist), sodass wir uns die Frage gestellt haben, wie die bangende Wirkung auf den Leser wohl wäre, wenn Arian vorher zwar auch resigniert, in sich gekehrt, wenig gesellig und eher wortkarg gewesen wäre, ihm aber der aufmüpfige Trotz gefehlt hätte. Wenn er zwar zynischen Gedanken nachgehangen hätte, aber dennoch folgsam zu seiner Therapiestunde gegangen wäre und dort nicht schon so ausgerastet wäre. Wenn er innerlich gekocht hätte, aber so lange duchgehalten hätte, bis die Stunde um ist und dann einfach mit dem Bus heim gefahren wäre, um den Kopf frei zu bekommen oder weil Ella einen dringenden Termin hatte oder, oder, oder ... Wäre die drastische Wandlung dann noch besorgniserregender? Vermutlich schon. Zugegeben: Es ist nicht einfach, den richtigen Grad zu finden, um die gewünschte Bestürzung in Kombination mit dem Verständnis für die Eskalation von Arians Gedanken zu erreichen, aber was wir gern sagen möchten: Ein bisschen weniger Teenpubi würde uns freuen.
Aber weiter im Text: Kommen wir zu Ella, die eine ziemlich prägende Figur in deinem Buch ist. Abgesehen von der Tür-Eskapade finden wir sie sehr gut dargestellt. Sie hat überraschend ihren Großneffen bei sich aufgenommen und versucht das Leben mit ihm unter einem Dach zu meistern. Selbst ist sie kinderlos und alleinstehend, arbeitet in der Krankenpflege, was ein sehr fordernder Job ist, und ein Großteil des Geldes fließt in die Therapiestunden für Arian. Kleiner Einwurf, da die Geschichte in Deutschland spielt: Warum übernimmt das nicht die Kasse? Arian ist minderjährig, da ist das noch weniger ein Problem als bei Erwachsenen, wenn es nicht irgendeine Therapieform ist, die eben nicht übernommen wird. Aber Gesprächstherapie sollte drin sein. Wir haben es damit erklärt, dass Arian in recht kurzen Abständen Sitzungen in Anspruch nimmt und das daher den Kostenrahmen der KK sprengt (über die Sinnhaftigkeit derartiger Budget-Decklungen lassen wir uns hier mal nicht aus, da die Autorin nix für reale Praktiken kann). Weiter zu Ella: Sie gilt selbst als Exentrikerin, da sie sich sehr ausfallend und farbenfroh schminkt, jugendhafte Ohringe trägt und trotz ihres gehobenen Alters ein Faible für Räucherstäbchen, Yoga und Meditation hat (gleichzeitig aber gläubige, katholische Christin ist), doch mit ihrer resoluten, aber herzlichen Art kommt sie mit ihren Patienten sehr gut aus. Das passt wunderbar. Auch, dass Arian wegen ihrer Konsequenz und Durchsetzungsfähigkeit keine Anstalten macht, bei ihr aufzubegehren, passt wunderbar. Wir würden uns bei der Frau auch zweimal überlegen, ob wir aufmucken. Dabei ist sie allerdings keinesfalls überzogen streng, hat Arian sein eigenes Zimmer eingerichtet, erlaubt ihm (trotz ihrer Strahlenempfindlichkeit) einen Laptop und bemüht sich wirklich um ihn. Dass sie irgendwann bei seiner ablehnenden und bockigen Haltung kapituliert und sich vom Psychologen ihres Großneffen nicht nur zu mehr Stunden beschwatzen lässt, sondern auch, Arian heimlich, ohne sein Wissen, nicht-freigegebene Medikamente zu verabreichen, ist hart, aber es ist nachvollziehbar (wenn auch unentschuldbar) und dass du das schaffst, dass man als Leser sie nach diesem Verrat nicht verteufelt, sondern auch Mitgefühl und Verständnis aufbringt, ist echt eine Leistung. Für uns war Ella die heimliche Heldin der Geschichte.
Arians Psychologe Dr.(?) Nagel dagegen erscheint uns nicht nur wenig authentisch, sondern auch noch unglaublich unsympathisch. Er gibt das klischeehafte Bild eines "Horror"-Psychologen ab, wie ihn sich leider (!) viel zu viele Menschn vorstellen. Dabei stellt er übrigens auch noch die zweite Person dar, der wir hier geren ein Berufsverbot erteilen möchten. Und da beziehen wir uns jetzt mal nicht auf die Tatsache, dass Hr. Nagel Arian verschreibungspflichtige Medikamente verabreicht (was Psychiatern vorbehalten ist, sieht man davon ab, dass die hier angesprochenen Medikamente nicht einmal freigegeben sind). Vielmehr stößt die Art auf, wie das Handeln des Mannes beschrieben wird. Der Psychologe, der nach drei Jahren mit ein und demselben Patienten jede Sitzung noch immer mit einem Inteview oder einer Anamnesestunde verwechselt, hat definitiv für den A... studiert. Auch, dass er nach Arians Ausbruch sich nicht die Mühe macht, seinem Patienten hinterher zu gehen und zu sehen, ob es ihm gut geht, ihm zu helfen sich zu beruhigen und so weiter, lässt den Psychologen wenig glaubhaft erscheinen.
Dass Herr Nagel sich dazu entschieden hat, Arian ohne dessen Wissen Medikamente zu verabreichen, ist zwielichtig genug. Das ist auch Teil des Plots - ein wichtiger - der durchaus so stehen gelassen werden kann. Aber was hindert dich daran den Mann dennoch als nett und vertrauenserweckend zu beschreiben? Gerade das würde den Verrat, den Arian empfindet noch glaubhafter machen.
Was Herrn Nagel zusätzlich sehr dubios und zwielichtig erscheinen lässt, ist sein Drang, Arian in eine Abhängigkeit zu zwingen, als er seinen Patienten, der nicht mehr zu den Sitzungen kommen will, mit dem Satz "Du brauchst mich" begegnet. Da lief es uns eiskalt den Rücken runter - wäre aber noch deutlicher geworden, wenn du den Herrn nicht sofort als Nulpe präsentiert hättest.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir Ella wunderbar gezeichnet fanden! Bei Arian wäre eine Spur weniger offene Feinseeligkeit und pseudozynische Gedankengänge echt eine Wohltat und bei Dr. Nagel solltest du dich ernsthaft fragen, ob du ihn so deutlich als Bösen (bzw. inkompetent) darstellen willst.
Metaebene: Wie sind Dialoge und Emotionen beschrieben worden?
Deine Dialoge finden wir sehr gelungen! Auch wenn uns Arians teils provokante Art nicht immer begeistert hat, hast du die Reaktionen wunderbar abgestimmt. Es passte alles, wirkte nicht gezwungen oder gestellt. Das ist die Hauptsache! Gerade in Kombination mit Ella, die dann keine Probleme hat, Arian auch mal Paroli zu bieten oder seinen Zynismus eiskalt an sich abperlen lässt, kamen da sehr starke Gespräche zustande, was uns gut gefallen hat. Selbst, wenn es mal steif oder formell wurde, dann passte es zur Situation und den Beteiligten. Du hast also auch die Wortwahl den jeweiligen Akteuren angepasst, was ein großer Pluspunkt ist, denn es trägt maßgeblich zur Lebhaftigkeit deines Settings bei.
Was das Einarbeiten von Emotionen und Empfindungen betrifft, befindest du dich bereits auf einem guten Weg. Positiv ist aufgefallen, dass du Eindrücke der Umgebung mit einbeziehst, um den Leser in die Gefühlswelt deines Protagonisten eintauchen zu lassen. Du beziehst nicht nur Gedanken und gängige Emfindungen wie Gänsehaut oder Übelkeit mit ein, sondern bedienst dich auch anderer Sinne, indem du beschreibst, was Arian hört und schmeckt und wie er sich damit fühlt. Das ist (leider) bei den meisten Büchern auf Watty alles andere als selbstverständlich, daher fiel uns der Ansatz bei dir sofort positiv ins Auge, auch wenn du diesbezüglich noch Entwicklungspotenzial hast.
Die Gedanken deines Protagonisten greifst du gut auf, beschreibst sie sehr detailliert und ausschweifend. Bei den Empfindungen fehlt ab und an etwas. Gerade in Bezug auf Arians Gedanken, wäre es von Vorteil diese damit zu verknüpfen, wie er sich in diesem Moment fühlt. Zum Beispiel, als Arian mit Ella im Auto sitzt und er auf seinem Handy herumtippt und sich dabei bemüht wütend zu erscheinen. Warum bemüht er sich? Ist er es nicht? Auch in dieser Szene arbeitest du viel mit Arians Gedanken, lässt dabei seine Gefühle aber etwas außen vor.
Statt zu beschreiben, wie er sich bemüht, deutlich zu machen, dass er so richtig sauer ist, könntest du das Anhand seiner Empfindungen verdeutlichen.
Z. B. "Ohne meiner Großtante weiter Beachtung zu schenken, die neben mir im Auto saß ..." Moment! Wir sehen gerade: Hier ist auch ein Satzstellungsfehler der Art, wie sie dir öfter Mal unterlaufen. Den berichtigen wir mal nebenbei mit. Also nochmal:
"Ohne meiner Großtante, die neben mir im Auto saß, weiter Beachtung zu schenken, tippte ich wild auf meinem Handy herum. Noch immer kochte ich vor Wut. Dass mein T-Shirt schweißnass an meinem Rücken klebte, war nicht nur dem heißen Sommertag geschuldet, sondern vor allem der inneren Hitze der Gereiztheit. Obwohl ich absichtlich jeden Blick in Ellas Richtung mied, war ich mir ihrer Nähe bewusst. Es war ein beklemmendes Gefühl, dieser armen Irren so nahe sein zu müssen. Am liebsten hätte ich die Autotür aufgerissen und wäre zu Fuß gelaufen, aber der Weg war dafür zu weit. Da ich mir eingeengt vokam und die stickige Luft mich nur noch mehr nervte, kurbelte ich wenigstens die Scheibe des Fensters hinunter."
Eine weitere Szene in der wir uns definitiv mehr emotionalen Tiefgang gewünscht hätten, ist die, in der Ella Arian beichtet, dass sie ihm im Auftrag von Hr. Nagel heimlich Medikamente unterjubelt. Wir kommen aus einer Situation in der Arian unter Schock steht, weil er sich kurz zuvor den Schatten seiner Vergangenheit stellen musste und sich damit konfrontiert sah, dass möglicherweise alles noch einmal geschehen würde. Er ist apathisch, schockiert, wie leer, kraftlos. In diesem Zustand beginnt das Gespräch. Mitten in diesem Gespräch ist Arian dann plötzlich genervt, weil Ella nicht zum Punkt kommt. Schon das Genervtsein, passt nicht so ganz in die Gefühlslage, in der er sich zuvor befunden hat. Wenn er nichts fühlt und leer ist, dann sitzt er ggf. wirklich einfach da und lässt sich von Ellas Worten berieseln. Eventuell dauert es sogar, bis die Worte und deren wahre Bedeutung zu ihm durchdringen. Aber er denkt sich nicht plötzlich "Mädel, mach hinne, gleich fängt die Sportshow an!" Wenn dann ist man aufgebracht und will endlich wissen, was es zu sagen gibt, spielt die verschiedenen Möglichkeiten durch, wird hibbelig, pendelt plötzlich zwischen Angst, gedanklichen Beschwichtigungen und absoluter Panik.
Arian aber begreift sofort und schaltet von apathischer Taubheit mit kurzem Zwischenstopp auf dem Level "pubertäre Gereiztheit" in wenigen Sekunden zu rasendem Zorn um, in dem er seiner Großtante dann auch noch seinen Tee über den Kopf kippt. Eine etwas überzogene Reaktion, die auf Grund der Umstände leider eher (gewollt) humoristisch wirkt, so wie die erzwungenen Lacher bei einer Comedyshow. Zuträglicher wäre es, wenn du Arians Zorn, seine Verletzlichkeit langsamer aufbauen und sie mehr ausschmücken, beziehungsweise veranschaulichen würdest. Lass ihn nicht nur wütend hinausschreien, was ihm gerade durch den Kopf geht, sondern beschreibe auch, was in seinem Innern passiert. Ist ihm kalt? Heiß? Beides abwechselnd? Brennt seine Haut vor Scham, weil er sich verraten und verkauft fühlt? Ist ihm schlecht, weil seine Großtante ihn anwidert. Zittert er vor Empörung? usw. Des Weiteren wäre es eine glaubhaftere Reaktion, wenn er seinen Tee einfach samt Geschirr vom Tisch fegt und dabei das teure Porzelan zu Bruch geht. Das ist es doch eher, was Menschen so tun, oder? Also Jao zumindest hat schon öfter mal was wütend durch die Gegend gepfeffert. Aber Menschen auf die sie wütend war mit Tee, Kaffee oder realistischer gesehen mit Red Bull begossen, hat sie noch nicht.
Wir wollen nicht sagen, dass du Emotionen gar nicht oder nicht gut beschreibst, nur, dass du an manchen Stellen noch mehr in die Tiefe gegen solltest, die vielleicht vorstellen solltest, wie sich das, was dein Protagonist gerade fühlt, für dich anfühlen würde. Was du empfinden würdest.
Zum Schluß möchten wir noch etwas erwähnen, das unserer lieben Sue aufgefallen ist: und zwar bemerkte sie, dass Arian in der Lage ist, bestimmte Empfindungen und Gefühle tatsächlich zu schmecken. Dabei ordnet er seinen Gefühlen ganz unterbewusst Bezeichnungen wie scharf oder bitter zu. Für ihn scheint das aber keine Metapher zu sein, sondern er schmeckt es tatsächlich, was wir (nachdem Sue uns darauf hinwies) für einen interessanten Aspekt halten. Vielleicht wäre es eine schöne Idee, da mehr Fokus drauf zu legen, statt auf die "autistischen" (Synestäsie *hust*) Züge.
Schreibstil
Ausdruck: Gibt es viele Wortwiederholungen? Verfügst du über ein eher geringes oder über ein weitgefechertes Vokabular? Wie sieht es mit Bildern, Vergleichen oder Metaphern aus? Oder greifst du immer wieder dieselben hohlen Phrasen auf?
Wir nähern uns der Basis deines Werks, der Sprache. Bei der stilistischen Betrachtung ist uns aufgefallen, dass wir recht wenig anzumerken haben, denn dein Stil hat uns größtenteils sehr gut gefallen. Du spielst viel mit Sprache und deine sprachen Bilder (Vergleiche wie Metaphern) sind teilweise sehr schön und treffend gewählt, so dass sie deine Erzählung wunderbar untermalen. Beispielsweise sei bereits aus dem Prolog das Beispiel (positiv) erwähnt: "Nur das leise Flattern eines Kinderherzens, das wie ein erschreckter Vogel verzweifelt gegen sein Gefängnis schlug [...]" Da sind wirklich, wirklich gute Stellen bei und insgesamt ist dein Buch echt nicht schlecht geschrieben.
Ein bisschen was zu meckern haben wir trotzdem. Das beginnt mit deinen Lieblingsworten: Erst, einfach, jedoch, etwas. Solltest du dich an die Überarbeitung setzen oder neue Kapitel schreiben, prüfe jedes dieser Worte darauf, ob es an dieser oder jenen Stelle wirklich notwendig ist, oder ob du ohne es besser auskommst. Manchmal kommt man nicht drumrum, manchmal passt es genau wie Faust aufs Auge, aber oftmals sind solche Worte nichts anderes als Füllstoff, der den Text aufbläht und die Wirkung sogar noch verwässert.
Ähnlich verhält es sich mit Platzhaltern. Man kann sie nicht ganz rausnehmen, aber so wirklich passend sind sie auch nicht. Eben Platzhalter, die man hingeschrieben hat, damit irgendwas dort steht, bis man das perfekte Wort gefunden hat. Markiert euch solche Platzhalter mit drei X'en im Text oder so, damit ihr die wiederfindet! Damit ihr euch an sie erinnert. Dann kommt so etwas wie "Eine leichte Briese ließ den schweren Stoff leise rascheln." nicht vor. Briesen sind viel eher sanft oder seicht, besitzen aber per Se KEIN Gewicht. Andersrum: Es gibt keine schweren Briesen (wenn es auch schweren Sturm gibt). Insgesamt ist Leicht ein von dir sehr gern verwendeter Platzhalter.
Das nächste, was uns in der Hinsicht auffiel, war, dass du manchmal aus deinem Stilmuster herausfällst, was bei uns das Gefühl auslöste, mit dem Kopf vorran auf einer vorher so wundervoll geteerten Straße zu bremsen. Da beginnst du Sätze unglaublich stimmig, um dann mit der Eleganz eines Mettbrötchens zu enden. So wie hier: "Dann fuhr er mehrmals mit der Hand durch sein kurzes, schwarzes Haar, das vom kalten Schweiß noch ganz feucht war und spürte [...]" Bis hierhin noch völlig in Ordnung, kein literarisches Weltwunder, aber gut und flüssig lesbar. Aber dann: "[...] wie er immer fitter wurde." Da haben wir die Maurermarmelade! Vorher blumig, ausladend, treffend, aber völlig im Rahmen und dann plötzlich flappsig. Fitter ... Das wirkt, als sei dir am Ende des Satzes die Lust vergangen. So etwas passierte nicht oft, aber auch in geringem Maße sollte man es vermeiden.
Dann haben wir in vergangenen Rezensionen immer mal wieder ermahnt, man solle öfter mal einen Punkt machen, anstatt Hauptsätze wie nicht gescheit aneinander zu reihen. Das ist jetzt die zweite Rezi in Folge, in der wir ein vollkommen anderes Problem haben: Das Auseinanderreißen von abhängigen Sachverhalten. Ja, ein Punkt verstärkt die Wirkung. Kurze, knappe Sätze wirken teilweise stärker und eindrücklicher. Aber nicht, wenn man das ständig macht! Dann gewöhnt sich der Leser dran und wenn ihr den Effekt mal wirklich in einer epischen Szene, für eine wichtige Erkenntnis braucht, dann kriegt es der anonyme L. nicht mit.
Merke: Sätze, die mit Aber, Und, Doch oder (bei dir besonders häufig) Denn beginnen, sind (in Massen) weder schön noch der Atmosphäre oder Spannung zuträglich. Entweder, man beginnt den Folgesatz nicht mit einer Konjunktion oder man verbindet die beiden Sätze. (Aber) Beides nervt auf Dauer.
Beispiel: "Aber was auch immer sie damit sagen wollte, es war auf jeden Fall interessanter, als das Gerede des bereits ergrauten Geistlichen da vorn am Altar, der irgendwas von Jesus erzählte, was ich sowieso schon gefühlte tausendmal gehört hatte." Man kann das Aber wegnehmen, ohne das mit diesem Satz etwas schlimmes passieren würde. Er explodiert nicht, er bricht die Schule nicht ab, er fängt nicht an zu weinen und verstehen tut man ihn obendrein auch noch. Es gibt keinen Grund damit einen Gewöhnungseffekt zu riskieren.
Anders hier: "[...] die Cousine meines Vaters [hätte] genug Zeit und Geld gehabt, um mich zu sich zu holen. Doch sie hatte sich vehement geweigert." Vor das Doch ein Komma und dann klein weiter. Diese Sätze sind eng miteinander verschlungen, gehören inhaltlich zusammen, warum trennst du sie?
Gerade bei den kausalen Zusammenhängen, die später folgen, fällt das echt auf, dass plötzlich jede Begründung ("Denn ...") als eigenständiger Satz formuliert wird. Geh mal über deinen Text und schau dir bewusst an, wie oft du das tust und dann frag dich, ob das wirklich so sein muss.
Zum nächsten Punkt: Wir haben ja nicht vor, euch mit Stilmitteln zu quälen, sondern machen hier eher eine Basisanalyse, aber was uns bei deinem Text aufgefallen ist, dass du das Stilmittel der Litotes (Zurückhaltung, z. B. "nicht gerade zur Besserung meiner Situation beitrug") beinahe bis zum Erbrechen ausreizt. Es unterstreicht natürlich Arians pubertäre Sintflut-Stimmung, aber die wird auch so deutlich und durch die andauernde semi-ironisch-litotische Erzählweise wird es überdeutlich. Du kannst das gerne machen und verwenden, aber sieh zu, dass es sich im Rahmen hält.
Da sind wir auch schon am letzten Punkt in der Kategorie Stil angekommen! Formulierungen. Das passende Beispiel haben wir auch direkt eingebunden, als wäre es geplant gewesen. "[...] fielen eindeutig unter diese Kategorie". Man fällt in eine Kategorie - oder speichert etwas unter einer Kategorie ab, aber man fällt (hoffentlich) nicht unter eine Kategorie. Vermutlich tut das weh, je nachdem, wie gut die Kategorie befestigt ist.
Ebenso wie Folgendes: "[...] schreckte mich die Stimme meiner Großtante aus meinen tiefschürfenden Gedankengängen." Man verschreckt jemanden, aber ist nicht gleichbedeutend mit verscheuchen oder vertreiben. Man kann auch aufschrecken, aber das ist nichts, was ein anderer einem antut, sondern würde dann eher so klingen: "[...] ließ mich die Stimme meiner Grußtante aus meinen tiefschürfenden Gedankengängen aufschrecken." (Oder etwas schöner: "[...] ließ mich die durchdringende Stimme meiner Großtante aufschrecken und meine tiefschürfenden Gedankengänge verpufften schlagartig.")
Oben hatten wir auch etwas zu Stilausbrüchen gesagt. Manchmal zeigt sich der auch bei dir in besonders allgemeinen Beschreibungen, die du sonst eigentlich sehr treffend wählst. Aus manch einem Satz springen einen dann allerdings solche Stilblüten an: (Thema: Ein schöner Ausblick) "Dieser wurde noch dadurch verstärkt, dass das Haus meiner Großtante auf einer kleinen Anhöhe am Rande des Dorfes lag." Ein Ausblick wirkt verstärkt. Blicke kann man schärfen, ok, aber das was man sieht verstärken? Nicht dadurch, dass ein Haus auf einer Anhöhe steht. Außer das gibt in RPGs (warum auch immer, wegen guter Landluft oder so, Spielleiter ist halt Gott) da plötzlich +3 auf Sinnesschärfe. Es wird ersichtlich, was du meinst, nämlich, dass Arian dadurch noch einen viel besseren Überblick hat, wegen der erhöhten Position, aber der Satz wirkt wie eine grobe Skizze dieses Sachverhaltes. Viel zu grob und allgemein.
So auch hier: "Ein leises Surren zeigte mir, dass das Gerät seine Arbeit aufnahm." Es geht um einen Laptop, der hochfährt. Warum man das unbedingt in epischer Breite ausführen muss, erschließt sich uns kaum, aber vor allem stört uns die Verbindung von "Surren" (ein Geräusch) und "zeigen" (visueller Hinweis). Merkst'e? Passt nicht. Hier müsste man das allgemeiner fassen, um den Satzbau nicht völlig durcheinander zu schmeißen. Beispielsweise könnte man "signalisieren" verwenden, das sich auf alle Sinneswahrnehmungen erstreckt - was den ganzen Satz noch viel komplizierter und hochtrabender machen würde. Das ist wie "Ein Blick auf die Uhr verriet mir" - die Machenschaften der Iluminati? Das Geheimnis von Jack the Ripper? Die günstigste Tankstelle in der Umgebung? (Gut, eine Smartwatch könnte das heute ...) Warum wir immer noch auf Erdöl angewiesen sind? Nein, die fucking Uhrzeit! Kaum zu glauben! Leute, lasst Banalitäten besser Banalitäten sein: "[...] drückte auf den Einschaltknopf und mit einem leisen Surren fuhr der Rechner hoch." Tut euren Charakteren einen Gefallen und stellt es nicht so da, als benötigte man tiefgehende Erfahrungen hinsichtlich von Deduktion und Kriminalistik, um die Signale zu deuten.
Man KANN das machen. Man kann jeden noch so unwichtigen Umstand zum Novum erheben und ins kleinste Detail beschreiben. Das muss man dann aber durchgängig machen und kommt eher in der Sparte "Humor" gut, wenn man komische Elemente mit einzubinden weiß. Ansonsten wirds eher zäh und wirkt wie eine Schreibübung.
Von diesen Punkten abgesehen hast du einen blumigen, aber ansprechenden Stil, der die Geschichte wirklich lebendig rüberbringt. Zwar beschreibst du (wie bei der Dramaturgie erwähnt) sehr viel und ausschweifend, aber alles in Allem ist es stimmig und gut und flüssig lesbar.
Äußere Form: Verwendest du Satzzeichen? Verwendest du sie richtig? Wie steht es um deine Rechtschreibung? Wie ist es mit der Grammatik? Nutzt du lange Bandwurmsätze, ungeachtet der entsprechenden Situation, oder weißt du damit zu spielen?
Grob gesagt: Die Äußere Form weist bei dir nur sehr wenige Mängel auf, so dass sich das Buch von diesem Standpunkt aus gesehen wirklich sehr, sehr gut lesen lässt. Rechtschreibfehler findet man so gut wie gar keine und auch Grammatikfehler sind deutlich in der Unterzahl gegenüber dem Rest des fehlerfreien Textes. Wir hatten dein Eindruck, echt ein ziemlich sorgfältig ausgearbeitetes Werk vor uns zu haben. Danke dafür im Voraus!
Beginnen wir allerdings den nächsten Part mit einem Tipp: bei komplexen Aufzählungen bietet es sich an, sich zur Gliederung der einzelnen Punkte, das Semikolon zur Hilfe dazuzuholen. Sinn und Zweck ist es, dazugehörige Teile deutlicher zu markieren. Ein Semikolon besitzt mehr Ausdruckskraft als ein Komma, ist aber auch nicht so abschließend wie ein Punkt. Daher wird es vorwiegend für diesen Zweck verwendet - und dafür, SQL-Statements oder diverse andere Programmier-Befehle zu beenden, aber das gehört hier nicht her. Mit komplexen Aufzählungen meinen wir beispielsweise so etwas: "Außer mir waren wie immer die üblichen Verdächtigen in der Messe erschienen, was sich auf zwei Paare Ende siebzig beschränkte, die sich in der ersten Reihe niedergelassen hatten, um überhaupt verstehen zu können, was der Pfarrer von sich gab[;] drei Familien mit kleinen Kindern, die bald zur Kommunion gehen würden[;] und meine Tante Ella [...]"
Allein der erste Aufzählungspunkt fasst vier Nebensätze. VIER! Wir sind unglaublich begeistert davon, dass die auch alle völlig richtig interpunktiert wurden, aber das ist schon etwas, das man nicht mal eben zwischen Tür und Angel liest (was keine Negativkritik sein soll, wir mögen es durchaus anspruchsvoll). Um dann deutlich zu machen, dass man zum nächsten Punkt übergeht, bietet sich eben das Semikolon an, das wir hier bereits gesetzt haben. Der Leser weiß dann "Ah, auch wenn ich wieder mit Kommas beworfen werde, bezieht sich alles auf den zweiten Punkt, bis das nächste Semikolon kommt". Das macht die ganze Angelegenheit deutlich entspannter zu lesen und verliert nichts an Rafinesse. Es ist nicht die Kunst, möglichst kompliziert zu schreiben, sondern komplexe und abwechslungsreiche Satzkonstrukte zu erschaffen, die inhaltlich ansprechend und dennoch leicht zu lesen sind. Man darf als Leser die harte Arbeit des Autors NICHT merken (oder gar beim Lesen mitfühlen).
Kommen wir aber langsam in die Gefilde der systematischen Fehler. Die Aufzählung war ja richtig, könnte nur besser präsentiert werden, dein Konjunktiv allerdings ist teilweise grenzwertig. Ein kleiner Merksatz dazu: "Der Konjunktiv ist (oftmals) würdelos." Versucht beim Konjunktiv das Hilfsverb "würde" bitte zu vermeiden. Ja, es ist unglaublich verbreitet, das zu tun, aber das ist keine Entschuldigung, dem nachzugeben. Oftmals haben Verben eine eigene Entsprechung des Konjunktivs und brauchen diese Krücke gar nicht. Nachlesen kann man die auf duden.de, falls man sich unsicher ist. So vermeidet man so etwas: "Wer auch immer die Behauptung aufgestellt hatte, dass die Zeit alle Wunden heilen würde, musste so dumm gewesen sein, dass es zum Himmel schrie."
Heilen würde, daran haben wir uns gestoßen (und teilweise auch bei anderen Konjunktivsätzen, die mit Würde zusammengefrickelt wurden). Das Verb "heilen" besitzt nämlich einen solchen eigenen Konjunktiv. Somit wäre "Wer auch immer die Behauptung aufgestellt hatte, dass die Zeit alle Wunden heilte, musste so dumm gewesen sein, dass es zum Himmel schrie." Im Konjunktiv II unterscheiden sich Indikativ und Konjunktiv II im Präteritum allerdings nicht, so dass man ein Würde nutzen dürfte, aber nicht muss. Wir finden, ohne ist es schöner. Würdevoller, quasi ;-)
Der nächste Punkt, über den wir immer wieder stolpern, war die Sache mit den Infinitivsätze. Eingeleitete Infinitivsätze (z. B. "um das einmal anZUmerken") erkennst du sehr gut und setzt die Kommas auch korrekt. Uneingeleitete Infinitivsätze dagegen gehen dir oft durch die Lappen. So wie hier: "Ich selbst hatte mich mittlerweile daran gewöhnt morgens von einem lauten Gong geweckt zu werden [...]"
"geweckt zu werden" ist hierbei die Infinitivgruppe und hängt an "morgens von einem lauten Gong (geweckt zu werden)". Das ist der Infinitivsatz, vor den ein Komma muss. (Mehr dazu in fast jeder anderen Rezension, die wir bisher geschrieben haben.)
Allerdings sei hier auch gesagt, dass fast alle anderen Arten von Nebensätzen korrekt erkannt und interpunktiert worden sind! Kein Temporalsatz, kein Kausalsatz, der nicht gekennzeichnet worden wäre. Wie schon erwähnt, ein ziemlich sauberer Text.
Nur eine Kleinigkeit ist da noch, die dir, wie die uneingeleiteten Infinitivsätze wohl noch nicht ganz klar ist: Vergleiche. Du setzt bei jedem Vergleich (eingeleitet durch Als oder Wie) ein Komma. Dabei fällt das weg, wenn im Vergleichssatz kein Verb enthalten ist. Hier zum Beispiel: "Das passte irgendwie besser zu mir, als dieses fröhliche Farbenwirrwarr." Im zweiten Satzteil ist kein Verb enthalten, also gehört da auch kein Komma hin. Steht dort ein Verb, wie zum Beispiel "Das passte besser zu mir, als wenn ich mich wie ein bunter Pudel anzöge." Als + Verb = Komma.
Übrigens, wenn Als einen Temporalsatz einleitet ("Ich schreckte auf, als in der Küche mein Teekessel pfiff.") wird IMMER ein Komma gesetzt (weil ein Temporalsatz von Haus aus ein Verb enthält).
Das war es allerdings grammatikalisch. Sonst: Nichts zu meckern. Das kam uns ganz gelegen, denn die Rezi ist schon wieder viel zu lang geworden. Egal, zur Rechtschreibung haben wir noch zwei kleine Hinweise.
"Diesesmal fiel meine Wahl [...]" Dieses Mal schreibt man auseinander und Mal groß. Viel erklären müssen wir dazu vermutlich nicht. Falls doch, frag gerne nach.
Zuletzt bleibt nur noch das Wort "hiefen", das du konsequent falsch schreibst. Richtig wäre "hieven".
Aber das ist nun wirklich kleinkram und auf so viel Text nur zwei durchgehende Fehler ist eine Leistung, auf die du wirklich stolz sein kannst. Der echte Vorteil ist aber vermutlich, dass die Überarbeitung in der Hinsicht sehr entspannt wird, weil es wenig auszubessern gibt.
Der Gesamteindruck
Wir waren begeistert von deiner Fähigkeit, Befürchtungen und Ängste zu schüren, Vermutungen in uns zu pflanzen und mit unseren Erwartungen zu spielen. Dahingehend ist deine Geschichte wirklich wunderbar zu lesen gewesen. Allerdings hinsichtlich deiner Hauptfigur müssen wir zugeben, dass wir ohne Ella vermutlich nicht lange durchgehalten hätten. Arian allein war für uns schwer zu ertragen in seiner Launenhaftigkeit und seinem allgegenwärtigen Zorn auf alles und jeden. Die Logikbrüche haben dann ihr übriges getan, um uns ein wenig zu ernüchtern. Da solltest du dich mal mit befassen und schauen, was du davon umsetzen möchtest. Vor allem um mehr Konsistenz solltest du dich bemühen (Narbe, Brille, usw.), das hat das sonst sehr liebevolle und detailreiche Ergebnis leider etwas erschüttert. Vor allem auch die formell fast fehlerfreie Gestaltung hat uns wirklich beeindruckt. Das ist eine gute Basis, auf der du aufbauen kannst.
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